Hi
@sufnus
anbei ein paar Gedanken zu Deiner sehr gelungenen Dichtung und Verdichtung:
1. Der Dichter stellt das Gedicht unter die Überschrift "Madonna im Strahlenkranz". Ich lese es so, als betitele er ein Bild , das er im folgenden mit Worten, Assoziationen, Symbolen ausbreiten wird. In dieser Lesart darf sich der geneigte Leser also auf die folgenden Verse so unvoreingenommen und neugierig einlassen, wie er es auf ein Bild tun würde, dessen Betitelung die große Klammer ist, die alles zusammenhält. In diesem Sinne ist die Strahlenkranzmadonna, auch Mondsichelmadonna oder apokalyptische Madonna, die Zeugin des letzten Kampfes zwischen dem Erzengel Michael und dem Drachen. Aufgehoben hat der Autor das Bild vermutlich aus Offenbarung 12.
Für mich erschließt sich das Gedicht-Bild in diesem Sinne auch konsequent ikonologisch, will es dem Dichter hier doch gerade um eine Symbolik gehen, in deren intim-persönliches auch immer wieder das kollektiv-bildliche einbricht. Mir scheint, obwohl wir es hier mit einem Gedicht zu tun haben, dass das von Erwin Panofsky entwickelte Drei-Stufen-Schema der Interpretation: Präikonografische Analyse,
Semantik: Was ist dargestellt? Ikonografische Analyse,
Syntax: Wie ist es dargestellt? Ikonologische Interpretation,
Pragmatik: Was bedeutet es? - nicht völlig fehl am Platze ist, um vom Untergrund über den Aufbau hin zur Abrundung das Werk ansatzweise für das rationale Verständnis aufzuschließen.
2. Im Hinblick auf den Phänomensinn will sich direkt in der ersten Strophe eine an sich unsichtbare Welt zeigen, die nur im "Falschfarbenräuspern" wahrgenommen werden kann. Das Prinzip der Falschfarben kennt man vor allem aus der Astronomie, um an sich unsichtbares sichtbar zu machen. Will man etwa eine Röntgenquelle betrachten, muss man jeder Wellenlänge
außerhalb des sichtbaren Bereichs wieder eine für uns sichtbare Farbe aus der Palette von rot bis violett zuzuordnen, angefangen von der kleinsten Wellenlänge (höchsten Strahlungsenergie) bis hin zur größten Wellenlänge (kleinsten Strahlungsenergie). Nach der Farbtheorie (subtraktive und additive Farbmischung) entsteht dann beim Betrachten des gefälschten Gesamtbildes genau der Farbeindruck wie im sichtbaren Bereich. In der Semantik, der Übersetzungsarbeit, dem Bedeutungssinn sozusagen, liefern hier "Engelsgebilde zu Fieberhymnen" Die Zuordnung der Phänomenpaare Himmel - Engelgebilde / Fieber - brennend und führen insgesamt zum Eindruck eines " verdammenden Entzückens", eben ein apokalyptischer Anblick wie das untergehende Sodom oder ein Vulkanausbruch, das aber "automatenhaft profan ist". Der Automaton (das vom Menschen gemachten Werkzeug) schließt den Kreis der Verfälschung. Das wird noch bestärkt dadurch, dass selbst im Nicht Sichtbaren keine Engel warten, sondern bloße "Engelsgebilde", sie sich selbst in der Sichtbarmachung nur als cherubinische Glücksautomaten entpuppen. Es ist also so gar nichts mehr "in Ordnung" mit diesem mythologischen Himmel.
