Life at night - Das Erwachen

Ruuxar

Mitglied
An jenem frostigen Abend in der verschlafenen Stadt Lindenau herrschte eine unheimliche Kälte. Obwohl es bereits Ende November war, spürte man, dass dieser Mittwochabend anders war, als alle Vorherigen. Die Dunkelheit lag wie ein Schleier über der Stadt, und der Regen, der unaufhörlich fiel, schien eine Vorahnung auf den nahenden Winter zu sein. Die Bäume im verlassenen Park hatten längst ihre lebendigen Farben verloren und wirkten nun düster und bedrohlich, als wären sie Zeugen einer dunklen Verwandlung geworden, so wie ein unschuldiges Kind, das plötzlich erwachsen geworden ist. Der Fluss, der den Weg begleitete, hatte sich auch verändert. Er hatte seine Ufer überschritten. Den in den vergangenen Tagen hatte es in Strömen geregnet und so hatte der ansonsten schmale Fluss fast das Dreifache seiner normalen Breite erreicht, vermutlich auch doppelt so tief. Es schien fast so, als ob die Natur eine geheimnisvolle Verwandlung durchlief, während die Stadt in eine stille, düstere Nacht gehüllt wurde.

Caleb hätte eine dickere Jacke anziehen sollen, dachte er, während er seinen Schritt beschleunigte, um so schnell wie möglich nach Hause zu gelangen. Er kam aus der Stadt, genauer gesagt aus der kleinen Kneipe am Stadtgraben, die an einen kleinen See grenzte, der den Fluss, der links neben ihm verlief, mit Wasser versorgte. Für Caleb war es nichts Ungewöhnliches, an einem Mittwochabend in dieser Kneipe zu sein. Er traf sich dort regelmäßig mit ein oder zwei seiner Freunde, genoss ein oder zwei Bier und unterhielt sich über allerlei Dinge.
An diesem Abend entschied sich Caleb, früher nach Hause zu gehen, da er den längsten Weg hatte. Er hatte im Radio, das unter einer rustikalen, aber charmanten Holztreppe in der Kneipe stand, gehört, dass es gegen 23:30 Uhr stärker regnen sollte. Er dachte sich: ‚Bevor es heute wieder so spät wird wie beim letzten Mal und ich mir von meiner Mutter wieder Vorwürfe anhören muss, nehme ich lieber die Gelegenheit wahr, jetzt zu gehen!
In der durchdringenden Kälte jenes späten Novemberabends schritt Caleb durch den verlassenen Park von Lindenau, seinen Weg nach Hause suchend. Der Park, der tagsüber ein Ort der Freude und des Lachens war, verwandelte sich nachts in einen Ort der Stille und der Schatten. Der Nebel kroch wie ein lebendiges Wesen zwischen den kahlen Bäumen und den leeren Bänken hindurch, während der Wind leise durch die Äste wisperte, als würde er geheime Geschichten flüstern.

Die Straßenlaternen warfen ein schwaches, unheimliches Licht auf den feuchten Weg, auf dem Caleb ging. Er war sich der Einsamkeit und der Stille, die ihn umgaben, schmerzlich bewusst. Die Atmosphäre des Parks ließ ihn unwillkürlich an Geschichten denken, die er als Kind gehört hatte – Geschichten über Wesen, die in der Dunkelheit lauern.

Als Caleb den Park weiter durchquerte, bemerkte er eine Gestalt, die langsam über eine der kleinen Brücken kam, die über den Fluss führten. Diese Person, offenbar ein Mann, schien zunächst ruhig zu gehen, doch etwas an seiner Haltung ließ Caleb innehalten und genauer hinsehen. Der Mann schritt bedächtig voran, sein Blick war auf den Weg vor ihm gerichtet. Caleb beobachtete, wie der Mann die Brücke überquerte und seinen Weg auf dem Pfad fortsetzte.
In der Stille des Parks waren nur die leisen Geräusche des Windes und des fließenden Wassers zu hören. Caleb beobachtete weiterhin den Mann, dessen Verhalten immer unruhiger wurde.

