2.
Leo und Mini
„Wenn Du meinst, dass das sein muss“ brummelte Vater Klugbart vor sich hin, als seine Tochter Mini mit ihrer neuesten Idee zu ihm gekommen war. „Wer hat schon jemals gehört, dass Mäuse warmes Essen machen oder gar Kuchen backen!
In unserer Familie hat es so etwas jedenfalls noch nie gegeben, Aber mach, wenn es Dir so wichtig ist!“
Er zuckte resigniert mit den Schultern und nur ein leichtes Zittern seines Bartes verriet, wie sehr er sich ärgerte. „Das wird wieder ein höllisches Durcheinander geben und am Ende ist die Enttäuschung groß und ich muss alle trösten!“ dachte er bei sich. Aber aus langer Erfahrung mit unzähligen Töchtern und Enkeln wusste er auch, wie völlig sinnlos es war, sich mit schwangeren Mäusen zu streiten, speziell, wenn es ums Essen geht. Da konnte er nur den Kürzeren ziehen!
Mini war am 11.Tag schwanger und spätestens in weiteren 11 Tagen würde sie Mutter von 5 oder 6 Mäusekindern sein.
„Danke“ sagte sie „ich werde ein großes Festessen für uns alle machen und natürlich auch für Leo, wenn er uns morgen besuchen kommt“
Wie Mini Leo kennen gelernt hat
Leo war ihr Freund und der Vater ihrer zukünftigen Mäusekinder. Vor fast zwei Wochen, als sie noch mit zwei weiteren Familien im Lagerraum des benachbarten Restaurants lebten, hatte sie ihn kennen gelernt und sich gleich in ihn verliebt.
Sie kletterte gerade über den Stapel zerbrochener Holzstühle aus denen die Sitzflächen aus geflochtenem Stroh heraus gefallen waren und unordentlich auf einem Haufen auf dem Boden lagen, als sie ausrutschte und einen Meter nach unten fiel.
Sie erwartete den Aufprall und dachte schon, dass sie sich alle Knochen brechen würde. Zu ihrem Erstaunen und Erleichterung landete sie aber weich. Irgend jemand hatte Teile der Strohsitzflächen zernagt und zu einem großen Haufen weicher Watte verarbeitet, die ihren Sturz aufgefangen hatte.
„Tzzzz, Tzzzz, Jiiiip, Jiiip, Jiiiip“ hörte sie, als sie gerade wieder zu sich gekommen war. „Tzz, Tzz.“ Mini sah sich ängstlich um, konnte aber niemanden sehen. „Jiiip, Jiip“ hörte sie wieder und das Geräusch war deutlich näher gekommen. Sie nahm allen ihren Mut zusammen: „Tsiiiif, Tsiiiif“ flötete sie leise und entschuldigend, denn offensichtlich hatte sie jemanden erheblich gestört „Igk, Igk“
An dieser Stelle verlasse ich das Gespräch in der Mäusesprache, denn ich vermute dass der Leser mit dieser Fremdsprache nicht sehr vertraut ist. Vor allem aber ist es fast unmöglich, die Körpersprache der Mäuse angemessen in Lauten wiederzugeben. Wie soll man zu Beispiel das neugierige Zittern der Nasenflügel und Barthaare einer Mäusedame, die einen Besuch kommen sieht, in passende Laute fassen. Oder wie das Aufbäumen und erregte Drehen der Ohren eines Mausemännchens, das seine Familie bedroht fühlt, darstellen? Ich werde in der Folge die Menschensprache verwenden um die Geschichte weiter zu erzählen, auch wenn dabei viel von dem verloren geht, was die Schönheit der mäuslichen Körpersprache ausmacht.
„Das ist ja eine ausgemachte Frechheit hier einfach rein zufallen! Kann man denn nirgendwo seine Ruhe haben? Jetzt habe ich mir schon mein eigenes Strohnest gebaut um dem ständigen Gehänsel der anderen entfliehen zu können und jetzt kommen sie sogar von oben.“
Während des ständigen Genörgels schälte sich langsam ein Gesicht aus der Strohwatte. Trotz des ärgerlichen Ausdrucks ein schönes Gesicht! Mini war wie vom Schlag getroffen. Statt des üblichen mausgrau, das alle hier im Lager hatten war das Fell des Bewohners in einer edlen Sandfarbe. Hinter der geraden Nase mit den ausladend langen Schnurrhaaren saßen zwei dunkle, kluge Augen. Der Mäuserich war vermutlich so alt wie sie selber, aber sie konnte sich nicht entsinnen ihn schon einmal gesehen zu haben. Die ebenmäßig runden Ohren richteten sich neugierig auf und Mini konnte einen kleinen weißen Fleck mitten auf der Stirn sehen.
„Oh bitte entschuldige. Ich wollte auf keinen Fall stören“ flötete sie in dem lieblichsten Tonfall, den sie zuwege brachte. „Ich bin abgestürzt und zu meinem Glück nicht auf dem harten Boden sondern auf dieser Strohwatte gelandet. Ich glaube, das hat mir das Leben gerettet.“
Der Mäuserich schwieg und sah sie lange an. Was er sah, schien ihm zu gefallen. Aber so ganz konnte er das Brummeln nicht lassen
„Wenn man nicht klettern kann, soll man es sein lassen.“ Sein Tonfall wurde wärmer und freundlicher
„Ist Dir denn auch wirklich nichts passiert? Na gut, wenn Du schon mal da bist: ich bin Leo.“
Mini wunderte sich: ein Mäuserich der Leo heißt? Sie wusste, dass das eigentlich „Löwe“ bedeutete und ein Löwe ist schließlich eine riesige wilde Katze. Was für ein unpassender Name für eine Maus, wo doch schon die „normalen“ Katzen eine ständige tödliche Gefahr für alle Mäuse sind. Sie ließ sich ihre Verwunderung nicht anmerken, denn schließlich hatte Leo sie – wenn auch unbeabsichtigt – vor dem Tod oder schweren Verletzungen bewahrt.
„Ich bin Mini“ gab sie zurück „und nichts für ungut – ich wollte nicht stören.“
„Komm her,“ sagte Leo, der sich freute, dass sein unerwarteter Besuch bei der Nennung seines Namens nicht – so wie die anderen – laut gelacht hatte „ich glaube Du brauchst etwas Stärkung auf den Schreck und ich habe noch genug Vorrat für uns zwei“.
Er machte ein Zeichen zu Mini, dass sie mitkommen solle und verschwand durch dasselbe Loch in der Strohwatte, durch das er gekommen war.
Schüchtern steckte sie ihre Nase in das Loch und roch den angenehmen Duft von Leo (er roch wirklich überraschend gut!), der nur vom betörenden Geruch frischer Äpfel und Melonen übertönt wurde. Sie konnte nicht widerstehen und folgte dem schmalen Gang in das Innere des Wattehaufens.
Was für eine schöne Höhle hatte sich Leo da gebaut! Sie war nicht übermäßig groß, aber sie sah mit Freuden, dass das eine Höhle für nur eine Maus war.
„Er hat also keine Frau und keine Kinder!“ dachte sie bei sich und wunderte sich selber, dass sie sich darüber freute.
In der Zeit, in der sie langsam durch den Gang in die Höhle geklettert war, hatte Leo schon in einer Nische aufgetischt: ein Stück Apfel („nur zweimal angebissen“, eine Melonenkugel, die noch gänzlich unberührt aussah, ein Haufen Kürbiskerne, an denen noch die langen Fäden des Fruchtfleisches hingen, zwei Möhrenscheiben, ein Stück Kohlstrunk, zwei Erdnusskerne, und, und, und.... Ein Festmahl! Durch drei kleine Löcher in der Watte, die er offensichtlich mit Strohhalmen durchgestochen hatte, fiel etwas Licht auf den Essplatz. Es war gerade soviel, dass sie das was sie roch auch sehen konnte und wenig genug, um sich dunkel und sicher aufgehoben zu fühlen. Die Angst und der Schrecken des Absturzes waren plötzlich wie weggeblasen. Sie fühlte sich fast so, als wäre sie bei ihrer Familie zu hause.
„Das wäre doch nicht nötig gewesen“ flötete sie, da ihr nichts Schlaueres einfiel, aber das heftige Zittern ihrer Nasenflügel verriet, wie ungemein beeindruckt sie war.
„Iss erst mal was und dann erzählst Du mir, wie Du hier herkommst bist und was passiert ist.“
Er zeigte auf das Essen und Mini ließ sich nicht zweimal bitten.
Es wurde ein toller Abend. Mini aß was sie konnte und auch Leo griff nicht gerade schüchtern zu. Mini registrierte, dass der Mäuserich ungewöhnlich gute Manieren hatte:
Immer ließ er ihr der Vortritt, forderte sie auf, doch noch etwas anderes zu probieren während er erbauliche Geschichten über die Herkunft des einen oder anderen Essens zum Besten gab.
