Limi

FieryRainDrops

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Der kühle Nachthimmel funkelte hell über der rauen Oberfläche von Ganymed. Doch es waren keine Sterne, die sich in Kierans kleinen Augen widerspiegelten. Es war der Meteoritenregen, der gekommen war, um ihn von diesem Mond zu vertreiben. Kieran weinte nicht, nicht mehr. Er hatte verstanden, dass seine Heimat kein Ort war.
Gleich würde er zu Mutter und Vater ins Haus rennen und auf die glühenden Punkte am Himmel deuten. „Der Himmel weint Feuer“ würde er dann aufgeregt sagen. Mutter würde die Kanne mit dem Tee, den ihr Mann und Sohn so liebten, fallen lassen. Ihre Hände würden vor die sanften Lippen schnellen, die Kieran jeden Abend mit einem Kuss auf die Stirn in den Schlaf schickten und ihre lieblichen blauen Augen würden sich mit Schreck weiten. Das Lachen auf Vaters Gesicht würde fliehen, als hätte es sich erinnert, dass es keinen Platz an diesem Ort hatte. An die selbe Stelle würde dieser kühle, entfernte und gleichzeitig so besorgte Blick treten, vor dem jedes Kind Angst hat, wenn er von der stärksten Person in ihrer Welt stammt. Kieran kannte diesen Blick nur zu gut. Er hatte ihn gesehen als der Schrott, der die Erde in einem Gürtel umgab, anfing auf Lunas Oberfläche einzuschlagen. Er hatte ihn gesehen, als die Fänge von Venus' Hitze sich durch die schützende Hülle ihres Protektors gruben. Und er hatte ihn gesehen, als sich der Boden unter ihren Füßen im Stickney Krater spaltete, bevor wenige Stunden darauf der einzige Ort, den er jemals zu Hause genannt hatte, Phobos, in zwei Teile brach. Jedesmal wenn sich dieser Blick wie ein Parasit auf dem Gesicht dieses fröhlichen und herzlichen Mannes, den er Vater nannte, festsetzte, fürchtete Kieran, er würde nie von ihm ablassen.
Auch diesmal würde Kieran die selbe Furcht erfüllen. Die friedliche Szenerie dieser warmen Sommernacht würde welken und Chaos würde aus dem Boden sprießen. Panik würde sich über den Raum legen, wie ein tödlicher Dunst. Vater würde auf das Kontrollzentrum des Protektors einhacken und die Komprimierungssequenz einleiten. Mutter würde aufgeregt Anweisungen für Kieran rufen während ihre feinen Finger die Schubladen im Wohnzimmer nach der Kette ihrer Schwester durchwühlen würden. All diese Dinge würden geschehen und sie würden seinem Gedächtnis eine weitere Narbe verleihen. Aber jetzt stand Kieran einfach nur da, sein zartes Gesicht ohne Emotion, seine Augen auf die unaufhaltsame Zukunft gerichtet. Die simulierten Grillen zirpten die Melodie des brennenden Himmels über seinem Kopf. Und für einen kurzen Moment schien es, als wäre die Zeit gefroren. Als gäbe es nichts, außer diesen kleinen Jungen in seinem grünen Schlafanzug. Die leuchtenden Punkte, die auf der Oberfläche seiner aufmerksamen Augen reflektierten, nur eine Vision einer weit entfernten Zukunft.
Und auch wenn Kieran sich gewünscht hätte, dass die Zeit nie wieder ihren gewohnten Lauf fortgesetzt hätte, dass er für immer hier stehen und das tödlich schöne Antlitz dieser Nacht bestaunen könnte, wusste dieser kleine aber schon so reife Junge, dass nichts in diesem Universum Bestand hatte. Sein Blick fiel auf die Höhle, die sein Vater und er zusammen aus Gesteinsbrocken gebaut und wie die alten Festungen der Erde angemalt hatten. Der Ort, in dem die Welt klein und sicher war, wo es kein Feuer und keine Stürme gab und wo die Wahrheit, dass die Menschheit nur noch aus ihm und seinen Eltern bestand, keinen Zutritt hatte. Auch die Geborgenheit dieses Orts war nur eine Illusion und so wandte sich Kieran ab und rannte so schnell, wie ihn seine kleine Füße trugen.
Der Protektor konnte Ganymeds geringe Gravitation ausgleichen, doch auf Kierans Betteln hin hatte sein Vater diese Funktion abgeschaltet. Kieran hatte auf Luna gelernt zu laufen und es war die ähnliche Gravitation hier, die ihm wieder das Gefühl gab, in einer früheren Zeit zu leben, in der er die Schwere seines Schicksals noch nicht verstand.
Von der Terrasse des Folding-Hauses strömte warmes Licht und Gelächter seiner Eltern zu dem kleinen Unheilboten, der nun über die künstliche Oberfläche gleitete, von der ihn seine flinken Füße hoch in die Luft stießen. In seinen Augenwinkeln eilte die eisige Welt von Ganymed außerhalb des sommerlich warmen Protektors entlang. Mit einem letzten kräftigen Sprung landete Kieran genau auf der Schwelle zur Küche, wo sein Vater lachend über den Witz seiner Frau am Herd hantierte.
„Kieran, es dauert bestimmt noch ein bisschen, geh doch noch etwas spielen.“ Das selbstbewusste Schmunzeln über ihren gelungen Scherz zierte noch immer ihr liebliches Gesicht, doch in den Augen ihres einzigen Sohnes las seine Mutter die Wörter, bevor er sie aussprach. Und alles geschah. Die Kanne glitt zu Boden, Vaters Lachen verstummte und Kieran sah zu, wie seine Welt wieder einmal auseinanderbrach.
