Horst M. Radmacher
Mitglied
Auf einer Anhöhe mitten im Grünen, nahe der Stadt Hagen, ragt das Schloss Hohenlimburg empor. Im dortigen Fürstensaal soll einer der spektakulärsten Lesewettwerbe des Landes stattfinden. Zu diesem Wettkampf der besonderen Art hat Dr. Ansgar Jester aufgerufen, der Meister des hintersinnigen Humors. In seiner Privat-Akademie, Academy of Sneaky Humor (ASH), bietet er erfolgreich den Studiengang zum diplomierten Hofnarren an. Daneben vertreibt dieser findige Intellektuelle mit Geschäftssinn unter der Handeslsmarke Hofnarr® erfolgreich Produkte rund ums Thema Humor. Nun plant er, dieses Label weitflächig zu etablieren. Das Logo, ein modifiziertes Piktogramm eines mittelalterlichen Hofnarren, irrlichtert bereits als Vorankündigung durch die Werbelandschaft auflagenstarker Printmedien. Um den entscheidenden Schritt zum unverwechselbaren Emblem einer Handelsmarke zu vollziehen, etwa mit dem Wiedererkennungswert von Coca Cola oder den olympischen Ringen, hat er nun diesen Wettbewerb ins Leben gerufen. Und hierbei soll das Niveau dieser Veranstaltung weit über dem der zahlreichen Talent- oder Quizwettbewerbe liegen - von Big Brother oder Das Dschungelcamp ganz abgesehen. Eine neue Leichtigkeit des Humors auf seriöse Art zu erreichen, ist das Ziel. Eine der poetischen Verszeilen von Hermann Hesse hat er, leicht abgewandelt, zu seinem Motto erhoben: 'Jedem Menschen wohnt ein Hauch Frohsinn inne'.
Hoch motiviert rekrutiert ein Gremium im Namen der NGO Hofnarr® für dieses gigantische Event Qualifikanten quer durch die Republik. In einem harten Ausscheidungsverfahren können sich interessierte Vielleser prüfen lassen. Sie müssen unter Wettkampfbedingungen den Beweis erbringen, deutlich mehr lesen zu können, als es die Definition Vielleser hergibt. Und es sind ausschließlich umfangreiche Texte der Weltliteratur, um die es hier gehen soll. Wer sich zum Beispiel mit einer Tagesleistung von unter sechshundert Taschenbuchseiten bewirbt, ist von vornherein chancenlos. Für Menschen, die unter Coactus Legere, einem krankhaften Lesezwang leiden, ist solch ein Vorhaben kontraindiziert.
Schon der Ansturm auf die Vorwettkämpfe ist enorm. Aus allen Ecken der Republik gehen Bewerbungen ein. Ansgar hat den Eindruck, das Land würde plötzlich zu einem großen Teil aus Viellesern bestehen. So sind es dann auch zahlreiche aktuelle und ehemalige Lehrer, Pastoren, Pharmareferenten, arbeitslose und aktive Schauspieler, Laienprediger aller Religionen und Sekten, sowie weitere Personen mit einem hohen Leseaufkommen, die sich melden. Allein die Vorrunden haben es in sich. Hier kommt es in erster Linie auf die Menge des vorgelesenen Textes in Bezug zur dafür benötigten Zeit an. Und, es wird non-stop gelesen. Zusätzlich werden Betonung und allgemeines Klangbild bewertet, sozusagen als B-Note. Eine Vorabbekanntgabe der zu erwartenden Werke findet nicht statt. Natürlich kursieren Namen von Autoren, deren Schriften besonders ausführlich sind, und für eine derartige Herausforderung als verwendbar in Frage kommen. Geschriebene Dichtkunst von Homer, Thomas Mann, Shakespeare, Dante, um nur einige zu nennen, werden spekulativ hoch gehandelt. Und wie erwartet, aus deren Kreis stammen dann auch die Aufgaben für die Vorfinals. Ein Bücher- und Lesefieber hat das Land erfasst; dicke Bücher werden gewälzt, bis dass die Schwarte kracht. Hofnarr® hat es in kurzer Zeit fertiggebracht, die Medienöffentlichkeit auf diese Aktion zu fokussieren. Eine Euphorie, eine Vorfreude wie vor einer Fußball-WM scheint die Leute heimzusuchen. Dann der Tag des Finales; die zwei Endspielgegner stehen fest. Es sind Enrico Wachtholz, ehemaliger Religionslehrer und aktueller Stadtführer in Eisenach, sowie Martina Gramckow, Souffleuse am Staatstheater Hannover. Sie sind beide mit großem Vorsprung als Sieger in den Halbfinals erfolgreich gewesen. Schon die Aufgaben dort waren gewaltig: Homers Ilias und Der Zauberberg von Thomas Mann. Beide wahre Schwergewichte der Weltliteratur und von den zwei Kandidaten eindrucksvoll vorgetragen. Und nun wartet Ulysses von James Joyce auf die Finalisten, diese hemmungslose Sprachorgie von einem Roman. Es ist für viele Experten der wohl bedeutendste Roman des zwanzigsten Jahrhunderts und mit fünfzehnhundert Seiten ein nicht zu unterschätzender Brocken.