„Diese Kürbiskerne habe ich von dem großen Papierkorb auf dem Platz. Ein Hund, ich glaube der dicke Buda von nebenan, hat sich eine Tüte aus dem Korb geholt und zerrissen, um etwas zu Fressen zu suchen. Aber Hunde haben keine Ahnung von gutem Essen. Die köstlichen Kürbiskerne hat er einfach liegen lassen. Heute Nacht um 2 Uhr, als er mit dem Auto mitgenommen war und die Katzen im Anbau schnarchten, habe ich alles in vier gefährlichen Reisen in mein Vorratslager gebracht. Für Notfälle – man weiß ja nie!“
„Dieses Apfelstück ist einem Menschenkind hingefallen und die Mutter hat ihm verboten, es aufzuheben und weiterzuessen. Du glaubst ja nicht, wie schnell der Apfel in meinem Vorrat war!“
Mini war beeindruckt.
„Wie kommt es, dass ein so erfolgreicher Mäuserich alleine wohnt? Wollen denn nicht alle Mäusemädchen Dein Freund sein?“
Leo wurde ernst „Hast Du es denn noch wirklich noch nicht gesehen?“
„Was soll ich gesehen haben“
Leo guckte ungläubig „Mein Fell!“
„Was soll mit deinem Fell sein? Mir erscheint es überaus flauschig und es duftet gut!“
„Die Farbe! Alle sagen, dass ist keine Mäusefarbe sondern eine Katzenfarbe. Und dann der weiße Fleck zwischen meinen Augen! ´Das ist ein Geisterauge´ sagen die anderen immer ´damit liest er unsere Gedanken und findet unsere Futterplätze. Nur deshalb hat er soviel Vorrat´. Keiner wollte mehr mit mir reden. Die anderen Mäuseeltern riefen ihre Töchter in die Höhlen, wenn ich vorbei kam während die Söhne Schimpfworte riefen und mit Steinen nach mir warfen. Nach einiger Zeit, wollten selbst meine Eltern nichts mehr von mir wissen, weil die Nachbarn immer hinter ihrem Rücken tuschelten und etwas von ´Bastard´ und `Teufelskind´ sagten.
Eines Tages bin ich dann leise von zu Hause weg um mir meine eigene Höhle zu bauen und glaube mir – niemand hat nach mir gesucht. Ich glaube, alle waren froh, dass ich verschwunden war!“
Mini bekam bei dieser Erzählung ganz feuchte Augen und konnte ihre Tränen vor Mitleid kaum zurückhalten.
„ Aber das kann doch nicht wahr sein! Dein Fell ist so schön und der Fleck zwischen Deinen Augen sieht aus wie ein kostbares Schmuckstück. Wie können die Leute so gemein sein! Wie ungerecht!“
„Ich sehe, dass Du anders bist, aber glaube mir, das ist die Ausnahme. Die Leute meinen es oft nicht böse, aber sie sind dumm und haben vor allem Angst. Dann suchen sie einen der Schuld ist und wer anders aussieht ist der Erste, dem sie die Schuld geben!“
Sie redeten lange weiter und Mini vergaß in Leos Gesellschaft völlig, dass sie nach Hause musste, so wohl fühlte sie sich.
Glücklich und satt von dem tollen Essen kuschelte sie sich an Leo und sie redeten und schmusten noch lange.
Leo muss abreisen
Es wurde schon wieder hell und ein blasser Sonnenstrahl fiel durch die Lichtlöcher in der Küchenkoje als Mini plötzlich an ihre Familie dachte und die Sorgen, die sie sich machen würden. „Ich muss dringend nach Hause, Leo“ flüsterte sie. „Vielleicht können wir uns Morgen wieder treffen“
„Hast Du es noch nicht gehört?“ entgegnete er “Selbst in meiner abgelegenen Wohnung habe ich mitbekommen, dass die neuen Restaurantbesitzer das Lager in dem wir wohnen ausräumen und renovieren wollen. Wir müssen alle möglichst bald umziehen, denn hier kann keiner von uns bleiben“
Mini war erschüttert „Wie soll ich Dich denn dann wiederfinden?“
„Ich weiß es auch nicht, aber ich habe eine Idee: der erste von uns, der eine Wohnung gefunden hat soll draußen vor dem Eingang zu unserem augenblicklichen Zuhause drei kleine Steine hinlegen. Wenn der andere das findet, legt er drei Steine dazu und am nächsten Abend um 2 Uhr, wenn die Katzen schlafen, treffen wir uns dort.“
Nach langem hin und her stimmte Mini diesem Plan zu. Sie musste Leo unbedingt wiedertreffen!
Als sie nach Haus kam, war die ganze Familie schon in großer Aufregung und sie musste die Geschichte allen genau erzählen. Vater Albert Klugbart wirkte die ganze Zeit sehr nachdenklich und unkonzentriert.
„Jetzt wo die ganze Familie da ist,“ sagte er „muss ich euch sagen: die Geschichte mit dem Umzug stimmt. Ich wollte euch nicht beunruhigen, aber wir müssen wirklich umziehen. Schon heute Nacht! Hier ist es nicht mehr sicher. Während Mini unterwegs war habe ich schon etwas gefunden, was mir ideal erscheint und gemeinsam werden wir ein schönes neues Zuhause nebenan schaffen.“
Der Umzug ging schneller und hektischer als erwartet, denn die ersten Menschen, die das Lager auszuräumen begannen, kamen früher als erwartet. Mini versuchte noch einmal zu Leos Strohhöhle zu kommen. Aber zu ihrem Entsetzen waren die Stühle und Sitzplatten als erstes mitgenommen worden. Von Leos gemütlicher Wohnung fanden sich nur noch ein paar Wattefetzen in der Ecke. Von ihm war keine Spur zu sehen.
Unendlich traurig schlich sie zu ihren Eltern und Geschwistern zurück und half schweigend beim Umzug. Als sie fast fertig waren sammelte sie drei keine Steinchen, die sie als Nachricht für ihren geliebten Leo neben die frühere Eingangstür legte. Jeden Tag legte sie neue Steine raus, da die alten meistens durch die Bauarbeiter oder die Putzfrau entfernt worden waren, aber nie fand sie drei Steine von Leo.
Nach vier Tagen sprach ihre Mutter sie an: „Mini, erwartest Du Mäuschen? Du siehst so verändert aus, Dein Bauch ist runder geworden, obwohl wir in den letzten Tagen viel gearbeitet und wenig gegessen haben und außerdem sind Deine Zitzen gewachsen.“
Mini erzählte Ihrer Mutter die ganze Geschichte und wie verliebt sie war und traurig, weil Leo sich nicht gemeldet hatte.
„Ja, so sind die Mäusemänner“ dachte Mutter Klugbart bei sich sagte aber: “Wer weiß, wohin es ihn verschlagen hat. Aber wenn ihm nichts passiert ist, wird er sich sicher melden. Noch sind mehr als zwei Wochen Zeit.“ In den folgenden Tagen kümmerte sie sich besonders um ihre Tochter, tröstete sie und achtete darauf, dass sie beim Umzug nicht zu viele schwere Sachen schleppte.
Mini ging jede Nacht zu ihrer alten Türe um zu sehen, ob es ein Zeichen von Leo gab kam aber jedes Mal enttäuscht zurück.
Inzwischen war Mini schon am 10. Tag schwanger.
Leo gibt ein Zeichen und Mini bereitet das Festessen vor
In der Nacht nach den denkwürdigen Ereignissen mit Zorro, dem Kater im Schrank, ging sie wieder zu der verabredeten Stelle. Inzwischen erwartete sie nicht mehr eine Nachricht von Leo zu finden, war aber entschlossen, ihr Versprechen zu halten. Und siehe da! Sie traute ihren Augen nicht! Neben ihren drei Steinen lagen drei wunderschöne, gattgeschliffene weiße Kieselsteine. Auf jedem Kieselstein lag ein glänzender frischer Kürbiskern, so wie sie Ihn bei Leo in der Höhle serviert bekommen hatte. Sie wollte schreien vor Freude, aber das konnte sie natürlich hier in der Nähe der Katzenwohnung nicht riskieren. Ihr Puls schnellte von 600 auf 800 Schläge die Minute, sie nahm die Kürbiskerne ins Maul und rannte wie der Blitz nach Hause.
„Mutter. Er kommt! Er kommt““ rief sie völlig außer Atem. „Mutter, morgen um 2 Uhr treffen wir uns und dann bringe ich ihn mit nach hier damit ihr sehen könnt, was für ein toller Mäuserich Leo ist. Und wehe eines meiner blöden Geschwister wagt es, eine dumme Bemerkung über die Fellfarbe, den Namen oder den Fleck auf der Stirn zu machen, Dann bekommt ihr es mit mir zu tun!“
Die Geschwister beteuerten sofort, dass sie im Traum nicht daran dächten ihren neuen Schwager zu beleidigen und außerdem waren sie viel zu neugierig, wen Mini da mit in die Familie brachte.