Ganymeds Gravitation zog nur langsam an den Gegenständen, die seine Mutter beim Durchwühlen der Schubladen über ihre Schulter warf. Kleidung, Papier und Erinnerungen schwebten durch das Zimmer wie Schneeflocken in einer kühlen Winternacht. Und wäre da nicht diese Frau gewesen, die mit ihren zarten Fingern hektisch nach Erinnerungen an bessere Zeiten suchte, hätte man meinen können, der Zeitfluss an diesem Ort wäre verlangsamt gewesen.
Kieran stand immer noch auf der Schwelle, wo er gelandet war, während um ihn herum Frieden Chaos gebar. Er hasste es, nutzlos zu sein. Doch seine Augen suchten vergeblich nach Halt in der Hysterie, die sich ihm offenbarte. Aus dem Arbeitszimmer hörte er seinen Vater heftig fluchen.
„Wo in aller Welt!“ Seine kräftige Stimme ließ die Luft zittern. „Kieran! Papa braucht deine Hilfe!“ Kieran war schon losgerannt bevor er seinen Satz beendet hatte.
Der voluminöse Mann, der zwischen Stiften und umgeworfenen Akten auf den Schreibtisch lehnte, fauchte wüste Sätze in seinen roten Bart, während seine kräftigen Hände das dunkle Mahagoniholz abtasteten.
„Kieran! Ich kann meine Brille nicht finden. Papa braucht deine Adleraugen!“
Ohne weitere Erklärung rannte der kolossale Mann auf die Tür zu und klemmte auf seinem Weg den Jungen unter den Arm, der angesichts des plötzlichen Sprints seines Vaters zusammenzuckte. Kierans Welt drehte sich auf die Seite, während sein Vater durch den Korridor ins Kontrollzentrum rannte.
Der Bär von einem Mann nahm sich nicht einmal die Zeit, die Klinke herunterzudrücken. Stattdessen befreite er im Rennen mit vorgehaltener Schulter die Tür aus ihrem Rahmen. Das rechteckige Holzstück drehte sich ein paar Mal um die eigene Achse, bevor es krachend auf dem blau leuchtenden Armaturenbrett in der Mitte des Raumes landete. Kierans Vater wischte es kurzerhand zur Seite, stellte seinen Sohn neben sich ab und begann auf die Tastatur einzuhacken.
„Kieran! Was steht auf der Kugel?“
Kieran schaute sich hektisch um, auf der Suche nach der Kugel, von der sein Vater sprach. Der Raum hatte keine Fenster und die einzige Lichtquelle war das blaue Leuchten des Armaturenbretts und der Schein der Deckenlampe aus dem Korridor. Kieran liebte seinen Vater dafür, dass er sein Vertrauen in ihn setzte und das Letzte, was er wollte, war ihn zu enttäuschen. Doch so sehr er sich auch anstrengte, seine Augen hatten sich der Dunkelheit noch nicht angepasst und mit jeder Millisekunde, die er nutzlos dastand, breitete sich die Verzweiflung weiter in ihm aus. Da erschien plötzlich ein Hologramm genau an der Stelle, an der Kieran stand und tauchte den Raum in warmes Licht. Auf der Oberfläche der orangefarbenen Kugel, bewegte sich ein blauer Schriftzug über das Netz aus senkrechten und horizontalen Linien, die die planetenähnliche Form überzogen. Kieran konnte lesen, aber was er sah, ergab für ihn keinen Sinn.
„M-I-N-U-E-R-E-7-3-2“
Die Finger seines Vaters flogen blitzschnell über die Tastatur und prompt erschien ein neuer Schriftzug über dem Vorherigen.
„T-R-A-4-F-3-E-R-R-1-E“
Eine ironische Stille erfüllte die Luft, während Vater und Sohn gemeinsam um ihr Überleben kämpften. Kierans hohe Stimme war die Melodie auf den Rhythmus der raschen Tippgeräusche seines Vaters. Binnen weniger Sekunden war die ganze Kugel mit blauen Schriftzügen übersät. Mit einer abschließenden Handbewegung drückte Kierans Vater einen Knopf und all die eingegebenen Schriftzüge verschwanden im Inneren der Kugel. Auf einen Schlag leuchtete das Hologramm hell auf und ein aggressives Rot verschlang das Innere des Hauses. An die Stelle der Schriftzüge war eine fett gedruckte „180“ getreten, die erst zu einer „179“ und dann zu einer „178“ wurde. In weniger als drei Minuten würde sich die schützende Hülle des Protektors abschalten und das gesamte Haus, inklusive aller Objekte in ihm, würden auf die Größe eines Kleiderschranks schrumpfen.
„Hör zu Kieran. Du musst jetzt so schnell du kannst zur Puma rennen. Mach keine Umwege, nimm nichts mit. Schaue nicht nach hinten. Hast du mich verstanden?“ Sein Vater blickte ihm tief in die Augen.
Kieran presste die Lippen zusammen und nickte verantwortungsbewusst, was das wärmste Lächeln auf das besorgte Gesicht seines Vaters zeichnete. Er liebte seinen Sohn mehr als alles andere in der Welt und auch wenn er ihm keine richtige Kindheit bieten konnte, erfüllte es ihn mit unbändigem Stolz, wie reif dieser kleine Junge mit seiner großen Zahnlücke für sein Alter war.
Kieran sprintete jetzt durch die rote Apokalypse, die noch vor ein paar Minuten der friedlichste Ort im ganzen Universum war. Jede Lampe im Haus warf schrilles Rot an die Wände und projizierte das Hologramm des Countdowns. Mit jedem Schritt wurde die Zahl geringer, mit jedem Schritt kam der Meteoritenregen näher. Im Wohnzimmer eilte seine Mutter immer noch von Ablage zu Ablage, doch die Worte seines Vaters hallten durch Kierans Kopf und ohne zu stoppen stieß er die breite Haustür ins Freie auf.