Dann nur noch wenige Minuten bis zum Ende des Wettbewerbs in den zwei schalldichten Leserkabinen. Die Kandidaten lesen dort simultan, aber räumlich voneinander getrennt ihren Text. Mehrere Kameras übertragen dieses live für alle regionale TV- Kanäle sowie für die einschlägigen Spartensender. Private Sender und Pay-TV hatten kein Interesse an der Übertragung gezeigt, ein kommerzieller Fehler, wie sich später herausstellt. Dafür sind etliche Rundfunksender per Konferenz-Schaltung im Originalton dabei.
Kurz vor Schluss liegt die Souffleuse aus Hannover knapp vorne; sie hat es aufgrund ihres speziellen, eher neutralen Sprachduktus' etwas leichter. Der Thüringer ist hier im Nachteil; dies ist seiner mundartlich geringfügig eingefärbten Aussprache geschuldet. Jetzt im finalen Teil des Wettbewerbs meint man im Auditorium stimmungsmäßig eine Analogie zum mittelalterlichen Sängerwettstreit auf der Wartburg zu spüren. Dies hat Ansgar Jester so nicht vermutet, nimmt es aber wohlwollend zur Kenntnis. Ein Raunen geht durch die Reihen der Zuhörer; der Wettstreit nimmt einen anderen Verlauf als zuletzt erwartet. Martina Gramckow stolpert dicht vor dem Ziel über einen einzigen Satz, der es allerdings in sich hat, denn er geht über sechzig Seiten. Sie ist solch ein extrem komplex konstruiertes Wortgefüge einfach nicht gewohnt und muss mehrmals unterbrechen; das kostet sie Punkte in der B-Note. Der besonnen vorlesende ehemalige Lehrer kommt mit der Passage besser klar, er zieht seinen Text schnörkellos bis zum Ende durch und siegt. Völlig erschöpft, aber hocherfreut gibt er ein erstes Interview. „Bibel ist einfacher“, so sein Statement.
Frenetischer Jubel unter den Zuhörern vor Ort und vor den TV-Geräten als der Siegerpokal überreicht wird: eine achtunddreißig cm hohe goldene Statue - der Hofnarr. Dann einige Tage später in Dublin in der Republik Irland. Hier, in der Heimat des Dichters James Joyce, findet der zweite Teil des Siegerehrung als Galaveranstaltung statt. Diesen Ort hat Ansgar Jester nicht zufällig gewählt. Von Dublin aus startet er die Promotion-Kampagne des Markenlabels Hofnarr® für die englischsprachige Welt; später will er die Marke pandemisch verbreiten. Humor ohne Grenzen ist sein Ziel. Und bei diesem Plan hat er es zum Start hier in Irland denkbar einfach, allein seines Nachnamens wegen. Jester, aus dem Englischen übersetzt, bedeutet: Hofnarr.
Hoch motiviert rekrutiert ein Gremium im Namen der NGO Hofnarr® für dieses gigantische Event Qualifikanten quer durch die Republik. In einem harten Ausscheidungsverfahren können sich interessierte Vielleser prüfen lassen. Sie müssen unter Wettkampfbedingungen den Beweis erbringen, deutlich mehr lesen zu können, als es die Definition Vielleser hergibt. Und es sind ausschließlich umfangreiche Texte der Weltliteratur, um die es hier gehen soll. Wer sich zum Beispiel mit einer Tagesleistung von unter sechshundert Taschenbuchseiten bewirbt, ist von vornherein chancenlos. Für Menschen, die unter Coactus Legere, einem krankhaften Lesezwang leiden, ist solch ein Vorhaben kontraindiziert.
