Lili Gran verschwand im Traum (Schweifsonett, Versuch)

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lili Gran verschwand im Traum

Ich finde keinen Schlaf und wälze mich
im Bette hin und her in meinem Kissen,
Gedanken kreisen, wach ist mein Gewissen,
wo bist du, Lili, was versteckst du dich?
[ 4]Dein Lächeln ließ mich bisher nie im Stich,
du blaue Blume, einfach ausgerissen,
so muss ich deinen herben Duft vermissen,
Pantoffelklang, der durch mein Zimmer strich.
[ 4]Du bist ein Zauber, eine wahre Fee,
du bist der Schwung, aus dem ich dich erschuf,
du hältst mich aufrecht, wenn ich weitergeh.
[ 4]Du bist das Salz, es wurde dein Beruf,
ich weiß, ich weiß, das alte Tor steht offen,
so glaubte ich, ich kann noch auf dich hoffen.
[ 4]Dein Tod ist reversibel, komm zurück,
hat dir mein Pfeil ins schwarze Herz getroffen?
Zieh ihn heraus, sonst findest du kein Glück.
 
G

gitano

Gast
Hallo Bernd!

Was und wie ein Schweifsonett ist, kann man bei
(Prof. Dr.) Borgstedt, Thomas
in
Topik des Sonetts (2009)
S.200
nachlesen
ich hatte ja das Glück ihn zu interviewen ;)

oder auch
bei Weinmann, Peter
Sonett-Idealität und Sonett-Realität (1989)
Reihe Romanica Monacesia
Kapitel 2 Seite 26 und 27

da es ja nach Antonio Da Tempo ´s Poetik: "Summa Artis Rithmici Vulgaris Dictaminis" 2 überlieferte Formen gibt;
Typ I
mit den an pedi und voltae angehängten 3 bis Fünfsilblern
findest du z.B. bei Michelangelo Buonarotti
Typ II der aber eher nicht so bedeutend ist (nach da Tempo - der sogar Zweifel zum Gebrauch druchblicken läßt)
mit angehängter und meist moralisierenden 2/3 voltae mit eigenem Reim etc.pp.

z.B. in der vita nova Dante Aleghieri
(auch in der Übersetzung von Kannegießer 1842)
in Nr. 27,39 und 51


Dass da oben ist ein TEXT. Aber nach meinem Wissen mit Sicherheit keine Sonettform.
Vielleicht kannst Du mir ja auch mal ne Quelle nennen auf die Du diese Form beziehst.

Wo Schweifsonett draufsteht sollte auch Schweifsonett drin sein...

gitano
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Gitano,

vielen Dank, dass Du mein Werk rezensiert hast und besonderen Dank für die Literaturstellen.

Meine Literaturstelle war zum Beispiel:
"Ihr liebt und schreibt Sonette, welche Grille/Die Sonette Johann Wolfgang von Goethes" von Kathrin Jordan,
ein Beispielsonett war von Goethe: "
Ihr möchtet gern den brüderlichen Schlegeln
Mit Axt und Beil den Reisekahn zerstücken; ...

Zum anderen habe ich Sonette von Petrarca, die keine Schweifsonette sind, gelesen.
"Franzesco Petrarcas saemtliche Canzonen, Sonnete, Ballaten (sic) und Triumphe" in der Übersetzung von Karl Förster, 1832

Außerdem habe ich verschiedene Literaturstellen nachgesehen, die ich jetzt nicht mehr ganz genau weiß, hauptsächlich Foren.

Hineingeschaut habe ich bei Friedhelm Kemp "Das europäische Sonett", ohne es aber komplett zu lesen, ich habe dieses Werk nur ausschnittsweise bei Google Books und dort habe ich nach Beispielen gesucht. S. 68 ist das Schweifsonett Goethes erwähnt und die folgende Seite fehlt in der Vorschau, ich habe es aber an anderer Stelle gefunden.