Der Protektor simulierte immer noch eine warme Sommernacht mit zirpenden Grillen und einem Duft von verkohltem Feuerholz. Kieran liebte es, wenn dieser rauchige Geruch durch das halbgeöffnete Fenster in sein Zimmer schwebte, um ihm einen Nachtduft zu singen. Jetzt nahm er ihn nicht einmal wahr. Seine Aufmerksamkeit galt dem Y-förmigen Transporter am Rande der Barriere. Das blaue Glas der zwei Cockpits funkelte im Kontrast zu der mattschwarzen Lackierung, wie die Augen einer Raubkatze, die im Schutz der Schatten lauert, um ihre Beute mit einem gezielten Schlag ihrer mächtigen Pranke zu Boden zu bringen. Mutter wollte nicht, dass Kieran lernte, die Puma zu fliegen, doch auch Mütter gehen irgendwann schlafen. Einmal im Monat stand Kierans Vater nachts vor dem Fenster seines Sohnes. Die Iontriebwerke des Transporters waren lautlos, weswegen Mutter nicht hörte, wenn Vater und Sohn abhoben, um durch die Wirbelstürme auf Jupiter zu fliegen. Die Puma war auch nur von einem Cockpit bedienbar, aber ähnlich wie Segelboote in den alten Zeiten, erleichterte es die Navigation erheblich, wenn die Besatzung als Team agierte, um den Kurs zu bestimmen. Anfangs übernahm sein Vater noch einen Großteil der Steuerung, doch schon nach wenigen Flügen fing Kieran an, den Geist des Schiffs zu verstehen. Es dauerte nicht lange, bis er fast ohne Hilfe zielsicher durch Asteroidenfelder manövrieren und all die hundert Schalter und Knöpfe im Cockpit bedienen konnte. Es war aus diesem Grund, dass Kieran nun die Treppe zum linken Cockpit hochhechtete, um die Triebwerke zu starten.
Kieran wusste nicht, welche Prozesse im Inneren des Transporters abliefen, aber er wusste, welche Hebel er umlegen musste, um die Puma zum Schnurren zu bringen. Kein Geräusch, nur ein leichtes Vibrieren und alle Anzeigen leuchteten hell auf, alle Zeiger schlugen kurz aus, bevor sie ihre normale Position einnahmen, als würden sie sich nach einem erholsamen Schlaf strecken. Mit einem Blick auf das Display über der Steuerblase stellte er sicher, dass der Elektronenaustausch in den Triebwerken reibungslos ablief, bevor sich Kieran auf dem Sitz neben dem des Piloten anschnallte. Nicht dass er auch nur im Ansatz gewusst hätte, was zu tun gewesen wäre, wenn die Anzeige nicht die gewohnten drei Pfeilen präsentiert hätte, aber er hieß jede Gelegenheit willkommen, sich in dieser Hektik fähig zu fühlen.
Die entfernten Stimmen seiner Eltern nahmen Gestalt an, während nackte Füße im schnellen Takt auf die kühlen Stufen der Metalltreppe auftrafen. Erleichterung strömte ihn das von Sorge gekrümmte Gesicht seiner Mutter, als sie Kieran auf seinem Sitzplatz entdeckte. Sie fuhr mit ihren Fingern zärtlich über seine Wange und Kinn, bevor sie zum Steuer eilte. Für einen kurzen Moment hielt die aufgewühlte Frau inne und wunderte sich, dass die Triebwerke schon liefen. Doch innerhalb weniger Bruchteile einer Sekunde erinnerte sie sich, dass dafür keine Zeit blieb und nahm mit einem verwunderten Kopfschütteln ihren Platz ein.
Es war erst jetzt, dass Kieran anfing zu realisieren. Erst jetzt fing er an zu verstehen. Jetzt, da es zu spät war, holte ihn die Realität ein. Limi. Kieran schlüpfte aus seinem Gurt und sprang von seinem Sitz.
„Was in aller Welt hast Du vor?“ Die ozeanblauen Augen seiner Mutter durchbohrten ihn.
Kieran antwortete nicht. Mit jedem Atemzug glitt der Hauch der Chance, die ihm noch blieb, aus seinen Fingern.
„Kieran! Wage es nicht!“
Er hatte schon längst erspäht, wie seine Mutter heimlich ihren Gurt gelöst hatte. Flink duckte er sich mit einer Drehung unter ihren Händen weg, bevor er die steile Treppe hinabschoss, das aufgebrachte Rufen und Flehen seiner Mutter im Nacken. Die Luke war vom Cockpit aus verschlossen worden, doch Kieran wusste, dass der Hebel neben dem Ausgang alle anderen Eingaben überbrücken konnte. Mit einem Sprung, der aufgrund der geringen Gravitation nicht viel Kraft erforderte, zog er den Griff herunter und die Tür schnellte auf.
Aus den Fenstern links und rechts des Eingangs drang bedrohliches rotes Licht, was dem Folding-Haus die Erscheinung einer wütenden Bestie gab. Kieran rannte direkt auf den geöffneten Schlund zu. Auf dem Weg lagen samtgrüne Pantoffeln, zehn Meter voneinander entfernt, in der Hektik von den Füßen seiner Mutter abgefallen. Die glühenden Punkte am Nachthimmel über der Szenerie waren auf das Zwanzigfache ihrer ursprünglichen Größe angeschwollen. Hundert brennende Augen schauten zu, wie ein kleiner Junge in seinem Schlafanzug so schnell rannte, wie er konnte, um das Wenige, was ihm noch blieb, zu retten.
Kierans Atem ging schnell, als er auf der Schwelle zum Korridor landete. Sein Blick fand die fauchende Siebenundzwanzig, die als Hologramm von der Decke hing. Sechsundzwanzig. Kieran war flink. Zeit war sein Gegner.
Er rannte am Wohnzimmer vorbei, passierte das Arbeitszimmer und das Kontrollzentrum, bis er endlich die Tür zu seinem Raum aufstieß. Die Schreibtischlampe tauchte das Zimmer in schreiendes Rot, unter ihr lungerte der Countdown. Neunzehn. Achtzehn. Kierans Welt brannte. Die Panik war lautlos, aber sie machte ihn taub. Dieses vertraute Zimmer kam ihm so furchtbar fremd vor. Und da, inmitten des Untergangs, schlummerte sie ohne eine einzige Sorge in der Welt. Ihr spitzes Gesicht auf den Pfoten abgelegt, die Augen geschlossen. Der buschige Schwanz verdeckte ihre feine Schnauze und schützte sie und ihre sanften Träume vor dem hässlichen Antlitz der Realität. Ihr sonst schneeweißes Fell leuchtete rot im Licht des Alarmsystems. Genau wie Kieran, war Limi die Letzte ihrer Art. Wie konnte er sie jemals vergessen?