„Mutter, wenn Leo kommt, möchte ich ein Festessen für uns alle machen. Er ist bestimmt müde und hungrig von all den Abenteuern, die er in den vergangenen Tagen erlebt hat. Ich werde einen Kuchen mit Fruchtsauce backen, eine Familienpizza, Suppe und Körnerfrikadellen“
„Mini! Bleib ganz ruhig. Wir sind Mäuse und Mäuse kochen nicht! Mach doch lieber eine kalte Frucht- und Körnerplatte, wie wir das Weihnachten immer essen!“
„Nein Mutter. Leo ist etwas ganz besonderes und er soll auch ein ganz besonderes Erlebnis haben.“
Ihre Mutter resignierte. Mit schwangeren Mäusen ist es schwer zu diskutieren – besonders über Essen. Ihr schwante allerdings fürchterliches, denn Mini hatte in den letzten 3 Tagen einen sehr seltsamen Appetit gezeigt. An einem Tag wollte sie nur Salat und fand Obst und Körner „zum Kotzen“. Am nächsten Tag wollte sie nur Körner und blaffte alle an, die ihr mit Salat und Obst eine Freude machen wollten. Aber da Mini nicht die erste schwangere Tochter war, kannte sie das schon. „Es ist bei Schwangeren wohl immer so,“ dachte sie bei sich „Ob ich auch so war?“
„Also von mir aus, wenn Dein Vater auch einverstanden ist. Und dass mir die Höhle hinterher wieder so sauber wie vorher ist!“ Sie war eine sehr genaue und saubere Hausfrau. Nur so hatte sie es geschafft, dass keins ihrer Kinder an einer Krankheit gestorben war und darauf war sie zu recht stolz.
Nachdem auch ihr Vater brummelnd dem Festessen zugestimmt hatte machte sie sich an die Arbeit.
Für das größte Problem hatte sie schon eine Lösung im Kopf: als Herd konnte sie die Kaffeemaschine vor ihrem Höhlenausgang verwenden. Sie hatte herausgefunden dass man, wenn man sich ganz dünn macht, unter dem Blech durch in den Hohlraum der Maschine klettern kann und an den Kabeln von oben über den Kessel kommt. Man muss allerdings aufpassen, keins der zahlreichen Kupferrohre zu berühren, da man sich dabei unweigerlich die Pfoten verbrennt. Das war also ihr Herd und Backofen. Aber Mäuse kochen nicht und haben keine Pfannen und Töpfe.
Aber Mini war schlau und voller Phantasie.
Sie hatte schon lange darüber nachgedacht, was sie zur Begrüßung von Leo machen würde und in den letzten Tagen schon einiges in die Kaffeemaschine geschafft:
8 Kronkorken von Sumol, Bier und Coca Cola, einige Stücke Aluminiumfolie sowie eine Kugel aus Aluminiumfolie, mit der die Katze Bliny einen Abend lang gespielt hatte, ein Teeei, das Jasmin hinter die Kaffeemaschine gefallen war und das sie mit den großen Menschenhänden nicht wieder herausholen konnte.
Dazu hatte sie einen Lebensmittelvorrat angelegt:
fünf schwarze und drei grüne Oliven (die kullern der Menschen gerne vom Teller auf den Boden und geputzt wird erst am nächsten Morgen!)
Einige Stückchen Pizza (mit Schinken!!), die einem glatzköpfigen Holländer runter gefallen waren, weil er zu betrunken war, noch richtig zu essen,
verschiedene Gemüsereste, die der Koch bei der Vorbereitung und am Abend mit dem Fuß unter den Herd gekickt hatte, damit er nicht darauf ausrutscht .
Da kam eine schöne Sammlung zusammen: rohe und gekochte Möhren, Enden von grünen Bohnen, die mit dem kleinen Zipfel an der Spitze wie Zwergenmützen aussahen, Kerne und Fruchtfäden vom gelben Kürbis (die klebten am Schrank neben dem Mülleimer), rohe und gekochte Brokkoliröschen, Paprika- und Tomatenwürfel, Kartoffelschalen und Kartoffelstücke, eine leuchtend gelbe Spaghetti, die sich an der Seite des Kühlschranks versteckt hatte, Sesamkörner (eine Delikatesse!), die von der Arbeitsplatte gekullert waren und sich in den Ritzen der Kacheln gesammelt hatten.
Dazu kamen verschiedene Brotreste (mit und ohne Kräuterbutter), ein halbes Wachtelei (gekocht, mit Mayonnaise), und Champignonstiele.
Von der anderen Seite der Küche, wo die Salate zubereitet werden, hatte sie gesammelt:
drei Zwiebelringe,
ein rotes und drei grüne Salatblätter,
Gurkenstücke und die saftigen Gurkenkerne,
zwei Stücke zerbrochene Brotstangen,
einige Parmesankäseflocken und als krönender Abschluss zwei Stücke vollreife Avocado.
Vorrat genug um mit Phantasie und Geschick ein Festessen zu kochen!
Die Pizza war am einfachsten. Für eine große Familienpizza hatte sie zwar kein Blech gefunden, aber die acht Kronkorken reichten für eine Pizza für jeden.
So macht man Mäusepizza:
Zuerst die Pizzareste zu einem feinen Brei zerkauen und mit etwas Kräuterbutter mischen.
Alles in die Kronkorken füllen (die Plastikscheibe im Inneren verhindert das Anbacken), dann belegen: etwas Tomatenwürfel, Paprikawürfel, je ein Stückchen schwarze und grüne Olive und obenauf die Parmesankäseflocken gleichmäßig verteilen!
Dann die Suppe: sie höhlte die Silberpapierkugel – mit der Bliny gespielt hatte, aus. Das ergab einen hervorragenden Suppentopf für die Familie.
Hier ist das Rezept für Minis Gemüsesuppe:
5 Gramm rohe Möhre
5 Gramm Zucchini (klein gekaut)
2 Mäusepfoten voll Kürbisfäden (ohne Kerne)
zwei Backen voll Tomatenwürfel (unterwegs nicht naschen!)
ein Kronkorken voll zerkleinerten Kartoffelschalen und -stückchen,
8 Brokkoliröschen (für jeden eins)
Champignons nach Geschmack
rote Zwiebelstückchen für das Aroma
Wasser (das mühsam in den Backen vom tropfenden Wasserhahn an der Theke zum Topf geschafft werden musste!)
Wenn die Suppe fast fertig ist, die zu Stückchen von 3 mm Länge zerkleinerten Spaghetti zufügen.
Alles auf niedriger Temperatur köcheln lassen, abkühlen und lauwarm mit Brotstangenresten servieren.
Pfeffer und Salz nach Belieben.
Pfeffer gab es zwar an dem Schränkchen, auf dem die Mühlen standen, aber sie verzichtete darauf. Sie hatte einmal versucht, das scharfe Gewürz in den Backen zum Topf zu schaffen. Da brannte ihr die Schnauze so höllisch, dass sie auf halber Strecke alles ausspucken musste und fast eine halbe Stunde unter dem tropfenden Wasserhahn hing, bis das Brennen nachließ.
Genauso war es mit dem Salz. Sie hatte gesehen, wie die Menschen sich immer Salz an das Essen taten, aber wenn sie gekochtes Menschenessen versuchte, war es ihr immer viel zu salzig. Für ihren Mäusegaumen reichte das Salz, das von Natur aus im Gemüse vorhanden war.
Dann zu den Körnerfrikadellen:
Körner hatte sie ja – aber die Versuchung alles sofort wegzunaschen war sehr groß und sie konnte ihre Gier kaum bekämpfen. Also genehmigte sie sich hin und wieder ein Sesamkörnchen und einen Gurkenkern, achtete aber darauf, dass genug für 8 Frikadellen übrig blieb.
Und hier ist das Rezept für alle, die dieses köstliche Gericht für sich oder eine befreundete Maus nachkochen wollen:
Man nehme eine Mischung verschiedener Körner und Müslis ...
Hinweis für Mäuse in Privathaushalten: da sich hier weniger leicht Körner auf dem Boden oder unter dem Schrank finden (Ausnahme: Studenten-Wohngemeinschaften), empfiehlt es sich, sich beizeiten im Vorratsschrank einschließen zu lassen und die entsprechenden Müslipackungen aufzunagen.
Darauf achten, dass möglichst ungesüßte Biomüslis angefressen werden. Die anderen können zu Verstopfung, Gewichtszunahme, verfaulten Nagezähnen und frühem Herztod führen!