Schon der Ansturm auf die Vorwettkämpfe ist enorm. Aus allen Ecken der Republik gehen Bewerbungen ein. Ansgar hat den Eindruck, das Land würde plötzlich zu einem großen Teil aus Viellesern bestehen. So sind es dann auch zahlreiche aktuelle und ehemalige Lehrer, Pastoren, Pharmareferenten, arbeitslose und aktive Schauspieler, Laienprediger aller Religionen und Sekten, sowie weitere Personen mit einem hohen Leseaufkommen, die sich melden. Allein die Vorrunden haben es in sich. Hier kommt es in erster Linie auf die Menge des vorgelesenen Textes in Bezug zur dafür benötigten Zeit an. Und, es wird non-stop gelesen. Zusätzlich werden Betonung und allgemeines Klangbild bewertet, sozusagen als B-Note. Eine Vorabbekanntgabe der zu erwartenden Werke findet nicht statt. Natürlich kursieren Namen von Autoren, deren Schriften besonders ausführlich sind, und für eine derartige Herausforderung als verwendbar in Frage kommen. Geschriebene Dichtkunst von Homer, Thomas Mann, Shakespeare, Dante, um nur einige zu nennen, werden spekulativ hoch gehandelt. Und wie erwartet, aus deren Kreis stammen dann auch die Aufgaben für die Vorfinals. Ein Bücher- und Lesefieber hat das Land erfasst; dicke Bücher werden gewälzt, bis dass die Schwarte kracht. Hofnarr® hat es in kurzer Zeit fertiggebracht, die Medienöffentlichkeit auf diese Aktion zu fokussieren. Eine Euphorie, eine Vorfreude wie vor einer Fußball-WM scheint die Leute heimzusuchen. Dann der Tag des Finales; die zwei Endspielgegner stehen fest. Es sind Enrico Wachtholz, ehemaliger Religionslehrer und aktueller Stadtführer in Eisenach, sowie Martina Gramckow, Souffleuse am Staatstheater Hannover. Sie sind beide mit großem Vorsprung als Sieger in den Halbfinals erfolgreich gewesen. Schon die Aufgaben dort waren gewaltig: Homers Ilias und Der Zauberberg von Thomas Mann. Beide wahre Schwergewichte der Weltliteratur und von den zwei Kandidaten eindrucksvoll vorgetragen. Und nun wartet Ulysses von James Joyce auf die Finalisten, diese hemmungslose Sprachorgie von einem Roman. Es ist für viele Experten der wohl bedeutendste Roman des zwanzigsten Jahrhunderts und mit fünfzehnhundert Seiten ein nicht zu unterschätzender Brocken.
Dann nur noch wenige Minuten bis zum Ende des Wettbewerbs in den zwei schalldichten Leserkabinen. Die Kandidaten lesen dort simultan, aber räumlich voneinander getrennt ihren Text. Mehrere Kameras übertragen dieses live für alle regionale TV- Kanäle sowie für die einschlägigen Spartensender. Private Sender und Pay-TV hatten kein Interesse an der Übertragung gezeigt, ein kommerzieller Fehler, wie sich später herausstellt. Dafür sind etliche Rundfunksender per Konferenz-Schaltung im Originalton dabei.
Kurz vor Schluss liegt die Souffleuse aus Hannover knapp vorne; sie hat es aufgrund ihres speziellen, eher neutralen Sprachduktus' etwas leichter. Der Thüringer ist hier im Nachteil; dies ist seiner mundartlich geringfügig eingefärbten Aussprache geschuldet. Jetzt im finalen Teil des Wettbewerbs meint man im Auditorium stimmungsmäßig eine Analogie zum mittelalterlichen Sängerwettstreit auf der Wartburg zu spüren. Dies hat Ansgar Jester so nicht vermutet, nimmt es aber wohlwollend zur Kenntnis. Ein Raunen geht durch die Reihen der Zuhörer; der Wettstreit nimmt einen anderen Verlauf als zuletzt erwartet. Martina Gramckow stolpert dicht vor dem Ziel über einen einzigen Satz, der es allerdings in sich hat, denn er geht über sechzig Seiten. Sie ist solch ein extrem komplex konstruiertes Wortgefüge einfach nicht gewohnt und muss mehrmals unterbrechen; das kostet sie Punkte in der B-Note. Der besonnen vorlesende ehemalige Lehrer kommt mit der Passage besser klar, er zieht seinen Text schnörkellos bis zum Ende durch und siegt. Völlig erschöpft, aber hocherfreut gibt er ein erstes Interview. „Bibel ist einfacher“, so sein Statement.
Frenetischer Jubel unter den Zuhörern vor Ort und vor den TV-Geräten als der Siegerpokal überreicht wird: eine achtunddreißig cm hohe goldene Statue - der Hofnarr. Dann einige Tage später in Dublin in der Republik Irland. Hier, in der Heimat des Dichters James Joyce, findet der zweite Teil des Siegerehrung als Galaveranstaltung statt. Diesen Ort hat Ansgar Jester nicht zufällig gewählt. Von Dublin aus startet er die Promotion-Kampagne des Markenlabels Hofnarr® für die englischsprachige Welt; später will er die Marke pandemisch verbreiten. Humor ohne Grenzen ist sein Ziel. Und bei diesem Plan hat er es zum Start hier in Irland denkbar einfach, allein seines Nachnamens wegen. Jester, aus dem Englischen übersetzt, bedeutet: Hofnarr.
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