Legion

Neziri

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Legion




Keil versuchte, im Strom der Menschen halt zu finden und sich umzusehen. Die kopflose Flucht der Masse machte dieses Unterfangen jedoch verdammt schwierig, und er wurde weiter fort gerissen. Hinter dem Strom der Flüchtlinge erhob sich eine dunkle Säule beißenden Qualms, die von den lodernden Flammen in oranges Licht getaucht wurde. Keil arbeitete sich langsam an den Rand des Flüchtlingsstromes vor, wobei ihm mehrmals fast sein Rucksack und sein Gewehr entrissen wurden. Mehr hatte er auch vor dem Angriff nicht besessen, und deshalb hatten die Bomben ihm nichts genommen außer eine kleine Wohnung am Rande der Stadt. Die Lage seines Heims war auch der Grund, warum er noch fliehen konnte, und nicht in den wütend um sich greifenden Flammen verbrannte. Die hinterhältige Attacke war gegen das Zentrum der Niederlassung gerichtet gewesen, und hatte zuerst das Rathaus zerstört, wo sich die Siedler eingefunden hatten, um über die neue Situation zu beraten. Der Krieg hat also schon begonnen, dachte Keil. Und wir stecken mittendrin. Ohne Hilfe von der Regierung erwarten zu können. Sie waren allein, ohne Verstärkung, und die Kolonie war noch zu jung um sich überhaupt gegen irgend einen Feind verteidigen zu können, geschweige denn gegen die Armeen der Kriegsherren. Diesen Kriegsherren hatten die Kolonisten von Liandara die Bomben und die hastige Flucht aus brennenden Gebäuden zu verdanken. Jene, die noch fliehen konnten, und nicht zerfetzt oder zerschmettert unter den Trümmern lagen. Während Keil sich durch die Menge drängte, sah er viele, die Verbrennungen hatten oder andere Wunden trugen. Wahrscheinlich war keiner der Siedler ohne die eine oder andere Schramme davongekommen, denn diejenigen, die keine Narbe am Leibe trugen, waren gezeichnet in ihren Seelen. Nichts würde für sie je wieder sein wie zuvor.
Keil war nun außerhalb der vorwärtsstrebenden Menschenmasse, und konnte die Situation ein wenig besser überblicken. Die Stadt brannte lichterloh, und die Rauchsäule begann den Sternenhimmel zu verdunkeln. Mitten durch den Qualm kamen auf einmal Landungsschiffe und setzten nicht unweit der Stadt hinter einigen Hügeln, die Keil die weitere Sicht verwehrten, auf. Sie werden kommen. Und sie werden niemanden verschonen. Keils Gedanken rasten. Er hatte so etwas schon mal erlebt. Damals war er selbst Soldat gewesen. Die Regierung hatte sein Regiment gegen die Abtrünnigen von General Seilus geschickt, welche Gebiete der Föderation annektiert und sich dort angesiedelt hatten. Dieser Einsatz war der Grund für Keils Austritt aus der Armee gewesen. Was er dort gesehen hatte, ließ ihn seine Heimat verlassen, ließ ihn hierher kommen, und ließ ihn nun um die Zukunft all dieser Menschen fürchten. Und gleichzeitig kam ein Gefühl in ihm hoch, etwas das er schon so oft gefühlt hatte seit jenen Tagen: Schuld. Er fühlte sich schuldig. Und er war auch wütend.
Diesmal nicht. Nicht noch einmal. Nein, diesmal nicht!
Keil öffnete seinen Rucksack und nahm einige Magazine heraus, die er in den Taschen seines Mantels verstaute. Er hatte sie noch dabei, warum, das wußte er selbst nicht genau, aber irgendwie war es ihm falsch erschienen, sich von seiner Waffe und der Munition zu trennen. Er prüfte sein Gewehr, und entfernte sich noch etwas weiter vom Strom der Menschen, der langsamer wurde, je weiter er sich von den Flammen entfernte. Nun, da er die Situation überblickte, schätzte er nüchtern die Chancen ein. Er hatte vier Schiffe gezählt, jedes brachte 50 Mann mit sich, machte insgesamt 200 Gewehre, fürs Erste. 