Also noch einmal:
Man nehme eine Mischung Körner oder Müsli, wie es gerade zur Verfügung steht, kaue alles gleichmäßig klein bis es sich gut mischen lässt,
dann füge man eine gehörige Portion zu Brei zernagter gekochter Gemüse dazu,
ein zerlutschtes, gekochtes Eigelb (Hühner- oder Wachtelei)
fein zerbröselte trockene Brotreste
und mische alles gründlich.
Um eine gute Bindung zu erhalten, empfiehlt es sich, etwas Gemüsesaft (notfalls Wasser) beizufügen und das ganze 10 Minuten quellen zu lassen.
Zu appetitlichen kleinen Frikadellen formen und auf dem heißen Heizkessel der Kaffeemaschine 2 Stunden backen lassen. Zwischendurch gelegentlich wenden!
Abkühlen lassen und kalt servieren.
Wer keine Gewerbekaffeemaschine zur Hand hat, kann auch anderes nehmen, wie z.B. ein umgedrehtes Bügeleisen oder die Motorhaube eines schwarzen Autos im Sommer.
Ganz luxuriös geht es natürlich in einer Pfanne auf einem Herd. Aber welche Maus auf der Welt hat schon solchen Luxus!
Um den Kuchen würde sie sich kümmern, wenn sie noch Zeit hatte. Vielleicht blieb auch am Abend noch etwas übrig, dass sie als Nachtisch mit einer selbstgemachten Fruchtsauce servieren konnte.
Es war sehr viel Arbeit. Obwohl sie sich schon gut vorbereitet hatte, wusste sie nicht, wie sie das alles alleine schaffen sollte. Da kam ihr kleiner Bruder Benjamin, den alle nur Benni nannten, gerade recht.
„Steh nicht so dumm da rum und glotze“ sagte sie schnippisch, „pack mit an!“
„Hat man schon mal gehört dass Mäusejungen kochen? Lächerlich!“ gab Benni zurück.
„Aber nur weil sie blöd sind! Kochen macht richtig viel Spaß und – glaube mir – die Mädchen finden Jungs, die mehr können, als Fußballspielen und mit angeblichen Heldentaten zu prahlen viel interessanter. Probier es doch mal aus.“ Sie hielt ihm ein Stückchen Zucchini hin, weil sie wusste dass das zu seiner Lieblingsspeise gehörte.
„Wenn du mir hilfst, bekommst Du noch mehr davon und ich werde allen meinen Freundinnen erzählen, wie gut Du bist!“
Benni war nicht überzeugt, aber was soll´s: er hatte gerade sowieso nichts Besseres vor und hier in der Kaffeemaschine konnte ihn sein Bruder, der sich ständig über ihn lustig machte weil er kleiner war, nicht sehen.
„Wenn Du nichts verrätst, gehe ich Dir ein bisschen zur Pfote“ sagte er, selber nicht völlig überzeugt in der etwas lässigen Sprache der Jungmäuse. „Aber aufräumen musst DU!“
„Ist klar“ sagte Mini, die froh war, wenigstens etwas Hilfe zu haben „Aber wir müssen anfangen, denn um sechs Uhr wird die Kaffeemaschine angestellt und dann muss alles am Platz sein“
Unvorstellbar, was passieren würde, wenn Jasim etwas von ihren Aktivitäten mitbekommen würde. Aber noch waren drei Stunden Zeit, bis der erste Mensch im Restaurant auftauchen würde.
Also legten sie los und Benni stellte sich viel besser an, als sie erwartet hatte. Er zerkaute die Pizzareste (wobei er eine ganze Menge „versehentlich“ runterschluckte), zerkleinerte die Körner und Gemüse. Vor allem half er seiner Schwester, den schweren Suppentopf – voll mit vielen Köstlichkeiten – unfallfrei oben auf dem Kessel sicher abzustellen.
Die Zeit ging schnell vorbei und Mini fing gutgelaunt an ein Lied zu singen, dass die auf die Melodie von „Somewhere over the Rainbow“ selber gedichtet hatte:
„Heute, am Ende des Abends, kommt Leo heim.
Wir kochen ein Festmahl für alle, ein rauschendes Fest soll es sein“
Benni, der gerade den Mund voller klebriger Pizzamasse hatte wollte eine eigene Strophe dazusingen, aber er brachte nur etwas zustande, das klang wie:
„popfe, baff kamm eim Spapf seim, bemm mam berm bifft.
Popfen um baffem böff iff berm bermem, bemm mam bir babei bilff“
Mini verstand die durch den vollen Mund entstellten Worte, denn sie kannte Benni, und wiederholte die Zeile mit leerem Mund und klarer Stimme:
„Kochen, das kann ein Spaß sein, wenn man gern isst,
Kochen und Backen möchte ich gern lernen, wenn man mir dabei hilft“
Da mussten beide so lachen, dass der ganze Pizzabrei aus Bennis Backen durch die Gegend spritzte.
Sie waren fast fertig. Alles stand auf dem Kessel der Kaffeemaschine bereit um über den Abend zu garen: acht Pizzen, ein Kessel Gemüsesuppe, acht Körnerfrikadellen und die Fruchtsauce zum Kuchen war auch schon fertig. Nur der Kuchen fehlte.
Da geschah etwas Unerwartetes: Jasmin kam eine halbe Stunde früher als sonst. Sie verhielten sich mucksmäuschenstill und hofften, dass sie bald wieder gehen würde. Aber nein. Jasmin schaltete den CD-Player ein und legte ausgerechnet die CD mit dem Stück, das sie gerade gesungen hatten auf. Mini hatte Sorge, dass Benni mitsingen würde, aber ihr Bruder war schlauer und vorsichtiger als sie gedacht hatte. Und dann stellte Jasmin die Kaffeemaschine an. Was jetzt nicht fertig war, würde nicht mehr fertig werden. Adieu Kuchen!
Zum Glück ging Jasmin noch einmal kurz raus, um sich beim Bäcker ein Hefeteilchen zu holen. Sie liebte es, vor der Arbeit noch etwas Süßes zu naschen.
Da war der Kuchen - und so nah! Aber solange Jasmin in der Nähe war, völlig unerreichbar!
Benni sah den Wunsch seiner Schwester und da er nicht nur ein vorsichtiger sondern auch ein mutiger Mäuserich war sagte er: „Keine Angst Mini, alles cool, ich ritz das schon.“ (Furchtbar die Jungmäusesprache, nicht?)
Und wirklich: Jasmin hatte ihr Hefeteilchen fast aufgegessen und sagte halblaut: „hier riecht es doch nach Pizza. Aber der Küchenofen ist noch aus. Ich muss mal nachschauen woher das kommt“ und verschwand in Küche, weil sie da den Ursprung des Geruchs vermutete.
Das war die Gelegenheit für Benni. Er schlich aus dem Versteck, schaute sich um, ob die Luft wirklich rein war, sprang auf den Boden, kletterte auf das Bierfass, hangelte sich auf die Arbeitsplatte unter der Theke, rannte zu der Stelle, wo das Papier mit dem restlichen Hefeteilchen war, nahm es ins Maul, zerrte es zur Kante der Arbeitsplatte, ließ es nach unten fallen, zog es über den Boden zum Thekenschrank, nahm es wieder ins Maul und kletterte mit den letzten Kraftreserven nach oben und zog seine Beute hinter die Kaffeemaschine.
„Hier Schwester, Dein Kuchen“ hechelte er völlig außer Atem und unendlich stolz.
Mini brachte kein Wort heraus. Das hatte sie von dem Kleinen nun wirklich nicht erwartet.
Das musste sie unbedingt ihren Freundinnen erzählen. So ein Held, der Benni.
Bis zum Ende des Abends konnten sie nichts mehr tun und beide zogen sich erschöpft, aber stolz auf das geleistete in die Höhle hinter der Kaffeemaschine zurück, wo der Rest der Familie wartete.
„Bist Du etwa fertig geworden?“ frage ihre Mutter ungläubig. Mini bejahte. „Hast Du nicht zu schwer gearbeitet? Du weißt, das ist für schwangere Mäuse nicht gut. Glaubst Du wirklich dein Freund ist diesen ganzen Aufwand wert?“
„Es ist alles in Ordnung Mutter. Benni hat mir bei allen schweren Arbeiten geholfen. Und was Leo betrifft: Du wirst ihn ja heute kennen lernen und dann kannst Du selber beurteilen, was er wert ist oder nicht!“
Mütter sind ja immer so ängstlich und misstrauisch! „Ob ich selber auch einmal so werde?“ fragte sie sich.
Nach dem langen und aufregenden Tag waren alle sehr müde. Nach und nach kamen alle anderen Menschen ins Restaurant und auch die ersten Gäste setzten sich an die Tische. Jetzt konnte man nichts mehr tun als abzuwarten. Schon nach einigen Minuten schliefen alle tief und fest. Nur Mini träumte von Leo und wie das Wiedersehen sein würde.
Aber das ist dann eine andere Geschichte.