Als eine weitere dunkle Gestalt zunächst nur als ein vager Schatten in der Ferne erschien, schenkte Caleb ihr kaum Beachtung. Er ging davon aus, dass es sich um einen weiteren späten Parkbesucher handelte. Doch etwas an der Art und Weise, wie sich die Figur bewegte, erregte schließlich seine Aufmerksamkeit. Sie schien nicht einfach zu spazieren, sondern bewegte sich mit einer zielgerichteten, fast lauernden Haltung, die Caleb ein ungutes Gefühl gab. Während die Gestalt näher kam, wurde ihre Silhouette deutlicher. Sie schien zielgerichtet, doch ihre Bewegungen waren fließend und leise – fast zu leise für einen normalen Spaziergänger. Caleb beobachtete, wie sich der Mann auf der Brücke plötzlich umdrehte, offenbar alarmiert durch das leise Geräusch oder vielleicht eine unbewusste Wahrnehmung der Annäherung der Gestalt.

Der Mann begann unruhig von einem Fuß auf den anderen zu treten, sein Kopf drehte sich in schnellen Bewegungen hin und her, als suche er nach einem Fluchtweg. Es war offensichtlich, dass er die Nähe der Gestalt gespürt hatte und nun von einer wachsenden Nervosität ergriffen wurde. Caleb konnte sehen, wie der Mann seine Schritte beschleunigte, in einem Versuch, den Abstand zu vergrößern.

Jetzt, da die Gestalt immer näher kam, konnte Caleb erkennen, dass es sich um eine Frau handelte. Ihre Bewegungen waren anmutig, doch in ihnen lag eine beängstigende Entschlossenheit. Der Mann auf der Brücke schien dies ebenfalls erkannt zu haben, denn seine Nervosität steigerte sich in offene Panik. Er warf hektische Blicke zurück, als erkannte er eine drohende Gefahr, die sich ihm näherte.

Caleb, der das Ganze aus sicherer Entfernung beobachtete, spürte, wie seine eigene Anspannung stieg. „Was geht da vor?“, murmelte er, während er sah, wie die Frau den Abstand zum Mann immer weiter verringerte. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und zielgerichtet, und es war offensichtlich, dass sie dem Mann folgte – und er schien sich dessen sehr bewusst zu sein.

Der Mann begann nun zu laufen, seine Schritte hastig und unkoordiniert, getrieben von der Angst, die in seinen Augen zu sehen war. Caleb’s Herz schlug schneller, als er beobachtete, wie die Verfolgerin ihre Geschwindigkeit erhöhte, geschickt und leise, wie eine Raubkatze, die sich ihrer Beute nähert. Caleb stand regungslos da, unfähig zu entscheiden, ob er eingreifen oder weiter beobachten sollte, während das unheimliche Schauspiel vor ihm weiterging. Die Frau hatte den Mann jetzt fast erreicht, und Caleb konnte sehen, wie der Mann einen letzten verzweifelten Blick über seine Schulter warf,

Die Frau erreichte den Mann mit einer unglaublichen Geschwindigkeit. Sie holte den Mann in nur wenigen Sekunden ein und griff ihn an. Caleb konnte seinen Augen kaum trauen, als er sah, wie die Frau den Mann mit einer unglaublichen Leichtigkeit zu Boden warf. Der Mann gab einen gedämpften Schrei von sich, als er zu Boden fiel. Er schien sich noch kurz zu wehren, doch die Überlegenheit der Frau war offensichtlich. Die Frau stand über dem am Boden liegenden Mann, doch Caleb konnte in der Dunkelheit nicht genau erkennen, was sie tat, aber es war offensichtlich, dass der Mann in großer Gefahr war.

Caleb stand da, schockiert und unfähig zu reagieren. „Was zur Hölle...,“ flüsterte er. Seine Stimme zitterte vor Unglauben und Schock. Er konnte nicht fassen, was er gerade gesehen hatte. Es war, als würde er eine Szene aus einem Alptraum beobachten, so unwirklich und doch so erschreckend real.