200 Gewehre gegen eines. Keil fluchte. Er rannte nach vorne, dort wo sich die Leute sammelten, und erklomm eine kleine Erhebung, dann ließ er seinen Blick durch die Menge wandern. Er versuchte, Bewaffnete in der Masse auszumachen, oder Uniformteile. Und tatsächlich, auf einem Rücken entdeckte er ein Gewehr, ganz ähnlich seinem eigenen, eine Sturmwaffe aus den Revolutionskriegen. Nach kurzem Überlegen legte er seine Waffe an und schickte einen kurzen Feuerstoß in den Himmel. Das kurze Bellen übertönte kaum den Lärm der Menge, aber Keil sah einige Gestalten herumwirbeln, überall zwischen den Leuten verteilt. Es waren wenige, verdammt wenige, aber Keil war über jeden einzelnen froh. Die Menschen wurden ruhiger, als er seine Stimme hob. "Soldaten! Zu mir!" Langsam begannen sich einige der Frauen und Männer, die auf die kurze Salve reagiert hatten, zu bewegen, sich aus dem Gewühl herauszuarbeiten, und traten auf Keil und seine erhöhte Position zu. Unwillkürlich, ja fast automatisch, bildeten sie am Fuß des kleinen Hügels eine Reihe, musterten sich gegenseitig von der Seite. Manche hielten ihre Waffen in der Hand, manche hatten nur ein Messer im Gürtel, einer war völlig unbewaffnet. Einige hatten Narben, und während Keil die Männer und Frauen musterte, begegnete er verschlossenen Mienen, und Blicken, die härter waren als Stahl oder Stein. Er zählte insgesamt neun Personen, die seinem Ruf gefolgt waren. Er lächelte bitter. Nun denn, mal sehen, ob sie mitmachen. Er schulterte sein Gewehr wieder und wischte sich mit der Hand über die Augen. Sie hatten nicht viel Zeit.
"Ich bin Keil Sumigora, ehemaliger Soldat der Föderation, Master Seargent im 4. Regiment unter Comodore Skijndre. Ihr alle habt wahrscheinlich die vier Landungsschiffe gesehen, die da hinten", er deutete über die Schulter in die entsprechende Richtung, "soeben aufgesetzt haben. Ihr wißt was das bedeutet. Ich weiß nicht, was ihr nun zu tun gedenkt, aber ich persönlich will verdammt sein, wenn ich das zulasse, ohne mich zu wehren." Er machte eine kurze Pause, um seine Gedanken zu fokussieren und sich seine nächsten Worte zu überlegen. Er war diese Ansprachen nicht mehr gewöhnt. Auf einigen Gesichtern erspähte er den Anflug eines Lächelns, und er lächelte zurück. "Wer sich mir anschließen will, ist mir herzlich willkommen. Wer das nicht tun will, und lieber auf eigene Faust versucht, davonzukommen, sollte sich schleunigst auf den Weg machen, denn Jahimo's Söldner sind sicher bald hier. Die anderen bitte ich, mir kurz zu sagen, wo sie Dienst taten, und welche Ausbildung sie hatten." Er starrte den Ersten der Reihe erwartungsvoll an, und der Mann erwiderte seinen Blick, wobei nur die Augen zu schmunzeln schienen, der Rest seines Gesichtes war unbeweglich wie Marmor. Allerdings hatte dieser Marmor tiefe Narben in seiner Oberfläche, die wahrscheinlich von Granatsplittern oder ähnlichem stammten. Eine verlief vom Mundwinkel bis zum Ohr. Als er sprach, war seine Stimme ungefähr so angenehm wie das Knarren einer verrosteten Bunkertüre.
"Seargent Högel, 5. Regiment, Pionier. Ich bin mit von der Partie, wenn du mir ein Gewehr und genügend Sprengstoff besorgst. Vielleicht nehmen wir dann eine ganze Menge von diesen Bastarden mit in die Hölle." Er spuckte auf den Boden, und kratzte sich das unrasierte Kinn. Keil mußte grinsen. "Keine Sorge, wir werden schon was für dich auftreiben, Högel. Und du?" Die Frage war an die Frau gerichtet, die den Pionier mit leichtem Abscheu musterte. Sie starrte nun auf Keil, schüttelte den Kopf und blickte zu Boden. Als sie wieder aufblickte, klang ihre Stimme belegt. "Ich dachte, ich hätte das alles hinter mir." Keil nickte. "Das dachten wir alle. Bist du trotzdem mit von der Partie?" Er blickte kurz zum Horizont, wo sich die zweite Sonne langsam über den Rand des Planeten schob, richtete dann wieder den Blick auf die Soldatin. "Ja, ich bin dabei. Private Ramirez, Juanita, leichte Infanterie, Freiheitskorps, dritte Division." Keil nickte. Der Mann neben ihr grinste plötzlich. "Dritte Division, wie? Euch haben wir doch bei Grube 4 aufgerieben!" Haß flammte in Ramirez’ Augen auf, als sie den Blick auf den vierschrötigen Kerl richtete, dessen Grinsen immer breiter wurde. "Also bist du ein Black Dog, ein verdammter Hund!" Der Mann lachte laut auf. "Ja, Corporal Fikolmij, zu Diensten! Special Squad Black Dogs, Späher!" Er verbeugte sich erst in Richtung Ramirez’, dann in hin zu Keil. "Und wir werden viele, viele von diesen feigen Schweinen in ihrem eigenen Blut ersäufen. Sie hätten uns nicht herausfordern sollen."
