Luise

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Cafard

Mitglied
mißtraue den sensiblen, ihre sensibilität reicht oft nur für sie selbst, ihr gehätscheltes ego. -

Wenn du das liest, musst du aufhören, Literat zu sein, an deiner Wurzel nagt ein Pilz, deine jahrzehntelange Innenschau verdient deinen heimlichen Selbststolz nicht mehr, du wirst augenblicklich platt gemacht, von einem Satz, der entblößend wirkt - und traurig stimmend.

Sofort hörst du auf, die Kladden mit diesen Gemütsfetzen voll zu pinnen, die du „in den Nachmittag geflüstert“ hast, weil dir der Morgen und der Mittag so schwer fiel, ohne ein gutes Recht zur Klage (wie das blasse, ungeliebte Kind).

Schockstarre, den ganzen Abend über, eine ganze Flasche Wein betäubt dich nicht, du bist nah dran, alle deine Aufzeichnungen zu hassen, zu entsorgen, den großen Friedhof deiner Zweifel, den du so lieb hattest; stattdessen etwas Gutes tun: Telefonseelsorge, Hausaufgabenhilfe, Amnesty International, das macht Sinn.

Vielleicht geht es auch kleiner, vielleicht kannst du auch fragen lernen, und dann zuhören, wie es deinem Nachbarn geht, und dann: Der alte Mann schaut amüsiert, gleichwohl bittet er dich an seinen Tisch, er holt ein paar dünne Hefte aus der Schublade im Schrank, er liest dir vor, was er selbst „in den Nachmittag geflüstert“ hat, du bist gerührt, wie lange nicht, du hast einen Verbündeten gefunden, er schreibt sogar Gedichte, eins lautet: Zaghafte Begegnung mit Luise.

Es gibt keine Luise, der alte Mann träumt sich das späte Leben, er träumte auch davon, ihr aus seinen Heften vorzulesen.

Ohne jede Scham, wie jetzt passiert.
 
Durchaus ansprechend in Form und Gehalt. Mich würde interessieren, ob es sich bei dem eingangs Zitierten um ein echtes Zitat handelt.

Nur eine Kleinigkeit: Müsste in Absatz 3 auf "der Morgen und der Mittag" nicht der Plural "schwer fielen" folgen?

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 
U

USch

Gast
Hallo Cafard,
mir gefällt deine epische Schreibe. Wieder gern gelesen.
Weiter so.
LG USch
 

Cafard

Mitglied
Hallo Arno,

danke dir, das ist mir echt dadurchgegangen! Werde ich gleich ändern.

Hallo USch: Merci!
 

Cafard

Mitglied
mißtraue den sensiblen, ihre sensibilität reicht oft nur für sie selbst, ihr gehätscheltes ego. -

Wenn du das liest, musst du aufhören, Literat zu sein, an deiner Wurzel nagt ein Pilz, deine jahrzehntelange Innenschau verdient deinen heimlichen Selbststolz nicht mehr, du wirst augenblicklich platt gemacht, von einem Satz, der entblößend wirkt - und traurig stimmend.

Sofort hörst du auf, die Kladden mit diesen Gemütsfetzen voll zu pinnen, die du „in den Nachmittag geflüstert“ hast, weil dir der Morgen und der Mittag so schwer fielen, ohne ein gutes Recht zur Klage (wie das blasse, ungeliebte Kind).

Schockstarre, den ganzen Abend über, eine ganze Flasche Wein betäubt dich nicht, du bist nah dran, alle deine Aufzeichnungen zu hassen, zu entsorgen, den großen Friedhof deiner Zweifel, den du so lieb hattest; stattdessen etwas Gutes tun: Telefonseelsorge, Hausaufgabenhilfe, Amnesty International, das macht Sinn.

Vielleicht geht es auch kleiner, vielleicht kannst du auch fragen lernen, und dann zuhören, wie es deinem Nachbarn geht, und dann: Der alte Mann schaut amüsiert, gleichwohl bittet er dich an seinen Tisch, er holt ein paar dünne Hefte aus der Schublade im Schrank, er liest dir vor, was er selbst „in den Nachmittag geflüstert“ hat, du bist gerührt, wie lange nicht, du hast einen Verbündeten gefunden, er schreibt sogar Gedichte, eins lautet: Zaghafte Begegnung mit Luise.

Es gibt keine Luise, der alte Mann träumt sich das späte Leben, er träumte auch davon, ihr aus seinen Heften vorzulesen.

Ohne jede Scham, wie jetzt passiert.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das ewige Um-Sich-Selbst-Kreisen hast Du ihn gute Worte gefasst. Mit versöhnlichem Schluss - und möglicher Option...
LG Doc
 

Ofterdingen

Mitglied
Hallo Cafard,

Als ich deinen Text las, fragte ich mich unwillkürlich, wie alt du, der Autor eines solchen Textes, wohl bist.

"(D)eine jahrzehntelange Innenschau" klingt wie selbst erlebt und lässt auf jemanden zwischen 50 und 80 schließen.

Desgleichen: "Sofort hörst du auf, die Kladden mit diesen Gemütsfetzen voll zu pinnen, die du „in den Nachmittag geflüstert“ hast, weil dir der Morgen und der Mittag so schwer fielen, ohne ein gutes Recht zur Klage (wie das blasse, ungeliebte Kind)."

Die Aussage "eine ganze Flasche Wein betäubt dich nicht" deutet auf einen Schreiber hin, der sich als hartgesottener Alkoholiker mit derlei Dingen auskennt, "stattdessen etwas Gutes tun: Telefonseelsorge, Hausaufgabenhilfe, Amnesty International, das macht Sinn" auf einen Rentner, der mit seiner Zeit nichts Rechtes anzufangen weiß.

Mir kommt das Ganze vor wie Nabelschau ("ihre sensibilität reicht oft nur für sie selbst"). Ein distanzierteres Verhältnis zu dir selber und zum Erzählten würde deinen Texten sicher gut tun. Auch als Rentner kann man noch richtig gute Sachen schreiben.
 

Cafard

Mitglied
Hallo Ofterdingen, der Schreiber ist 51 Jahre alt und hat ein wenig übertrieben hier, er hat sich in etwas reingesteigert, was er in Ansätzen gelebt hat, aber diese Ansätze taugen nicht für eine brauchbare Geschichte.
 



 
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