Hallo Bernd!
Hier ein Beispiel für ein Schweifsonett
von Michelangelo Buonarotti:
Satirisches Schweifsonett über seine Arbeit an der Decke der Sixtinischen Kapelle:
Schon wächst ein Kropf mir über diesem Placken,
Wie Katzen vom lombard’schen Wasser auch
In andern Ländern mehr, wo Kröpfe Brauch;
Ans Kinn ist mir der Leib wie angebacken.
Den Bart reck’ ich gen Himmel, mit dem Nacken
Rückwärts gelehnt, und mit Harpyien-Bauch,
Derweil der Pinsel, immer überm Aug’,
Ein schön Mosaiko kleckt auf die Backen.
Die Lenden kriechen tief mir in den Ranzen,
Den Steiß ball’ ich zum Knäul als Widerlage,
Nicht einen Strich seh’ ich, den ich gezogen.
Nach hinten schrumpft das Leder mir zu Fransen,
Je mehr ich vorn mich auszudehnen plage,
Und krümme mich als wie ein Syrer-Bogen.
Weshalb doch sehr erlogen
Die Meinung scheint, und wie erdacht von Toren,
Daß man nicht schieß’ aus krummen Blaserohren.
Giovann’, mein totgeboren
Bild nun verteid’ge du, und meine Ehre!
Der Ort taugt nichts, wenn ich auch Maler wäre.
(Übertragen von G. Regis)
wie unschwer zu erkennen ist:
durch Kurzverse (hier settenario) wird eine oder mehrere cauda /caudae angehängt in Form von 2 Endecassillabo mit eigenem Reim und inhaltlich-rückblickend - meist moralisierend auf den Inhalt bezogen.
Im Beispiel sind zwei caudi an die volti angehängt.
(Typ II)
Schema:
v-v-v-v-v-v(a)
v-v-v-v-v-v(b)
v-v-v-v-v-v(b)
v-v-v-v-v-v(a)
v-v-v-v-v-v(a)
v-v-v-v-v-v(b)
v-v-v-v-v-v(b)
v-v-v-v-v-v(a)
v-v-v-v-v-v(c)
v-v-v-v-v-v(d)
v-v-v-v-v-v(e)
v-v-v-v-v-v(c)
v-v-v-v-v-v(d)
v-v-v-v-v-v(e)
v-v-v-v(e) (settenario)
v-v-v-v-v-v(e)
v-v-v-v-v-v(e)
v-v-v-v(e) (settenario)
v-v-v-v-v-v(f)
v-v-v-v-v-v(f)
In diesem Beispiel gibt es aber die Mißachtung der Forderung dass die angehangenen Teile Cauda) im Reim verschieden sein muß zum Corpus des Sonetts UND die Koppelverse länger sind als in den Poetiken beschrieben.
...würde aber zu Buonarotti passen - weil es ist eine Satiere!
In den Übertragungen zu Dantes vita nuova
stehen die angehängten Verse meist ohne Koppelvers (siehe oben)
zu Deinen Einwänden:
Goethe hatte seine Infos -was Sonette angeht - von Gottfried August Bürger,
und der hat leider bei der Übertragung der italienischen Formenlehre ins Deutsche viel Bockmist gemacht. Dies wurde später zum Glück teilweise wieder revidiert.
Goethe selbst hat nie eine Formenlehre geschrieben. Er war eher jemand der es mit den alten Formen auch erst über Kritiken etwas genauer genommen hatte.
Ein Teil der Verwirrung haben die "Gelehrten" selbst geschaffen:
Drei lateinische Synonyme tauchen für die Sonettform auf, die wir im Deutschen als Schweifsonett bezeichnen:
sonettus ritornellatus (Sonett mit wiederkehrendem Teil)
sonettus caudatus (eigentlich "Schwanzsonett")
sonetto colla cauda (Sonett mit Schwanz)
das Problem ergab sich also, als man versuchte den italienischen Urformen deutsche Namensentsprechungen zu geben.
Aber eine Sache ist allen genannten Formen gemein:
die Koppelverse und danach die paarweisen Endecasillabi
Wenn es um Formenlehre geht, gibt es keinen anderen Weg als die entsprechenden Poetiken (Quellen)oder auch philogischen Werke mal zu lesen/durchzuackern und an geeigneten Beispielen nachvollziehen. Ich habe Dir oben ein paar Werke, Kapitel , Seitenzahlen genannt.
Soetwas kann man heutzutage sogar fernleihen....
im
http://www. gibt es zu diesem Thema so gut wie nix Fundiertes - außer einigen wenigen Buchauszügen bei google Books...die aber keine Zusammenhänge darstellen.
Nur wird es mit den wenigen Seiten nicht getan sein...der Gesamtzusammenhang aus der Entstehung heraus wäre wichtig.
Beispielsonette aus dieser Zeit (Entstehungs- und Constitutionszeit)wirst Du sicher in den Antiquariaten finden und Bibliotheken finden.
Unter den Leuten, die es wissen wollten und sich durch die Literatur geackert haben, gibt es keinen "Sonettstreit" etc.
Habe ich nie erlebt bzw. von "KollegInnen" gehört.
Den Streit gibt es nur unter/ bzw. mit den anderen.
mehr braucht man dazu eigentlich nicht sagen
gitano