Ihre laubbraunen Augen schauten Kieran erschrocken an, als er sie fest an sich drückte. Sie hatten ihm schon so viel genommen, aber nicht Limi. Mit einer Hand öffnete er das Fenster, während die Andere den Polarfuchs an seine Brust presste. Ihre flauschigen Ohren zuckten nervös hin und her, als würden sie die herankommende Gefahr hören. Kieran kletterte aus dem Fenster und lies sein Zimmer mit dem bedrohlichen Countdown hinter sich.
Elf.
Zehn.
Neun.
Das ganze Universum hielt inne. Seine Eltern würden eher sterben, als ohne ihn zu gehen. Die Menschheit hing an den Beinen dieses kleinen Jungen. Und diese Beine rannten, rannten so schnell, wie sie noch nie gerannt waren. Die Puma war noch ungefähr fünfzehn Meter entfernt. Kieran sprang.
Acht.
Sieben.
Kein Geräusch.
Sechs.
Fünf.
Brennender Himmel.
Vier.
Drei.
Kieran streckte seine nackten Füße nach vorne. Jeden Moment würden sie den kalten Boden des Transporters finden und Kieran und Limi wären sicher. Oder der Protektor würde sich deaktivieren und niemand könnte Junge und Fuchs vor Eis, Feuer und Leere retten.
Zwei.
Eins.
Bomp.
Luke schloss. Schutzblase löste sich auf. Kälte und Sturm überfiel den Transporter und Kieran drehte sich um, um durch das Fenster zu beobachten, wie das Haus zusammenklappte und in einem Lichtstrahl in den Bauch der Puma gezogen wurde.
Limi löste sich aus seinem Griff und schnellte grazil die Treppe zum linken Cockpit hinauf. Kieran wollte ihr hinterher, doch stolperte und fiel auf die Knie. Am liebsten wäre er einfach hier liegen geblieben, aber das plötzliche Ruckeln des Transporters brachte ihn zurück in die Realität und erinnerte ihn, dass die Gefahr noch nicht vorüber war. Er rappelte sich auf und stürmte die selbe Treppe hoch.
Seine Mutter wollte schimpfen, doch ihr Körper zitterte noch immer von der Gewissheit, ihr einziges Kind verloren zu haben und aus ihrem leicht geöffneten Mund drang nichts, außer ein leises Geräusch der Erleichterung. Ihre Mundwinkel verzogen sich und sie drückte den kleinen Jungen fest an sich. Sein Kopf versank im losen Haar seiner Mutter, während sie ihre Lippen gegen seine Schädeldecke presste.
„Mach das nie wieder.“
Sie küsste seine Stirn und wies ihm, sich auf seinen Platz zu setzen, den Limi mit unangefochtener Selbstverständlichkeit für sich in Anspruch genommen hatte. Kieran hob sie unter ihrem empörten Blick hoch und schnallte sich an. Seine Mutter, die ihre Konzentration jetzt der Steuerblase gewidmet hatte, legte drei Schalter um, bevor sie mit einer ansteigenden Handbewegung den Transporter zum Abheben brachte. Kierans Blick wanderte aus dem Fenster, während die Puma innerhalb weniger Sekunden auf mehrere hundert km/h beschleunigte. Der Aufschlag des ersten Kometen, circa einen Kilometer entfernt, schleuderte eine riesige Wolke Eisstaub in die Luft, der langsam, wie im Traum zu Boden glitt. Die nächsten Zwei rissen die Oberfläche an der Stelle auf, wo Kieran noch vor zehn Minuten den Sternenhimmel beobachtet hatte. Ein aufgeschleuderter Eisbrocken schliff das Heck der Puma und brachte den Transporter gefährlich ins Trudeln. Doch Kierans Mutter ballte die von der Steuerblase umgebene Hand zur Faust und stabilisierte die Flugbahn. Ein violettes Warnlicht blinkte auf dem Display auf. Im anderen Cockpit zweigte Kierans Vater Energie von den Triebwerken zu den unteren Reflektoren ab. Limi, die von der Erschütterung die Treppe heruntergeschleudert worden war, hastete auf Kierans Schoß, wo sie von ihrem Freund fest umklammert wurde. Hätte Kierans Mutter nicht im letzten Moment die Hand zur Seite gerissen, hätte der nächste Komet wohl das ganze Schiff zerteilt. Ein Gesteinsbrocken nach dem anderen, brachte die kraterreiche Oberfläche von Ganymed zum Bersten. Alles versank in grau-türkisem Staub, bis die Puma endlich mit blau funkelnden Augen und einem Schweif aus Asche und Eis aus der Wolke herausschoss. Kieran beobachtete aus dem Fenster, wie Jupiter in seiner gewaltigen Größe hinter dem Chaos auf Ganymed aufging. Das durchdringende Auge des Gasgiganten sah regungslos zu, wie Kierans Höhle von Staub und Gestein verschlungen wurde. Ganymed war nicht länger ein funkelnder Mond, sondern ein aufgequollenes Chaos aus Eis und Dreck. Kieran wandte den Blick ab.
Das wirre Haar seiner Mutter hing über der Lehne ihres Sitzes, während sie sich von der Steuerblase löste und ihr erschöpftes Gesicht in den Händen vergrub. Durch die Fingerspitzen spähte sie in die endlose Leere, die sich vor ihnen erstreckte. Sie war sich so sicher, endlich ein zu Hause für ihre Familie gefunden zu haben, doch wieder konnte sie ihrem einzigen Sohn keine Heimat bieten. Und auch wenn sie der Wahrheit nie ins Gesicht blicken wollte, begriff sie nach und nach, was sie schon immer befürchtet hatte. Für sie gab es keine Heimat und es würde nie eine geben, denn sie waren die Nomaden der Unendlichkeit.
 

