(m) GOTISCH

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Manfred Ach

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GOTISCH


Während der greise Gelehrte in der Herberge an der halb verfallenen Brücke mit der Erzeugung von Zwischenwesen beschäftigt war und der heruntergekommene Landadelige mit seinem tumben Kutscher die Silberminentante und den Porzellanonkel abholte und der syphilitische Erbschleicher den schizothymen Bastard entlarvte

während der krötenfingrige gottlose Wüstling die extravagante rennsportbegeisterte Engländerin mit Bocksdorn und Karthäusernelken überraschte und der Deichgraf mit dem Weinbergfürsten ein Königsgambit spielte und der Kanonikus mit der Kammerzofe den Absud aus Trudenblüh und Albranke leerte

während der Mystiker mit den Wundmalen dem unheilstiftenden Manuskript das Petschaft mit dem Giftstachel aufdrückte und sich die Pusztanymphe kartaunenzüngig rot dem böhmischen Beau näherte und die moussierende Gräfin die morbide Kindfrau entkleidete und mit Narrengold behängte

seufzte die eingemauerte Rothaarige im Turm und im Salon öffnete sich die Tapetentür und im Jagdzimmer wurden die Todestrophäen lebendig und die geschächtete Katze zertropfte sich in den Kelch des Gräuels und die Stockenten und Reiher machten sich auf nach Trolltal und Schlangenschilf und die Korallenstirn des Wasserspeiers glühte und der Wacholderfaun flötete ein Nachtschattenlied und der Silen in Thujen warf den Kapuzenmantel um und die gekreuzigten Kröten wurden mit dem Aconit des blauen Sturmhuts konsekriert und unter Taumellolch und Fallblume zerbarst das Basiliskenei und

zwischen Eichkratt und Geissblatt, Wasserlilien und Schattenmorellen, Dukatenfaltern und Himmelsziegen, Ginsterkatzen und Mondgestein

erzählte das Brunnengeflüster
von Engelwerk und Sündenmaschine
 

Nachtigall

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Lieber Manfred,
es gelingt Dir immer wieder mich zu entführen in Dein surrealistisches Wörterreich, das sich zu phantastischen Bildern formt.
Begeistert
Alma Marie
 

jon

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Teammitglied
Ein hübsches Bildchen das sicher viel Mühe gemacht hat. Und wozu all diese Mühe, wozu all dieses Stil-Geplänkel, wozu all die Ranken und Schnörkel und Finessen und Spielchen und… all diese manieristischen Konstrukte? Gibt es auch einen Inhalt in all diesen Förmchen und Formen?
 

Manfred Ach

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Wozu?

Ist es nicht manchmal schön, ZWECKFREI zu schreiben? Und ist nicht manchmal die Form der Inhalt? Wenn Schreiben ein HANDWERK ist, wie du bekennst, und nicht immer unbedingt teleologisches Produkt? Tun inmitten der Sinnhuberei ein bisschen Hedonismus und Spaß am Spiel nicht gut?
Fragt Manfred.
 

jon

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Teammitglied
Manchmal schon…
Vielleicht war das Bild mir nicht Belohnung genug für die "Mühe", es zusammenzupuzzeln. Vielleicht wäre ich nicht so "wütend" über die "verplemperte" Zeit gewesen, wenn es ein flüssiger, ein so zu sagen auf den ersten (oder wenigstens zweiten) Blick erfassbarer Text gewesen wäre. So hab ich Wortgruppe für Wortgruppe entziffert und zusammengefügt und im Gedächtnis zu halten versucht, nur um am Ende festzustellen, dass keine einzige davon zu etwas anderem gut war als in sich schön zu sein. Ja, das ist es glaub ich: Es war so "anstrengend" die einzelnen Details zu erkennen, dass sich mir kein "Gesamtkunstwerk" im Innern aufbaute, das ich spüren konnte. Also versuchte ich wohl, mir das Gesamtkunstwerk zu denken. Nur dass es eben nichts zu Denken gab…

Nur so zum Abwiegeln: Die " "-Worte sind – natürlich – Überzeichnungen. Und die ganze Replik der Versuch zu verstehen, warum ich keinen Spaß an dem Spaß hatte…
 

Manfred Ach

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Früher war "Gothic" noch gemütlich gruselig ...

Lieber Jon,
danke für die Antwort. Und Dank auch dafür, dass du dir so viel Mühe mit dem Text gemacht hast (das hat er vielleicht wirklich garnicht verdient). Ein Puzzle, richtig, an dem ich viele Stunden mit Freude saß.
Immerhin: Mir sagte mal nach einer Lesung ein Anglist, dass ich ihm hiermit auf spielerische Art gezeigt hätte, was ihm ein Uni-Professor vergeblich als "gothic" zu vermitteln versucht hatte - das Genre der Schauerromantik.
Mit gotischem Gruß,
Manfred
 



 
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