Lethe

G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Lieber Ralf! Ich habe bei diesem Lied manchmal Mühe mit dem metrischen Wechsel zwischen drei (meistens) und vereinzelt vier Hebungen pro Vers. So hat die erste Strophe drei dreihebige und dann einen vierhebigen Schlußvers, die zweite hat einen Vierheber als dritten zwischen den ansonsten dreihebigen Versen dieser Strophe, in der dritten sind der erste und der vierte Vers vierhebig, die beiden mittleren dreihebig.
Genauso wechselt jambischer Anfang (mit unbetonten Vorschlags-Silben) mit trochäischem bzw. daktylischem Versbeginn (wo es mit betonten Silben losgeht).
ob Mensch, ob Gott "Vergessen",
flüstert die Lethe, "ist der Preis".
Nach "Gott" könnte ein Gedankenstrich zum Verständnis hilfreich sein. Und wenn Lethe personalisiert ist (immerhin flüstert sie ihre urteilsstrenge Sentenz), dann kann der bestimmte Artikel wegfallen und dafür vielleicht noch ein demonstratives "das" in ihr Urteil eingeschoben werden:
flüstert Lethe, "das ist der Preis".
Der Vexier-Gedanke ist natürlich reizvoll, ob die Götter in ihrer Gruft von den lieben Mitmenschen (...) vergessen werden oder selbst - lethetrunken - ihr Gedächtnis verlieren.

[ 4][ 4]Intermundien

[ 4]Ihr süßen Maden - Paradiese
[ 4]Der Erwählten in dem Raum
[ 4]Sinnverlassener Geistverliese
[ 4]Wann wacht ihr auf von dem Jenseitstraum?
 

Ralf Langer

Mitglied
Lethe

Die Götter können nicht sterben;
das ist ihnen nicht vermacht.
Sie leben im Ewigen werden
ihnen dunkle Gräber gemacht.

Dort ruhen sie und träumen -
den Kyffhäuser Traum
unter uralten Eichen - bäumen
sich ihre Worte, doch kaum

haben sie die Welt besessen,
umgibt sie der letzte Kreis:
ob Mensch, ob Gott - "Vergessen",
flüstert Lethe, "das ist der Preis".
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Mondnein,

herzlichen dank für die strukturelle Analyse.
Deine beiden Vorschläge habe ich gerne übernommen.

Hm, nah wie vor will es mir nicht gelingen, ein rhythmisch
klar gegliedertes Stück zu vollbringen ( hier durchgängiges Metrum)
Aber ich versuche mich ernsthaft auch erst seit einem guten Jahr an dieser Form von Lyrik...

Was mich allerdings interessiert, weil mein Hauptaugenmerk darauf liegt:
Klang der Worte und Inhalt sollten sich tragen?!

lg
Ralf
 
O

orlando

Gast
Hallo Ralf,
ich schließe mich der mondverneinenden Kritik in etwa an.
Zusätzlich ist mir aufgefallen, dass die erste Strophe, im Gegensatz zu den anderen, lediglich einen Kreuzreim beinhaltet.

Inhaltlich sagt mir das Gedicht zu, doch bin ich der Meinung, dass deine "Botschaft" in einem ungereimten Text viel besser zur Geltung käme. Oder in einer Form, die ganz bewusst mit Wiederholungen arbeitet.
Der Klang in der jetzigen Form ist ok, aber nicht sonderlich edel. Dazu wären Schmankerln nötig. Beispielsweise bei der Aufeinanderfolge langer und kurzer Vokale der Endungen und a.m.
Die Enjambements sind nicht immer günstig gesetzt (S 1).
Am besten gefällt mir noch die Mittelstrophe.

Hui, das ist fast ein Verriss geworden, der aber ausschließlich im Formalen begründet liegt.
Liebe Grüße
orlando
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Orlando,

danke für die ehrlichen Worte.

In meiner jetzigen "Phase" lege ich bewußt Wert auf Klangbild,
Rhythmus in Korrespoindez mit dem Inhalt.

Obschon ich lange an diesem Stück gearbeitet habe, habe ich es nicht geschafft metrisch sauber zu sein.
da fehlt mir noch etwas. Die zweite Strophe empfinde ich auch als rund.

Auf die Idee ungereimt zu schreiben, bin ich nicht gekommen.
Versuche ich doch im Moment immer genau das Gegenteil zu konstruieren.