Leo und Mini
„Wenn Du meinst, dass das sein muss“ brummelte Vater Klugbart vor sich hin, als seine Tochter Mini mit ihrer neuesten Idee zu ihm gekommen war. „Wer hat schon jemals gehört, dass Mäuse warmes Essen machen oder gar Kuchen backen!
In unserer Familie hat es so etwas jedenfalls noch nie gegeben, Aber mach, wenn es Dir so wichtig ist!“
Er zuckte resigniert mit den Schultern und nur ein leichtes Zittern seines Bartes verriet, wie sehr er sich ärgerte. „Das wird wieder ein höllisches Durcheinander geben und am Ende ist die Enttäuschung groß und ich muss alle trösten!“ dachte er bei sich. Aber aus langer Erfahrung mit unzähligen Töchtern und Enkeln wusste er auch, wie völlig sinnlos es war, sich mit schwangeren Mäusen zu streiten, speziell, wenn es ums Essen geht. Da konnte er nur den Kürzeren ziehen!
Mini war am 11.Tag schwanger und spätestens in weiteren 11 Tagen würde sie Mutter von 5 oder 6 Mäusekindern sein.
„Danke“ sagte sie „ich werde ein großes Festessen für uns alle machen und natürlich auch für Leo, wenn er uns morgen besuchen kommt“
Wie Mini Leo kennen gelernt hat
Leo war ihr Freund und der Vater ihrer zukünftigen Mäusekinder. Vor fast zwei Wochen, als sie noch mit zwei weiteren Familien im Lagerraum des benachbarten Restaurants lebten, hatte sie ihn kennen gelernt und sich gleich in ihn verliebt.
Sie kletterte gerade über den Stapel zerbrochener Holzstühle aus denen die Sitzflächen aus geflochtenem Stroh heraus gefallen waren und unordentlich auf einem Haufen auf dem Boden lagen, als sie ausrutschte und einen Meter nach unten fiel.
Sie erwartete den Aufprall und dachte schon, dass sie sich alle Knochen brechen würde. Zu ihrem Erstaunen und Erleichterung landete sie aber weich. Irgend jemand hatte Teile der Strohsitzflächen zernagt und zu einem großen Haufen weicher Watte verarbeitet, die ihren Sturz aufgefangen hatte.
„Tzzzz, Tzzzz, Jiiiip, Jiiip, Jiiiip“ hörte sie, als sie gerade wieder zu sich gekommen war. „Tzz, Tzz.“ Mini sah sich ängstlich um, konnte aber niemanden sehen. „Jiiip, Jiip“ hörte sie wieder und das Geräusch war deutlich näher gekommen. Sie nahm allen ihren Mut zusammen: „Tsiiiif, Tsiiiif“ flötete sie leise und entschuldigend, denn offensichtlich hatte sie jemanden erheblich gestört „Igk, Igk“
An dieser Stelle verlasse ich das Gespräch in der Mäusesprache, denn ich vermute dass der Leser mit dieser Fremdsprache nicht sehr vertraut ist. Vor allem aber ist es fast unmöglich, die Körpersprache der Mäuse angemessen in Lauten wiederzugeben. Wie soll man zu Beispiel das neugierige Zittern der Nasenflügel und Barthaare einer Mäusedame, die einen Besuch kommen sieht, in passende Laute fassen. Oder wie das Aufbäumen und erregte Drehen der Ohren eines Mausemännchens, das seine Familie bedroht fühlt, darstellen? Ich werde in der Folge die Menschensprache verwenden um die Geschichte weiter zu erzählen, auch wenn dabei viel von dem verloren geht, was die Schönheit der mäuslichen Körpersprache ausmacht.
„Das ist ja eine ausgemachte Frechheit hier einfach rein zufallen! Kann man denn nirgendwo seine Ruhe haben? Jetzt habe ich mir schon mein eigenes Strohnest gebaut um dem ständigen Gehänsel der anderen entfliehen zu können und jetzt kommen sie sogar von oben.“
Während des ständigen Genörgels schälte sich langsam ein Gesicht aus der Strohwatte. Trotz des ärgerlichen Ausdrucks ein schönes Gesicht! Mini war wie vom Schlag getroffen. Statt des üblichen mausgrau, das alle hier im Lager hatten war das Fell des Bewohners in einer edlen Sandfarbe. Hinter der geraden Nase mit den ausladend langen Schnurrhaaren saßen zwei dunkle, kluge Augen. Der Mäuserich war vermutlich so alt wie sie selber, aber sie konnte sich nicht entsinnen ihn schon einmal gesehen zu haben. Die ebenmäßig runden Ohren richteten sich neugierig auf und Mini konnte einen kleinen weißen Fleck mitten auf der Stirn sehen.
„Oh bitte entschuldige. Ich wollte auf keinen Fall stören“ flötete sie in dem lieblichsten Tonfall, den sie zuwege brachte. „Ich bin abgestürzt und zu meinem Glück nicht auf dem harten Boden sondern auf dieser Strohwatte gelandet. Ich glaube, das hat mir das Leben gerettet.“
Der Mäuserich schwieg und sah sie lange an. Was er sah, schien ihm zu gefallen. Aber so ganz konnte er das Brummeln nicht lassen
„Wenn man nicht klettern kann, soll man es sein lassen.“ Sein Tonfall wurde wärmer und freundlicher
„Ist Dir denn auch wirklich nichts passiert? Na gut, wenn Du schon mal da bist: ich bin Leo.“
Mini wunderte sich: ein Mäuserich der Leo heißt? Sie wusste, dass das eigentlich „Löwe“ bedeutete und ein Löwe ist schließlich eine riesige wilde Katze. Was für ein unpassender Name für eine Maus, wo doch schon die „normalen“ Katzen eine ständige tödliche Gefahr für alle Mäuse sind. Sie ließ sich ihre Verwunderung nicht anmerken, denn schließlich hatte Leo sie – wenn auch unbeabsichtigt – vor dem Tod oder schweren Verletzungen bewahrt.
„Ich bin Mini“ gab sie zurück „und nichts für ungut – ich wollte nicht stören.“
„Komm her,“ sagte Leo, der sich freute, dass sein unerwarteter Besuch bei der Nennung seines Namens nicht – so wie die anderen – laut gelacht hatte „ich glaube Du brauchst etwas Stärkung auf den Schreck und ich habe noch genug Vorrat für uns zwei“.
Er machte ein Zeichen zu Mini, dass sie mitkommen solle und verschwand durch dasselbe Loch in der Strohwatte, durch das er gekommen war.
Schüchtern steckte sie ihre Nase in das Loch und roch den angenehmen Duft von Leo (er roch wirklich überraschend gut!), der nur vom betörenden Geruch frischer Äpfel und Melonen übertönt wurde. Sie konnte nicht widerstehen und folgte dem schmalen Gang in das Innere des Wattehaufens.
Was für eine schöne Höhle hatte sich Leo da gebaut! Sie war nicht übermäßig groß, aber sie sah mit Freuden, dass das eine Höhle für nur eine Maus war.
„Er hat also keine Frau und keine Kinder!“ dachte sie bei sich und wunderte sich selber, dass sie sich darüber freute.
In der Zeit, in der sie langsam durch den Gang in die Höhle geklettert war, hatte Leo schon in einer Nische aufgetischt: ein Stück Apfel („nur zweimal angebissen“, eine Melonenkugel, die noch gänzlich unberührt aussah, ein Haufen Kürbiskerne, an denen noch die langen Fäden des Fruchtfleisches hingen, zwei Möhrenscheiben, ein Stück Kohlstrunk, zwei Erdnusskerne, und, und, und.... Ein Festmahl! Durch drei kleine Löcher in der Watte, die er offensichtlich mit Strohhalmen durchgestochen hatte, fiel etwas Licht auf den Essplatz. Es war gerade soviel, dass sie das was sie roch auch sehen konnte und wenig genug, um sich dunkel und sicher aufgehoben zu fühlen. Die Angst und der Schrecken des Absturzes waren plötzlich wie weggeblasen. Sie fühlte sich fast so, als wäre sie bei ihrer Familie zu hause.
„Das wäre doch nicht nötig gewesen“ flötete sie, da ihr nichts Schlaueres einfiel, aber das heftige Zittern ihrer Nasenflügel verriet, wie ungemein beeindruckt sie war.
„Iss erst mal was und dann erzählst Du mir, wie Du hier herkommst bist und was passiert ist.“
Er zeigte auf das Essen und Mini ließ sich nicht zweimal bitten.
Es wurde ein toller Abend. Mini aß was sie konnte und auch Leo griff nicht gerade schüchtern zu. Mini registrierte, dass der Mäuserich ungewöhnlich gute Manieren hatte:
Immer ließ er ihr der Vortritt, forderte sie auf, doch noch etwas anderes zu probieren während er erbauliche Geschichten über die Herkunft des einen oder anderen Essens zum Besten gab.