Der nächste Mann, ein schlanker Kerl, der die ganze Zeit ein Gewehr mit sehr langem Lauf in Händen hielt, als wäre es sein kostbarstes Gut, trat einen Schritt vor. "Mein Name und Dienstrang tut nichts zur Sache, Keil, so wie alle Dienstränge hier nur nebensächlich sind. Wichtig ist nur, daß ich mit meinem Gewehr alles treffen werde, was sich näher als zwei Meilen an uns heranwagt. Alles, was du mir besorgen mußt, ist genügend Munition. 4,5 mm Standard." "Alles klar", bestätigte Keil. "Bin verdammt froh, dich auf unserer Seite zu wissen. Wie sollen wir dich rufen?" Der Mann überlegte kurz, dann lächelte er. "Nennt mich Spirit. Ich werde immer bei euch sein, egal wohin ihr geht." Keil unterdrückte ein Schaudern, als er an den verborgenen Sinn dieser Worte dachte. Er hatte schon einige Scharfschützen kennengelernt, und er wußte, daß diese Sorte Soldaten eine Eiseskälte in sich trug. Spirit war so kalt, daß er brannte. Während auch die restlichen fünf ihre Namen und Ausbildung nannten, fühlte er ständig den Blick des Scharfschützen auf sich ruhen, prüfend, berechnend.
Die restlichen Freiwilligen waren gemeinsam aus dem Dienst ausgetreten, als man einen von ihnen für einen Unfall verantwortlich machen wollte, der nicht zu vermeiden gewesen war. Es war nur ein Sündenbock gesucht worden. Sie waren Mitglieder eines Wachteams gewesen, und jeder von ihnen trug eine MP, die ihrer Dienstwaffe sehr glich.
"Patterson, du wirst mit deinen Leuten unseren Rücken decken, da die Reichweite eurer Waffen nur beschränkt ist und ihr somit nicht effektiv in die Offensive gehen könnt. Wenn sie nach dem Handbuch vorgehen, werden sie die Landestelle sichern und dann Streifen ausschicken, um die Gegend zu erkunden. Wenn mich nicht alles täuscht, sind diese Streifen schon auf dem Weg hierher, da die Piloten die Flüchtlinge ausgemacht haben und also wissen, wo wir zu finden sind. Sie werden sicher auch mit Widerstand rechnen, vielleicht mit einigen wütenden, spatenschwingenden Siedlern - aber nicht mit uns. Die Überraschung ist im Moment unser bester Freund, und wir müssen versuchen, eine Streife zu erledigen und die Ausrüstung zu bergen, damit wir Högel und die anderen entsprechend ausstatten können. Wir werden uns auf dem Hügel da hinten in den Hinterhalt legen, und Spirit", er nickte dem Scharfschützen zu, "wird erst mal so viele erledigen, wie er kann, danach reiben ich und Fikolmij den Rest auf. Es darf keiner entkommen. Und es darf keiner von uns verletzt werden. Wir sind zu wenige, um uns Verluste leisten zu können. Alles klar?" Die Soldaten bestätigten, worauf Keil sich umwandte und von der kleinen Erhebung herabstieg, um seine Truppe im Laufschritt auf den Hügel zuzuführen, hinter dem die Landungsschiffe lagen. Hinter sich hörte er laute Stimmen, die versuchten, etwas Ordnung in das Chaos der Flüchtenden zu bringen. Auch andere Menschen hatten die Landungsschiffe gesehen, und sie hatten die Soldaten gesehen, die sich bei der kleinen Erhebung gesammelt hatten. In manchen erhob sich ein kleiner Hoffnungsschimmer, aber alle waren sich einig, daß es zu fliehen galt, und daß man diese Flucht ordnen mußte. Keil hörte, wie Anweisungen gerufen wurden, und machte sich keine Sorgen mehr um die Menschen hinter sich. Diese Arbeit wurde schon getan. An ihm lag es jetzt, eine andere Art von Arbeit zu verrichten, für die es weit weniger Freiwillige gab, da sie ungleich gefährlicher war, nicht nur für das Leben, sondern auch für die Seele. Während sie liefen, fing er an, die Schutzwälle, die er niedergerissen hatte, wieder um sein Herz zu legen, es in einen Mantel aus Stahl zu hüllen, und es kälter zu machen. Er konnte Ramirez gut verstehen, die mit so viel Abscheu auf die Gewaltbereitschaft der anderen reagiert hatte, aber auf der anderen Seite fühlte er diese Gewaltbereitschaft auch in sich selbst. Er würde nicht schweigend untergehen, er würde um sich schlagen und sich wehren.

