Lob der Scheiße

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rotkehlchen

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Nun fahren Sie doch nicht gleich hoch, hören Sie doch erst mal zu! Da sagt man mal ein scharfes Wort, und schon sitzen die Leute auf dem Sofa und nehmen übel!
Wie?
Ja, ja. Ich weiß. Es gibt haufenweise Literatur zu diesem Thema, angefangen von Plato über H. M. Enzensberger bis hin zu diesen modernen Historikern, die vor nichts zurückschrecken und die menschliche Kultur auf dieser Art von Ausscheidung gründen. Ach ja, nicht zu vergessen den Maulwurf, der nicht wusste, wer ihm auf den Kopf „gemacht“ hat.
Von mir aus, sollen sie doch. Wenn auch dereinst von der menschliche Zivilisation nichts mehr übrig sein wird als ein Mitschnitt von Bares für Rares und Berge von Plastikmüll – das erwähnte Naturprodukt wird es immer noch geben.
Nein. Mir geht es um etwas anderes. Ich ärgere mich, dass dieses starke, deutsche Wort ständig als vulgär diskriminiert und, schlimmer noch, für nicht druckfähig erklärt wird, während eines wie Atommüllentsorgung in aller Munde und ständig in der Zeitung zu lesen ist.
Atommüllentsorgung!
Für meinen Geschmack einer der übelsten Euphemismen aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Jetzt fangen die Sorgen doch erst an! Ohne mit der Wimper behaupten diese feinen Entsorger, der Atommüll müsse mindestens eine Million Jahre sicher verwahrt werden, und das sei eben ein Problem.
Ha! Eine Million Jahre!
Mag ja sein. Aber die wissen nicht, was sie da reden. Zum Beispiel, dass die ägyptischen Königsgräber, die für mehr als eine Million Jahre, nämlich für die Ewigkeit sicher sein sollten, schon nach wenigen hundert Jahren ausgeplündert wurden. Dass sich ein dampfender Haufen organischer Abfall, aus dem man nötigenfalls auch Energie herausziehen könnte, schon nach wenigen Wochen zersetzt hat und somit kein Entsorgungsproblem mehr darstellt, das scheint sie nicht zu interessieren. Und wenn einer die Frechheit hat, auf diesen Widerspruch offen hinzuweisen, dann wird er als Anarcho beschimpft.
Natürlich, Atommüll stinkt nicht. Daran wird´s wohl liegen.
Und dann diese unselige Endlagersuche! Alle schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu, und keiner will ihn behalten. Das stinkt doch zum Himmel wie sonst was! Da lob ich mir doch einen Haufen Hundekot. Den nehm ihn auf die Schippe und ab damit auf den Acker neben meinem Garten! Dieses Endlager muss niemand erkunden, und schon gar nicht bewachen. Also, wo ist da ein Problem?
Damit man mich nicht falsche versteht: Ich bin weiß Gott kein Fäkalerotiker, und dieses Vulgär-Vokabularium, das man heutzutage überall, sogar im Fernsehen, um die Ohren gehauen bekommt, ist mir ein Gräuel. Solche Wörter und ähnliche versuche ich tunlichst zu vermeiden, obwohl ich, wenn mir mal eines, wie das erörterte, ausversehen herausrutscht, nicht gleich in Sack und Asche gehe. Aber ich will diesem Naturprodukt Gerechtigkeit widerfahren lassen und wehre mich in aller Entschiedenheit gegen den Begriff „vulgär“, und dass es „dumm“ sei.
Ad eins. Hier besteht anscheinend erheblicher Aufklärungsbedarf. „Vulgär“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie „nach Art des Volkes, der Menge“. Seitdem einer dieser antiken Denkheinis behauptete, in vulgo non est sapientia, haftet diesem Wort etwas Herabwürdigendes, Anrüchiges, Gemeines, Unanständiges an. Abgesehen davon, dass im „Volk“ manchmal mehr Weisheit ist als in einem Dutzend Aufsichtsratsköpfen, besonders, wenn es sich um solche aus der Autoindustrie handelt, abgesehen davon ist dieses Urteil völlig falsch. Denn das „vulgärste“ oder „gemeinste“ aller Werke überhaupt ist die Vulgata, die lateinische Übersetzung der gesamten Bibel, wie sie seit dem 7. Jahrhundert in der lateinischen Kirche allgemein gebräuchlich ist. Und es käme doch wohl niemand auf den hirnrissigen Gedanken, die Bibel ein unanständiges Buch zu nennen.
Ad zwei. Dass Scheiße, besonders Schifferscheiße, dumm sei, wie man immer wieder hört, stimmt so nicht. Zumindest nicht generell. In manchem S...haufen steckt mehr Weisheit als in einem Lehrbuch der Philosophie. Neulich sah ich zwei Gemälde, eines davon stellte A. Hitler dar, das andere D. Trump. Beide waren mit menschlichen Exkrementen gemalt. Diese Maltechnik nennt sich shit painting. Na bitte! Treffender kann man es doch nicht ausdrücken (wobei ich D. Trump auf keinen Fall mit A. Hitler vergleichen möchte).
Doch es kommt noch besser.
Vor vielen vielen Jahren, auf der Dokumenta in Kassel, gab es einen „Künstler“ – der Name ist mir entfallen – der menschliche Exkremente als Kunstwerke ausstellte; dazwischen sprangen nackte Studentinnen herum, die sich mit dem Zeug beschmierten. Wenn´s nicht wahr wäre, würd ich´s nicht erwähnen.
Damals machte ich mich angeekelt aus dem Staub.
Doch heute sehe ich die Sache anders. Bei meinen Recherchen zu diesem Thema – bei denen mir auch die beiden Kot-Bilder auffielen – fand ich heraus, dass es sich dabei tatsächlich um Kunst handelte, um so genannte shit art. Berühmt geworden sind die Werke eines italienischen Vertreters dieser„merda d’ artista“. Er füllte seine eigenen Exkremente in Dosen ab und bot sie als „Künstlerscheisse“ an – zu je 30g, geruchsdicht versiegelt und zum Goldwert des Gewichtes auf den Kunstmarkt gebracht, was damals etwa 30.000 Euro entsprach. Alle Dosen wurden verkauft, etliche befinden sich heute in Kunstsammlungen und haben einen deutlich höheren Wert.
Cloaca ist eine Maschine, die den menschlichen Verdauungsprozess nachahmt und tatsächlich Scheiße herstellt. Sie wurde vom belgischen Künstler Wim Delvoye entwickelt und bereits in Museen auf der ganzen Welt ausgestellt, usw. usf.
Warum auch nicht.
Die menschlichen Exkremente sind – gesetzt, ihr Erzeuger ist gesund – wenn nicht völlig, dann aber doch zumindest weniger gefährlich als... na sagen wir sein Speichel. Denn die meisten Schadstoffe, die der Mensch mit der Nahrung aufnimmt, bleiben ja in der Leber oder werden mit dem Urin ausgeschieden. Im Speichel dagegen tummeln sich über eine Milliarde Bakterien und Viren, die man täglich schluckt! Und trotzdem küssen sich die Leute ständig, sogar jetzt noch, wo erhöhte Ansteckungsgefahr besteht.
Manchmal möchte man so richtig auf die Kacke hauen. Da schleppt man sich jeden Morgen und jeden Abend in den überfüllten Zug – und andere bleiben zuhause und machen aus scheiße Geld.
Ach was, nützt ja doch nix, die Lamentiererei. Aber Scheiße ist es trotzdem. SCHEISSE!
Herrgottnochmal! Warum soll ich nicht Scheiße sagen, wenn es scheiße ist?
Wie sagte doch Luther, der einen Mann aus dem Stamme Juda einen nannte, „so an die Wand pisset?“
„Wer teutsch reden will / der muß darauff sehen / … daß er den Sinn fasse / und dencke also: Lieber / wie redet der teutsche Mann in solchem Fall? Wenn er nun die teutsche Wort hat / die hiezu dienen / so lasse er die Ebreischen (hebräischen) Wort fahren / und spreche frey den Sinn heraus / auffs beste teutsch / so er kan.“
Na also.
Mir fällt gerade ein, wie ich es möglicherweise doch noch zu Reichtum bringen kann. Ich werde diese Posse, nachdem ich sie gepostet habe, aufessen und warten, bis sie hinten wieder herauskommt. Dann werde ich die Schnipsel in luftdichte Glasröhrchen verpacken und bei Ebay als "Original Literaturscheiße" versteigern.
 