ahorn

Mitglied
Hallo FieryRainDrops,
toll, dass du den Weg zur Leselupe gefunden hast.
Ich habe deinen Text mit Interesse gelesen. Er ist relativ poetisch, romantisch gehalten. Geschmackssache. Wichtig ist, dass er dir Freund bereitet.
Da sind wir sofort bei des berühmten Puddels Kern.
Blumig zu schreiben, heißt nicht, die Wirklichkeit außer acht zu lassen. Glaubhaftigkeit steht stets an erster Stelle. Du erzählst die Geschichte nicht einem guten Kumpel, der dich kennt, sondern einem Fremden: deinem Leser.

Fang ich Mal vorne an. Du hast dich entschieden, die Geschichte in der dritten Person zu schreiben. Fakt!
Wie viele Personen existieren, bevor der Leser den ersten Satz liest?
Eine.
Da ist es vollkommen egal, wie du anfängst. Wer ist diese Person?
Der Erzähler.
Welche Aufgabe hat dieser Erzähler?
Platt gesagt, er führt durch die Geschichte.
Was kann, was darf dieser Erzähler?
Alles. Fast alles! Denn was sollte er nicht tun. Eine Meinung haben, interpretieren oder gar lügen. Was er berichtet ist Fakt.

Komm ich zu deinem ersten Satz.
Der kühle Nachthimmel funkelte hell über der rauen Oberfläche von Ganymed.
Was ist der Himmel?
Einfach formuliert, eine Projektion einer Atmosphäre auf unsere Netzhaut.
Kann diese kühl sein?
Nein! Es ist eine Interpretation.
Wenn etwas funkelt, ist es sodann dunkel?
Nein! Was funkelt ist hell.


Der Nachthimmel funkelte über der rauen Oberfläche von Ganymed.
Wer erzählt? Der Erzähler.

Du kannst aber gleichsam im ersten Satz die Perspektive ändern.

Der Nachthimmel funkelte über der rauen Oberfläche von Ganymed und ließ ihn frösteln.

Oder

Der Nachthimmel strahlte für ihn Kühle aus, obwohl er über der rauen Oberfläche von Ganymed funkelte.

Wer erzählt? Eine noch unbekannte Person. Ob ich diese mag oder nicht, spielt keine Rolle, aber diese darf interpretieren.