*​

Keil hörte die Stimmen hinter sich, und alle seine Muskeln spannten sich, die Hände umklammerten das Gewehr so fest, daß die Knöchel weiß hervortraten, und sein Atem wurde so flach, daß man ihn nicht einmal vernommen hätte, wenn man an seinem Gesicht gelauscht hätte. Er selbst lehnte mit dem Rücken in halb liegender Position an einem breiten Wurzelstock, sein Blick war fest auf einen Punkt hügelaufwärts gerichtet, an dem sich Spirit befand. Zu sehen war von dem Scharfschützen nichts, der die aufgehende Morgensonne im Rücken hatte, aber Keil wartete nur auf das Mündungsfeuer, das ihm ein Signal sein würde. Die Stimmen wurden lauter, und die Streife konnte keine 20 Meter mehr hinter ihm sein. Neben ihm lag Högel in Deckung, hinter einem Baum zur linken lauerte Fikolmij mit seinem Messer in der Linken, die Pistole in der Rechten. Ramirez deckte die andere Flanke mit einem Schrotgewehr, daß ihr Fikolmij in die Hand gedrückt hatte. Sie hätte sonst nur ein Messer für ihre Verteidigung gehabt, und er hatte ihr sein Gewehr hingehalten. 'Ich will nicht von der anderen Seite her überrannt werden, also nimm schon die verdammte Knarre.' Ramirez hatte ihn kurz angestarrt, dann aber das Gewehr an sich gerissen und ihre Position eingenommen.
Keil konnte nun die Schritte hören, etwa fünf Meter hinter sich, und sein Adrenalinspiegel stieg. Natürlich würde Spirit so lange wie möglich warten, doch wenn er den Moment verpaßte...Keil drückte sich noch dichter an den Stamm, als die Kugel nur wenige Zentimeter über ihn hinwegpfiff, dann hörte er das Geräusch eines fallenden Körpers, aber erstaunlicherweise keinen Knall. Ein Schalldämpfer. Er hat einen Schalldämpfer montiert, als er in Stellung ging. Ein weiteres, sirrendes Geräusch, gefolgt von einem dumpfen Aufprall, ließ die Soldaten der Streife endlich begreifen, daß sie tatsächlich angegriffen wurden. Sie warfen sich in Deckung, aber als sie nicht anfingen zu feuern, wußte Keil, daß die Sache nicht so einfach werden würde, wie er sich das gewünscht hätte. Die Streife war keineswegs ein unerfahrener Haufen junger Draufgänger. Diese hätten wohl sofort in alle Richtungen gefeuert, in der Hoffnung, durch Zufall etwas zu treffen. Die Soldaten hier aber warteten ab, ob sie die Position des Schütze ausmachen konnten, um ihn gezielt anzugreifen. Er hörte die Stimmen flüsternd beraten, und schob sich zur Seite. Er mußte Spirit die Gelegenheit für weitere Schüsse geben, damit die Streife dezimiert wurde. Es waren noch immer 13 Mann übrig, zu viele für ihn und die beiden anderen. Högel machte ein beunruhigtes Gesicht, wagte es aber nicht, Keil zurückzuhalten. Dieser schob sich vor bis zu einer Kante, wohlweislich darauf bedacht, keinen Laut zu verursachen, und legte sein Gewehr so langsam wie möglich an. Dann visierte er auf den Hinterkopf eines Soldaten, der dem Wurzelstock gegenüber flach hinter einem Felsen lag. Spirit konnte den Mann nicht sehen, obwohl Keil davon überzeugt war, daß der Scharfschütze genau wußte, wo sich jeder einzelne der Streifensoldaten befand. Keil drückte ab, sah den Helm davonfliegen und den Kopf explodieren, als das Geschoß knapp über dem Genick eindrang und den Schädelknochen zertrümmerte. Er fuhr zurück, um der wütenden Salve zu entkommen, die das Holz splittern ließ und seine Deckung zerfetzte . Högel riß ihn zur Seite und nach unten, und Keil blieb dort geduckt liegen, während das Donnern der Salven andauerte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie es in einem Gebüsch hangaufwärts ein paar mal schnell hintereinander aufblitzte, dann herrschte wieder Stille. Keil machte sich langsam Sorgen, denn die Streife hatte garantiert schon Verstärkung gerufen, und diese würde bald hier sein. Sie mußten schnell handeln. Er warf einen Blick nach links, nickte Fikolmij zu, dessen Grinsen gemein und gefährlich hinter einem Baumstamm hervorleuchtete, nur für ihn sichtbar, dann wandte er den Kopf und suchte Ramirez' Blick. Sie starrte ihn an, und nickte dann langsam. Durch ein Zeichen der Hand signalisierte er Spirit, daß sie angreifen würden. Sie waren nun auf Gedeih und Verderben einander ausgeliefert. Keil zog die Beine an, spannte die Muskeln und katapultierte sich zur Seite und feuerte. Sein erster Feuerstoß traf zwei Soldaten, die sich gerade an seine Position angeschlichen hatten. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Fikolmij das Feuer eröffnete und eine Dreiergruppe, die sich hinter einem Felsblock verborgen hatte, völlig überraschte und niedermetzelte, während er selbst hart auf dem Boden landete und weiter feuerte, bis sein Magazin leer war. Ein Soldat hatte sich schon bis zur anderen Seite des Wurzelstockes angeschlichen und hätte ihn sicher getötet, wenn der Mann nicht zum Anlegen seiner Sturmwaffe halb aus der Hocke aufgestanden wäre. Die erste Kugel zerfetzte seine Kehle, die zweite durchschlug seine Schläfen, und er sank tot auf die blauschwarze Erde. Während Keil sich zur Seite rollte, um ein schlechteres Ziel zu bieten, hörte er auch das schwere Hämmern des Schrotgewehres. Dann war wieder alles still. Auf der Lichtung lagen 15 tote Männer, und Ramirez, Fikolmij, Keil und Högel starrten sich über die Leichen hinweg an. Der Krieg hatte sie eingeholt, und der Tod, sein ständiger Gefährte, hatte seine Hand nach ihnen ausgestreckt. Aber noch hatte er sie nicht greifen können, hatte sie nicht zu fassen bekommen. Keil wandte sich dem Hang zu und machte die Geste der Dankbarkeit in die Richtung, aus der die rettenden Schüsse gekommen waren. Als er sich wieder umwandte, bemerkte er, daß das Schrotgewehr in Ramirez' Händen wie zufällig auf Fikolmij deutete, und dieser gebannt auf die Soldatin starrte, die wohl jeden Grund hatte, ihn zu hassen. Niemand wagte sich zu rühren, alle warteten.
"Ihr habt uns angegriffen, als wir eine neue Heimat suchten. Ihr habt alles zerstört, was wir uns aufgebaut hatten. Du und deine Black Dogs", Ramirez spuckte den Namen der Einheit aus als wäre er Gift mit bitterem Geschmack auf ihrer Zunge, "habt unsere Träume zerstört, so wie diese Hunde hier", sie tippte eine der Leichen mit der Stiefelspitze an, "es mit Liandara versuchen. Das Blut, das heute durch ihre Bomben vergossen wurde, ist noch warm." Während Fikolmij's Miene unbewegt wie Stein blieb, fing es in Ramirez' Augenwinkeln zu glitzern an. "Ich will Rache, Hund. Rache für all das Unrecht. Es ist wahrscheinlich das letzte, was ich tue, aber ich werde mich an diesen Schweinen rächen! Und du wirst mir helfen!" Mit diesen Worten ließ sie den Lauf des Gewehres sinken, drehte die Mündung von Fikolmij weg und drückte es ihm in die Hand. Ihre Augen, in denen Tränen standen, blickten fest in die seinen, und schließlich nickte der hartgesottene Soldat.
Keil entspannte sich wieder, klopfte Fikolmij auf die Schulter und nickte Ramirez zu. Stillschweigend schloß er sich diesem Bündnis an, und stillschweigend nahmen die beiden ihn auf. Dann halfen sie den anderen, die Ausrüstung einzusammeln.