„Diese Kürbiskerne habe ich von dem großen Papierkorb auf dem Platz. Ein Hund, ich glaube der dicke Buda von nebenan, hat sich eine Tüte aus dem Korb geholt und zerrissen, um etwas zu Fressen zu suchen. Aber Hunde haben keine Ahnung von gutem Essen. Die köstlichen Kürbiskerne hat er einfach liegen lassen. Heute Nacht um 2 Uhr, als er mit dem Auto mitgenommen war und die Katzen im Anbau schnarchten, habe ich alles in vier gefährlichen Reisen in mein Vorratslager gebracht. Für Notfälle – man weiß ja nie!“
„Dieses Apfelstück ist einem Menschenkind hingefallen und die Mutter hat ihm verboten, es aufzuheben und weiterzuessen. Du glaubst ja nicht, wie schnell der Apfel in meinem Vorrat war!“
Mini war beeindruckt.
„Wie kommt es, dass ein so erfolgreicher Mäuserich alleine wohnt? Wollen denn nicht alle Mäusemädchen Dein Freund sein?“
Leo wurde ernst „Hast Du es denn noch wirklich noch nicht gesehen?“
„Was soll ich gesehen haben“
Leo guckte ungläubig „Mein Fell!“
„Was soll mit deinem Fell sein? Mir erscheint es überaus flauschig und es duftet gut!“
„Die Farbe! Alle sagen, dass ist keine Mäusefarbe sondern eine Katzenfarbe. Und dann der weiße Fleck zwischen meinen Augen! ´Das ist ein Geisterauge´ sagen die anderen immer ´damit liest er unsere Gedanken und findet unsere Futterplätze. Nur deshalb hat er soviel Vorrat´. Keiner wollte mehr mit mir reden. Die anderen Mäuseeltern riefen ihre Töchter in die Höhlen, wenn ich vorbei kam während die Söhne Schimpfworte riefen und mit Steinen nach mir warfen. Nach einiger Zeit, wollten selbst meine Eltern nichts mehr von mir wissen, weil die Nachbarn immer hinter ihrem Rücken tuschelten und etwas von ´Bastard´ und `Teufelskind´ sagten.
Eines Tages bin ich dann leise von zu Hause weg um mir meine eigene Höhle zu bauen und glaube mir – niemand hat nach mir gesucht. Ich glaube, alle waren froh, dass ich verschwunden war!“
Mini bekam bei dieser Erzählung ganz feuchte Augen und konnte ihre Tränen vor Mitleid kaum zurückhalten.
„ Aber das kann doch nicht wahr sein! Dein Fell ist so schön und der Fleck zwischen Deinen Augen sieht aus wie ein kostbares Schmuckstück. Wie können die Leute so gemein sein! Wie ungerecht!“
„Ich sehe, dass Du anders bist, aber glaube mir, das ist die Ausnahme. Die Leute meinen es oft nicht böse, aber sie sind dumm und haben vor allem Angst. Dann suchen sie einen der Schuld ist und wer anders aussieht ist der Erste, dem sie die Schuld geben!“
Sie redeten lange weiter und Mini vergaß in Leos Gesellschaft völlig, dass sie nach Hause musste, so wohl fühlte sie sich.
Glücklich und satt von dem tollen Essen kuschelte sie sich an Leo und sie redeten und schmusten noch lange.
Leo muss abreisen
Es wurde schon wieder hell und ein blasser Sonnenstrahl fiel durch die Lichtlöcher in der Küchenkoje als Mini plötzlich an ihre Familie dachte und die Sorgen, die sie sich machen würden. „Ich muss dringend nach Hause, Leo“ flüsterte sie. „Vielleicht können wir uns Morgen wieder treffen“
„Hast Du es noch nicht gehört?“ entgegnete er “Selbst in meiner abgelegenen Wohnung habe ich mitbekommen, dass die neuen Restaurantbesitzer das Lager in dem wir wohnen ausräumen und renovieren wollen. Wir müssen alle möglichst bald umziehen, denn hier kann keiner von uns bleiben“
Mini war erschüttert „Wie soll ich Dich denn dann wiederfinden?“
„Ich weiß es auch nicht, aber ich habe eine Idee: der erste von uns, der eine Wohnung gefunden hat soll draußen vor dem Eingang zu unserem augenblicklichen Zuhause drei kleine Steine hinlegen. Wenn der andere das findet, legt er drei Steine dazu und am nächsten Abend um 2 Uhr, wenn die Katzen schlafen, treffen wir uns dort.“
Nach langem hin und her stimmte Mini diesem Plan zu. Sie musste Leo unbedingt wiedertreffen!
Als sie nach Haus kam, war die ganze Familie schon in großer Aufregung und sie musste die Geschichte allen genau erzählen. Vater Albert Klugbart wirkte die ganze Zeit sehr nachdenklich und unkonzentriert.
„Jetzt wo die ganze Familie da ist,“ sagte er „muss ich euch sagen: die Geschichte mit dem Umzug stimmt. Ich wollte euch nicht beunruhigen, aber wir müssen wirklich umziehen. Schon heute Nacht! Hier ist es nicht mehr sicher. Während Mini unterwegs war habe ich schon etwas gefunden, was mir ideal erscheint und gemeinsam werden wir ein schönes neues Zuhause nebenan schaffen.“
Der Umzug ging schneller und hektischer als erwartet, denn die ersten Menschen, die das Lager auszuräumen begannen, kamen früher als erwartet. Mini versuchte noch einmal zu Leos Strohhöhle zu kommen. Aber zu ihrem Entsetzen waren die Stühle und Sitzplatten als erstes mitgenommen worden. Von Leos gemütlicher Wohnung fanden sich nur noch ein paar Wattefetzen in der Ecke. Von ihm war keine Spur zu sehen.
Unendlich traurig schlich sie zu ihren Eltern und Geschwistern zurück und half schweigend beim Umzug. Als sie fast fertig waren sammelte sie drei keine Steinchen, die sie als Nachricht für ihren geliebten Leo neben die frühere Eingangstür legte. Jeden Tag legte sie neue Steine raus, da die alten meistens durch die Bauarbeiter oder die Putzfrau entfernt worden waren, aber nie fand sie drei Steine von Leo.
Nach vier Tagen sprach ihre Mutter sie an: „Mini, erwartest Du Mäuschen? Du siehst so verändert aus, Dein Bauch ist runder geworden, obwohl wir in den letzten Tagen viel gearbeitet und wenig gegessen haben und außerdem sind Deine Zitzen gewachsen.“
Mini erzählte Ihrer Mutter die ganze Geschichte und wie verliebt sie war und traurig, weil Leo sich nicht gemeldet hatte.
„Ja, so sind die Mäusemänner“ dachte Mutter Klugbart bei sich sagte aber: “Wer weiß, wohin es ihn verschlagen hat. Aber wenn ihm nichts passiert ist, wird er sich sicher melden. Noch sind mehr als zwei Wochen Zeit.“ In den folgenden Tagen kümmerte sie sich besonders um ihre Tochter, tröstete sie und achtete darauf, dass sie beim Umzug nicht zu viele schwere Sachen schleppte.
Mini ging jede Nacht zu ihrer alten Türe um zu sehen, ob es ein Zeichen von Leo gab kam aber jedes Mal enttäuscht zurück.
Inzwischen war Mini schon am 10. Tag schwanger.
Leo gibt ein Zeichen und Mini bereitet das Festessen vor
In der Nacht nach den denkwürdigen Ereignissen mit Zorro, dem Kater im Schrank, ging sie wieder zu der verabredeten Stelle. Inzwischen erwartete sie nicht mehr eine Nachricht von Leo zu finden, war aber entschlossen, ihr Versprechen zu halten. Und siehe da! Sie traute ihren Augen nicht! Neben ihren drei Steinen lagen drei wunderschöne, gattgeschliffene weiße Kieselsteine. Auf jedem Kieselstein lag ein glänzender frischer Kürbiskern, so wie sie Ihn bei Leo in der Höhle serviert bekommen hatte. Sie wollte schreien vor Freude, aber das konnte sie natürlich hier in der Nähe der Katzenwohnung nicht riskieren. Ihr Puls schnellte von 600 auf 800 Schläge die Minute, sie nahm die Kürbiskerne ins Maul und rannte wie der Blitz nach Hause.
„Mutter. Er kommt! Er kommt““ rief sie völlig außer Atem. „Mutter, morgen um 2 Uhr treffen wir uns und dann bringe ich ihn mit nach hier damit ihr sehen könnt, was für ein toller Mäuserich Leo ist. Und wehe eines meiner blöden Geschwister wagt es, eine dumme Bemerkung über die Fellfarbe, den Namen oder den Fleck auf der Stirn zu machen, Dann bekommt ihr es mit mir zu tun!“
Die Geschwister beteuerten sofort, dass sie im Traum nicht daran dächten ihren neuen Schwager zu beleidigen und außerdem waren sie viel zu neugierig, wen Mini da mit in die Familie brachte.