Das Wesentliche als Unterschied zu anderen Sonetten ist nach meinem Verständnis der Literaturstellen, dass sich an das Sextett (meist) eine oder beliebig viele Strophen aus (je) drei Versen anschließen, wobei die Reime nicht streng festgelegt sind.

Kemp weist zugleich darauf hin, dass es einen "Sonettenstreit" gab.

Das Schweifsonett gab es schon weit vor Goethe.

Inhaltlich habe ich keine weitren Besonderheiten gefunden, die sich verallgemeinern lassen, außer, dass es sich zum Teil um didaktische Sonette handelte, wofür Goethes Sonett ein Beispiel ist.

Da es erst mein zweiter Versuch eines Schweifsonettes ist, und der erste ein didaktisches Sonett war, wäre ich dankbar, wenn Du mir schreiben würdest, was falsch ist.

Ist es ein Teil vom Sonettenstreit oder geht es darüber hinaus?
Ist es die grafische Gestaltung?

Viele Grüße von Bernd
und ich freue mich sehr, dass Du geschrieben hast.

Um Dir entgegenzukommen, habe ich die Charakteristik im Titel in "Versuch" geändert, damit klar wird, dass es umstritten ist.

PS: andere Aufteilung:

Lili Gran verschwand im Traum

Ich finde keinen Schlaf und wälze mich
im Bette hin und her in meinem Kissen,
Gedanken kreisen, wach ist mein Gewissen,
wo bist du, Lili, was versteckst du dich?

Dein Lächeln ließ mich bisher nie im Stich,
du blaue Blume, einfach ausgerissen,
so muss ich deinen herben Duft vermissen,
Pantoffelklang, der durch mein Zimmer strich.

Du bist ein Zauber, eine wahre Fee,
du bist der Schwung, aus dem ich dich erschuf,
du hältst mich aufrecht, wenn ich weitergeh.

Du bist das Salz, es wurde dein Beruf,
ich weiß, ich weiß, das alte Tor steht offen,
so glaubte ich, ich kann noch auf dich hoffen.

Dein Tod ist reversibel, komm zurück,
hat dir mein Pfeil ins schwarze Herz getroffen?
Zieh ihn heraus, sonst findest du kein Glück.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
http://books.google.de/books?id=9fl...wbyuoDoDQ&ved=0CDYQ6AEwAA#v=onepage&q&f=false


Karl Försters Übertragung des "Neuen Lebens" Dantes zeigt zahlreiche "normale" dreiteilige Sonette, aber auch vierteilige. (S. 12)
Bei diesem sind entsprechend mehr Verse vorhanden. Ich habe es nicht komplett gelesen, sondern gezielt nach Abweichungen gesucht.
Es stützt die These, dass, sofern es Schweifsonett ist, diese mehr Zeilen - eben den Schweif - aufweisen.
Die Zahl 3n aus bisherigen Quellen lässt sich aber nicht aufrechterhalten, ist aber jedenfalls möglich.

Mein Sonett zerfällt in 5 Teile, davon sind 1 und 2 bzw. 3 und 4 enger verbunden.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Zur Typologie der Sonette: http://books.google.de/books?id=-Tn...0CDwQ6AEwAg#v=onepage&q=schweifsonett&f=false

Topik Des Sonetts: Gattungstheorie Und Gattungsgeschichte
von Thomas Borgstedt

Borgstett beschreibt sehr ausführlich historische Sonettformen, also die Sonettgeschichte.
Zum Schweifsonett steht in den zugänglichen Teilen im Wesentlichen ebenfalls, dass das Sonett verlängert wird.
Außerdem weist Borgstett auf zahlreiche Variationen innerhalb der Form hin - und auch darauf, dass es ein Grenzfall ist.
 
weil mich feste formen außer bei frauen grundsätzlich nicht interessieren,von mir nur'n lob für diese zeile:

du bist der Schwung, aus dem ich dich erschuf,
schön,dass lili gran jetzt ist.

wenn man bedenkt, dass ein vorgesetztes f sie beinah am existieren gehindert hätte.

ach lili!