*​

Keil konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten, die Knie gaben nach und er sackte schwer zu Boden. Er zog eine blutige Spur über die dunkle Erde, während er sich zum nächsten Baum schleppte und sich daran hochzog, bis er saß. Er lehnte sich mit dem Rücken dagegen, ließ das Gewehr auf den Boden sinken und zog sein Messer aus der Gürtelscheide. Er hatte keine einzige Patrone mehr, und die Männer mit den Hunden waren nicht mehr weit entfernt. Er sah kurz auf die Wunde hinab, aus der das Blut in sanften Stößen floß, und lächelte müde. Wenn sie sich nicht beeilen, kommen sie noch um den Genuß, mich zu töten. Langsam glitt auch das Messer aus seiner Hand, und während die Welt um ihn herum dunkler und kälter wurde, nahm er das Gesicht, welches sich über ihn beugte, nur noch verschwommen war.
"Rede, Mistkerl, wer hat euch geschickt? Wo kommt ihr her? Zu welcher Einheit gehört ihr?" Keil lächelte, gequält und mühsam, und noch einmal schien seine Kraft wiederzukehren, seine Augen wurden klar, und er sprach mit fester Stimme:
"Wir gehören zu den Kindern des Krieges, so wie du. Uns unterscheidet nicht viel, nur daß wir das Töten satt hatten. Auch du wirst einst das Töten satt haben! Und dann sehnst du dich nach einem Platz ohne Krieg. Aber du wirst ihn nicht finden! Weil der Krieg dich findet, so wie uns." Er hustete, sein Gesicht unendlich blaß, die Augen geschlossen. Der Soldat, der vor ihm stand, wagte nicht, ihn zu berühren. Nach einigen, ewig währenden Herzschlägen sprach er weiter. "Wo wir herkommen? Aus dem Vergessen! Unseren Weg bestimmt das Schicksal...erbarmungslos..." Er hustete wieder und sank zurück. Der Soldat trat vor und schüttelte ihn grob. "Wie viele seid ihr? Welche Truppenstärke? Red schon!" Keil's Stimme war nur mehr ein Flüstern, und das letzte Wort nur mehr ein Hauch.
"Unsere...unsere...Zahl.......ist..........Legion..."
Ich gehe nicht kampflos unter...................

*​

Die Kolonie auf Liandara wurde von den Jahimo-Kriegsherren im Krieg gegen die Föderation als eine der Ersten vernichtet. Die Kolonisten konnten die Startoffensive abwehren, es ließ sich jedoch niemals klären, wie sie den Truppen Jahimo's vier lange Tage standhalten konnten. Es gab keine Überlebenden.
 

