Lichtenstein

Hagen

Mitglied
Lichtenstein

Manchmal muss ich noch an die Zeit zurückdenken, in der ich Flugzeuge überführt hatte.
War interessant, damals, von einer Skyhawk auf eine GA Airvan, einfach so, und ich war manchmal wochenlang nicht zuhause. Das wurde von meiner damaligen Freundin nicht sonderlich gerne gesehen und sie verlies mich auch bald. Aber das ist eine andere Geschichte.
Die Geschichte, die ich erzählen möchte, hat sich wirklich so abgespielt, ich habe mich bisher gehütet, sie zu offenbaren, sie hätte mir ohnehin keiner geglaubt.
Als ich eine alte, ach, was sage ich, historische Bf 110 überführen sollte, war ich natürlich Feuer und Flamme.
Die ‘110‘ hatte in England in einem Museum vor sich hingedämmert, aber man hat sie wieder flugklar gemacht, nach über vierzig Jahren, weil sie in einem Film gebraucht wurde. Alles wurde nur notdürftig zusammengeflickt, ich durfte nicht über bewohntes Gebiet fliegen und die rote Landeleuchte und noch einige Kleinigkeiten fehlten auch.
Aus diesem Grund erhielt ich ein Begleitflugzeug, eine Beechcraft Baron mit zwei Mann Besatzung. Mit den beiden Männern hätte ich eigentlich mal ein Bier trinken wollen, aber die Gelegenheit hatte sich nicht ergeben.
Es musste alles schnell gehen, der Drehplan verlangte es, und nach einer kurzen Einweisung hatte ich mit dem Vogel klarzukommen.
Kurz nach dem Start fiel der Repeator Kompass meiner guten, alten Bf 110 aus. Ich klopfte und schnipste mit dem Finger dagegen, aber er kreiselte, der Kurskreisel zeigte Weltuntergang. Das war nicht so schlimm, ich hatte ja noch den anderen Kompass, an der rechten Seite in der Kanzel. Der sah aus, als hätte man ihn nachträglich eingebaut, wo gerade noch Platz war.
Na gut, sollte so sein, schließlich hatte ich für alle Fälle mein Begleitflugzeug. Es flog leicht in der Höhe versetzt schräg unter mir, damit der zweite Mann der mich ständig beobachten konnte, aber wahrscheinlich las der Zeitung. Ich brauchte nur hinterher fliegen, war nicht so schlimm, kein Grund zur Panik. Irgendeine Kleinigkeit, die ich nach der Landung beheben würde, der Vogel war schließlich alt.
Im Funk war auch nichts los, nur die Überlagerungen dicht über dem Rauschen, von irgendeinem Spaßvogel, die mich mit „Herr Hauptmann“ ansprach und meinte, ich sollte doch auf sechstausend Meter gehen, da wären irgendwelche ‚Möbelwagen‘. Ich ignorierte die Stimme geflissentlich und sang das ‚Fliegerlied‘ vor mich hin:
„Flieger, grüß mir die Sonne,
grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond.
Dein Leben, das ist ein Schweben
durch die Ferne, die keiner bewohnt!
Such' dir die schönste Sternenschnuppe aus
und bring sie deinem Mädel mit nach Haus!
Flieger, grüß mir die Sonne,
grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond!
Hoch oben im Äther, da sind wir meist zu Haus!
Bei fünftausend Meter sieht alles anders aus.“
Ich sollte meiner Freundin wirklich eine schöne Sternschnuppe mitbringen und sie bitten, bei mir zu bleiben, trotz meiner langen Abwesenheiten. Schließlich lebten wir im Hier und Heute und die Zeiten waren hart. Das Leben konnte aber schön sein, und die Widersehen waren immer sehr intensiv. Was würde sie wohl sagen, wenn ich ihr anstatt Blumen eine Sternschnuppe mitbrächte, zum Wiedersehen?
„Schneller und immer schneller
rast der Propeller, wie dir's grad gilt!
Piloten ist nichts verboten,
wenn es sein muss drum gib Vollgas
und flieg um die Welt!
Da gibt's keine Grenzen!
Da gibt's keinen Pass!
Der Flieger fliegt und fragt nicht: Wie und was?
Flieger grüß mir die Sonne!
Vom Nordpol zum Südpol ist nur ein Katzensprung.
Wir fliegen die Strecke bei jeder Witterung.
Wir warten nicht, wir starten!
Was immer auch geschieht,
durch Wind und Wetter klingt das Fliegerlied.“
Über dem Kanal empfing mich aber Nebel. Dicker, englischer Nebel, wie sich das gehört und in guten, Englischen Geschichten stets vorkommt. Dabei hatte der Wetterbericht strahlenden Sonnenschein vorausgesagt, wie in den Filmen von Rosamunde Pilcher.
Das konnte ja heiter werden, zumal mein Begleitflugzeug ab und zu von Nebelfetzen verschluckt wurde.
„Hallo, ihr! Könnt ihr ein wenig aufschließen? Der Nebel nimmt mir hin und wieder die Sicht auf euch.“
Noch klang meine Stimme ruhig.
„Wir sind schon innerhalb des Sicherheitsabstands! Flieg‘ einfach nur geradeaus weiter, wir sind auf Kurs! Der Nebel wird sich gleich wieder lichten.“
„Na, da bin ich ja beruhigt. – Hört ihr auch diese komische Stimme im Funk?“
„Nein. Da sind überhaupt keine Stimmen. Alles ruhig.“
„Herr Hauptmann, ein Zacken, dicht voraus, ganz dicht …“, die Stimme war etwas klarer, deutlich zu verstehen.
Was meinte der Witzbold bloß damit?
Ich konnte mir nur vorstellen, dass die Stimme aus Frankreich kam, von dem winzigen Flugplatz, auf dem wir zwischenlanden wollten um zu tanken. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung wo der war und wie der aussah, aber dazu hatte ich mein Begleitflugzeug.
Ich ignorierte die Stimme weiterhin, dass sie aus der Bordsprechanlage kamen, fiel mir nicht ein, zumal ich andere Probleme bekam. Der andere Kompass fiel auch aus und ich bekam Panik!
In Panik tut man alles, was man tut, schneller, hektischer, irgendwann macht man was falsch, das Flugzeug geht dann unweigerlich nach unten …
Mein Begleitflugzeug war plötzlich im Nebel verschwunden, einfach weg.
Funk war auch nicht mehr, obwohl ich ganz verzweifelt nach meinem Begleitflugzeug rief, aber was hätten die auch tun sollen?
Es bestand höchstens die Gefahr, dass wir uns rammten, so dicht wie wir schon zusammen flogen.
Hing da nicht schon die rechte Tragfläche?
Flog ich schon eine leichte Rechtskurve?
Hingen Wendezeiger und Kompass eigentlich zusammen?
Dass zwei getrennte Systeme auf einmal ausfielen konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen, und denn noch der andere Kompass?
Irgendwas Mystisches war mit dem Flugzeug los!
Noch lag die Maschine gerade, nach den Instrumenten, der künstliche Horizont behauptete es jedenfalls und der Wendezeiger bestätigte es. Aber trotzdem, ich vertraute ihnen plötzlich nicht mehr, die beiden Kompasse und der Wendezeiger waren ja auch ausgefallen.
Als ich schon mal durch ähnlichen Nebel geflogen war, ging es mir genauso, ich vertraute den Instrumenten nicht mehr. In dickem, watteweichen Nebel waren die Instrumente das einzige, dem ich vertrauen musste, wenn nicht diese Panik gewesen wäre, die mich jetzt wie mit nasskalten Tentakeln lähmte.
Aber würde ich nicht über dem Kanal in einer Kurve weiterfliegen?
Immer weiter, in diesem Nebel und ohne Kompass, ohne Wendezeiger, über dem Wasser, bis mir der Sprit ausging?
Oder ich das Begleitflugzeug rammte?
Ich hatte weder einen Fallschirm noch eine Schwimmweste mit, trug normale Klamotten, bis auf die originale Fliegerhaube, wegen dem Krach im Cockpit. Ich würde irgendwann ins Wasser fallen und ertrinken.
Kein Wunder, dass ich vor lauter Panik in einen Fatalismus verfiel.
„Herr Hauptmann, er ist direkt neben uns! Sie müssen ihn sogar sehen können!“
Die Stimme war plötzlich klar zu verstehen und irgendwas schälte sich an meiner rechten Seite aus dem Nebel.
Ein Riesenflugzeug!
„Mein Gott!“, sagte die Stimme.
So ein Riesending hatte ich noch nie gesehen, jedenfalls nicht so dicht, ich konnte sogar die Männer im Cockpit und den Waffentürmen sehen. Schwarz war das gigantische Flugzeug neben mir, schwarz wie die finsterste Ecke der Hölle, bis auf die britischen Hoheitsabzeichen. Aber es waren Hoheitsabzeichen wie die britischen Flugzeuge sie im letzten Krieg trugen!
Was wollte die Maschine hier?
Gezogen von vier Motoren flog sie neben mir her, aber das gigantische Flugzeug zeigte sich ausgesprochen friedlich, denn die Maschinengewehre in den Waffenständen im Bug, auf dem Rumpf und hinter dem H-Leitwerk waren nach unten gekippt.
Sie lag ruhig in der Luft, seltsam ruhig, nur die Flieger in den Kanzeln deuteten alle in eine Richtung, etwas nach links.
Meine Panik legte sich etwas. Mit dem Riesenvogel neben mir fühlte ich mich sicher und flog eine leichte Linkskurve.
Die Männer in der Kanzel zeigten mir den erhobenen Daumen.
Alles klar.
Meine Panik legte sich, fiel von mir ab wie ein nasser Sack. Mit dem Riesenvogel neben mir fühlte ich mich sicher. Seltsamerweise, und mein Vertrauen in die Instrumente stieg wieder. Ich glaubte ihnen, glaubte dass sie mir die Wahrheit anzeigten.
„Etwas tiefer, Herr Hauptmann, und ran an ihn, so eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder!“
Da waren sie wieder, diese Stimme von irgendwo her, nur wieder etwas verschwommener. Ich ignorierte sie gewissenhaft.
Ich war fasziniert von dem enormen Flugzeug neben mir, und stellte mir hunderte davon vor, wie sie durch den Himmel krochen und irgendwann ihre Bombenlast ausklinkten. Es musste eine Ewigkeit gedauert haben, bis die alle gestartet waren, und wie hatten die sich in der Nacht, bei absoluter Funkstille gefunden und zu einer Phalanx formiert?
Überhaupt muss es ein Scheißgefühl gewesen sin, im letzten Flugzeug der Formation gesessen zu haben, denn die deutschen Nachtjäger kamen damals immer von hinten und schossen die letzten Flugzeuge ab, wenn sie die Bomber überhaupt fanden.
Keine Zeit, mir Gedanken zu machen, denn der Nebel riss auf, langsam aber beständig, und dann konnte ich auch mein Begleitflugzeug wieder sehen.
„Ach, da bist du ja wieder. Wie sieht’s denn aus bei dir? Wir dachten schon, wir hätten dich verloren, weil du überhaupt nicht geantwortet hast.“
„Irgendwas war mit meinem Funk. Liegen wir noch auf Kurs?“
„Aber sowas von auf Kurs! Du müsstest den kleinen Flughafen schon sehen. Wir landen gleich.“
Die riesige Maschine neben mir war plötzlich verschwunden, wie in Luft aufgelöst.
Obwohl die Panik von mir abgefallen war, bekam ich einen Kloß im Hals.
„Ladehemmung, Herr Hauptmann?“, die ominöse Stimme war wieder dicht über dem Rauschen, das aus dem Kopfhörer drang.
„Was ist los mit dir? Ist wieder was mit dem Funkgerät?“
„Nein, alles in Ordnung. – Ich habe mich nur über den verdammt kleinen Flugplatz gewundert.“
Es war wirklich einer von den winzigen Flugplätzen wie man sie nur noch in Frankreich findet. Sicher rollte ich nach der Landung auf ihm aus. Eine dralle Dame namens Brijit kullerte Benzinfässer direkt ans Flugzeug und rauchte Gauloises dabei.
Na gut. Ich freute mich auf eine echte Gauloise, einen Kaffee und Salami-Käse Croissants wie es sie nur in Frankreich gibt.
Und plötzlich gingen die Kompasse wieder und der Wendezeiger auch …