;-)
 
G

gitano

Gast
Hallo Bernd!
Hier ein Beispiel für ein Schweifsonett
von Michelangelo Buonarotti:

Satirisches Schweifsonett über seine Arbeit an der Decke der Sixtinischen Kapelle:

Schon wächst ein Kropf mir über diesem Placken,

Wie Katzen vom lombard’schen Wasser auch

In andern Ländern mehr, wo Kröpfe Brauch;

Ans Kinn ist mir der Leib wie angebacken.

Den Bart reck’ ich gen Himmel, mit dem Nacken

Rückwärts gelehnt, und mit Harpyien-Bauch,

Derweil der Pinsel, immer überm Aug’,

Ein schön Mosaiko kleckt auf die Backen.

Die Lenden kriechen tief mir in den Ranzen,

Den Steiß ball’ ich zum Knäul als Widerlage,

Nicht einen Strich seh’ ich, den ich gezogen.

Nach hinten schrumpft das Leder mir zu Fransen,

Je mehr ich vorn mich auszudehnen plage,

Und krümme mich als wie ein Syrer-Bogen.

Weshalb doch sehr erlogen

Die Meinung scheint, und wie erdacht von Toren,

Daß man nicht schieß’ aus krummen Blaserohren.

Giovann’, mein totgeboren

Bild nun verteid’ge du, und meine Ehre!

Der Ort taugt nichts, wenn ich auch Maler wäre.

(Übertragen von G. Regis)


wie unschwer zu erkennen ist:
durch Kurzverse (hier settenario) wird eine oder mehrere cauda /caudae angehängt in Form von 2 Endecassillabo mit eigenem Reim und inhaltlich-rückblickend - meist moralisierend auf den Inhalt bezogen.
Im Beispiel sind zwei caudi an die volti angehängt.
(Typ II)

Schema:
v-v-v-v-v-v(a)
v-v-v-v-v-v(b)
v-v-v-v-v-v(b)
v-v-v-v-v-v(a)
v-v-v-v-v-v(a)
v-v-v-v-v-v(b)
v-v-v-v-v-v(b)
v-v-v-v-v-v(a)

v-v-v-v-v-v(c)
v-v-v-v-v-v(d)
v-v-v-v-v-v(e)
v-v-v-v-v-v(c)
v-v-v-v-v-v(d)
v-v-v-v-v-v(e)
v-v-v-v(e) (settenario)
v-v-v-v-v-v(e)
v-v-v-v-v-v(e)
v-v-v-v(e) (settenario)
v-v-v-v-v-v(f)
v-v-v-v-v-v(f)

In diesem Beispiel gibt es aber die Mißachtung der Forderung dass die angehangenen Teile Cauda) im Reim verschieden sein muß zum Corpus des Sonetts UND die Koppelverse länger sind als in den Poetiken beschrieben.
...würde aber zu Buonarotti passen - weil es ist eine Satiere!

In den Übertragungen zu Dantes vita nuova
stehen die angehängten Verse meist ohne Koppelvers (siehe oben)

zu Deinen Einwänden:
Goethe hatte seine Infos -was Sonette angeht - von Gottfried August Bürger,
und der hat leider bei der Übertragung der italienischen Formenlehre ins Deutsche viel Bockmist gemacht. Dies wurde später zum Glück teilweise wieder revidiert.
Goethe selbst hat nie eine Formenlehre geschrieben. Er war eher jemand der es mit den alten Formen auch erst über Kritiken etwas genauer genommen hatte.

Ein Teil der Verwirrung haben die "Gelehrten" selbst geschaffen:
Drei lateinische Synonyme tauchen für die Sonettform auf, die wir im Deutschen als Schweifsonett bezeichnen:
sonettus ritornellatus (Sonett mit wiederkehrendem Teil)
sonettus caudatus (eigentlich "Schwanzsonett")
sonetto colla cauda (Sonett mit Schwanz)
das Problem ergab sich also, als man versuchte den italienischen Urformen deutsche Namensentsprechungen zu geben.