Neziri

Mitglied
Tja, es ist wieder mal so weit, der Mann mit dem sonderbaren Namen hat eine neue Geschichte geschrieben. Nun ist es an euch, euer Bestes zu geben. Kritisiert nach Herzenslust, ich will ja schließlich was davon haben, und auch all jene, die es nur so mal eben gelesen haben, sind herzlich dazu eingeladen, mir einige Zeilen zu hinterlassen, sei es nun Lob oder Mißfallen. Tut's mir einfach kund, ich freu mich über jede Reaktion.

Ich stehe ewiglich in eurer Schuld,

der Autor.
 

Templar

Mitglied
Jo, ist gut! Sehr gut sogar *Daumen hoch*:)
Und aus dem Szenario lässt sich sicherlich noch einiges machen... äh, hätte sich noch einiges machen lassen, aber nun sind sie ja tot.;)

Grüsse

Templar
 

Templar

Mitglied
Danke, das Motto ist aber leider nur geklaut, von Billy Wilder glaub ich.;)
Ein Tod unter vielen hab ich auch gelesen, werd auch mal was dazu schreiben, aber die hier gefällt mir ein wenig besser.
Ein Kritikpunkt ist mir noch eingefallen, die Stelle mit den ehemaligen Wachmännern, da hatte ich den Eindruck das Du einfach keine Zeit oder keine Lustmehr hattest, mehr Persönlichkeiten zu erdenken, und deshalb einfach einfach diese Horde 08/15 Kanonenfutte erschaffen hast.

Grüsse

Templar
 

Andrea

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5 von 10 Punkten

Nein, so richtig überzeugt mich die Geschichte nicht. Du gibst sehr viele Informationen, Informationen, die eigentlich überflüssig wären (Namen von Generälen, verlorenen Kämpfen, Legionen etc.), oder rückwirkend Handlungen beschreiben, die längst vorbei sind (meist sehr unvorteilhaft..) und scheinst eine regelrechte Vorliebe dafür zu entwickeln, eine Handlung oder Person mit einem einzigen wertenden Adjektiv sofort abzustempeln, wobei du dich auch nicht davon abbringen läßt, gleich mehrere Umschreibungen derselben Art für eine Figur einzuführen (die Figur des Spirit etwa dreht sich immer wieder im Kreis: der mysteriöse, hartgesottene Kämpfer..).
Gut finde ich die jeweiligen Anfänge der Teile, insbesondere des zweiten. Man ist sofort in der Geschichte, ohne daß man mit allzu vielen Informationen zugeschüttet wird. Nur leider verläuft sich die Spannung mit der Zeit.
Sprachlich schwankst du zwischen einem guten, trockenen Ton, der hervorragend paßt, immer wieder zu Klischees (Bsp.: “Und wir werden viele, viele von diesen feigen Schweinen in ihrem eigenen Blut ersäufen. Sie hätten uns nicht herausfordern sollen.")
und einer schrecklich gezwungen-poetisch klingenden Sprache (Bsp.: “[...] denn diejenigen, die keine Narbe am Leibe trugen, waren gezeichnet in ihren Seelen.“).
Die schlimmste Mischung zwischen dem Überfluß an Informationen und dem Schwanken ist auf jeden Fall der Aufruf Keils an die Soldaten. Das liest sich zäh wie Kaugummi.

Vielleicht ist die Geschichte einfach zu lang. Beginn gleich im Schützengraben, die brennende Stadt wird nur ansatzweise erwähnt (davon hat ein Leser sowieso unendliche Bilder im Kopf). Den Konflikt zwischen Ramirez und Fikolmij rausstreichen – lieber das Gedanken- und Gefühlsleben einer Figur, nämlich Keils aufarbeiten, für mehr ist in einer Kurzgeschichte selten Platz. Die Nebenfiguren dürfen ruhig schemenhaft bleiben, damit der Fokus auf Keil gerichtet wird.
 

Neziri

Mitglied
Verschiedene Geschmäcker

@Templar: Korrekt. Ich schäme mich dafür.