Die Frau richtete sich auf und blickte in seine Richtung. Ihr Blick traf ihn wie ein Schlag. Er konnte das Funkeln ihrer Augen im schwachen Licht der Parklaternen erkennen und fühlte sich plötzlich wie gelähmt. „Sie sieht mich“, dachte Caleb, sein Herz pochte wild. „Sie weiß, dass ich hier bin.“

In diesem langen, stillen Moment, als ihre Blicke sich trafen, fühlte sich Caleb, als stünde er am Rand eines Abgrunds, bereit, in eine unbekannte Tiefe zu stürzen. Die Frau hielt seinen Blick noch einen Moment lang gefangen. Dann, in einem plötzlichen Wechsel, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den am Boden liegenden Mann. Doch ebenso schnell wie ihre Aufmerksamkeit gewechselt hatte, fixierte sie Caleb erneut – und in einem Augenblick, kaum länger als ein Blinzeln, stand sie mit übermenschlicher Geschwindigkeit direkt vor ihm. Sie packte ihn mit ihrer rechten Hand am Gesicht und hob ihn mühelos, etwa zwanzig Zentimeter in die Luft. Caleb war wie erstarrt, unfähig zu schreien oder die surreale Situation zu begreifen.

Mit einer Stimme, die leicht lachend und dennoch bedrohlich klang, sagte sie: „Sei froh, mein Süßer, dass ich keinen Hunger mehr habe. Sonst wärst du der Nächste gewesen.“ Dann ließ sie ihn unsanft zu Boden fallen. Ein leises, spöttisches Lachen entwich ihren Lippen, während sie sich in die Dunkelheit zurückzog und genauso schnell verschwand, wie sie aufgetaucht war.

Caleb lag am Boden, gelähmt von dem Schock, der seinen Körper ergriffen hatte. „Sie hat keinen Hunger mehr?“ Wiederholte er in Gedanken, kaum fähig, in seinem Kopf klare Gedanken zu formen nach dieser verstörenden Begegnung. Sein Herz schlug so laut und heftig in seiner Brust, als könnte es jeden Moment zerbersten. Minuten vergingen, in denen er wie betäubt auf dem kalten Boden lag, bevor er schließlich die Kraft fand, sich zu bewegen und sich aufzurappeln.

„Zum Glück kann ich mein Gesicht jetzt nicht im Spiegel sehen“, dachte er sich ironisch. Die Vorstellung, sein eigenes Gesicht – verzerrt von Angst und Entsetzen – zu erblicken, war ihm nämlich unerträglich. Nachdem er weitere endlos scheinende zwei Minuten dort gestanden hatte, ohne eine Antwort darauf zu finden, was gerade geschehen war, begann Caleb, sich langsam und mit zittrigen Schritten dem regungslosen Mann zu nähern, der immer noch neben der Brücke am Boden lag. Glücklicherweise aber lag der Mann auf dem Weg und nicht auf dem Rasen, der unter Wasser stand, da der Fluss über die Ufer getreten war. Das erleichterte Caleb das langsame Herantreten. Jeder Schritt fühlte sich dennoch an, als würde er ihn durch einen Sumpf aus Angst und Verwirrung führen.

Als Caleb nur noch wenige Meter von dem Mann entfernt war, rief er leise, aber mit zitternder Stimme: „Hey, geht es Ihnen gut?“ Die Stille, die auf seine Frage folgte, war erdrückend – keine Antwort kam von dem am Boden liegenden Mann. Mit jedem weiteren, zögerlichen Schritt, den er näher kam, spürte Caleb ein wachsendes Gefühl der Angst.


Vorsichtig beugte er sich hinunter, als er den Mann erreichte. Seine Hand zitterte, als er nach dem Puls des Mannes suchte. Calebs Atem stockte, als er die erschreckende Realität erkannte – der Mann hatte keinen Puls mehr. „Er... er ist tot“, murmelte Caleb, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Schock und Entsetzen standen ihm ins Gesicht geschrieben, während er da kniete, unfähig, die Tragweite dessen zu erfassen, was gerade geschehen war.