3. in diesem Sinne führt die zweite Strophe dann auch das sehr profane "Bummsfanal" ein. Das Fanal als Anbeginn eines neuen Zeitalters. Das "Bumms" kann -so ist es auch von anderen Rezensenten gelesen worden- durchaus als Nuklearexplosion gesehen werden, ein ganz typsisches apokalyptisches Bild, das sehr stimmig in die Deutungshoheit der Überschrift passen würde. Die Technik des "Verwitzelns" oder "lächerlich machens", um den unfassbaren Schrecken, der hinter einer atomaren Explosion (seelischem Zusammenbruch/Krise) steht greifbar zu machen würde auch gut zu dieser Benennung passen. Die neue Welt, das sind Kathedralen, wo es "nur noch" ums thermodynamische (Gleich)Gewicht geht, also um das, was am Ende immer bleibt: die Wärme (undifferenziert, ununterscheidbar, die ständige Gefahr in der sich das so verletzbare kleine Bewußtsein immer befindet) - hier habe ich wehen wie "nachwehen" gelesen und dieser Hauch, dieses "Nachhallen" auch von Erinnerungen würde gut ins Gesamtbild iener Explosion und ihrer Nachwirkungen passen. Der durchfensterte Menschensohn ist auch für mich ein wunderbar starkes Bild und zwar habe ich es so gelesen, als werde durch die Explosionswelle das Kirchenfensterglas gleichzeitig über die gesamte Breite hinausgeschleudert, so dass der Eindruck eines "durchfensterten", fragementierten Bildes entsteht. Der zum Dreierpasch verwürfelte Schöpfer (Gott, Sohn , heiliger Geist) deutet an, dass alle drei "dieselbe Augenzahl zeigen", also ihre Einzigartigkeit, generell ihre Wirksamkeit völlig verloren haben. Dazu passt auch das doch recht achtlose "verwürfeln" und natürlich die Entropiekathedralen, der Verlaufsprozess des Wärme und Sterbensprozesses des "Spirituellen" im Sinne einer Sehnsucht nach echtem Aufwachen, Ausdifferenzieren, Unterscheiden um eins werden zu können, eben Individuation ( Selbstwerdung).
4. Die letzte Strophe beginnt klagend im Sinne von: "Was ist aus dir geworden, unio mystica der apokalpytischen Madonna?" und es folgt als Antwort ein Bild: Was aus dieser Mensch-Gotthochzeit geworden ist ? Nun, die apokalyptische Maria, in tausend Sonnen gekleidet" samt rabenfarbigem Drachen, allegorisierte frohe Erwartung hinter dem Plutoniumgewölk. Daraus geworden ist also eine frohe Erwartung, die sich erst "hinter dem Plutoniumgewölk" einlösen kann (wird). Das Plutoniumgewölk deutet auf die Aufwirbelungen nach einer atomaren Explosion, dieselbe möglicherweise eine Allegorie für ein kataklysmisches seelisches Ereignis der Individuation.
5. Die Überschrift des Textes kommt noch von der Perikope der apokalyptischen Frau in der Offenbarung des Johannes, also jenem aus der Lithurgie bestimmten Leseteil der Bibel im Gottesdienst und auch das Ende des Stückes verweist auf diesen ureigensten Kampf und sein Ziel der Einheit/Einswerdung: unus mundus, wobei der Autor interessante persönliche und kollektive Elemente beimengt, die das Grundthema etwas abheben, changieren, ja stellenweise selbst verfälschen. Eine gewisse Ratlosigkeit im Angesicht der "Falschbilder" der Archetypen ist erkennbar und eine charmante Form der städterischen Verwirrtheit, die manchmal -schlingelhaft- die eingeführten Begriffe kräftig wortklingeln lässt aber stellenweise zu hohl bleibt . Es will -die Mühe merkt man dem Textlein an- wohl um die Einweihung des Einzelnen in das Geheimnis des Göttlichen gehen, jene Form des principio(um) individuationis, das uns nicht nur bei dem bereits zitierten CG Jung und seinen Quellen, etwa dem dionysius aeropagita begegnet, sondern später auch bei Nietzsche (die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik: Illusion als Lebensbedingung). Und es will scheinen, als würde sich dem, der den Zeichen dieses "Bummsfanal" folgt nur der eine Weg, die eine Hoffnung auftun: "Hinterm Horizont gehts weiter" um es mit Lindenberg zu sagen. Hier, am Grunde des nuklearen Winters (der Seele) würde nun allerdings eine gewisse Erweckung vermutlich die andere Form der Unio problematisieren: die chymische Hochzeit. Aber das ist eine andere geschichte und muss ein ander Mal erzählt werden ;-)
mes compliments
dio