@Andrea: Für mich sind die Hintergrundinformationen einfach wichtig, da ich ohne sie nicht den Eindruck habe, ein komplettes Bild zu hinterlassen. Den Konflikt zwischen Fikolmij und Ramirez benutze ich, um einerseits die möglichen Gründe für diesen Widerstand aufzuzeigen, andererseits um die Verschiedenheit der Menschen deutlich zu machen, die sich hier zu einer Einheit zusammenfinden.
Die Mischung des Stils...na ja, das ist meine Art zu schreiben. Wenn du den nicht magst, werde ich dich wohl auch in Zukunft enttäuschen.

Resümee: Die Informationen, die dir überflüssig erscheinen, empfinde ich als notwendig, der Fokus bleibt nur dann auf Keil, wenn es auch hauptsächlich um ihn geht (was ja auch ziemlich viel der Geschichte ist, außer dem Teil, wo es um die Gruppe geht), und was sich 'zäh wie Kaugummi' liest, ist meine Art zu schreiben. Und wenn ich gleich im 'Schützengraben' ansetze, der eigentlich nur ein Hinterhalt in der Wildnis ist, dann nehme ich der Geschichte eine Teilaussage, die anscheinend nicht gefunden wurde. Das allerdings stimmt mich nachdenklich.
Danke für deine Kritik, Andrea.
 

Templar

Mitglied
Andrea, Du übst Kritik daran, dass Neziri 'zuviele überflüssige' Hintergrundinformationen liefert. Dem kann ich nun gar nicht zustimmen, denn für mich vermitteln sie eher das Gefühl, wirklich in einer Geschichte 'drin' zu sein, einen Ausschnitt aus einem grösseren Ereignis, in diesem Fall der interstellare Krieg, zu erleben.
Ohne sie würde die Geschichte dann doch reichlich blass ausfallen, in der Art von: Die bösen Soldaten A, die aus welchen Gründen auch immer die guten Siedler B angreifen, werden von verzweifelter Kampfgruppe der Siedler C, deren Mitglieder uns im einzelnen nicht interessieren, abgefangen.

Grüsse

Templar
 

Andrea

Mitglied
Hintergrundinformationen, um die Geschichte zu was besonderem zu machen - schön und gut, aber dann müßte der Text wiederum länger sein. Ich finde einfach, daß in der Beziehung zwischen Informationen und Länge des Textes kein Gleichgewicht entsteht, daß du zuviel reinpreßt. Ich mag's einfach nicht, wenn man einen Charakter zu plakativ vorstellen läßt, was er den Rest seines Lebens getan hat.

Selbiges bei Ramirez und dem Kerl mit dem russischen Namen: wenn da eine Spannung zwischen den Figuren aufgebaut wird, dann bitte etwas ausführlicher! Nur zweimal kurz angedeutet, und kaum isses da, isses auch schon wieder weg, dafür ist es doch eigentlich zu schade, oder?

Was den Stil betrifft: ehrlich, schreibst du immer so? Wieso gefallen mir deine anderen Geschichten dann besser, auch stilistisch?
 

Neziri

Mitglied
@Andrea:

1. Absatz: Um den Text länger zu machen, müßte ich ihn künstlich in die Länge ziehen...für mich uninteressant. Hab ich das Gleichgewicht verfehlt, werd ich's denn nicht mehr finden, indem ich Pausenfüller in nicht vorhandene Pausen stopfe.

2. Absatz: Die Spannung, die hier aufgebaut wird, ist nur nebensächlich, und soll einen ganz anderen Sachverhalt demonstrieren, den ich absichtlich nur andeute. Dafür is mir fast nix zu schade.

3. Absatz: Auch ein Tod unter vielen hat diese 'gezwungen-poetischen' Phasen. Datenschutz hat die auch, und im Bardengesang sind sie ja wohl nicht zu übersehen.
Und die beiden Kurzgeschichten haben auch wieder diese trockenen Kommentare.
Ehrlich gesagt, hab ich keine Ahnung warum dir dies und jenes gefällt, das andere wiederum nicht...vergib mir meine Unwissenheit.
 



 
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