In diesem Moment hörte Caleb hinter sich Schritte, die durch eine lange Pfütze des über die Ufer getretenen Flusses plätscherten. Trotz seiner Angst drehte er sich instinktiv um und sah im dünnen Lichtschein einer nahen Laterne, aus der Richtung, aus der er gekommen war, zwei Gestalten auf sich zukommen. Als sie sich der Laterne näherten, konnte er im schwachen Licht eine junge blonde Frau und einen Mann mittleren Alters erkennen.

Beide bewegten sich entschlossen und zielgerichtet auf ihn zu. Calebs Herz begann wieder schneller zu schlagen. „Sind es Freunde oder Feinde? Oder... oder etwa solche Kreaturen wie sie?“, schoss es ihm durch den Kopf. Wie konnte er ihnen erklären, was mit dem Mann geschehen war, wenn er es selbst nicht verstand? „Ich war es nicht“, flüsterte er leise vor sich hin, während tausend Gedanken durch seinen Kopf wirbelten, als die beiden sich ihm näherten.

„Lebt er noch?“, fragte die blonde Frau sofort, als sie Caleb erreichten. Sie trat näher heran, ihre Augen ruhten ernst, doch mit einem Hauch von Verständnis auf ihm, als ob sie ahnte, was hier geschehen war. „Lebt er noch?“, wiederholte sie drängend. „N... n... nein“, brachte Caleb mit Mühe hervor. „Geht es dir gut? Hast du gesehen, was passiert ist?“, fragte sie weiter. Caleb konnte nur nicken, noch immer unfähig, das Geschehene zu begreifen oder darüber zu sprechen.

Seine dunkelblaue Jeans war mittlerweile komplett durchnässt, und die Kälte ließ ihn zittern. Langsam erhob er sich, in dem Bemühen, dem kalten Wasser zu entkommen. Als er stand, sah er sich um. Der Nebel hatte sich etwas gelichtet, aber nun begann es stärker zu regnen. Er erinnerte sich daran, dass es gegen 23:30 Uhr stärker zu regnen beginnen sollte. „Wie spät mag es jetzt sein?“, fragte er sich.

Er wandte seinen Blick dem Mann zu, der ungefähr so groß wie er war, vielleicht ein wenig größer. Der Mann hatte schwarze, kurze Haare mit einem leichten Grauschimmer, die durch den Regen zu einer formlosen Masse verklebt waren. Die junge Frau, die sich über den Mann beugte und etwas an seinem Hals untersuchte, schien höchstens ein oder zwei Jahre älter als Caleb. Ihre langen, dunkelblonden Haare fielen weit über ihre Schultern. Ihr Gesicht wirkte unschuldig, doch in ihren Augen lag eine Tiefe, die darauf hindeutete, dass sie weit mehr war, als ihr äußeres Erscheinungsbild vermuten ließ.

„Was ist passiert?“, fragte die junge Frau mit fester Stimme, während sie sich vom toten Mann erhob und ihren Gefährten ansah, als ob sie bereits ahnte, was Caleb antworten würde.
Caleb murmelte unsicher: „Ich... ich weiß nicht genau. Es war eine Frau... sie hat ihn angegriffen. Sie war... anders.“
Sie sah ihn scharf an. „Anders? Meinst du, nicht menschlich?“
Er nickte, sein Blick voller Entsetzen und Unverständnis. Es war, als hätte er die Realität des Geschehens erkannt, konnte aber deren Bedeutung nicht ganz erfassen.
Die junge Frau erkannte in Calebs Blick, dass er mehr als nur ein Zeuge gewesen sein musste. „Hat sie dich angegriffen?“, fragte sie mit einer Stimme, die gleichzeitig fürsorglich und ernst klang.
Caleb schluckte schwer. „Sie... sie hat mich...“ Er brach ab, unfähig, seine Gedanken in Worte zu fassen. Nach einem Moment des Schweigens fügte er leise hinzu: „Ich hatte Glück.“
Der Mann neben ihr gab Caleb einen langen, abwägenden Blick. Es war ein Blick, der mehr sagte als Worte – ein stilles Verständnis dafür, was Caleb durchgemacht hatte und was diese Aussage wirklich bedeutete.