„Mutter, wenn Leo kommt, möchte ich ein Festessen für uns alle machen. Er ist bestimmt müde und hungrig von all den Abenteuern, die er in den vergangenen Tagen erlebt hat. Ich werde einen Kuchen mit Fruchtsauce backen, eine Familienpizza, Suppe und Körnerfrikadellen“
„Mini! Bleib ganz ruhig. Wir sind Mäuse und Mäuse kochen nicht! Mach doch lieber eine kalte Frucht- und Körnerplatte, wie wir das Weihnachten immer essen!“
„Nein Mutter. Leo ist etwas ganz besonderes und er soll auch ein ganz besonderes Erlebnis haben.“
Ihre Mutter resignierte. Mit schwangeren Mäusen ist es schwer zu diskutieren – besonders über Essen. Ihr schwante allerdings fürchterliches, denn Mini hatte in den letzten 3 Tagen einen sehr seltsamen Appetit gezeigt. An einem Tag wollte sie nur Salat und fand Obst und Körner „zum Kotzen“. Am nächsten Tag wollte sie nur Körner und blaffte alle an, die ihr mit Salat und Obst eine Freude machen wollten. Aber da Mini nicht die erste schwangere Tochter war, kannte sie das schon. „Es ist bei Schwangeren wohl immer so,“ dachte sie bei sich „Ob ich auch so war?“
„Also von mir aus, wenn Dein Vater auch einverstanden ist. Und dass mir die Höhle hinterher wieder so sauber wie vorher ist!“ Sie war eine sehr genaue und saubere Hausfrau. Nur so hatte sie es geschafft, dass keins ihrer Kinder an einer Krankheit gestorben war und darauf war sie zu recht stolz.
Nachdem auch ihr Vater brummelnd dem Festessen zugestimmt hatte machte sie sich an die Arbeit.
Für das größte Problem hatte sie schon eine Lösung im Kopf: als Herd konnte sie die Kaffeemaschine vor ihrem Höhlenausgang verwenden. Sie hatte herausgefunden dass man, wenn man sich ganz dünn macht, unter dem Blech durch in den Hohlraum der Maschine klettern kann und an den Kabeln von oben über den Kessel kommt. Man muss allerdings aufpassen, keins der zahlreichen Kupferrohre zu berühren, da man sich dabei unweigerlich die Pfoten verbrennt. Das war also ihr Herd und Backofen. Aber Mäuse kochen nicht und haben keine Pfannen und Töpfe.
Aber Mini war schlau und voller Phantasie.
Sie hatte schon lange darüber nachgedacht, was sie zur Begrüßung von Leo machen würde und in den letzten Tagen schon einiges in die Kaffeemaschine geschafft:
8 Kronkorken von Sumol, Bier und Coca Cola, einige Stücke Aluminiumfolie sowie eine Kugel aus Aluminiumfolie, mit der die Katze Bliny einen Abend lang gespielt hatte, ein Teeei, das Jasmin hinter die Kaffeemaschine gefallen war und das sie mit den großen Menschenhänden nicht wieder herausholen konnte.
Dazu hatte sie einen Lebensmittelvorrat angelegt:
fünf schwarze und drei grüne Oliven (die kullern der Menschen gerne vom Teller auf den Boden und geputzt wird erst am nächsten Morgen!)
Einige Stückchen Pizza (mit Schinken!!), die einem glatzköpfigen Holländer runter gefallen waren, weil er zu betrunken war, noch richtig zu essen,
verschiedene Gemüsereste, die der Koch bei der Vorbereitung und am Abend mit dem Fuß unter den Herd gekickt hatte, damit er nicht darauf ausrutscht .
Da kam eine schöne Sammlung zusammen: rohe und gekochte Möhren, Enden von grünen Bohnen, die mit dem kleinen Zipfel an der Spitze wie Zwergenmützen aussahen, Kerne und Fruchtfäden vom gelben Kürbis (die klebten am Schrank neben dem Mülleimer), rohe und gekochte Brokkoliröschen, Paprika- und Tomatenwürfel, Kartoffelschalen und Kartoffelstücke, eine leuchtend gelbe Spaghetti, die sich an der Seite des Kühlschranks versteckt hatte, Sesamkörner (eine Delikatesse!), die von der Arbeitsplatte gekullert waren und sich in den Ritzen der Kacheln gesammelt hatten.
Dazu kamen verschiedene Brotreste (mit und ohne Kräuterbutter), ein halbes Wachtelei (gekocht, mit Mayonnaise), und Champignonstiele.
Von der anderen Seite der Küche, wo die Salate zubereitet werden, hatte sie gesammelt:
drei Zwiebelringe,
ein rotes und drei grüne Salatblätter,
Gurkenstücke und die saftigen Gurkenkerne,
zwei Stücke zerbrochene Brotstangen,
einige Parmesankäseflocken und als krönender Abschluss zwei Stücke vollreife Avocado.
Vorrat genug um mit Phantasie und Geschick ein Festessen zu kochen!
Die Pizza war am einfachsten. Für eine große Familienpizza hatte sie zwar kein Blech gefunden, aber die acht Kronkorken reichten für eine Pizza für jeden.
So macht man Mäusepizza:
Zuerst die Pizzareste zu einem feinen Brei zerkauen und mit etwas Kräuterbutter mischen.
Alles in die Kronkorken füllen (die Plastikscheibe im Inneren verhindert das Anbacken), dann belegen: etwas Tomatenwürfel, Paprikawürfel, je ein Stückchen schwarze und grüne Olive und obenauf die Parmesankäseflocken gleichmäßig verteilen!
Dann die Suppe: sie höhlte die Silberpapierkugel – mit der Bliny gespielt hatte, aus. Das ergab einen hervorragenden Suppentopf für die Familie.
Hier ist das Rezept für Minis Gemüsesuppe:
5 Gramm rohe Möhre
5 Gramm Zucchini (klein gekaut)
2 Mäusepfoten voll Kürbisfäden (ohne Kerne)
zwei Backen voll Tomatenwürfel (unterwegs nicht naschen!)
ein Kronkorken voll zerkleinerten Kartoffelschalen und -stückchen,
8 Brokkoliröschen (für jeden eins)
Champignons nach Geschmack
rote Zwiebelstückchen für das Aroma
Wasser (das mühsam in den Backen vom tropfenden Wasserhahn an der Theke zum Topf geschafft werden musste!)
Wenn die Suppe fast fertig ist, die zu Stückchen von 3 mm Länge zerkleinerten Spaghetti zufügen.
Alles auf niedriger Temperatur köcheln lassen, abkühlen und lauwarm mit Brotstangenresten servieren.
Pfeffer und Salz nach Belieben.
Pfeffer gab es zwar an dem Schränkchen, auf dem die Mühlen standen, aber sie verzichtete darauf. Sie hatte einmal versucht, das scharfe Gewürz in den Backen zum Topf zu schaffen. Da brannte ihr die Schnauze so höllisch, dass sie auf halber Strecke alles ausspucken musste und fast eine halbe Stunde unter dem tropfenden Wasserhahn hing, bis das Brennen nachließ.
Genauso war es mit dem Salz. Sie hatte gesehen, wie die Menschen sich immer Salz an das Essen taten, aber wenn sie gekochtes Menschenessen versuchte, war es ihr immer viel zu salzig. Für ihren Mäusegaumen reichte das Salz, das von Natur aus im Gemüse vorhanden war.
Dann zu den Körnerfrikadellen:
Körner hatte sie ja – aber die Versuchung alles sofort wegzunaschen war sehr groß und sie konnte ihre Gier kaum bekämpfen. Also genehmigte sie sich hin und wieder ein Sesamkörnchen und einen Gurkenkern, achtete aber darauf, dass genug für 8 Frikadellen übrig blieb.
Und hier ist das Rezept für alle, die dieses köstliche Gericht für sich oder eine befreundete Maus nachkochen wollen:
Man nehme eine Mischung verschiedener Körner und Müslis ...
Hinweis für Mäuse in Privathaushalten: da sich hier weniger leicht Körner auf dem Boden oder unter dem Schrank finden (Ausnahme: Studenten-Wohngemeinschaften), empfiehlt es sich, sich beizeiten im Vorratsschrank einschließen zu lassen und die entsprechenden Müslipackungen aufzunagen.
Darauf achten, dass möglichst ungesüßte Biomüslis angefressen werden. Die anderen können zu Verstopfung, Gewichtszunahme, verfaulten Nagezähnen und frühem Herztod führen!