Aber eine Sache ist allen genannten Formen gemein:
die Koppelverse und danach die paarweisen Endecasillabi


Wenn es um Formenlehre geht, gibt es keinen anderen Weg als die entsprechenden Poetiken (Quellen)oder auch philogischen Werke mal zu lesen/durchzuackern und an geeigneten Beispielen nachvollziehen. Ich habe Dir oben ein paar Werke, Kapitel , Seitenzahlen genannt.
Soetwas kann man heutzutage sogar fernleihen....
im http://www. gibt es zu diesem Thema so gut wie nix Fundiertes - außer einigen wenigen Buchauszügen bei google Books...die aber keine Zusammenhänge darstellen.

Nur wird es mit den wenigen Seiten nicht getan sein...der Gesamtzusammenhang aus der Entstehung heraus wäre wichtig.

Beispielsonette aus dieser Zeit (Entstehungs- und Constitutionszeit)wirst Du sicher in den Antiquariaten finden und Bibliotheken finden.

Unter den Leuten, die es wissen wollten und sich durch die Literatur geackert haben, gibt es keinen "Sonettstreit" etc.
Habe ich nie erlebt bzw. von "KollegInnen" gehört.
Den Streit gibt es nur unter/ bzw. mit den anderen.

mehr braucht man dazu eigentlich nicht sagen
gitano
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke für das Beispiel.
In den deutschen Übertragungen, die ich gelesen habe, habe ich selten die Kurzverse gefunden. Dass es verschiedene Arten gibt, habe ich bemerkt, wobei in einigen Arbeiten aus neuerer Zeit die Unterscheidung "vernachlässigt" wurde (es wurde explizit darauf hingewiesen.
Der "Sonettenstreit" ist etwa 200 Jahre alt.

Im deutschen Bereich ist der Begriff durch eigene Entwicklungen erweitert.
Ich bin eher dabei, Vorhandenes, auch relativ Neues (Expressionismus, Klassik, reimlose Sonette, Reimformen wie bei Rilke usw.) zu akzeptieren und versuche, es zu systematisieren.

Danke jedenfalls für die Literaturhinweise. Ich werde dem weitergehend nachgehen.

Streit gab es bei Übersetzungen:
1. Reimformen (und grundsätzliche Rhythmik mit Anpassung an die jeweilige Sprache) erhalten zu Lasten des Inhaltes
2. Reimformen vereinfachen bei Erhaltung der grundsätzlichen Rhythmik
3. ohne Reim und mit neuer Rhythmik
4. ohne Reim und Rhythmik, aber möglichst genaue Übertragung des Inhaltes

Aus all diesen Übersetzungen resultierten dann auch neue Formen (durch Analogie)
Ich neige zu 1 und 2.
Aber auch aus den Übersetzungen erwuchs schon lange lange Streit.
Es macht es nicht einfacher.

Dabei ist hier noch nichts zu Inhalten gesagt. So wurden didaktische und satirische bzw. politische Sonette lange Zeit verpönt.

Die inhaltliche Aufteilung ist heute recht verschieden, war aber relativ streng.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
PS: Zum Sonettenstreit gibt es zum Beispiel folgende Quelle (die ich aber selbst noch nicht gelesen habe):
Der Sonettenstreit und seine Quellen. Eine litterarische Episode aus den Tagen des Preziösentums.
Mennung, Albert

http://www.lrz.de/~Volker.Hoffmann/Streitfragen.html "Streitfragen der Aufklärung" - hier wird der "Sonettenstreit" erwähnt.

Erika Greber "Textile Texte", S. 402
http://books.google.de/books?id=qXh...CGoQ6AEwCQ#v=onepage&q=Sonettenstreit&f=false

Hier ging es beim Sonettenstreit hauptsächlich um die Reimformen, und er wurde sogar polemisch zum "Sonettenkrieg" hochgepuscht.
 



 
Oben Unten