Liebesbrief an den November

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November, das ist grau und das ist Nebel.
Der Nebel wabert ja quasi aus dem Wort heraus.
Ein Nebel, der sich im Dunstkreis an die Berge ranwanzt wie ein einziger Tutu, und Nebel, der sich mit den Wassern verschweißt, dass man leicht übersieht, wo das flüssigere Nass überhaupt anfängt.

In meinem eigenen eigensinnigen Kopf wabert der Novembernebel auch gern über weitläufige Anwesen englischer Landhäuser, die an irgendeiner Küste liegen.
Und das, obwohl ich im Leben noch nicht an einem solchen Ort gewesen bin, schon gar nicht im November.
Jedoch, als es noch Groschen und Groschenromane gab, die mir ab und an in die Hände fielen, waren die gruselversprechenden - in Abgrenzung zu den rein kitschigen Formaten – gern mit solchen schlossähnlichen Bauten und mit Nebel verziert. Von daher meine November-Idee.
Da fällt mir ein: „Grusel“ sagt man kaum noch heute. Längst gibt es dafür stärkere Worte, und nur die Starken überleben.
Vorn drauf auf dem Cover dieser Heftchen, direkt vor dem jeweiligen alten Steinkasten, war jedenfalls mit Sicherheit eine fönfrisierte Frau im Stechschritt auf der Flucht vor all den Dämonen, die wohl in englischen Gutshäusern hausen müssen. Es spuken ja doch immer nur die Reichen.
Schön war eine solche Frauenfigur immer, zumindest im Verständnis jener Jahre.
Die Nebelfinger greifen nach ihr, und sehr wahrscheinlich trägt sie dabei einen Pelz oder anderen Schick aus den 70er und 80ern, und viel Rot auf dem hilferufenden Mund.
Im 80-er Jahrzehnt ist übrigens auch diese große graue Steinmauer zusammengefallen, und wieder andere Menschen haben in steingewaschenen Jeans auf den Mauerresten getanzt, als würde endlich alles gut.
Da war auch ein November, aber eine ganz andere Zeit.

Wenn es kalt und kälter wird und ständig dunkel ist, verzieht man sich mittlerweile, schon spät ihm Jahr, gern ins Innen und ist froh, wenn man eins hat.
Und ist froh über alles, was man darin vorfindet.
Fast wird man ein bisschen dankbar.
Und gießt sich Tee auf oder ein anderes Heißgetränk, dessen Endung sich ebenso aromatisch dehnt, dass man sich automatisch dabei entspannt, ein wenig.
Am Morgen gefriert der Tau vielleicht schon zu weißen Spitzendeckchen, aus denen man aber keinen Schneemann bauen kann, das musste ich damals auf die harte Tour lernen.
Was war ich enttäuscht von dem vermeintlichen Weiß, und wie trotzig hatten meine verfrorenen Kinderfinger sehr ernsthaft versucht, die losen Eiskristalle einander entgegenzuschieben!
Aber am Ende hatte Oma doch recht gehabt. Oma hat es immer schon vorher gewusst.

Wenn man Glück hat, sind im November die Blätter noch einigermaßen bunt, aber viel verspricht der Herbst nicht mehr.
Neigt sich eher dem eigenen kalten Ende entgegen, widerstandslos.
Das letzte Bunt macht sich ziemlich gut vor der dunstigen Graukulisse, zumindest für müßiggängige Augen.
Fast schon episch, würde man heute sagen.
Oma, von gestern, würde das natürlich nicht wirklich verstehen.
Ohnehin viel mehr noch verfaulen die letzten schwarzen Maisreste auf den Feldern, und verlässlich zieht ein halskranker Vogel oben drüber seine dunkelgrauen Kreise.
Als wäre das seine Pflicht, und als würde die was bedeuten.

Tatsächlich kannte ich Einen, der konnte den November partout nicht leiden, aber der ist längst tot und begraben.
Ausgerechnet im November musste er dann auch langsam vor sich hinsterben, wirklich, und vielleicht hatte er es ja bereits sein ganzes Leben geahnt.
 

Matula

Mitglied
Eigentlich hatte ich nie besondere Vorbehalte gegen den November, aber so, wie er sich heuer in Wien anfühlt (sonnig bei 14°C), ist er wirklich gruselig ...

Herzliche Grüße,
Matula
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Dichter Erdling,
das sind interessante Einsichten, die du griffig beschreibst. Ich mag auch den kleine Pointe am Ende. Nur den Titel finde ich etwas unpassend, weil du ja nicht an, sondern über den November schreibst.

Viele Grüße
lietzensee
 
Lieber Lietzensee!

Da hast du schon recht, dass der Titel vielleicht ein bisschen zu weit gegriffen ist.
Nichtsdestotrotz mag ich den rauen November, der ja für viele der ungeliebteste Monat zu sein scheint, auf eine ganz eigene, ambivalente Weise - das wollte ich mit dem Text ausdrücken.
Wenn es vielleicht auch keine heiße Liebe ist zwischen uns, also zwischen dem November und mir, so ist es dennoch eine innige Beziehung und weckt unverkennbare Assoziationen – von daher „Liebesbrief“.

Dir auch liebe Grüße und danke für die nette Rückmeldung,

Erdling
 



 
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