Also noch einmal:
Man nehme eine Mischung Körner oder Müsli, wie es gerade zur Verfügung steht, kaue alles gleichmäßig klein bis es sich gut mischen lässt,
dann füge man eine gehörige Portion zu Brei zernagter gekochter Gemüse dazu,
ein zerlutschtes, gekochtes Eigelb (Hühner- oder Wachtelei)
fein zerbröselte trockene Brotreste
und mische alles gründlich.
Um eine gute Bindung zu erhalten, empfiehlt es sich, etwas Gemüsesaft (notfalls Wasser) beizufügen und das ganze 10 Minuten quellen zu lassen.
Zu appetitlichen kleinen Frikadellen formen und auf dem heißen Heizkessel der Kaffeemaschine 2 Stunden backen lassen. Zwischendurch gelegentlich wenden!
Abkühlen lassen und kalt servieren.
Wer keine Gewerbekaffeemaschine zur Hand hat, kann auch anderes nehmen, wie z.B. ein umgedrehtes Bügeleisen oder die Motorhaube eines schwarzen Autos im Sommer.
Ganz luxuriös geht es natürlich in einer Pfanne auf einem Herd. Aber welche Maus auf der Welt hat schon solchen Luxus!
Um den Kuchen würde sie sich kümmern, wenn sie noch Zeit hatte. Vielleicht blieb auch am Abend noch etwas übrig, dass sie als Nachtisch mit einer selbstgemachten Fruchtsauce servieren konnte.
Es war sehr viel Arbeit. Obwohl sie sich schon gut vorbereitet hatte, wusste sie nicht, wie sie das alles alleine schaffen sollte. Da kam ihr kleiner Bruder Benjamin, den alle nur Benni nannten, gerade recht.
„Steh nicht so dumm da rum und glotze“ sagte sie schnippisch, „pack mit an!“
„Hat man schon mal gehört dass Mäusejungen kochen? Lächerlich!“ gab Benni zurück.
„Aber nur weil sie blöd sind! Kochen macht richtig viel Spaß und – glaube mir – die Mädchen finden Jungs, die mehr können, als Fußballspielen und mit angeblichen Heldentaten zu prahlen viel interessanter. Probier es doch mal aus.“ Sie hielt ihm ein Stückchen Zucchini hin, weil sie wusste dass das zu seiner Lieblingsspeise gehörte.
„Wenn du mir hilfst, bekommst Du noch mehr davon und ich werde allen meinen Freundinnen erzählen, wie gut Du bist!“
Benni war nicht überzeugt, aber was soll´s: er hatte gerade sowieso nichts Besseres vor und hier in der Kaffeemaschine konnte ihn sein Bruder, der sich ständig über ihn lustig machte weil er kleiner war, nicht sehen.
„Wenn Du nichts verrätst, gehe ich Dir ein bisschen zur Pfote“ sagte er, selber nicht völlig überzeugt in der etwas lässigen Sprache der Jungmäuse. „Aber aufräumen musst DU!“
„Ist klar“ sagte Mini, die froh war, wenigstens etwas Hilfe zu haben „Aber wir müssen anfangen, denn um sechs Uhr wird die Kaffeemaschine angestellt und dann muss alles am Platz sein“
Unvorstellbar, was passieren würde, wenn Jasim etwas von ihren Aktivitäten mitbekommen würde. Aber noch waren drei Stunden Zeit, bis der erste Mensch im Restaurant auftauchen würde.
Also legten sie los und Benni stellte sich viel besser an, als sie erwartet hatte. Er zerkaute die Pizzareste (wobei er eine ganze Menge „versehentlich“ runterschluckte), zerkleinerte die Körner und Gemüse. Vor allem half er seiner Schwester, den schweren Suppentopf – voll mit vielen Köstlichkeiten – unfallfrei oben auf dem Kessel sicher abzustellen.
Die Zeit ging schnell vorbei und Mini fing gutgelaunt an ein Lied zu singen, dass die auf die Melodie von „Somewhere over the Rainbow“ selber gedichtet hatte:
„Heute, am Ende des Abends, kommt Leo heim.
Wir kochen ein Festmahl für alle, ein rauschendes Fest soll es sein“
Benni, der gerade den Mund voller klebriger Pizzamasse hatte wollte eine eigene Strophe dazusingen, aber er brachte nur etwas zustande, das klang wie:
„popfe, baff kamm eim Spapf seim, bemm mam berm bifft.
Popfen um baffem böff iff berm bermem, bemm mam bir babei bilff“
Mini verstand die durch den vollen Mund entstellten Worte, denn sie kannte Benni, und wiederholte die Zeile mit leerem Mund und klarer Stimme:
„Kochen, das kann ein Spaß sein, wenn man gern isst,
Kochen und Backen möchte ich gern lernen, wenn man mir dabei hilft“
Da mussten beide so lachen, dass der ganze Pizzabrei aus Bennis Backen durch die Gegend spritzte.
Sie waren fast fertig. Alles stand auf dem Kessel der Kaffeemaschine bereit um über den Abend zu garen: acht Pizzen, ein Kessel Gemüsesuppe, acht Körnerfrikadellen und die Fruchtsauce zum Kuchen war auch schon fertig. Nur der Kuchen fehlte.
Da geschah etwas Unerwartetes: Jasmin kam eine halbe Stunde früher als sonst. Sie verhielten sich mucksmäuschenstill und hofften, dass sie bald wieder gehen würde. Aber nein. Jasmin schaltete den CD-Player ein und legte ausgerechnet die CD mit dem Stück, das sie gerade gesungen hatten auf. Mini hatte Sorge, dass Benni mitsingen würde, aber ihr Bruder war schlauer und vorsichtiger als sie gedacht hatte. Und dann stellte Jasmin die Kaffeemaschine an. Was jetzt nicht fertig war, würde nicht mehr fertig werden. Adieu Kuchen!
Zum Glück ging Jasmin noch einmal kurz raus, um sich beim Bäcker ein Hefeteilchen zu holen. Sie liebte es, vor der Arbeit noch etwas Süßes zu naschen.
Da war der Kuchen - und so nah! Aber solange Jasmin in der Nähe war, völlig unerreichbar!
Benni sah den Wunsch seiner Schwester und da er nicht nur ein vorsichtiger sondern auch ein mutiger Mäuserich war sagte er: „Keine Angst Mini, alles cool, ich ritz das schon.“ (Furchtbar die Jungmäusesprache, nicht?)
Und wirklich: Jasmin hatte ihr Hefeteilchen fast aufgegessen und sagte halblaut: „hier riecht es doch nach Pizza. Aber der Küchenofen ist noch aus. Ich muss mal nachschauen woher das kommt“ und verschwand in Küche, weil sie da den Ursprung des Geruchs vermutete.
Das war die Gelegenheit für Benni. Er schlich aus dem Versteck, schaute sich um, ob die Luft wirklich rein war, sprang auf den Boden, kletterte auf das Bierfass, hangelte sich auf die Arbeitsplatte unter der Theke, rannte zu der Stelle, wo das Papier mit dem restlichen Hefeteilchen war, nahm es ins Maul, zerrte es zur Kante der Arbeitsplatte, ließ es nach unten fallen, zog es über den Boden zum Thekenschrank, nahm es wieder ins Maul und kletterte mit den letzten Kraftreserven nach oben und zog seine Beute hinter die Kaffeemaschine.
„Hier Schwester, Dein Kuchen“ hechelte er völlig außer Atem und unendlich stolz.
Mini brachte kein Wort heraus. Das hatte sie von dem Kleinen nun wirklich nicht erwartet.
Das musste sie unbedingt ihren Freundinnen erzählen. So ein Held, der Benni.
Bis zum Ende des Abends konnten sie nichts mehr tun und beide zogen sich erschöpft, aber stolz auf das geleistete in die Höhle hinter der Kaffeemaschine zurück, wo der Rest der Familie wartete.
„Bist Du etwa fertig geworden?“ frage ihre Mutter ungläubig. Mini bejahte. „Hast Du nicht zu schwer gearbeitet? Du weißt, das ist für schwangere Mäuse nicht gut. Glaubst Du wirklich dein Freund ist diesen ganzen Aufwand wert?“
„Es ist alles in Ordnung Mutter. Benni hat mir bei allen schweren Arbeiten geholfen. Und was Leo betrifft: Du wirst ihn ja heute kennen lernen und dann kannst Du selber beurteilen, was er wert ist oder nicht!“
Mütter sind ja immer so ängstlich und misstrauisch! „Ob ich selber auch einmal so werde?“ fragte sie sich.
Nach dem langen und aufregenden Tag waren alle sehr müde. Nach und nach kamen alle anderen Menschen ins Restaurant und auch die ersten Gäste setzten sich an die Tische. Jetzt konnte man nichts mehr tun als abzuwarten. Schon nach einigen Minuten schliefen alle tief und fest. Nur Mini träumte von Leo und wie das Wiedersehen sein würde.
Aber das ist dann eine andere Geschichte.