Das Filmgelände unter mir sah fast wie ein Feldflugplatz gegen Ende des zweiten Weltkrieges aus; - einige kohlschwarze Flugzeuge, ein einsamer Fieseler 'Storch', etliche Kübelwagen und wie ein Fremdkörper vor einer nachlässig getarnten Kommandobaracke die Schienen für einen Kamerawagen.

Ich flog eine Platzrunde um meinem Begleitflugzeug den Vortritt bei der Landung zu lassen, um den über vierzig Jahre alten Nachtjäger noch eine Winzigkeit länger für mich zu haben, und um die dreitaused PS links und rechts neben mir, die mich von England bis nach Mitteldeutschland gezogen hatten, noch einige wenige Atemzüge länger zu empfinden.

Während die Baron, mein Begleitflugzeug, dreimal aufsetzte und schließlich vor die Baracke schaukelte, wackelte ich etwas mit den Tragflächen wie nach einem Luftsieg, kam mit einer sauberen Dreipunktlandung herunter und rollte neben die Baron.

Zwei Männer stiegen dort aus, Männer mit Anzügen und Krawatten. Ich wunderte mich immer wieder, dass die Flugzeuge solche Typen nicht abwarfen wie ungezähmte Pferde parfümierte Reiterinnen. Aber derartige Flugzeuge sind wie Pferde, die in einem Jahrmarktszelt den ganzen Tag im Kreis gingen.

Während ich die Motoren noch ein Weilchen im Leerlauf blubbern ließ, schnallte ich mich los, klappte das Kabinendach auf und atmete tief durch.

Die Bf 110 und ich, wir waren wieder daheim.

Ich lehnte mich im Sitz zurück, schnallte mich los und legte den Kopf an die Panzerplatte hinter mir. Linsenförmige Wolken glitten durch den Himmel, ich hatte vorhin schon vom Flugzeug aus beobachtet, wie sie sich in etwa fünfzehntausend Fuß Höhe zu verdichten begannen.

Ich schaltete die Motoren ab, ließ die Schultern rollen und schickte mich an, auszusteigen.

„Guten Abend, junger Mann! Hatten Sie einen angenehmen Flug?“

Zusammen mit diesen Worten fiel ein Schatten auf mich. Ich wandte den Kopf und blickte in stahlblaue Augen. Diese Augen waren so blau, dass ich sie selbst in dem dunklen Gesicht ausmachen konnte.

„Tadellose Landung, die Sie da hingelegt haben! Ausgezeichnet! Wo haben Sie fliegen gelernt?“

„Ganz normal im Aero-Club. Tja, und dann hatte ich in England Gelegenheit, mich mit dem Vogel hier anzufreunden. – Aber jetzt lassen Sie mich bitte mal raus hier.“

„Selbstverständlich, junger Mann. - Sagen Sie, würden Sie mich auch mal kurz an den Knüppel lassen? Habe im Krieg selbst die Bf 110 G-4b/R3 geflogen.“

„Aber sicher“, sagte ich, nahm die Füße aus den Pedalen, stieg aus und auf die linke Tragfläche.

Der Mann vor mir war weißhaarig, von einem Weiß, das früher mal blond gewesen sein musste. Es war auf eine Art gekämmt, wie es von den Ritterkreuzträgern auf den Propagandafotos des dritten Reichs getragen worden war.

„Fliegen Sie aber bitte nicht los, ich habe hoch und heilig versprechen müssen, keinen anderen an den Knüppel zu lassen. Wir haben die 110 aus einem Museum.“

Mein Scherz verpuffte, denn diese blauen Augen bekamen einen seltsamen Glanz, und trotz seines hohen Alters ließ der Mann sich behände in den Sitz gleiten. Seine rechte griff zuerst zögernd, dann doch entschlossen nach dem Steuerknüppel, während sich seine linke auf den beiden Leistungshebeln für die Motoren nieder ließ.

„Jaaaa, das ist sie! Meine Lilith“ murmelte der Veteran tonlos.

„IHRE Lilith?“ ich hatte das Gefühl, als erhielte ich einen dumpfen Schlag in den Magen, „Lilith, wie Adams erste Frau oder der ‘Nachtdämon‘?“

„Genau! – Naja, ich hab' sie für mich so getauft, damals konnte ich den Namen ja nicht dran schreiben.“

Ich kam nicht dazu, mich zu wundern.

„He, Sie da! Können Sie die alte Kiste nicht mal vor die Halle fahren? Wir müssen hier gleich noch drehen!“

Eine Frauenstimme vom Boden riss mich herum. – Freya Stimme!

Freya, die Kastanienhaarige!

Sie trug eine riesige Sonnenbrille, einen weiten Pullover, einen Belichtungsmesser darauf, abgewetzte Jeans und in der Hand ein Klemmbrett mit unendlich vielen Zetteln.

„Das ist keine alte Kiste“, rief ich herunter, „das ist ein historisches Flugzeug; - ein Museumsstück und sehr wertvoll! Ein Flugzeug fährt übrigens niemals, ein Flugzeug rollt!“

„Ach du je, noch ein Klugscheisserl“

Freya wühlte in ihren Zetteln auf dem Klemmbrett. Warum tat sie bloß so, als ob ich ein absolut Fremder für sie wäre?

Hatten wir doch zusammen Billard gespielt und waren schon zusammen geflogen … in der Nacht über der Blutbuche … und sie hatte mir erzählt, dass sie mich umbringen wollte … nach sieben Leben, weil eine Vergewaltigung niemals verjährt …

„Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie die Requisite 'Messerschmitt Bf 110 G-4b/R3 überbracht haben?“, rief sie emotionslos herauf.

„Ganz recht! Ich komme sofort runter. Einen kleinen Moment bitte.“

„Bravo, junger Mann“, sagte der Veteran am Steuerknüppel leise, die jungen Leute wissen den Vogel hier nicht zu schätzen! Lassen Sie sich nicht von denen unterkriegen, alles Banausen da unten. – Aber Ihre Antwort gefiel mir junger Mann.“

„Was ist denn jetzt?“ erscholl Freyas Stimme wieder vom Boden, „das Flugzeug muss hier weg!“

„Na, da komme ich doch besser heraus, bevor Sie Ärger kriegen.“

Der Mann glitt förmlich aus dem Flugzeug und stand kurz darauf so gerade vor mir, als hätte er einen Stab von der Dipol-Antenne vom Bug der Bf 110 auf den Rücken geklebt gekriegt.

„Also bringen Sie das Flugzeug nun vor die Halle, oder nicht? Ich hab' nicht ewig Zeit!“

„Das ist die Regieassistentin“, sagte der Mann neben mir, „sie heißt Dubronsky, Freya Dubronsky. – … und Freya wie das Funkmessgerät! Freya war eine frühe Entwicklung der Radartechnik im Deutschen Reich.“

„Passt irgendwie“, meinte ich.

„Eben.“ Sagte der Veteran.

„Sofort, Frau Dubronsky“, rief ich, „machen wir sofort!“

„Na, gut! Melden Sie sich anschließend bei mir, ich bin dann in der Halle!“

Ohne eine Antwort abzuwarten hastete Freya davon.

„Theissing“, sagte der Veteran und streckte mir seine Hand entgegen, „ich bin hier der 'Berater'. Vermutlich, weil ich im Krieg die '110' geflogen habe, in der Staffel von Hauptmann Knacke. - 'habe aber den Fehler begangen, wirklich zu beraten; - naja, von Dramaturgie verstehe ich wohl nichts.“

Ich stellte mich auch vor, so richtig mit Vor- und Zunamen.

„Sagen Sie einfach 'Hagen', das sagen alle. - Was meinen Sie eigentlich mit 'Fehler begangen‘?“

„Naja, sehen Sie doch mal die beiden Mädchen da drüben an“, er deutete auf zwei junge Frauen in Wehrmachtsuniformen, „das sollen Blitzmädel sein.“

„Hatten die denn bei Adolf schon Miniröcke?“

„Sehen Sie, das fällt sogar Ihnen auf. Ich habe die Leute drauf aufmerksam gemacht …“

Der Veteran machte eine abwinkende Handbewegung, „na, lassen wir's, bringen wir den Vogel vor die Halle, ich hol' mal eben meinen Wagen.“

Während der Blauäugige seinen Wagen holte, schnallte ich meinen Koffer vom Sitz des Radarbeobachters und sprang von der Tragfläche.

Eine Zigarette, die erste, heißersehnte nach dem Flug.

Konnte dass Zufall sein, dass Herrn Theissing und mir unabhängig voneinander der gleiche Name für das Flugzeug eingefallen war?

