Anonym
Gast
Liebe und andere Peinlichkeiten
Ich bin ein Versager.
Alles, was ich anfasse, geht schief und nichts, was ich beginne, bringe ich jemals zu Ende. Schon gar nicht zu einem guten. Ich bin der traurige Beweis einer mißglückten Schwangerschaftsverhütung und einer durchzechten Nacht seitens meiner Mutter und meinem Erzeuger und nichts von dem, was mir bis zu diesem Tag geschah, konnte mich bisher vom Gegenteil überzeugen. So wie heute war es schon immer.
Mein Vater, der von dem Kuckucksei nichts ahnte, war auf Grund seiner eigenen Komplexe schon seit meiner Geburt der festen Überzeugung, dass ich nichts taugte. Ich konnte nicht. Aus Prinzip.
Leider war ich auch keine Zierde. Was Schönheit und deren Gegenteil betraf, so lernte ich schnell. Es lag sozusagen in der Natur der Tatsache, denn ich kam ganz ohne Haare auf die Welt, dafür jedoch mit zwei schielenden Augen, die in exakt aufeinander abgestimmtem Winkel auf meinen Nasenrücken zeigten. Ein paar mitfühlende Ärzte versuchten, diesen Schaden bald nach meiner Geburt zu richten. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, doch ich war dazu verdammt, für die nächsten Jahre Brillen mit abwechselnd zugeklebten Gläsern zu tragen, die mir mehr Spott einbrachten, als ich vertrug. Ich hasste sie aus ganzem Herzen und ließ einige davon heimlich verschwinden. Einmal verbuddelte ich sie im Sandkasten auf dem Spielplatz, ein anderes Mal versenkte ich sie bei einer Dampferfahrt in der Elbe. Doch es sollte mir alles nichts nützen. Der Ersatz war schnell besorgt, beklebt und auf meine Nase gesetzt.
Beim dritten Versuch erwischte mich mein Vater, als ich sie gerade in die Tiefen unseres Mülleimers versenkt hatte. Da er mich ohne Brille sah, roch er den Braten sofort. Wortlos kniete er nieder und wühlte mit schaufelnden Händen zwischen Damenbinden, Zigarettenasche und Wurstpelle. Aus Verlegenheit angelte ich mir verstohlen einen Apfel und versuchte, beim Abbeißen so wenig Geräusch wie möglich zu verursachen. Da mein Vater ein Choleriker erster Güte war, hatte ich Grund, das Ende seiner Suche zu fürchten, doch ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Ich presste die ganze Welt in den Apfel zwischen meinen Händen und bemühte mich, nicht daran zu denken. Doch da baumelte der Beweis meiner Tat bereits vor meinen Augen. Im selben Moment zerplatze die Ohrfeige an meinem Schädel, dass mir die Mütze vom Kopf flog. Schweigend ging er aus der Küche. Er redete drei Tage nicht mit mir.
Meine Mutter nahm ihren Erziehungsauftrag noch ernster. Sie warnte mich eindringlich vor Bakterien auf öffentlichen Toiletten, die mir dort in Scharen auflauerten. Eckenpisser rangierten bei ihr gleich nach dem Schwarzen Mann. Der Umstand, dass beide im selben Atemzug genannt wurden, ließ mich Zeit meiner Kindheit einen ängstlichen Bogen um sie machen. Sie wusch mich bis zu meinem zehnten Lebensjahr selbst, da sie meinen Ansprüchen an Reinlichkeit nicht traute und suchte in der Öffentlichkeit mit Spucke und feuchtem Finger meine Wangen nach vermeintlichem Schmutz ab.
Als ich zehn Jahre alt wurde, ließen meine Eltern sich scheiden und mein Vater verschwand spurlos. Die Psychose meiner Mutter nahm bedenkliche Züge an. Zwanghaft begann sie damit, alles zu zählen, was sie sah. Sie errechnete die Summen und Quersummen von Autoschildern, Hausnummern und Preisschildern und begann damit, die Zahlen in gute und böse einzuteilen. Das Fernsehprogramm war ihr natürlicher Feind, da es ihr täglich die Richtigkeit ihrer bösen Vorahnungen bestätigte. An ungeraden Tagen ging sie nicht mehr aus dem Haus und alles, was keine geraden Beträge hatte, durfte nicht mehr eingekauft werden. Da ich an einem 17. geboren wurde, schloss mich das nicht aus und sie mied mich bis zu dem Tag, an dem sie in die Nervenheilanstalt eingewiesen wurde.