Na ja, ich sehe das "Ziel", aber der Weg ist voller ungereimtheiten...

lg
ralf
 

ENachtigall

Mitglied
Lieber Ralf,

der erste Satz ist schon eine Oper für sich. Du musst sie nur erst richtig zum Klingen bringen.

ich erkenne das Schwächeln des Gedichtes (Du sagtest es schon selbst) vorrangig darin, dass Du mit der "Ungereimten Tür ins Gereimte Haus" fällst.

Die Götter können nicht sterben;
das ist ihnen nicht vermacht.
Sie leben [red]im Ewigen werden
ihnen dunkle Gräber gemacht[/red].
Das Enjambement an dieser Stelle verstört den Lesefluss enorm und reicht dem Klang von "sterben" mit "werden" eine lasche Hand.

Inhaltlich gehe ich auch mit der daraus entstehenden Aussage nicht konform. Das immanente "ewige Werden" wird durch die in ihren unveränderlich festgehaltenen Schriften formulierten religiösen Leitsätze nicht repräsentiert.

Als Vorschlag vermag ich nur eine leichte Variation von Zeile Zwei in die Waagschale zu werfen. Aber ich könnte mir vorschlagen, dass Dich die klangliche Färbung durch Vereinheitlichung der Silbenanzahl zu Zeile Eins und die Personifizierung eines philosophischen Niemands - hoffentlich inspiriert.

Die Götter können nicht sterben;
das [strike]ist[/strike] [blue]hat[/blue] ihnen [strike]nicht[/strike] [blue]niemand[/blue] vermacht.

Lieben Gruß,

Elke
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo elke

das ist sehr schade wegen des enjambements,

mir ist er - wie sollte es auch anders sein - sehr wichtig:

"sich im ewigen werden" zu befinden finde ich, ist ein äußerst weitreichender denkanstoss...

lg
ralf
 

ENachtigall

Mitglied
Ja, Ralf, aber da Du "das Ewige" groß schreibst, "werden" aber klein, lieferst Du auch gleich eine Gewichtung der Doppeldeutigkeit zugunsten von "Ewiges werden" mit dazu.

Wenn ich Dich richtig verstehe, möchtest Du aber im Text das "ewige Werden" (als universellen Akt einer sich selbst genügenden Schöpfung) dem menschlich religiösen Strebens nach Unendlichkeit und ewigem Leben ((im Jenseits) das Ewige werden)) zunächst einfach gegenüberstellen.

Wenn das der Ankerpunkt des Gedichtes ist, versuche den klanglichen Aufbau von dort aus zu gestalten. Eventuell auch unter Zuhilfenahme der konsequenten Kleinschreibung. Und/Oder Du verzichtest auf die Endreime und schaffst die Melodie durch metrische Flüssigkeit und mittels Binnen- und anderer Reime. Der Möglichkeiten sind viele!

LG

Elke

P.S. Ein anderer Kunstgriff wäre: einfach beide Worte "Ewiges Werden" groß schreiben. Der gemeinte Sinn ergibt sich im Weiterlesen.
 

Ralf Langer

Mitglied
danke elke,

ich hatte die überlegung :
schreib alles klein

aber ich schob es zur seite.

ich begebe mich auf die lange reise einer überarbeitung

lg
ralf
 

Ralf Langer

Mitglied
Lethe

Die Götter können nicht sterben;
das hat ihnen niemand vermacht.
Sie leben im Ewigen Werden
- ihnen dunkle Gräber gemacht.

Dort ruhen sie und träumen -
den Kyffhäuser Traum
unter uralten Eichen - bäumen
sich ihre Worte, doch kaum

haben sie die Welt besessen,
umgibt sie der letzte Kreis:
ob Mensch, ob Gott - "Vergessen",
flüstert Lethe, "das ist der Preis".
 