Zweites Beispiel
Die ozeanblauen Augen seiner Mutter durchbohrten ihn.
Hier denkt die Person. Okay!
Aber bitte, wenn du Phrasen benutz, dann korrekt.
Der Blick der Mutter durchbohrte ihn.
Ansonsten wirkt der Satz abstrus.
Alternative mit Sinn:
Seine Mutter wandte ihm ihr Gesicht zu. Ihre ozeanblauen Augen dominierten jenes, als beabsichtigten diese ihn zu durchbohren.
Es sei denn, seine Mutter ist ein Alien, die ihre Augen als Waffe benutz.

Es sind zwei Beispiele. Ich könnte beinahe jeden zweiten Satz aus deinem Text herausfischen.

Du liebst, wie jeder Mensch den Konjunktiv. Okay! Wir Menschen lieben das Unverbindliche, aber bitte nicht in einer Erzählung.

Beispiel:
Im ersten Abschnitt erzählst du, wie er sich vorstellt, wie seine Mutter reagiert.
Woher weiß er dies?
Weil er aus Erfahrung weiß, wie sie reagiert.
Warum schriebst du dieses nicht.

Gleich würde er zu Mutter und Vater ins Haus rennen und auf die glühenden Punkte am Himmel deuten. „Der Himmel weint Feuer“ würde er dann aufgeregt sagen.
Er eilte zu seiner Mutter, zu seinen Vater ins Haus, nahm sich vor, auf die glühenden Punkte am Himmel zu deuten. Den Satz ‚der Himmel weint Feuer‘ auf den Lippen, verharrte er. Wie hatte seine Mutter beim letzten Mal reagiert ....

Fremdwörter!
Verzichte auf Fachbegriffe, die du nicht vorher erklärt hast.
Transporter, Protektors etc

Fazit:
Abgesehen davon, dass dein Text keine Story hat. Eine Familie, die aufbricht, ist keine. Schreibst du dynamisch. Leider steht dein Text in der falschen Rubrik. Fantasie oder SF wäre angebrachter. Kontaktiere den Redakteur, damit er deine Geschichte verschiebt. Oder, gleich @jon - unsere SF Spezialistin.
Aber eins hat deine Geschichte: potenzial. Potenzial als erstes Kapitel eines Romans, denn diese endet mit einer Frage.
Warum?

Solltest du fragen haben, kannst du mich jederzeit kontaktieren.

Gruß
Ahorn
 

FieryRainDrops

Mitglied
Hallo Ahorn,

Vielen Dank für Deine ausführliche und vor allem ehrliche Kritik. Deine Ratschläge haben mir gute Denkanstöße gegeben. Ich werde mich gleich darum kümmern, dass meine Geschichte in die richtige Sektion verschoben wird. Vorher möchte ich jedoch noch ein paar Punkte ansprechen. Ich fürchte, dass unsere Konversation unterbrochen wird, wenn die Geschichte jetzt verschoben wird.

Ich bin der Meinung, dass der Erzähler sehr wohl interpretieren und werten darf. Ein Erzähler wie Du ihn beschreibst, ist in meinen Augen ein neutraler Erzähler. Dieser Erzählperspektive verpflichte ich mich ja aber nicht, vielmehr soll mein Erzähler die Gefühlslage und die kindliche Ansicht des Hauptcharakters widerspiegeln. Studienkreis schreibt über den auktorialen Erzähler: „Beim auktorialen Erzählverhalten tritt der Erzähler deutlich in Erscheinung und mischt sich in das Geschehen ein, indem er Handlungen kommentiert, Vergangenes nachträgt oder auf Zukünftiges verweist. Somit kommuniziert er mit dem Leser, kann ihm Erklärungen geben oder ihn sogar direkt ansprechen. Auch Reflexionen und Urteile lässt der auktoriale Erzähler gelegentlich einfließen. […]“ (https://www.studienkreis.de/deutsch/erzaehlperspektiven/, 03.08.2020).

Du meinst, dass Du beinahe jeden zweiten Satz bezüglich fälschlich benutzter Phrasen herausfischen könntest. Zuerst zum zweiten Beispiel. „Die ozeanblauen Augen seiner Mutter durchbohrten ihn.“ Deine Kritik kann ich hier gut nachvollziehen, komische Wortwahl meinerseits. Als anderes Beispiel hast Du den Satz, „Der kühle Nachthimmel funkelte hell über der rauen Oberfläche von Ganymed.“, gewählt. Natürlich kann der Himmel per se keine Temperatur haben. Das ist vielmehr eine bildhafte Interpretation meinerseits, wenn man es so möchte eine Synästhesie. Auf die tatsächliche Temperatur der Szenerie gehe ich ja später noch ein. Berechtigt finde ich auch die Kritik am, zugegebenermaßen unbeabsichtigten, Pleonasmus des hellen Funkelns. Das klingt in der Geschichte eher nach Unachtsamkeit als nach überlegter Poesie. Ich verstehe durchaus, dass solche Formulierung platt wirken können und werde das in Zukunft beim Schreiben im Hinterkopf behalten.