Irgendwas war doch mit dem Flugzeug, beziehungsweise dem Radargerät darin. Es war nicht eingeschaltet, sollte es auch nicht. Die Engländer aus dem Museum, aus dem wir die 110 ausgeliehen hatten, hatten es mir sogar verboten. Aber es sollte noch funktionstüchtig sein.

Herr Theissing kam mit einem riesigen alten BMW zurück bevor ich weiter denken konnte und ließ es sich nicht nehmen, sein Abschleppseil an das Spornrad zu binden.

„Eigentlich gibt es ja eine Vorrichtung zum Schleppen“, sagte Herr Theissing und deutete auf das eingebaute Rohr hinten im Rumpf der Bf 110, „aber solch ein Schleppgerät haben wir ja nicht. Wissen Sie, da gehört eigentlich eine spezielle Stange hinein.“

„Wir sollten das Rohr lieber zu schweißen, damit die Saboteure da nicht wieder Sprengladungen mit Höhenzünder reinstecken.“

Herr Theissing sah mich fassungslos an: „Woher wissen Sie das?“

Ich zuckte die Achseln.

„'fiel mir eben so ganz spontan ein.“

„Sowas wurde im Krieg tatsächlich gemacht; - tatsächlich mit einem Höhenzünder gekoppelt. Ich hab's der Dubronsky mal gesagt – wäre vielleicht ein Detail für den Film gewesen, aber sie hat nur ab gewunken, sie hätten da ihr Drehbuch. – Naja, dann wollen wir mal.“

Herr Theissing zog Lilith vor die Halle und blieb neben ihr stehen, während ich zu Freya ging.

In der Halle stand die Attrappe eines englischen 'Stirling'-Bombers mit nur drei Motoren, die halbe linke Tragfläche mit dem vierten Motor fehlte. Eine halbe Bf 110, nur die Bugsektion und die Kanzel, einschließlich rechter Tragfläche mit dem Motor, stand auf einem beweglichen Gestell neben dem Stirling. Eine riesige Leinwand war hinter den Flugzeugen aufgespannt, und eine gewaltige Windmaschine reckte ihre maschendraht-gesicherten Proppellerflügel abwartend in die Richtung der ‘Flugzeuge‘; - es war desillusionierend.

„Hallo, hier bin ich.“

Freya löste sich aus einem Haufen Flieger, Bodenpersonal und Wehrmachtshelferinnen, „kommen Sie ruhig her.“

Ich ging zu ihr und blieb in ihrer Nähe neben einem improvisierten Gefechtsstand, bestehend aus zwei Benzinfässern, einem Feldtelefon, einer Unzahl von Zetteln mit Reichsadler und Hakenkreuz sowie einer leeren Sektflasche darauf, stehen.

„Verändern Sie bitte nichts an dieser Requisite“, sagte Freya und streckte mir die Hand hin, „die brauchen wir gleich noch.“

„Hallo Freya“, sagte ich und schüttelte ihre Hand.

„Hallo Hagen. Tu' bitte so, als ob wir uns nicht kennen! Ich habe keine Lust, Ärger zu kriegen, weil ich hier mit einem Stuntman rummache. – Klar?“

„Klar! – Dann dürfte unsere Privatfehde ja wohl auch solange ruhen, wie die Dreharbeiten dauern!“

„Natürlich! – Hast du das Drehbuch schon gelesen?“

„Ich hab' noch keins gekriegt.“

„Schmitz!“ schrie Freya, und ein junger Mann kam eilfertig wie ein Kellner herbei.

„Schmitz, sorgen Sie dafür, dass dieser Mann hier ein Drehbuch bekommt! Er fliegt die Stunts mit dem Originalnachtjäger. – Ach, sind Sie schon untergebracht?“

Freya sah mich fragend an. Ich schüttelte den Kopf.

„Erledigen Sie das, Schmitz!“

Mit einer kurzen, schnellen Bewegung deutete Freya zum Ausgang.

„Tja“, sagte Freya, „heute können wir sowieso nichts mehr mit der alten Kiste machen. Schmitz wird dich sicherlich im 'Schwarzen Ochsen' unterbringen, da sehen wir uns sicher heute Abend. Ach so, dein Bart muss ab, und die Haare müssen kürzer, du musst von hinten wie Horst aussehen. Ciau bis dann, ich

werde drüben gebraucht.“

Freya war so ruckartig verschwunden, dass ich mich fragte, warum die Luft an der Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte, nicht mit einem leisen 'Plopp' zusammenschlug.

Ein wenig hilflos ging ich wieder nach draußen, zu 'meinem' Nachtjäger. Herr Theissing stand auf der Tragfläche neben dem Platz des Funkers. Er hatte Kopfhörer auf.

Ich kletterte zu ihm auf die Tragfläche.

„Na“, sagte ich leichthin, „da kann man schon ganz schön sentimental werden, bei diesem guten Stück deutscher Geschichte, was?“

Der Mann erschrak sichtbar und nahm die Kopfhörer ab.

„Wissen Sie, junger Mann, es hat mit Sentimentalität nichts zu tun, aber das hier, diese Maschine, das war mal … mein Flugzeug!

Ich bin mit genau dieser Maschine geflogen! Das ist die Bf 110 mit der ich zwei Engländer heruntergeholt habe. Junger Mann, schalten Sie niemals, niemals das Lichtenstein-Radargerät ein!!!“

„Warum sollte ich es einschalten? Das ist doch die Aufgabe des Radarbeobachters, ich komme da vom Pilotensitz auch gar nicht dran. Aber irgendwie haben Sie mich neugierig gemacht, Herr Theissing.“

„Ich zeige Ihnen mal was. Sie sind ja auch Flieger, Sie werden das verstehen. Sie sind ja nicht so, wie diese Ignoranten hier, die nur ihren lächerlichen Film im Kopf haben.“

„Da bin ich aber gespannt.“

„Sehen Sie, hier“, der Blauäugige beugte sich ins Flugzeug und deutete auf das Funkgerät, „auf 41,4 Mhz sind sie noch zu hören, meine beiden Radarbeobachter – hören Sie genau hin, junger Mann!“

Herr Theissing drückte mir den Kopfhörer auf.

Es knackte, rauschte und knisterte fürchterlich.

Ich schob die beiden Muscheln etwas nach vorne.

„Es sind nur Interferenzen zu hören“, sagte ich.

„Sie müssen genau hinhören, ganz genau!“

Ich tat dem alten Mann den Gefallen weil ich ihn nicht verletzen wollte, und ich hörte tatsächlich eine Stimme, verzerrt vom Fading, ganz leise über dem Rauschen: „Herr Hauptmann, ein Zacken! Genau vor uns, Entfernung etwa fünf Kilometer kommt näher!“

Wie ein Brecher setzte das Rauschen verstärkt ein, aber die Stimme blieb: „... Entfernung zwei Kilometer, er muss etwas unter uns sein – können Sie ihn sehen? Er wandert etwas nach links ab Halt, so ist gut, er muss genau vor uns sein! Herr Hauptmann, sehen Sie ihn? Sie müssen ihn sehen … jetzt tauchen weitere Zacken auf … danke, Herr Hauptmann, viel Glück ...“

Die Stimme verschwand, als verhallte sie in der Unendlichkeit.

Ich nahm den Kopfhörer ab, irgendwie müssen sich meine Nackenhaare gesträubt haben, und ich fröstelte.

„Glauben Sie's mir nun, junger Mann?“

Ich nickte.

„Zweimal sind mir die Beobachter aus der Kanzel verschwunden – aus der Kanzel dieses Flugzeuges, nachdem sie das Radargerät eingeschaltet hatten – ich habe sie noch gehört, nachdem sie längst nicht mehr da waren – sie waren einfach weg – auf den Antennen vorne war eine bläuliche Corona – St. Elmsfeuer! Die Seeleute wussten, warum sie behaupteten, dass es Unglück bringt, wenn diese St. Elmsfeuer auftreten …“

„Aber die Leute können doch nicht einfach verschwinden, das gibt es doch nicht!“

„Doch, das gibt es! Wo die sind das weiß keiner. Sie sind aber mit diesem Gerät noch zu hören, auf 41,4 Mhz - unsere Frequenz damals – und es sind immer wieder die gleichen Worte – die Worte, mit denen mich der Oberfeldwebel Bauer damals an die Bomber heranführte! – Als ich landete, war sein Platz leer – aber ich hörte ihn noch – er beglückwünschte mich zu meinem

Abschuss …“

„Was hat das denn mit dem Radargerät zu tun?“ fragte ich mit spröder Stimme.

„Es lässt den Mann, der es einschaltet, verschwinden! Nach Bauer wurde mir Beining zugeteilt. Vor dem Start ließ ich die Kanzel von außen versiegeln Beining war fort, bei der Landung, das Radar eingeschaltet und das Siegel unbeschädigt! – Wir haben diese Maschine dann weit weggeschoben – unter die Bäume des nahen Waldes. Ich bekam eine andere Maschine. – Tja, die Mustangs der Amis haben unseren Platz dann dreimal zur Sau gemacht, alles zusammengeschossen – bis auf dieses Flugzeug hier! Später kamen dann die Tommys und haben alles mitgenommen, was noch heile war – auch diese Maschine! – Und jetzt ist sie wieder da, nach über vierzig Jahren.“

Ich atmete schwer aus und sprang mit weichen Knien von der Tragfläche.

Herr Theissing brachte mich und mein Gepäck in den schwarzen Ochsen. Ich trug meinen Koffer aufs Zimmer, packte aus und duschte ausgiebig. Irgendwie machte sich ein Gefühl der Hilflosigkeit in mir breit, ich war froh, dass Herr Theissing mich zum Abendessen abholte.

Ich stillte meinen fürchterlichen Hunger und löschte meinen Durst mit etlichen Bieren, Herr Theissing erzählte von damals, von den Nachtjägern, von Hauptmann Knacke, Hauptmann Lent, Heinrich Prinz zu Sayn-Wittgenstein und noch einigen bekannten Nachtjägern.

Ein Haufen Kleindarsteller tauchte plötzlich auf, orderte eine Flotte Taxis um in die Stadt zu fahren und sich dort zu entspannen. Ebenso schnell und lautstark wie sie gekommen waren verschwanden sie wieder, und Freya erschien.

Freya, die Kastanienhaarige!

Aber sie kam nicht zu mir, sie blieb an der Theke sitzen und begann, Campari in sich hineinzuschütten. Ein Mann, der so aussah wie der örtliche Metzger, versuchte sein Glück bei ihr und erzählte von seinem Laden.