Ralf Langer

Mitglied
hier mal die ursprüngliche dritte strophe
als denkanstoss

statt:

haben sie die Welt besessen,
umgibt sie der letzte Kreis:
ob Mensch, ob Gott - "Vergessen",
flüstert Lethe, "das ist der Preis".

hatte ich:

haben sie die Krume durchdrungen
schließt sich der letzte Kreis
Ob Götter Ob Menschen - Die Nibelungen
flüstern von Ferne; "Ich weiß".


das war mir zu undurchsichtig, also entschloss ich mich zur Umstellung - hin zur Lethe, was aber vielleicht gar nicht zwingend nötig war.

p.s.

ich denke über eine reimlose form nach

lg
ralf
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Es sind (wenn ichs nicht überlesen habe) zwei Dinge noch nicht angemerkt worden: 1. die Bennsche Kurzsätzigkeit, Sentenzen-Dichte (oder wie man das nennen mag, jedenfalls klingt bei mir Benn an, wenn ichs mir vorlese); 2. die Mehrdeutigkeit der Satzbildung, des Satzverständnisses (apo koinou, d.h. zu beiden Seiten hin verknüpfbare Wortfügungen), z.B.:
Sie leben im Ewigen Werden
- ihnen dunkle Gräber gemacht.
Das war gewiß vor der (späteren) Einfügung des Gedankenstrichs deutlicher: a) Sie leben im Ewigen, werden ihnen dunkle Gräber gemacht. b) Sie leben im ewigen Werden, (und jetzt hängt der vierte Vers dieser Strophe in der Luft:) - ihnen dunkle Gräber gemacht.
unter uralten Eichen - bäumen
sich ihre Worte, doch kaum
"Eichenbäumen" versus "bäumen sich ihre Worte"
Ich denke, das war von Dir bewußt so in der Deutungsschwebe gehalten worden.
"Ewiges Werden" der Götter gibt es in der Tat bei Ovid, Metamorphosen (!), im zweiten Vers des Proömiums:
"Di coeptis - nam vos mutastis et illas -
adspirate meis"
"Ihr Götter, haucht meinen Anfängen Inspiration ein - denn euch selbst habt ihr zugleich mit jenen (in neue Körper verwandelten Formen) verwandelt"
(übrigens doppeldeutig lesbar, denn es heißt zugleich auch:
"denn ihr selbst habt ja auch jene verwandelt") ...
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Mondnein,

ja Bennsche Kurzsätzigkeit. Ich will nicht verschweigen, das Benn einer meiner lyrischen Idole ist, und das seine Lyrik meine maßgeblich beeinflußt.

Ich überdenke im Moment:

a) konequente Kleinschreibung
b) das Auslassen aller satzzeichen

und
c) eine Rückführung des Gedichtes in seine ursprüngliche Version
durch das wieder einfügen der dritten Strophe.
(Möglicherweise mit einigen kleinen Änderungen)

zum Thema Enjambement: Ich halte diese rhetorische Figur für ein faszinierendes Stilmittel - vielleicht sogar für eines der
Stärksten.

Ja, das "ewige werden". Ovid natürlich.
Ein faszinierender Gedanke. Die Form als Medium des Überganges.

Die Götter, die nicht sterben können, aber vergessen. Was passiert mit einem Gott der keine Gläubigen mehr hat, dessen Stimme nicht mehr erhört, dem keine Opfer gebracht werden.

seine "Wirklichkeit" endet seine "Existenz" nicht.
Ob Olympisch ob hethitisch oder babylonisch. Vielleicht, ja vielleicht können sie wiederkehren:
der Kyffhäuser Traum bleibt
...
lg
Ralf
 

Ralf Langer

Mitglied
Noch ein paar Gedanken:

Wir benutzen die Begriffe Wirklichkeit, Wahrheit, Realität und Ähnliche gerne im täglichen Sprachgebrauch unter gleichrangigen Vorstellungen.

Ich glaube, das die Begriffe einen klaren Bedeutungssinn haben:

Realität und Wirklichkeit sehe ich ganz nah beieinander.

Aber nicht alles was wirklich ist ist wahr, oder fällt dem Begriff des Wahren zu. Wahr und falsch sehe ich als logisch empirische Begriffe, die einen eher eingegrenzen Bereich für sich beanspruchen können, wie zum Beispiel das Feld der Mathematik.

Wirklich und von daher bedeutsam ist alles was auf das Leben(hier den Menschen) wirkt, was Konsequenzen trägt.

Wenn also das Handeln von Menschen durch den Glauben an Entitäten beeinflußt wird entsteht Wirklichkeit.

Wahr oder Falsch ist schwierig, wie ich gerne an einigen Beispielen zeigen möchte:

a) Wasser kocht bei hundert Grad.

b) Die Sonne geht unter.

c) der Stein zerspringt.


Wer möchte darf gerne darüber nachdenken ob diese Beahuptungen wahr, falsch, real, wirklich oder etwas anderes sind.

Soweit mein kleiner Ausflug

Ralf
 



 
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