Etwas schade finde ich, dass Dich folgender Ausschnitt nicht anspricht: „Gleich würde er zu Mutter und Vater ins Haus rennen und auf die glühenden Punkte am Himmel deuten. >>Der Himmel weint Feuer!<< würde er dann aufgeregt sagen. Mutter würde die Kanne mit dem Tee, den ihr Mann und Sohn so liebten, fallen lassen. Ihre Hände würden vor die sanften Lippen schnellen, die Kieran jeden Abend mit einem Kuss auf die Stirn in den Schlaf schickten und ihre lieblichen blauen Augen würden sich mit Schreck weiten. Das Lachen auf Vaters Gesicht würde fliehen, als hätte es sich erinnert, dass es keinen Platz an diesem Ort hatte. […]“ Der Konjunktiv ist hier sehr bewusst gewählt, als Ausblick in die nahe Zukunft (eine Charakteristik des auktorialen Erzählers s.o.). Dadurch hatte ich mir erhofft, den Moment der „Ruhe vor dem Sturm“ eindrucksvoller darzustellen. Wenn das beim Leser nicht die gewünschte Assoziation hervorruft, ist das natürlich meine Schuld als Autor. Das finde ich schade. Jedoch steht der Konjunktiv hier keinesfalls für das Unverbindliche, wie er das häufig in der Alltagssprache tut, sondern viel mehr für das Unausweichliche.

Es freut mich, dass Du Potenzial für einen Roman in meiner Geschichte siehst. Für mich ist sie aber nur ein kleines Schreibexperiment einer Momentaufnahme in einem, größtenteils unerklärtem und deshalb frei interpretierbaren Universum.

Viele Grüße,
FieryRainDrops
 

jon

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Teammitglied
„Beim auktorialen Erzählverhalten tritt der Erzähler deutlich in Erscheinung und mischt sich in das Geschehen ein, indem er Handlungen kommentiert, Vergangenes nachträgt oder auf Zukünftiges verweist. Somit kommuniziert er mit dem Leser, kann ihm Erklärungen geben oder ihn sogar direkt ansprechen. Auch Reflexionen und Urteile lässt der auktoriale Erzähler gelegentlich einfließen. […]“ (https://www.studienkreis.de/deutsch/erzaehlperspektiven/, 03.08.2020).
Jain. Das alles kann der auktoriale Erzähler machen, muss er aber nicht.
Es gibt neben dem "Wissen des Erzählers" (auktoriale sind allwissend) auch Erzählhaltungen. Wenn man z. B. den Leser direkt ansprechen will, muss man eine andere Haltung zum Leser einnehmen, als das in den meisten Fällen gemacht wird. Meist wird eher wie im Kino erzählt: Man erzählt "so vor sich hin", wissend, dass Leute zusehen. Den Leser direkt anzusprechen ist eher mit der Situation der (das ist nicht abwertend gemeint) Kneipenerzählung oder des Märchenonkels vergleichbar, der – wenn er merkt, dass er Aufmerksamkeit zu verlieren droht, oder wenn eine aus seiner Sicht besonders wichtige Stelle kommt - sich nicht auf den Text allein verlässt, sondern gwissermaßen persönlichen Kontakt aufnimmt.
 

ahorn

Mitglied
Kneipenerzählung oder des Märchenonkels
Nenne es ruhig beim Namen.
Der gute alte deutsche Oberlehrer - neudeutsch Klugscheißer. ;)
Ich liebe klugscheissen, aber bitte nicht in der Literatur. :rolleyes:
(Es gibt noch eine Steigerung: Anmerkung des Verfassers)
 

jon

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Teammitglied
Nenne es ruhig beim Namen.
Der gute alte deutsche Oberlehrer - neudeutsch Klugscheißer. ;)
Ich liebe klugscheissen, aber bitte nicht in der Literatur. :rolleyes:
(Es gibt noch eine Steigerung: Anmerkung des Verfassers)
Der kugscheißende Erzähler ist eine Form des Kneipenerzählers/Märchenonkel. Der Ton macht den Unterschied. Kennst du die alte Verfilmung von "Die Geschichte vom kleinen Muck"? Da sitzt der alte Muck auf einem Regal und erzählt den Kindern was - anfangs noch einigermaßen zurückhaltend, aber dann immer eindringlicher (dazu geht der Film auf den alten Muck, während die Story vorwiegend mit Bild auf den kleinen Muck gezeigt wird). Das ist ein Tonfall. Einen anderen praktizierte Karl May - der sprach die Leser zwar nicht direkt an, dozierte aber, was das Zeug hielt.
 

ahorn

Mitglied
Da sind wir bei des Pudels Kern.
Weh, weh, wenn ich das Ende seh.
Meinen mir hoch geschätzten Busch hast du vergessen. ;)
Der Karl, den May hab ich vor 40 Jahren verschlungen und den kleinen Muck - muß ich zugeben - kenne ich von der Defa - vielleicht sollt ich ihn mal lesen. :rolleyes:
Was ich meine ist einfach. Wenn der Erzähler Situationen erklärt, damit ich diese als Leser besser verstehe okay.
Aber!
Wenn der Erzähler, die Situationen interpretiert, gehört dieses wahrlich ins Reich der Kneipenerzählers/Märchenonkel Geschichten.
Die Interpretationshoheit möchte ich als Leser behalten. :)
 

ahorn

Mitglied
Sorry ich habe einen Fehler gemacht.
Meine eigene Philosophie torpediert.
Ich meinte natürlich den Besserwisser, denn der Klugscheißer präsentiert sein Wissen, ohne dieses zu interpretieren. :eek:
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Hallo FieryRainDrops, ,