Hagen

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Hallo rotkehlchen
Capeau!
Endlich mal Jemand, der dieses Sch.... thema niveauvoll aufgegriffen und mit viel Hintergrundwissen abgehandelt hat.
Ich denke, wir werden uns weiterhin lesen!
... und immer schön fröhlich, gesund und munter bleiben!
Lass' Dich nicht beschei...
Herzlichst
Yours Hagen

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Ein leerer Arsch kann nicht schei...!
;)
Meister Tofu​
 
Nun sah ich mich genötigt, doch noch den ganzen Text zu lesen. Ja doch, durchaus lesenswert. Nun denn, da hab ich mit meinem vorschnellen Urteil wohl in die Scheiße gegriffen. Was für mich anfangs wie ein wohlfeiles Lamento mit einem Schluss der Art "ätsch, stimmt ja alles gar nicht" aussah, argumentiert durchaus schlüssig und ist tadellos formuliert.
Also, weiter so, und pardon für meinen kleinen Ausrutscher, warauf auch immer:
Binsenbrecher
 

ackermann

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Okay @rotkehkchen, ich nehme deine Entschuldigung an :cool:;)

Mal' ne Frage: warum schreibst du eigentlich immer "Melden" unter deine Kommentare? Muss ich mir da Sorgen machen? Ich weiß, melden macht frei, aber trotzdem ...

Bitte nicht melden
Gruß, ackermann
 

rotkehlchen

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Hallo @ackermann,
während ich dies schreibe, sehe ich, dass unter sämtlichen Komm. "Melden" steht. Abgesehen davon, dass ich nicht weiß, was das soll, wäre ich der Letzte, der jemanden "meldet". Ich heiß ja nicht WEIL und bin Ministerpräser von NDS. Wenn mir jemand dumm kommt, ignorier ich ihn einfach. Nein, Sorgen musst du dir keine machen, höchstens darüber, dass man mit halbem Arschloch schlecht scheißt und mit halbem Sack schlecht liebt.
 

rotkehlchen

Mitglied

Ein halber Sack ist ein halber Sack, aber ein halbes Loch bliebt ein Loch. Nur Kleiner. ;)
Da hast du durchaus Recht, aber ich fürchte, dann passt keine Flinte mehr hinein.

Mozart an seine Cousine Maria Anna Thekla, Paris, 1778
… liebste Kuh, ich habe soeben einen brief erhalten von ihrem Onkel, ihres Vatters Bruder, mein Vatter – Warum erzähl ich ihnen das? – Warum nicht? – Warum scheiß ich auf ihre nase? – Warum nicht? Warum benutze ich dasselbe arschloch, durch welches ich mich mich schon seit fünfundzwanzig jahren entleere ohne zu befürchten, dass es ausfranst. – Warum nicht? – Warum habe ich eine flinte im arsch, die auf alle Väter zielt?...

 



 
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