Herr Theissing, ritterlich wie er war, stand auf und bat Freya an unseren Tisch. Sie glitt vom Hocker, nahm ihr Glas und setzte sich neben mich, jetzt trug sie ein schweres, fast schwülstiges Parfum.

Der Metzger bestellte sich ein Bier und einen Korn.

„Hat Schmitz Ihnen das Drehbuch schon gebracht?“ eröffnete Freya das Gespräch.

Ich schüttelte den Kopf:

„Er wird's mir sicher morgen geben.“

„Morgen haben Sie einige Stunts zu fliegen, ich glaube kaum, dass Sie dann noch Zeit zum Lesen haben werden!“

„Hm“, machte ich, „können Sie mir die Story nicht mal kurz erzählen?“

„Naja, im Prinzip ein typisches, deutsches Schicksal während des Krieges. Es beginnt 1936 bei den olympischen Spielen. – Also: Während der Spiele lernt die deutsche Langstreckenläuferin Eva Rube einen englischen Zehnkämpfer, den William Stormthal kennen und lieben. Stormthal studiert Sprachen, auch Deutsch“, fuhr Freya fort, „und kommt bis zum Ausbruch des Krieges hin und wieder nach Deutschland. Bis 1942 können Eva und Stormthal über eine Deckadresse in der Schweiz Verbindung halten, aber dann reißt diese ab.“

Freya trank einen langen Zug aus ihrem Glas.

„Wo bleiben denn jetzt die Nachtjäger?“ fragte ich.

„Moment“, Freya setzte ihr Glas etwas hart ab.

„Es kommt nun so, dass Eva in einer Jägerleitstelle eingesetzt wird. Sie arbeitet vorwiegend nachts und hat die Aufgabe, 'ihren' Nachtjäger an die englischen Bomber heranzuführen bis die Bomber von den Bordradargeräten der Nachtjäger erfasst werden. Ist das sachlich richtig, Herr Theissing?“

Der Blauäugige zuckte zusammen, er hatte die ganze Zeit etwas zusammengesunken über seinem Weinglas gesessen.

„Ja, das ist im Prinzip richtig, wenn auch die Zuordnung der Mädchen im sogenannten 'Gefechtsopernhaus' zu 'ihren' Nachtjägern nicht so ganz eindeutig war. Aber mit der Zeit erkannten wir die einzelnen Stimmen im Leitstand. Das war auch insofern wichtig, als dass die Briten deutsch sprechende Besatzungsmitglieder mitfliegen ließen, die so taten, als wären

sie der diensthabende Jägerleitoffizier. Diese Männer versuchten natürlich, die Nachtjäger in die Irre zu führen. – Aber das war vor dem Einsatz des Lichtensteinradars. Und dann warfen die Briten Düppelstreifen …“

„Herr Theissing! Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass die gesamte Dramatik des Films auf dem deutsch sprechenden Besatzungsmitglied ruht! – Auf derartige Details kommt es doch nun wirklich nicht an!“

„Oh, doch, es kommt darauf an! Diese Drehbuchschreiber hätten nur ein einziges Mal mit dabei sein sollen!“

„Herr Theissing, wir drehen hier weder einen dieser primitiven Kriegsfilme, in denen nur rumgeballert wird, noch versuchen wir falschen Heldenpathos darzustellen. Wann begreifen Sie das endlich!“

„Könnte ich vielleicht erfahren, wie die Geschichte weitergeht?“ versuchte ich zu schlichten.

Herr Theissing tat mir leid, er besaß ein unbezahlbares Fachwissen auf diesem Gebiet, aber dieses Wissen war nicht gefragt.

„Natürlich“, fuhr Freya fort. „Im Lauf der Zeit lernt Eva auch 'ihren' Nachtjäger kennen: Hauptmann Brauner.

Sie hat zwar Stormthal nicht vergessen, entwickelt aber eine gewisse Sympathie für Brauner, zumal sie ein recht gutes 'Gespann' werden.

Eines Abends erzählt Eva Hauptmann Brauner sogar von William Stormthal, was Brauner gefasst aufnimmt. Er macht ihr sogar einen Heiratsantrag. Eva verspricht, darüber nachzudenken, nach dem Endsieg zu heiraten.

Brauner erringt zahlreiche Luftsiege, verweist aber immer auf seinen 'Engel am Boden'. Stormthal ist in den Dienst der Royal Air Force getreten. Er fliegt als deutsch sprechendes Besatzungsmitglied bei den Bombern mit.

Seine Aufgabe besteht darin, den deutschen Sprechfunkverkehr abzuhören und so zu tun, als wäre er der diensthabende Jägerleitoffizier am Boden. Durch entsprechende Funksprüche versucht er, die Nachtjäger in den leeren Himmel

umzuleiten. Dieses passiert natürlich auf der deutschen Funkfrequenz …“

„38 - 42 Mhz“, murmelte Herr Theissing.

„sodass man sich natürlich gegenseitig hören konnte“, fuhr Freya mit leicht zuckenden Mundwinkeln fort, „zum dramatischen Höhepunkt der Geschichte kommt es, als Eva eines Nachts im Leitstand die Stimme Stormthals hört und

erkennt. Die Liebe zu Stormthal erwacht erneut, aber Brauner ist wieder in der Luft. Eva ist nun verpflichtet, Brauner an ihren Geliebten heranzuführen.

Auch Stormthal erkennt die tränenerstickte Stimme Evas am Boden, und er versucht immer verzweifelter, die Deutschen Nachtjäger in die Irre zu führen.

Brauner erkennt die Situation. Soll er den Geliebten Evas abschießen, oder so tun als ob er auf den Engländer hereinfallen würde?

Oder bewusst danebenschießen und ohne Luftsieg heimkehren?

Oder Ladehemmung vortäuschen? – Eine phantastische Geschichte, nicht wahr?“

Freya trank ihr Glas leer.

„Tja“, sagte ich und drehte das Glas mit dem inzwischen abgestandenen Bier darin, „soll ich die Geschichte mal eben zuende erzählen? Wir können ja auch eine kleine Wette abschließen, um die Zeche des heutigen Abends. Wenn ich das Ende richtig erzähle, zahlen Sie, wenn nicht, halte ich Sie frei.“

„Die Wette nehme ich an“, sagte Freya, „da bin ich aber gespannt.“

„Brauner schießt natürlich“, sagte ich, „da er befürchtet, dass der Jägerleitstand, in dem Eva Dienst tut, bombardiert werden könnte. Der Bomber, in dem Stormthal sitzt, beginnt zu brennen, Stormthal teilt Eva mit, dass er sie liebt – und stirbt in den Flammen. Die ersten Bomben fallen in die Nähe der Jägerleitstelle.“

Freya runzelte die Stirn, ich lächelte, trank einen Schluck von dem abgestandenen Bier und fuhr fort: „Das Mädchen neben Eva hat die Tragödie mitbekommen und verstanden. Sie versucht Eva zu trösten und ihr klarzumachen, dass sie möglicherweise eine Bombe aus dem Flugzeug ihres Geliebten getötet hätte, wenn Brauner ihn nicht abgeschossen hätte. – Eva steht auf und geht nach draußen. Sie verschwindet in Qualm und Rauch. Wenig später landet Brauner gegen die aufgehende Sonne. Open End. – Kriege ich noch ein Bier?“

„Man könnte meinen, Sie hätten das Drehbuch doch schon gelesen“, sagte Herr Theissing.

Freya sagte nichts. Mit gebieterischer Handbewegung orderte sie neue Getränke.

„Da fällt mir noch ein Problem auf“, fuhr Herr Theissing fort, „Sie haben erzählt, dass der deutsche Flieger den Engländer in dem Bomber hat sterben sehen. Das war absolut unmöglich! Wir gingen mit Hilfe des Radars aus der Überhöhung an den Bomber heran bis wir ihn sehen konnten, unterflogen die Maschine dann weil kein englischer Bomber Devensivbewaffnung nach unten besaß, und schossen dann mit der 'schrägen Musik' – das sind bei der Bf 110 zwei 30mm MK 108 Kanonen gewesen, die schräg hoch nach vorne gerichtet waren.“

Freya sank in sich zusammen und verdrehte die Augen. Doch der alte Mann fuhr fort: „Mit diesen Waffen schossen wir von unten in die Bomben oder die Tragflächentanks. Ich habe niemals auch nur einen einzigen Engländer zu Gesicht bekommen, sowas ist absolut unmöglich! – Es gab da allerdings eine Ausnahme …“

„Eine wesentliche dramaturgische Komponente beruht aber darauf“, fiel Freya dem alten Mann ins Wort, „wir können nicht auf diese Szene verzichten! Es ist vorgesehen, dass sich der Bomber zur Seite neigt, und der Nachtjäger dann neben ihm fliegt. – Sagen Sie mal, HerrTheissing, wo saß dieser deutsch sprechende Mann überhaupt?“

„Ich nehme an, bei dem Funker, hinter den beiden Piloten.“

„Was heißt: 'Sie nehmen an?' Saß er dort, oder nicht?“

„Ich habe nur ein einziges Mal das Wrack eines britischen Stirlings gesehen. – Außerdem flog die 101.Staffel, die diese Aufgabe erfüllte, die `Lancaster`, keine 'Stirling'!“

„Weichen Sie doch nicht aus! – Also, Sie wissen es nicht!“

„Verdammt, woher denn? Außerdem flogen die Flugzeuge mit diesen Sonderaufgaben stets in der Mitte der Formation, ein Herankommen an diese Maschinen war nahezu unmöglich!“

„Das ist absolut uninteressant im Moment! Sie wissen also nicht, wo dieser deutsch sprechende Mann saß! Wozu haben wir Sie denn als Berater?“

„Ich habe Sie bereits früher drauf aufmerksam gemacht, dass Sie das falsche Flugzeug für Ihren Film benutzen, aber das haben Sie ja alles ignoriert! Wenn Sie mich etwas eher informiert hätten, hätte ich mich in diesem Punkt auch rechtzeitig kundig gemacht.“

Das Weinglas in der Hand Herrn Theissings ging mit leisem Knirschen zu Bruch.

„Entschuldigung“, murmelte der Mann, stand auf und verbeugte sich leicht, „'ziehe mich jetzt zurück … spät geworden heute.“

Mit hängenden Schultern verließ Herr Theissing den Gastraum.

Ich trank noch einen Schluck schales Bier. Der alte Mann tat mir leid.