So kam ich zu meinen Großeltern. Mein Großvater war ein vertrocknetes kleines Männlein, das einen absoluten Herrschaftsanspruch pflegte. Davon überzeugte er seine Umwelt mit furchterregenden Wutausbrüchen und strafte jede Art von Mißachtung seiner Hoheit mit lautem Gebrüll und einer ausufernden Gewalt an leblosen Dingen. Meine Großmutter sparte sich jede Bemerkung darüber. Sie war ein ebenso anspruchsvolles, aber weitaus friedfertigeres Wesen. Ihre Werte hießen Sauberkeit, Rechtschaffenheit und Bescheidenheit. Als vierten Hausgenossen gab es einen grünen Wellensittich, den Großvater abgöttisch liebte. Er hätschelte das Tierchen und ließ es aus seinem Mund die zerkauten Brotkrümel picken. Der Vogel wurde elf Jahre alt und langweilte sich nie. Als er starb, sah ich meinen Großvater zum ersten und einzigen Mal weinen. Seine Frau lebte noch fünf Jahre länger.
Doch für mich war die Zeit gekommen, über die Liebe nachzudenken. Ich verlor mein Herz an eine blonde Englischlehrerin und ihre braunen Augen. Mein Benehmen ihr gegenüber war blamabel, denn ich war von Sinnen. Ich klebte an ihr wie ein Hündchen, das schwanzwedelnd um Aufmerksamkeit bettelt und streunte abends vor ihrer Haustür auf und ab. Sie hatte eine Affaire mit unserem Physiklehrer und ich hasste ihn dafür, dass er sie unglücklich machte. In meinen Träumen rettete ich sie auf alle erdenklichen Arten aus dieser Misere. Für mich verstand es sich von selbst, dass man für so viel Heldenmut nur geliebt werden konnte. Ich verfolgte sie hartnäckig drei Jahre lang, doch es sollte mir nichts nützen. Sie wollte nicht gerettet werden.
Auch später war Liebe immer eine Sache, die etwas mit Anstrengung zu tun hatte. Da sich niemand die Mühe machte, mich zu retten, sammelte ich in wechselndem Durchlauf die ärmsten Seelen, die ich fand, um sie von ihrem Leid zu erlösen. Doch auch sie blieben nicht und ließen mich noch leerer zurück als zuvor. Die Zahl meiner Exfrauen hinterließ eine traurige Bilanz und unter dem Strich leuchtet mir bis heute nur die Summe meines Versagens entgegen.
Ich kann weder meine Arbeit noch meine Frauen halten und wenn ich heim kehre, so wartet ein Haufen ungewaschener Wäsche, eine chaotische Küche und einem rümpeliges Zimmer auf mich. Hier begegne ich niemandem. Nicht einmal mir selbst. Und wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, so sage ich: „Danke, ich kann nicht klagen“ und das ist die Wahrheit. Ich kann es einfach nicht.
Ich bin ein Versager.
Alles, was ich anfasse, geht schief und nichts, was ich beginne, bringe ich jemals zu Ende. Schon gar nicht zu einem guten. Ich bin der traurige Beweis einer mißglückten Schwangerschaftsverhütung und einer durchzechten Nacht seitens meiner Mutter und meinem Erzeuger und nichts von dem, was mir bis zu diesem Tag geschah, konnte mich bisher vom Gegenteil überzeugen. So wie heute war es schon immer.
Mein Vater, der von dem Kuckucksei nichts ahnte, war auf Grund seiner eigenen Komplexe schon seit meiner Geburt der festen Überzeugung, dass ich nichts taugte. Ich konnte nicht. Aus Prinzip.
Leider war ich auch keine Zierde. Was Schönheit und deren Gegenteil betraf, so lernte ich schnell. Es lag sozusagen in der Natur der Tatsache, denn ich kam ganz ohne Haare auf die Welt, dafür jedoch mit zwei schielenden Augen, die in exakt aufeinander abgestimmtem Winkel auf meinen Nasenrücken zeigten. Ein paar mitfühlende Ärzte versuchten, diesen Schaden bald nach meiner Geburt zu richten. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, doch ich war dazu verdammt, für die nächsten Jahre Brillen mit abwechselnd zugeklebten Gläsern zu tragen, die mir mehr Spott einbrachten, als ich vertrug. Ich hasste sie aus ganzem Herzen und ließ einige davon heimlich verschwinden. Einmal verbuddelte ich sie im Sandkasten auf dem Spielplatz, ein anderes Mal versenkte ich sie bei einer Dampferfahrt in der Elbe. Doch es sollte mir alles nichts nützen. Der Ersatz war schnell besorgt, beklebt und auf meine Nase gesetzt.
Beim dritten Versuch erwischte mich mein Vater, als ich sie gerade in die Tiefen unseres Mülleimers versenkt hatte. Da er mich ohne Brille sah, roch er den Braten sofort. Wortlos kniete er nieder und wühlte mit schaufelnden Händen zwischen Damenbinden, Zigarettenasche und Wurstpelle. Aus Verlegenheit angelte ich mir verstohlen einen Apfel und versuchte, beim Abbeißen so wenig Geräusch wie möglich zu verursachen. Da mein Vater ein Choleriker erster Güte war, hatte ich Grund, das Ende seiner Suche zu fürchten, doch ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Ich presste die ganze Welt in den Apfel zwischen meinen Händen und bemühte mich, nicht daran zu denken. Doch da baumelte der Beweis meiner Tat bereits vor meinen Augen. Im selben Moment zerplatze die Ohrfeige an meinem Schädel, dass mir die Mütze vom Kopf flog. Schweigend ging er aus der Küche. Er redete drei Tage nicht mit mir.