Die Frau fixierte Caleb mit einem direkten, durchdringenden Blick und sagte: „Du solltest jetzt lieber gehen. Dieser Ort und was hier geschah, ist nichts für dich. Wir kümmern uns um den Rest.“ Ihre Stimme war fest und ernst, dabei jedoch nicht unfreundlich.

Caleb nickte, immer noch in einem Zustand des Schocks. Er wusste, er sollte diesen Ort so schnell wie möglich verlassen, doch seine Gedanken wirbelten chaotisch umher. Was hatte er nur gesehen? Welches Geheimnis verbargen diese zwei Fremden? Und vor allem, wer waren sie?

Noch immer bemüht, das Geschehene zu realisieren und zu verarbeiten, machte er sich auf den Heimweg. Sein letzter Blick fiel auf den Mann am Boden. Die junge Frau, deren Namen er nicht kannte, hatte etwas an dessen Hals untersucht, den Kopf dabei zur Seite geneigt. Caleb erkannte zwei kleine, kreisrunde Löcher am Hals des Mannes, aus denen ein wenig Blut trat. Was bedeutete das? Und warum untersuchte die Unbekannte dies so zielgerichtet?
Kaum hatte Caleb 100 Meter zwischen sich und den Fremden gebracht, ertönte das ferne Läuten der Kirchturmglocke, das durch die nächtliche Stille hallte. Es schlug Mitternacht. Er hatte gar nicht bemerkt, wie spät es bereits geworden war. Diese Erkenntnis ließ ihn innehalten, doch für weitere Gedanken an die eben erlebten Ereignisse blieb keine Zeit.
Getrieben von dem Wunsch, schnell nach Hause zu kommen, um möglichen unnötigen Kommentaren seiner Eltern, besonders seiner Mutter, zu entgehen, und immer noch erfüllt von der Angst, die ihn fest im Griff hatte, begann er zu rennen. Seine Schritte beschleunigten sich, während er mehrere hundert Meter zurücklegte, bis er schließlich seine Siedlung erreichte. „Komisch“, dachte Caleb, als er die vertrauten Konturen seiner Nachbarschaft erkannte, „hier fühle ich mich sicherer.“ Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass es nur ein Gefühl war, das vielleicht trügerisch sein konnte.

Er passierte die ersten Häuser der Siedlung, die in der Dunkelheit alle gleich aussahen. In der Nacht verbarg sich ihre tatsächliche, gepflegte Erscheinung, vor allem das Haus direkt links neben ihn. Es gehörte einem älteren Mann, der seit dem Tod seiner Frau fast nur noch im Garten zu finden war, den er liebevoll pflegte. „Ein armer alter Mann“, dachte sich Caleb mit einem Hauch von Mitleid. Weiter ging sein Weg durch die Siedlung, vorbei an den verschiedensten Häusern. In dem schimmernden Regen, kombiniert mit dem Licht der Laternen, entstand eine Atmosphäre, die sowohl gruselig als auch beeindruckend war. Die Lichter warfen gespenstische Schatten auf die nassen Straßen und spiegelten sich in den Pfützen, während der Regen leise auf die Dächer und Gehwege prasselte. Jedes Haus, obwohl vertraut, schien in dieser Nacht ein Geheimnis zu bergen, das sich nur in der Dunkelheit offenbarte. Mit jedem Schritt, den Caleb näher zu seinem eigenen Zuhause kam, spürte er, wie die Anspannung langsam von ihm abfiel, doch die Erinnerungen an das, was er erlebt hatte, blieben wie ein Schatten in seinem Bewusstsein.