„Thei-Sing raubt mir den letzten Nerv“, murmelte Freya, „dauernd mischt er sich überall ein.“

„Wie ich das so sehe, will der Mann gebraucht werden“, sagte ich, „mir stoßen falsche Details in historischen Filmen auch immer sauer auf. Die Story wirkt durch falsche Details doch unglaubwürdig.“

„Thei-Sing mag zwar recht haben, mit dem, was er gesagt hat, aber wir können aus rein kommerziellen Gründen nicht genau an der Geschichte bleiben! Wenn die Leute im Film alle mit den Wehrmachtsfrisuren rumlaufen würden, wäre das heute doch unfreiwillig komisch, oder?“

Eine Antwort blieb mir glücklicherweise erspart, denn der Wirt räumte ab, wischte über den Tisch, stellte uns gefüllte Gläser hin und ging wieder.

Freya sah mich an, ich sah sie an.

„Wir sollten uns eigentlich vertragen“, sagte ich.

„Für die Dauer des Films - ja“, lächelte Freya und hob ihr Glas. Wir stießen an, sie mit Campari, ich mit Bier.

In üblichen Filmen wird in solchen Situationen immer mit Champagner angestoßen, und dann übernimmt der Mann – und gewinnt – zumindest für die Nacht.

Das erste Mal in diesem Leben saß die Kastanienhaarige so friedlich neben mir, als erwarte sie, dass ich Regie führen würde. Bisher hatte sie es immer getan, wenn es um uns ging. Überhaupt hatte ich bloß immer reagiert, es wurde Zeit, selber etwas zu tun!

Ich stand auf. Freya blieb sitzen, mit leicht gesenktem Kopf, und sie fuhr mit der Zungenspitze über ihre tiefroten Lippen, und sie lächelte mich mit diesen glänzenden Lippen an.

„Gehen wir?“ fragte ich.

Freya lächelte.

Tiefgründig.

Geheimnisvoll.

„Geh' schon mal“, sagte sie.

Ich ging in mein Zimmer, und ich ließ die Tür unverschlossen.

Freya kam nicht.

Der nächste Vormittag ging mit Einkleiden und Friseurbesuch dahin. Meine schönen, langen Haare und der Bart fielen, alles für den Film, aber ich sollte ja, zumindest von hinten, dem Hauptdarsteller ähnlich sehen.

Und dann, sagte Freya mit eisiger Mine, sollte ich mich bereit halten. Kein Wort über die letzte Nacht. Freya war cool und emotionslos, kein Muskel bewegte ihr Gesicht. Sie hastete mit ihrem Klemmbrett unter dem Arm umher, war überall und nirgends und erteilte knappe Befehle.

Einige Flüge über freiem Gelände sollten anstehen, aber irgendwo war noch eine neuzeitliche Landmaschine unterwegs, ich sollte warten.

In der Halle wurde inzwischen irgendetwas gedreht, ich bekam nichts davon mit. Herr Theissing saß bei mir unter der Tragfläche Liliths und erzählte, schüttete mir förmlich sein Herz aus:

„... und dann war da noch die Sache mit den Deckungslöchern. Ich habe die Leute drauf aufmerksam gemacht, dass diese Löcher meistens voller Regenwasser waren. Am nächsten Tag kam ihr sauberer Regisseur mit 'seiner' Idee heraus, die Leute nach dem Tieffliegerangriff, der die Tage noch gedreht werden muss, schlammbeschmiert aus den Löchern steigen zu lassen.

Dramaturgischer Kunstgriff – lächerlich!“

Herr Theissing erzählte viele solcher Geschichten während ich einfach nur dasaß, rauchte und zuhörte.

„... am 20.10.44 hatten wir eine unserer schwärzesten Nächte. Über 2000 Tonnen Bomben hat die RAF über Stuttgart abgeworfen, über 500 Maschinen, wir haben nur fünf oder sechs erwischt, einfach zu spät gefunden …“

Herr Theissing hielt inne, überschattete seine Augen mit der Hand und blickte in den Himmel. Motorengeräusch klang auf, ein Flugmotor.

„Ein Sternmotor“, sagte Herr Theissing, „Pratt & Whitney - 'Wasp', wenn ich mich nicht irre. Da bin ich aber gespannt, wo der drinsteckt, und was die uns da als Tiefangriffsflugzeug verkaufen wollen!“

„Die 'Mustang' kommt!“ schrie irgendwo jemand, „los, Beeilung.“

Plötzlich war Freya da: „Los, Sie müssen gleich fliegen, wir haben die Mustang nur heute. Beeilen Sie sich bitte.“

„Natürlich.“

Ich stand auf. Ein bulliger Tiefdecker tauchte hinter den Bäumen auf und fuhr sein Fahrwerk aus.

„Eine North American 'Harvard' Mk IIB“, sagte Herr Theissing, „ein Schulflugzeug! Sowas können Sie den Zuschauern nie im Leben als Jäger verkaufen!“

Die Harvard setzte zur Landung an.

„Die Hoheitsabzeichen sind zu klein, die Kennungen zu groß“, fuhr Herr Theissing fort, aber Freya unterbrach ihn: „Mann Gottes, hören Sie endlich auf! Das merkt doch keiner! Dass der heute schon kommt, schmeißt unseren ganzen Drehplan durcheinander. Los, kommen Sie, wir haben die Kiste da nur heute, bis es dunkel wird, muss die Szene gestorben sein! – Schmitz! Setzen Sie mal die Feuerwerker in Bewegung!“

Ich hatte Mühe, hinter Freya herzulaufen, zur Besprechung.

Ich rannte.

Mühsam, wie im Alptraum kam ich vorwärts.

Die Schwimmweste kniff unter den Armen, die langschäftigen Stiefel drückten.

Genau vor dem mit einem Stiefelabsatz in den Rasen gezogenen Strich ließ ich mich fallen.

Einschüsse aus Bordkanonen wuchsen wie winzige eruptierende Vulkane wie von einer Schnur gezogen mit rasender Geschwindigkeit auf mich zu.

Ich warf mich zur Seite, die Vulkanreihe floss an mir vorbei, ich sprang wieder auf und rannte weiter.

Dumpf grollend sprangen die Motoren der Bf 110 vor mir an, mit einem riesigen Sprung war ich auf der linken Tragfläche, zwei Hände griffen nach mir, halfen mir in den Sitz und rasteten das Schloss der Gurte ein.

Ich ließ die Motoren aufbrüllen und rollte an, während sich das gläserne Halbrund über mir schloss.

Im gleichen Moment löste sich ein Feuerball aus der Attrappe des Fieseler Storchs neben mir, und mit meinen Propellerböen drängte ich den schwarzen Qualm aus dem Wrack in den Wald hinter mir. Weit vor mir fuchtelte ein Mann wild mit den Armen. Ich schwenkte auf die Startbahn, ließ Lilith die Piste

entlang toben, zog sie hoch, fuhr das Fahrwerk ein und ging in eine steile Kurve. Die Harvard mit den amerikanischen Sternen auf Rumpf und Tragflächen kam wieder und schickte sich an, ein drittes Mal feuerspeiend über den Platz zu jagen.

Das Timing war perfekt. Ich hängte mich hinter sie, kurz bevor sie über dem Platz war, begann ich zu schießen. Ich ließ den Daumen auf der Taste am Steuerknüppel bis der Flugplatz hinter mir zurückblieb.

Die Harvard bog, eine Qualmfahne hinter sich herziehend, in weitem Bogen in den Himmel; - die Kamera würde jetzt auf ihr bleiben, bis zu der getricksten Explosion.

Ich ging etwas in die Höhe und kam mit einem steilen Slip wieder zum Platz zurück, weit weg, ich konnte sie gerade noch sehen, turnte mir die Harvard entgegen, wenige Atemzüge später flogen wir feuerspeiend aufeinander zu – genau über dem Platz schossen wir dicht über dem Boden haarscharf aneinander vorbei.

Noch eine gerissene Kurve in Bodennähe, die Maschine gierte in den Propellerböen, ich flog dicht über die Kamera zwei, sie würde hoffentlich mitschwenken, und hängte mich wieder hinter die Harvard, jagte sie in weitem Bogen auf den Platz zu.

Wieder ließ ich vorne an den Attrappen der Bordkanonen kleine Flämmchen tanzen und jagte die Harvard einmal rund um den Platz hinter die Halle.

Riesig wuchs ein Feuerball vor mir auf, ich jagte durch, zog etwas hoch, nahm das Gas zurück und kam im Bogen wieder auf den Platz zurück.

Klappen und Fahrwerk raus, kurz wackeln, aufsetzen, Gas zurück, ausrollen, langsam vor die Baracke.

Einige Männer sprangen auf die Tragfläche und öffneten die Kanzel.

Ich stellte die Motoren ab, hörte, wie irgendjemand „AUSI“ brüllte und kroch erschöpft aus dem Sitz.

Eine Kamera wurde an das Flugzeug gefahren, und der Schauspieler, der den Hauptmann Brauner spielte, nahm lächelnd an meiner Stelle in der Bf 110 Platz.

Ich ging einige Schritte hinter die Kamera und zündete mir eine Zigarette an. Die Harvard schwebte ein, die Filmleute fluchten und blieben stehen wo sie standen, bis die Maschine weit hinten vor die Halle gerollt war und der Pilot den Motor abgestellt hatte.

Ich schnallte die Schwimmweste ab, rauchte und sah zu, wie Hauptmann Brauner festen Schrittes lächelnd über die Tragfläche ging und federnd zu Boden sprang. Ein blondes Mädchen lief auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Sicher die Eva.

„Tadellos, junger Mann, wirklich tadellos!“ Herr Theissing setzte sich neben mich, „Männer wie Sie hätte ich damals brauchen können.“

„Um Gottes Willen“, sagte ich und hob ihm meine Zigarettenschachtel hin.