Meine Mutter nahm ihren Erziehungsauftrag noch ernster. Sie warnte mich eindringlich vor Bakterien auf öffentlichen Toiletten, die mir dort in Scharen auflauerten. Eckenpisser rangierten bei ihr gleich nach dem Schwarzen Mann. Der Umstand, dass beide im selben Atemzug genannt wurden, ließ mich Zeit meiner Kindheit einen ängstlichen Bogen um sie machen. Sie wusch mich bis zu meinem zehnten Lebensjahr selbst, da sie meinen Ansprüchen an Reinlichkeit nicht traute und suchte in der Öffentlichkeit mit Spucke und feuchtem Finger meine Wangen nach vermeintlichem Schmutz ab.
Als ich zehn Jahre alt wurde, ließen meine Eltern sich scheiden und mein Vater verschwand spurlos. Die Psychose meiner Mutter nahm bedenkliche Züge an. Zwanghaft begann sie damit, alles zu zählen, was sie sah. Sie errechnete die Summen und Quersummen von Autoschildern, Hausnummern und Preisschildern und begann damit, die Zahlen in gute und böse einzuteilen. Das Fernsehprogramm war ihr natürlicher Feind, da es ihr täglich die Richtigkeit ihrer bösen Vorahnungen bestätigte. An ungeraden Tagen ging sie nicht mehr aus dem Haus und alles, was keine geraden Beträge hatte, durfte nicht mehr eingekauft werden. Da ich an einem 17. geboren wurde, schloss mich das nicht aus und sie mied mich bis zu dem Tag, an dem sie in die Nervenheilanstalt eingewiesen wurde.
So kam ich zu meinen Großeltern. Mein Großvater war ein vertrocknetes kleines Männlein, das einen absoluten Herrschaftsanspruch pflegte. Davon überzeugte er seine Umwelt mit furchterregenden Wutausbrüchen und strafte jede Art von Mißachtung seiner Hoheit mit lautem Gebrüll und einer ausufernden Gewalt an leblosen Dingen. Meine Großmutter sparte sich jede Bemerkung darüber. Sie war ein ebenso anspruchsvolles, aber weitaus friedfertigeres Wesen. Ihre Werte hießen Sauberkeit, Rechtschaffenheit und Bescheidenheit. Als vierten Hausgenossen gab es einen grünen Wellensittich, den Großvater abgöttisch liebte. Er hätschelte das Tierchen und ließ es aus seinem Mund die zerkauten Brotkrümel picken. Der Vogel wurde elf Jahre alt und langweilte sich nie. Als er starb, sah ich meinen Großvater zum ersten und einzigen Mal weinen. Seine Frau lebte noch fünf Jahre länger.
Doch für mich war die Zeit gekommen, über die Liebe nachzudenken. Ich verlor mein Herz an eine blonde Englischlehrerin und ihre braunen Augen. Mein Benehmen ihr gegenüber war blamabel, denn ich war von Sinnen. Ich klebte an ihr wie ein Hündchen, das schwanzwedelnd um Aufmerksamkeit bettelt und streunte abends vor ihrer Haustür auf und ab. Sie hatte eine Affaire mit unserem Physiklehrer und ich hasste ihn dafür, dass er sie unglücklich machte. In meinen Träumen rettete ich sie auf alle erdenklichen Arten aus dieser Misere. Für mich verstand es sich von selbst, dass man für so viel Heldenmut nur geliebt werden konnte. Ich verfolgte sie hartnäckig drei Jahre lang, doch es sollte mir nichts nützen. Sie wollte nicht gerettet werden.
Auch später war Liebe immer eine Sache, die etwas mit Anstrengung zu tun hatte. Da sich niemand die Mühe machte, mich zu retten, sammelte ich in wechselndem Durchlauf die ärmsten Seelen, die ich fand, um sie von ihrem Leid zu erlösen. Doch auch sie blieben nicht und ließen mich noch leerer zurück als zuvor. Die Zahl meiner Exfrauen hinterließ eine traurige Bilanz und unter dem Strich leuchtet mir bis heute nur die Summe meines Versagens entgegen.
Ich kann weder meine Arbeit noch meine Frauen halten und wenn ich heim kehre, so wartet ein Haufen ungewaschener Wäsche, eine chaotische Küche und einem rümpeliges Zimmer auf mich. Hier begegne ich niemandem. Nicht einmal mir selbst. Und wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, so sage ich: „Danke, ich kann nicht klagen“ und das ist die Wahrheit. Ich kann es einfach nicht.