Caleb schloss die Haustür leise hinter sich und blieb für einen Moment im dunklen Flur stehen, lauschend auf Anzeichen, dass seine Eltern noch wach sein könnten. Nichts – nur das stetige Ticken der alten Standuhr durchbrach die Stille. Er spürte ein Gefühl der Erleichterung, dass seine Eltern bereits schlafen mussten.
Doch dieses Gefühl wich schnell der Sorge darüber, wie er seine späte Rückkehr erklären sollte.
Vorsichtig schlich er die Treppe hinauf, in der Hoffnung, keinen Lärm zu machen. Das leise Knarren der alten Holzstufen unter seinen Füßen schien jedoch lauter als je zuvor.
Als er sein Zimmer betrat, schloss er die Tür hinter sich und lehnte sich einen Moment dagegen. Er atmete tief durch.
Draußen prasselte der Regen unaufhörlich gegen die Scheibe, und die Lichter der Straßenlaternen warfen zitternde Schatten auf die verlassenen Gehwege. Caleb beobachtete, wie die Regentropfen wie Tränen an der Fensterscheibe herabglitten. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, doch sie kreisten immer wieder um die Ereignisse des Abends.

Caleb sah, wie eine dunkle Gestalt im Schein der Laterne gegenüber immer näher kam. Sein Herz begann zu pochen, so stark, dass er fürchtete, es könnte jeden Moment aussetzen. „Ist sie das? Hat sie mich verfolgt?“, flüsterte er, seine Stimme zitternd vor Angst, kaum wiederzuerkennen als seine eigene.
Die Gestalt näherte sich weiter der Laterne. Als sie den äußersten Lichtkreis erreichte, schaute Caleb, getrieben von seiner wachsenden Angst, genauer hin. Er versuchte, durch den immer stärker werdenden Regen hindurch die Figur zu erkennen. Als die Konturen endlich klarer wurden, erkannte er erleichtert, dass es sich um einen Nachbarn handelte, der seinen Hund ausführte.

Der Hund, ein dunkel-weißer, fluffiger Vierbeiner mit langem Fell, war unverwechselbar. „Es muss der Hund sein. Den kennt man und verwechselt ihn nicht“, dachte Caleb. Er hatte den Hund schon öfter in der Straße weiter vorne gesehen.

Calebs Herzschlag beruhigte sich langsam, und mit ihm sank seine Angst. Doch das Gefühl der Unruhe blieb. Er wandte sich vom Fenster ab und setzte sich auf sein Bett, die Gedanken noch immer wirbelnd um die Ereignisse des Abends und die Schatten, die sie in seinem Bewusstsein hinterlassen hatten.

Doch in der vertrauten Enge seines Zimmers fühlte sich Caleb plötzlich verloren. Die Poster von Rockbands und Filmstars, die er über Jahre gesammelt hatte, die Bücher, die er so oft gelesen hatte, dass er jede Seite kannte – all diese Dinge, die ihm einst wichtig waren, schienen nun in einem anderen Licht. Sie waren zu bloßen Objekten geworden, bedeutungslos angesichts der Schrecken, die er erlebt hatte.
Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, über die abgegriffenen Buchrücken, die alten CDs und die Fotos von Freunden und Familie. Alles fühlte sich fremd an, als gehörte es zu einem anderen, unbeschwerteren Leben.
Caleb rieb sich die Augen und lehnte sich gegen das Kopfende seines Bettes. „Was, wenn das nur der Anfang ist?“, flüsterte er in die Dunkelheit. „Was, wenn diese Kreatur, was auch immer sie ist, wiederkommt?“ Der Gedanke ließ ihn erschauern. Er konnte sich nicht vorstellen, noch einmal so einer Bedrohung gegenüberzustehen, und doch wusste er tief in sich, dass es keine Rückkehr zur Normalität geben konnte. Nicht nach dem, was er gesehen hatte.

Der Regen klopfte rhythmisch gegen das Fenster, ein monotoner, tröstender Klang in der sonst so drückenden Stille seines Zimmers. Caleb schloss die Augen und versuchte, den Gedanken zu entkommen, aber sie kreisten unaufhörlich in seinem Kopf, immer wieder zurückkehrend zu dem Bild der Kreatur, dem Angriff, dem Tod.