„Danke, aber der Arzt hat es mir verboten, wegen meines Magens. 'mache es sowieso nicht mehr lange!“

„Na, nicht so bitter, Herr Theissing, Sie haben sich doch einen ruhigen Lebensabend verdient.“

Der alte Mann lachte bitter:

„Ich will keinen ruhigen Lebensabend, ich weigere mich zu glauben, dass das schon alles gewesen sein soll. Ich habe geglaubt, dass dieser Film hier einen gewissen Abschluss darstellen würde, weil im Vorspann 'Technische Beratung: Huschke Theissing' erscheinen wird, aber bei dem, was die aus dem Stoff gemacht haben, will ich das nicht mehr, alles ist irgendwie nicht richtig, der ganze Film gibt ein völlig falsches Bild wieder. Nehmen wir doch mal die Szene eben. Sie haben ihre Sache großartig gemacht, aber in Wirklichkeit wurden die

Tieffliegerangriffe von P51 'Mustang' oder britischen 'Tempest' geflogen, und ich kann Ihnen sagen, die verstanden ihr Handwerk! Die hätten keine drei Anflüge gebraucht! Einen Meter über dem Boden begann amerikanisches Hoheitsgebiet, Sie wären während eines Angriffs niemals hochgekommen, und Sie hätten mit einem zweimotorigen Flugzeug niemals eine Mustang ausgekurvt! Zudem waren unsere Nachtjäger mit dem FuG 220 'Lichtenstein' SN-2 - Radargerät viel zu wertvoll für derartige Einsätze. Das FuG 220 war zudem noch so geheim, dass wir nicht über Feindgebiet fliegen durften, insofern war die Schwimmweste auch Quatsch! Ich habe die Dubronsky darauf

aufmerksam gemacht, sie ist einfach weggegangen. – Au, mein Magen.“

Herr Theissing fasste sich an den Unterleib und schloss für einen Moment die Augen.

„Ich kann Sie verstehen“, sagte ich, „wie lange haben Sie das schon?“

„Was?“

„Das mit Ihrem Magen.“

„Seit Kriegsende. Zwischendurch hat es sich mal gebessert. Wissen Sie, als die Bundeswehr aufgestellt wurde, habe ich mich gemeldet, Herrgott, ich habe ja nichts anderes gelernt, als Fliegen, ich bin Jahrgang 22, zu alt wiederum für die F86 damals, da ging's wieder los mit dem Magen. Naja, 'habe mich dann während des Wirtschaftswunders als Vertreter für Damenunterbekleidung hochgearbeitet. Bis zum Abteilungsleiter eines Kaufhauses. Aber das Haus machte dicht, und mich haben sie in Rente geschickt, zu alt für eine neue Vermittlung. Dabei hätte ich es noch zehn Jahre gemacht mindestens!“

„Das ist natürlich hart. Ich wette, da bekamen Sie auch wieder Magenbeschwerden, und organisch war nichts festzustellen. Ich kenne das, mir ging's auch mal so. Ich habe mal in einer größeren Firma gearbeitet, mit vielen Abteilungen. Mein Abteilungsleiter brüllte Morgens immer erst mal rum, von Wegen 'meine Herren, wir sind hier nicht im Sanatorium!', und dann stand er den ganzen Tag nur vor dem Aktenschrank und passte auf, dass wir auch alle schön arbeiteten. Scheiße, die Leute wurden alle krank!“

„Kann ich verstehen“, sagte Herr Theissing.

„Jetzt kriege ich immer Kopfschmerzen, wenn mir jemand so kommt.“

„Nach dem Krieg ging es erst los mit meinem Magen“, fuhr Herr Theissing fort, „gestern noch als Held hochgejubelt, und heute ist alles verkehrt.“

„Ja, es haben sich nach dem Krieg viele umgebracht, weil sie mit dieser Situation einfach nicht klar kamen. Sie bringen Sich hier unwahrscheinlich ein, Herr Theissing, selbst auf die Gefahr hin, dass Sie sich unbeliebt machen. Ich könnte das, ehrlich gesagt nicht. Ist schon ein Scheißspiel, das Ganze.“

Der Pilot der Harvard kam zu uns. Er war irgendwo Co-Pilot, ich hatte ihn bei der Besprechung für die Flugszene kennen gelernt. Für einen Haufen Geld hatte er die Maschine, die irgendeinem Club gehörte, schnell und lieblos mit Wasserfarben auf Amerikanisch getrimmt und für einen Tag an die Filmgesellschaft verschachert.

Irgendwie kam ich mit ihm nicht klar, er sah das hier nur als Gelegenheit zum Geldverdienen. Zudem war er Vegetarier, rauchte nicht und trank nicht.

Zum Glück kam Schmitz, verteilte Dialoglisten wie andere auf Fußgängerzonen Handzettel verteilen, und sagte zu dem Harvard-Mann: „Sie sollen zur Regieassistentin kommen!“, und zu mir: „Sie haben für heute Feierabend.“

Kein Wort für Herrn Theissing.

„Für mich gibt's dann ja wohl auch nichts mehr zu tun“, sagte der alte Mann, „soll ich Sie ins Hotel mitnehmen?“

„Ja, gerne. – Ich möchte allerdings noch mal schnell nach den Schmiermitteln gucken.“

Wir checkten Lilith gemeinsam durch, füllten Öl nach und fuhren in den Schwarzen Ochsen während die Harvard über dem Gelände rumflog.

Herr Theissing verabschiedete sich für den Tag, er wollte sich und seinem Magen etwas Ruhe gönnen.

Draußen hing wieder der Vollmond im Himmel, rund und silberhell.

Ich legte mich auch aufs Bett, starrte an die Decke und versuchte meine Gedanken zu ordnen.

Dieser Film hier; - irgendwie war er wie das Leben an sich!

Ich hatte den Regisseur noch nicht zu Gesicht bekommen, aber er war irgendwo, zog die Fäden, und alle reagierten. Nur derjenige, der wirklich etwas von der Materie verstand, Herr Theissing, wurde ignoriert -, oder galten hier -, oder nicht nur hier -, andere Gesetze, die zu erkennen und zu definieren ich

noch nicht in der Lage war?

Ich suchte nach dem Maßstab mit dem gemessen wurde, und ich glaubte ihn in Lilith zu finden, irgendwie.

Dort musste es sein, das Verbindungsglied von dieser Welt zu irgendeiner Welt? - Zeit? - Ebene? - was auch immer -, zu - was

eigentlich? -, in Lilith, denn bei Vollmond ist immer alles ganz anders …

Ich wollte aufstehen, zum Flugzeug rennen, das Radargerät ausbauen – faszinierende Technik, ein Radargerät mit Röhren: Klystrons, Magnetrons -, nicht umsonst schien ich derzeit bei der Bundeswehr eins der letzten mit Röhren bestückten Radargeräte, das MLQ-24, gewartet zu haben. Damals schon hatten alle über die prähistorische Technik die Nase gerümpft. Ich müsste Herrn Theissing fragen, ob es Vollmondnächte waren, in denen seine Beobachter verschwanden. Iirgendwann riss die Erschöpfung ihren Rachen auf und schlang mich herunter.

Sie spie mich wieder aus, als das Telefon neben meinem Bett klingelte.

Freya rief mich an!

Freya, die Kastanienhaarige.

„Komm' doch einfach mal runter – Zimmer zwölf …“

Ich glaubte, durchs Telefon ihr Parfum zu empfangen, sie bat mich zu sich! Freya bat mich zu sich; - wir hatten unsere Fehde vorläufig begraben; - und sie hatte hoffnungsvoll, verheißungsvoll gelächelt; - gestern.

Ich duschte und zog mich um, wollte mich rasieren und stellte fest, dass ich verbumfiedelt hatte, mir Rasierzeug zu besorgen.

Dann eben nicht!

Die Tür zum Zimmer zwölf war nicht verschlossen, ich ging einfach hinein.

Freya!

Sie stand am Fenster, sah hinaus, drehte sich langsam zu mir, und ihr Nachtkleid war im silbernen Gegenlicht des Vollmondes fast durchsichtig – fast.

Mir fiel der Schluss eines Filmes ein, eines Kunstfilmes; - die beiden Protagonisten gehen vor der Sonne her und in eine dunkle Höhle. Zurück zu dem Ursprung!

Freya zog die Gardinen zu.

Die Kamera folgt den beiden in die Dunkelheit, der Zuschauer hört nur noch Wasser tropfen …

Duft umfing mich, der Duft von Hanf, Mohn und etwas undefinierbarem, und eine körperliche Berührung folgte, sanft, nur mit den Brustspitzen.

Ich hörte nur mein Blut rauschen, zwei Hände legten sich auf meinen Rücken, die Berührung wurde größer, ich hob meine Hände auf Freya Schulterblätter und ihre Wange legte sich an meine.

Reglos stand ich, während sich nur Freya Wange bewegte, und ihr Mund wanderte zu meinem, und ihre Lippen trafen mich, Lippen heiß, heiß wie der Zylinderkopf eines Flugmotors.

Ich fühlte mich leicht taumelig, aber ich fühlte mich todesbereit, als die Kastanienhaarige sich an mich drängte und in die Richtung des Bettes schob.

Aber es war nicht das absolute Ende, für das ich bereit war, es war der Schluss eines Lebensabschnitts, der Beginn von etwas neuem, ich wollte wissen, was danach kam.

In dem Moment, in dem meine Kniekehlen an die Matratze stießen, krachte die Tür auf.

Über Freya Schulter konnte ich den Mann im Türrahmen sehen, seinen fassungslosen Gesichtsausdruck und die Sektflasche in der Hand.

„Ha“, machte der Mann und Freya fiel von mir ab.

Die Hand des Mannes betätigte den Lichtschalter.

In Freya Gesicht tauchte ein Lächeln auf, ein zufriedenes Lächeln, das Lächeln, das bei einem guten Geschäft auftritt, oder wenn ein Plan funktioniert.

Der Mann trat an den Tisch und stellte die Sektflasche ab.

„Maurice! Ich habe dir doch gesagt, dass du akzeptieren musst, dass ich hin und wieder …“

„Ausgerechnet das Sackgesicht! – Und ich habe dir gesagt, dass ich jeden Mann kalt mache, mit dem du dich einlässt!“

Der Mann zog eine Pistole, Freya trat etwas zur Seite.

Der Mann krümmte den Zeigefinger. Ich werde nie diesen Gesichtsausdruck vergessen, mit dem zugekniffenen linken Auge, dem leicht hochgezogenen Unterlid des rechten Auges, und den diamantharten Falten um den Mund.

Klick.

Metallisch schlug der Hammer auf den Schlagbolzen.

‘Er hat nicht gespannt', dachte ich, 'die Pistole muss eine Double Action Only seinl'

Der Mann drückte nochmal ab.

Seltsam, dass ich mir in solch einer Situation Gedanken über die Waffe machte, die auf mich gerichtet war.

Klick

Jetzt endlich fiel die Todesbereitschaft von mir.

Ich sprang vor, griff die Sektflasche und wollte sie mitten in seinen fassungslos-staunenden Gesichtsausdruck schlagen, und ich schlug zu, aber ich traf ihn nur auf die Schulter.

Die Sektflasche fiel zu Boden, die Pistole auch, der Mann schrie auf, Freya blieb ruhig, ich bückte mich, steckte die Waffe ein.