ich bin zwiegespalten. Die Ministory an sich ist ja nicht unspannend, aber die Spannung wird ständig torpediert. Mitten in der Action wirfst du umständliche Sätze, Info-Sätze, umständliche Info-Sätze und für die Szene Unerhebliches in die gerade anlaufende Maschinerie. Auch anderes ist umständlich formuliert. Und - und jetzt bitte nicht einschnappen - das Ganze ist so voller kitschiger Passagen, dass es mir wehtut: Völlig überzogene "schöne Formulierungen", unnötiger Zierrat, mehrfacher Zierrat, kitschige Bilder. Ich habe im angehängten Lektorat das gar nicht alles angestrichen; wenn du willst, reiche ich nach, welche Stellen ich zu zuckerig, zu kitschig finde.

Zum Erzähler: Ja, so kann nur ein auktorialer Erzähler erzählen, einer ganz nah am Märchenonkel (der ohne Rücksicht auf die Story alle Register zieht, um den Leser zu beeindrucken). Dabei gehört vieles, was ein neutraler Beobachter nicht sehen könnte, oder was bei personellem Erzählen mit nur einem Point of View nicht erzählbar wäre, zu eben den kitschigen Elementen.
Ich sehe aber nicht, was die Geschichte durch diesen Erzähler gewinnen würde. (Durch genau diesen (den Blumigen) verliert sie sogar.) Die Geschichte kann man ohne Verlust auf den heute meist anzutreffenden Erzählertypus umschreiben. Der ist zwar (versteckt) auktorial, erzählt aber personell und weitgehend beobachtend (wie eine Kamera auf der Schulter des Point of View, die Echos auch von den Emotionen und dem Wissen des PoV empfängt).

Abgesehen von ein paar semantischen Missgriffen (die z. T. auch im Bestreben des Besonders-Schön-Schreibens entstanden) und einer nicht stringenden Darstellung der Figur Kieran habe ich den Eindruck, dass du genug Talent zum Schreiben hast. Du kannst dich also auf die Story konzentrieren, du musst nicht krampfhaft versuchen, schön zu schreiben. Es geht beim Schreiben darum, die passendsten Wörter zu finden, nicht darum, die schönsten zu finden.

Ich weiß nicht, ob du genug Stoff für einen Roman hast, aber mehr kannst du aus der Story schon machen. Das wichtige Element, was hier fehlt, ist eine Andeutung, warum diese drei Menschen die letzten sind. Unter Umständen ist das mit zwei, drei Sätzen erledigt, eventuell reicht die Ursache für einen parallelen Erzählstrang. Wenn du dich dabei auf die Story konzentrierst statt auf blumige Sprache kann das richtig gut werden.

LG von jon

(Anbei das Mini-Lektorat. ich musste die Schrift des Textes so groß machen, damit im PDF die Kommentare alle zu lesen sind.)
 

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FieryRainDrops

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Hallo jon,

Ich habe mich sehr über Deine ehrliche Kritik gefreut. Ich kann gut nachvollziehen, dass meine Geschichte streckenweise kitschig klingt.

Es geht beim Schreiben darum, die passendsten Wörter zu finden, nicht darum, die schönsten zu finden.
Das finde ich sehr treffend formuliert und werde es definitiv im Kopf behalten.
Außerdem freut mich, dass Du nichtsdestotrotz Talent in mir siehst.

Beim Lesen Deines Lektorats musste ich häufiger laut lachen. Es war sehr amüsant zu sehen, wie Du mit meiner Geschichte gekämpft hast. Ab und zu kommt in mir der Drang auf, zu widersprechen oder mich zu rechtfertigen. Im Endeffekt ist es aber natürlich meine Schuld, wenn ich beim Leser nicht den gewünschten Eindruck hinterlasse. Teils unterscheiden sich Deine und Ahorns Auffassungen aber stark von anderen Kritiken, die ich erhalten habe, was mich grübeln lässt, welchen Effekt ich denn nun wirklich auf den besagten Leser habe. Das hängt dann aber auch wieder stark vom jeweiligen Geschmack ab, nehme ich an.

Alles in allem hast Du mir viel geholfen und ich bedanke mich für die investierte Zeit!

Liebe Grüße,
FieryRainDrops
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Boah, da hab ich ja ein Tipp-Desaster in den Kommentaren des Lektorats abgeliefert. Sorry. Ich schäme mich, ich werde gleich ganz klein deswegen. Davon abgesehen:

Ab und zu kommt in mir der Drang auf, zu widersprechen oder mich zu rechtfertigen.
Manchmal hilft es, dem Drang nachzugeben, besonders wenn man den Eindruck hat, der Kritiker hätte etwas missverstanden. Manchmal hat er das, und manchmal geht das nicht (allein) auf die Kappe des Autors. Ist mir schon passiert, dann habe ich nach der Richtigstellung einen ganz anderen Vorschlag gemacht bzw. die Stolperstelle in einem anderen als dem angemerkten Detail erkannt.
In dem Sinne: Wenn was unklar ist oder dir nicht plausibel erscheint oder du einfach was nicht deuten kannst *hüstel*, frag ruhig nach.
 



 
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