Caleb erinnerte sich wieder an die kurzen Worte, die zwischen ihm und der blonden Frau gewechselt worden waren, und an den durchdringenden Blick des älteren Mannes. „Sie wussten definitiv mehr, als sie zugeben wollten“, murmelte er. „Sie schienen nicht überrascht, fast als hätten sie so etwas schon einmal erlebt.“ Die Erinnerung an ihre festen, entschlossenen Gesichter ließ ihn nicht los.
Er zog die Decke enger um sich. „Vielleicht liegt in ihnen der Schlüssel zu all dem Wahnsinn.“ Der Gedanke, diese beiden Unbekannten zu suchen und Antworten zu fordern, flackerte in ihm auf. Doch gleichzeitig spürte er eine tiefe Angst. Sich erneut in die Nähe dieser Gefahr zu begeben, war eine erschreckende Vorstellung.
„Wie kann ich einfach hier liegen und so tun, als wäre nichts passiert?“, fragte er sich. Die Wände seines Zimmers schienen enger zu werden, als würde die Welt um ihn herum schrumpfen. „Aber was, wenn ich mich irre? Was, wenn ich mich in Gefahr begebe, ohne es zu merken?“
Caleb drehte sich unruhig im Bett. Er konnte sich nicht vorstellen, wieder zur Tagesordnung überzugehen, nicht nach dem, was er gesehen und erlebt hatte. „Ich brauche Antworten“, flüsterte er in die Dunkelheit. „Aber wo fange ich an? Wer kann mir überhaupt glauben?“
Der Regen außerhalb schien in seiner Intensität zuzunehmen, als ob er Calebs wachsende Unruhe widerspiegeln würde. Jeder Tropfen, der gegen das Glas schlug, war wie ein Stich ins Herz, ein ständiger Reminder an die Schrecken der Nacht.

Caleb lag noch lange wach, das Rauschen des Regens gegen das Fenster als ständiger Begleiter seiner unruhigen Gedanken. Die Dunkelheit des Zimmers schien sich mit seinen Emotionen zu vermischen – einer Mischung aus Angst, Neugier und einer überwältigenden Unsicherheit. Er fühlte sich wie ein Fremder in seiner eigenen Haut, unfähig, die Geschehnisse des Abends und ihre möglichen Folgen zu begreifen.

Er dachte an seine Eltern im nächsten Zimmer, ahnungslos schlafend, und an die gewöhnliche Welt da draußen, die nichts von den Schrecken wusste, die sich in den Schatten verbargen. „Wie kann ich weitermachen, als ob nichts geschehen ist?“, flüsterte er in die Stille.

Die Ereignisse im Park waren wie ein Riss in der Realität, der Caleb in eine unbekannte und beängstigende Welt blicken ließ. „Was ist, wenn es noch mehr gibt, was ich nicht verstehe? Was, wenn ich nur an der Oberfläche dessen gekratzt habe, was wirklich vor sich geht?“ In seinem Kopf formten sich Bilder von dem, was er gesehen hatte – die Kreatur, die blonde Frau, der ältere Mann. Jedes Detail brannte sich in sein Gedächtnis ein, als ob es versuchte, ihm etwas zu sagen, ihm einen Hinweis zu geben. Caleb wälzte sich unruhig in seinem Bett. Die Nacht zog sich endlos dahin, jede Minute ein Kampf zwischen Schlaf und Wachsein. „Morgen muss ich eine Entscheidung treffen“, dachte er. „Ich kann nicht einfach so tun, als wäre alles normal. Ich muss herausfinden, was das alles zu bedeuten hat.“

Als die ersten Anzeichen des Morgengrauens durch die Vorhänge seines Zimmers schimmerten, hatte Caleb immer noch kein Auge zugemacht. Die Fragen, die ihn quälten, blieben unbeantwortet, und die Entscheidungen, die vor ihm lagen, ungetroffen. Doch eines war sicher: Nach dieser Nacht würde nichts mehr so sein, wie es einmal war.
 



 
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