„Scheiße“, sagte Freya, „hat wieder nicht geklappt! – Na, ich kriege Dich noch!“

Ich sprang zur Tür raus und schlug sie zu.

Ich ging einige Schritte, und dann wurden mir die Knie weich, ich lehnte mich an eine Wand.

Seltsam, dass bei mir immer alles hinterher passierte, hinterher fielen mir immer die besten Antworten auf irgendwelche Fragen ein, und jetzt fiel mir auf, dass Freya dem Mann das Schussfeld frei gemacht hatte!

Ein teuflisches Spiel, welches sie mit mir gespielt hatte; - ihr eifersüchtiger Liebhaber hätte mich sicherlich erschossen!

Wenigstens hatte ich die Pistole.

Ich stieß mich von der Wand ab, ging mit weichen Knien weiter, in die Gaststube, fand dort noch einen Platz an der Theke und setzte mich erst mal.

Links neben mir standen zwei gestandene Schauspieler und erzählten sich gegenseitig, dass sie noch die Alten waren.

Sollten sie, ich bestellte mir ein Bier, ein recht schönes großes, bat die junge Frau hinter der Theke stehen zu bleiben, als sie es mir hinstellte, trank es in einem Zug aus und bestellte noch eins.

„Na, Sie haben aber einen Brandl“

Das war eine Frauenstimme von rechts.

Ich drehte mich um und sagte: „Ja.“

Ich glaubte die Frau in der Kostümierung eines Blitzmädels mit zu kurzem Rock gesehen zu haben.

„Sind Sie nicht der Mann, der das alte Flugzeug für die Stuntszenen fliegt?“

Wenigstens hatte sie die '110' nicht als alte Kiste bezeichnet.

„Ja“, sagte ich.

„Ist das eigentlich schwer, solch ein altes Flugzeug zu fliegen?“ kam die nächste Frage.

„Nein“, antwortete ich.

„Darf ich mal mitfliegen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil Frauen in Flugzeugen Unglück bringen.“

„Wie kommen Sie denn da drauf? Sind Sie ein Macho?“

„Ja.“

„Was, und das geben Sie auch noch zu?“

„Ja.“

„Das habe ich ja noch nie erlebt, dass ein Mann zugibt, ein Macho zu sein.“

„Guck an.“

Ich stützte mein Kinn in die Handfläche und sah sie an.

Sie sah ausgesprochen arisch aus und hatte so blaue Augen, dass sie mühelos jeder Regierung standgehalten hätte.

„Was gucken Sie mich so an?“

„Kenne ich Sie nicht aus 'Himmel über Berlin'?“

„Nein, ich habe bisher nur fürs Fernsehen gearbeitet.“

Während ich mein zweites Bier anarbeitete, zählte sie die Titel einiger Tatortfolgen auf.

„Toll“, sagte ich nachdem sie fertig war, und ich mir den Schaum von der Lippe wischte.

Und dann schwiegen wir wieder ein Weilchen.

„Sind Sie immer so schweigsam?“ versuchte sie wieder ein Gespräch in Gang zu bringen.

„Nein“, antwortete ich.

„Die Straße runter ist eine Disco, da sind die anderen alle hin.“

„So?“

„Können Sie nicht tanzen?“

„Nein.“

„Das kann man aber lernen.“

„Wozu? Ich denk' nicht dran, Schritte auszuführen, die sich andere Leute ausgedacht haben.“

Ich trank mein Bier aus, sah sie an, sagte: „Tjaaah“, und bat die Bedienung, das Bier auf meine Rechnung zu setzen, wobei ich natürlich meine Zimmernummer erwähnte.

Leider blieb ich auch diese Nacht alleine, das blonde Blitzmädel kam nicht.



Am nächsten Tag sah ich mir 'meinen' Luftkampf an. Sie hatten meinen schönen Flug grob zusammengeschnitten, in einzelne, kurze Sequenzen zerlegt, und hin und wieder die Harvard eingefügt.

Nur eine Szene fand ich gut, die in der ich die Harvard hinter die Halle gejagt hatte. Es sah wirklich so aus, als wäre hinter der Halle ein Flugzeug explodiert, aber der Zuschauer wusste zunächst nicht welches, bis die '110' selbstmörderisch tief hinter der Halle hervorschoss.

Und dann jagten sie mich wieder in den Himmel.

Sie hatten die rechte Tragfläche der Baron, die mich hergeleitet hatte, oben grün gestrichen, und aus dem Loch der ausgebauten Tür hing einer mit 17-Kilo Kamera auf der Schulter.

Über Funk erhielt ich Anweisungen, wie ich zu fliegen hatte, und die Baron flog neben mir her.

Damit ging der Tag hin, Herr Theissing saß meistens vor der Baracke und wartete auf mich. Sonst sprach er mit niemandem, und niemand sprach mit ihm.

Als es dunkel wurde, vermeinte ich ins Hotel gehen zu können, aber Freya kam zu mir, als Herr Theissing mal kurz weg war, und sie meinte, ich sollte noch da bleiben.

„Was liegt denn an?“ fragte ich, „noch eine kleine Auseinandersetzung? Verbal oder mit Schusswaffen?“

Irgendwie fühlte ich mich sicher, mit der Pistole des Typen von gestern in der Tasche der Fliegerjacke.

„Idiot“, sagte Freya, „du musst nochmal starten wenn der Mond aufgegangen ist. Flieg' einfach mitten hinein. Klar? Du musst das noch mit den Kameraleuten durchsprechen! – Und mach' ja keinen Terz wegen gestern!“

„Keine Sorge. Es würde mich nur interessieren, ob das dein Liebhaber war.“

Freya bleckte ihre Zähne zu einem verkrampften Lächeln.

Das war nicht mehr das Lächeln von früher, von gestern Nacht!

Es war das Lächeln derjenigen, die eine Grube gegraben hatte, und die sich die Stelle genau gemerkt hatte.

Freya verschwand ruckartig, sicher weil Herr Theissing wieder kam.

„Was hat die denn auf einmal?“ fragte der alte Mann.

Ich war kurz davor, ihm die ganze Sache zu erzählen, aber ich ließ es sein. Stattdessen zuckte ich die Achseln:

„Sie wissen ja, der kann man nie was recht machen.“

Herr Theissing nickte trübe und folgte mir zur Besprechung in die Baracke.

Dort saßen noch einige Darsteller und die Kamerateams. Fast alle hatten eine Sektflasche in der Hand. Die beiden Schauspieler, die gestern an der Theke gestanden hatten, waren auch dabei, jetzt allerdings in Fliegeruniformen.

„Hallo Thai-Sing“, sagte einer, „hallo Tiefflieger. Wie tief soll's denn heute weiter gehen?“

„Grasnarbe anliegend“, sagte ich, „hoffentlich kriegt ihr eure Kameras soweit runter.“

Seltsamerweise lachten einige, einer drückte mir sogar ein Glas Sekt in die Hand.

Herr Theissing stand neben mir, er wollte keinen Sekt.

„Es ist doch immer wieder schön zu sehen, wie eine wahre Männerfreundschaft entsteht“, lästerte der Schauspieler weiter.

„Stimmt“, sagte ich und hob das Glas, „kommt ihr nachher auch alle, Urlaubsdias angucken?“

Trockener Sekt.

Ich trank das Glas leer und stellte es irgendwo hin. Ekelhaftes Zeug, mir war Bier lieber.

„Was liegt denn nun an?“, fragte ich einen der Kameramänner.

„Nichts Schlimmes. In einer halben Stunde müsste der Mond genau über dem Ende der Startbahn stehen. Du startest einfach und fliegst 'n paar Minuten genau auf ihn zu. Achte drauf, dass du immer genau zwischen Mond und Kamera bist. That's it.“

Ich versprach, darauf zu achten und trank noch ein Glas Sekt.

Eine halbe Stunde später rollte ich Lilith vor die Kamera und startete in den Vollmond.

Die Motoren sangen ihr sonores Lied, und die Stimme im Funk meinte, ich läge gut vor dem Mond.

Die Nach war hell, und mir fiel ein, dass sich während der letzten Vollmondnächte immer irgendwas ereignet hatte – irgendwas mysteriöses, aber diesmal stand nur der Vollmond im Himmel.

Nichts versetzte mich zurück in irgendeine frühere Zeit, keine Pfadfinder-Mosquitos mit den Zielmarkierungen in den Bäuchen flogen irgendwelchen Bomberströmen voraus, nicht einmal die einsame Wellington, die angeschossen und mit nur noch einem Motor mühsam nach Hause schleicht, möglichst noch vom Funker geflogen, weil der Pilot schwer verletzt ist, kreuzte meine Flugbahn, und dann meinte die Stimme im Funk, dass ich umkehren und landen sollte.

Na, gut.

Eine 180° Kehre und vor dem Mond wieder zurück. Herr Theissing würde da sein, mich mit ins Hotel nehmen. Ich würde noch ein Bier mit ihm trinken und dann schlafen gehen Ich wollte keine Hoffnungen mehr hegen, aber ich fand den Platz nicht mehr wieder. Das Filmgelände schon, aber die Idioten hatten alle Lichter gelöscht und der Mond war hinter einer Wolke verschwunden. Sicher hatten sie nicht daran gedacht, dass selbst der beste Pilot zum Landen ein Minimum an Beleuchtung braucht. Auch der Knabe an der Funke war sicher schon nach Hause gegangen, das Funkgerät jedenfalls rauschte nur noch, auch die seltsame Stimme des ehemaligen Beobachters war verstummt.

Ich legte den Schalter des Landescheinwerfers um, aber nichts flammte auf.

Der Mond war hinter der Wolke wieder aufgetaucht, aber während meines Fluges etwas weiter gewandert, hinter die Bäume des nahen Waldes, die Stelle auf der ich den Nachtjäger landen müsste, lag in absoluter Dunkelheit.

Voller Verzweiflung flog ich eine Platzrunde.

Die konnten doch nicht einfach ihre Szene drehen und abhauen, obwohl ich noch in der Luft war!

Noch eine Platzrunde.

Anscheinend konnten sie doch!

Ich flog noch eine Runde.

Endlich flammte irgendwo ein kümmerliches Licht auf, die Lampe über dem Eingang zur Baracke.

Und dann zwei Autoscheinwerfer am Anfang der Piste.

Wenigstens etwas.

Noch eine Runde, Fahrwerk und Klappen heraus, knapp über das Auto und in dem Lichtkegel gelandet.

Das ging gerade nochmal gut, ich ließ Lilith in die Finsternis hinein ausrollen, wendete und brachte sie vor der Halle zum stehen.

Ich atmete einige Male tief durch, stellte die Motoren ab, zündete mir eine Zigarette an und öffnete die Glaskuppel über mir.

'Oh, Mann', dachte ich während ich den Rauch durch die Nase ausstieß, 'die haben dich einfach vergessen!'

Neben mir erstarb das Geräusch eines Automotors. Eine Tür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen. Lilith wackelte ein wenig und dann erschien Herr Theissing neben mir.

„Junger Mann, sind Sie in Ordnung?“

„Ja, natürlich, alles klar.“

Ich löste die Gurte und stieg aus.

„Wo sind die denn alle hin, die Psychopathen?“

„Abgehauen!“ Herr Theissing lachte bitter, „nachdem die ihre Szene im Kasten hatten, haben die alles ausgeschaltet und sind weg, während Sie noch oben waren.“

„Aber der Typ an der Funke hat mir doch gesagt, wie ich fliegen und wann ich umkehren sollte.“

„Was für ein Funkgerät? Da war keiner am Funkgerät!“

„Dann werden es wohl wieder die Geisterstimmen gewesen sein“, sagte ich leichthin, allerdings wurde mir nachträglich etwas flau im Magen.

Herr Theissing sah mich einen Moment nachdenklich an.

„Entschuldigen Sie bitte“, fuhr er fort, „aber es hat einen Moment gedauert, bis ich wenigstens den Schalter für die Lampe an der Baracke gefunden hatte. Wie die Platzbefeuerung eingeschaltet wird, weiß ich leider nicht, ich bin dann mit meinem Auto zum Anfang der Piste gefahren.“

Herr Theissing winkte müde ab, „darf ich Sie denn ins Hotel mitnehmen?“

„Ich bitte sogar darum, Herr Theissing. Und dann möchte ich Ihnen für das, was Sie für mich getan haben, gerne einen ausgeben.“

„Ach, das brauchen Sie nicht.“

„Irgendwie möchte ich mich aber revangieren.“

Wir sprangen von der Tragfläche, dabei spürte ich die Pistole in der Tasche.

Ich zog sie heraus und richtete sie scherzhaft auf Herrn Theissing.

„Darf ich Ihnen jetzt einen ausgeben oder nicht?“

„Gut, gut“, der alte Mann hob beschwichtigend die Hände.

„In Ordnung“, ich schwenkte die Waffe herum, visierte, weil nichts anderes da war, was ich anvisieren konnte, die Lampe an der Baracke an und drückte ab.

Wummm löste sich ein Schuss, Klirrr ging die Lampe in Trümmer.

„Na, Sie machen aber seltsame Scherze, junger Mann.“

„Ach, Herr Theissing, diese Pistole war gestern auf mich gerichtet, der Mann hat abgedrückt – gestern ging sie nicht ...“



Später im Hotel erzählte ich Herrn Theissing doch die Geschichte mit der Pistole, und Herr Theissing war der Ansicht, dass ich wohl einen besonderen Schutzengel haben müsse, oder noch nicht ‚dran‘ war. Mir fiel auch keine andere Erklärung ein.

Herr Theissing ging früh schlafen, und ich auch bald in mein Zimmer.

Trotz des Vollmondes und meiner wirbelnden Gedanken schlief ich tief und traumlos, Herr Theissing brachte mich am nächsten Morgen wieder auf das Filmgelände.

Wir kümmerten uns zunächst um Lilith, setzten uns in den Schatten der Tragfläche, und dann kam Schmitz und sagte: „Sie sollen zur Regieassistentin kommen!“

„Ich hasse Befehle“, antwortete ich und stand auf.

Freya wühlte wieder in ihren Zetteln als Herr Theissing und ich bei ihr eintrafen.

„Ah, ja, Sie müssen nochmal eben einen Run fliegen“, sagte sie, „passen Sie auf! Wir brauchen einen Tiefflug über den Platz und die anschließende Landung. Wie tief können Sie mit dem Ding fliegen?“

„Wenn Sie mir ein Küchenmesser an die Antennen der Flensburg-Peiler binden, mähe ich Ihnen bei der Gelegenheit gleich den Rasen“, sagte ich.

„Was?“ fragte Freya.

„Das sind die Antennen an den Tragflächenspitzen“, hub Herr Theissing zu einem Vortrag an. „Der Flensburg-Peiler fing die Signale des englischen 'Monica' Heckwarnradars auf. Es brauchte einige Zeit, bis die Briten merkten, dass sie uns mit diesem Warngerät förmlich auf ihre Spur brachten …“

„Ja, ja, ist ja gut!“ fiel Freya ihm ins Wort, „beeilen Sie sich, das Licht ist gleich weg.“

Freya verschwand so ruckartig wie am ersten Tag.

„Sagen Sie, junger Mann, würden Sie mich mitfliegen lassen, hinten, auf dem Platz des Radarbeobachters?“, fragte Herr Theissing.

„Klar doch, wir Flieger müssen schließlich zusammenhalten gegen diese Ignoranten!“

„'Dank Ihnen, junger Mann!“

Einige Leute schoben Lilith auf das Flugfeld, ich sprach die Szene kurz mit den Kameraleuten durch, und dann war Herr Theissing wieder da.

Er trug eine Fliegerjacke und eine FT-Haube auf seinen weißen Haaren.

„Können wir?“

Ich nickte, und auf dem kurzen Weg zum Flugzeug ging Herr Theissing beinahe würdevoll neben mir her, als sei es eine kultische Handlung, stieg er in die Maschine und schnallte sich auf dem Sitz des Radarbetriebsspezialisten fest.

„Ja, das ist es, mein Lichtensteinradarl“ sagte Herr Theissing, „... mit der LB 7-Röhre, die Polarkoordinatoren anzeigt! Mein Gott, was hatten die damals Probleme mit der magnetischen Ablenkung …“

„Herr Theissing, bitte jetzt nicht“, ich schnallte mich an, „wir können heute Abend bei einem guten Tropfen darüber reden. Ich hab' sowieso noch einen Haufen Fragen an Sie. Aber jetzt möchte ich mich noch ein Wenig auf den Stunt konzentrieren, ich bin noch nie bewusst so tief geflogen!“

„Ja, ich kann es Ihnen nachfühlen! Herrgott, was würde ich dafür geben, jetzt an Ihrer Stelle sitzen zu können! Aber meine Augen sind nicht mehr die besten, von meinem Magen mal ganz abgesehen. – Na, junger Mann, viel Glück, machen Sie es gut, und denken Sie daran, es geht immer noch etwas tiefer!“

„Das haben schon viele gesagt, und die liegen jetzt ganz tief unter dem Boden.“

Mein Daumen senkte sich auf die Anlasser der Motoren, ein leichtes Vibrieren durchlief die Maschine, zwei dunkle Wolken hoben sich träge in die Höhe, und dann liefen die beiden Motoren rund.

Ich tourte sie kurz hoch und stellte die Gemischregler zurück, der kurze Chek vor dem Start lief fast mechanisch ab, Öldruck und Temperatur kamen sehr schnell.

Ein gutes Stück deutscher Wertarbeit, und das nach über vierzig Jahren, ich war wieder fasziniert.

Ich stülpte mir die Kopfhörer über die Ohren und schaltete die Bordsprechanlage ein, es rauschte einen Moment, und dann war

die Stimme von Herrn Theissing da, über dem Rauschen:

„... denken Sie dran, junger Mann, Tiefflüge mit hoher Drehzahl, die Propellerverstellung und die Spaltklappen sind das Wichtigste! Vergessen Sie das Höhenruder, am besten nageln Sie es fest, und trauen Sie niemals dem Höhenmesser, es können ...“

Weit vorne am Ende des Platzes gab mir einer das Startzeichen und die Bremsklötze wurden von den Rädern gezogen.

Ich spürte, wie sich Lilith frei zu fühlen begann.

Ich ließ sie, ich versuchte nicht ihr Meister zu sein, und sie tobte über die Graspiste und hob sich der untergehenden Sonne entgegen, sie tat es wie von selbst, als würde ein wesentlich erfahrenerer Flieger als ich die Ruder führen, fast automatisch fuhr ich das Fahrwerk ein und trimmte etwas nach.

Früher hatte ich immer Angst vor Tiefflügen, ich hatte Angst, plötzlich und ohne Grund den Knüppel nach vorne zu schieben und mich in die Grasnarbe zu bohren.

Die Frontscheibe vor mir, das 60 mm starke Panzerglas, wurde zum Bildschirm, zum Monitor, auf dem alles vor mir ablief, mein Gesichtsfeld engte sich ein, alles vor mir schien weit weg zu sein, das Armaturenbrett, das Rohr des Reflexvisiers und die senkrechten Stäbe der Hirschgeweihantenne vorne am Bug der Maschine und dann schienen plötzlich kleine, bläuliche Flammen auf diesen Stäben zu Wabern.

Ich schloss die Augen kurz, schüttele den Kopf, öffnete sie wieder und packte den Steuerknüppel eine Spur fester.

Ich ließ die Sonne aus der Frontscheibe wandern, den Wald neben dem Flugplatz unter mir durchstreichen, und dann lag der Flugplatz wieder vor mir, Lilith schmiegte sich an die Baumwipfel und senkte sich fast wie von selbst auf das Gras des Flugplatzes, die beiden Motoren zogen sie dröhnend wenige Zentimeter über den Boden, ließen sie fast spielerisch über die Kamera am Ende der Piste springen, und dann hob sich die Nase der Maschine wieder in den Himmel.

Ich atmete schwer durch, lehnte meinen Kopf einen winzigen Moment an die Panzerplatte hinter mir, fuhr das Fahrwerk aus, und das Flugzeug ging in den Landeanflug, ein leichter Bums, wie hingehaucht, die Räder rollten und kamen in der Mitte des Platzes zur Ruhe.

Auf meiner Stirn hatte sich Schweiß gebildet, ich wischte ihn fort und drehte mich um, sah an der Panzerplatte vorbei und wollte Herrn Theissing zulächeln aber der Platz hinten war leer, die beiden Zwillingskanonen der 'schrägen Musik' waren in grünliches Licht aus dem eingeschaltetem Lichtenstein-Radargerät gehüllt.

Es knackte etwas im Kopfhörer, das Rauschen wurde schwächer:

„Tadellos, junger Mann! Wirklich ausgezeichnet…“
Und dann hörte ich Herrn Theissing das erste Mal lachen.
 



 
Oben Unten