Märchen von Schuppe

anemone

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„Glaubst du an Märchen?“ fragte ich Andi. „Klar, glaube ich an Märchen! Ich glaube an die Kraft der Märchen.“ gestand mir Andi, darüber musste ich zunächst einmal nachdenken. Welche Kraft hatten Märchen? Die Kraft, sich etwas vorzumachen, etwas zu bewegen. Motivation sozusagen. Das Leben positiv zu sehen, ihm neuen Antrieb zu verschaffen.
Nachdenklich schaute ich Andi an: „Erzähl mir ein Märchen!“ forderte ich ihn auf.
„Hmm“ er dachte eine zeitlang nach bis er begann:

Es war einmal ein Mann, der hatte keine rechte Lust seine tägliche Arbeit zu verrichten. Außerdem hatte er ein Handycap, er besaß eine Schuppenhaut. „Was ist das?“ unterbrach ich ihn. „Na so eine Haut wie ein Fisch!“ klärte Andy mich auf. Das leuchtete mir ein und die Geschichte ging weiter.

Der Mann hieß Holger, aber alle nannten ihn nur „Schuppe“, wegen seiner Haut, die noch eine besondere Eigenschaft hatte: Sie juckte! Da er sich oft im Wald aufhielt, weil es dort so angenehm kühl war, hatte er es sich bei den Wildschweinen abgesehen. Sie schienen so wie er ständig ein juckendes Fell zu haben. Sie scharrten mit ihrer Schwarte im Dreck herum, im nassen Dreck und rieben sich das Fell an Bäumen. Der Gedanke setzte sich in ihm fest es ihnen gleichzutun und da außer ihm gerade keiner im Wald zu sein schien, entledigte er sich seiner Kleidung und suhlte sich im Wildschweindreck.

Gerade, als er von allen Seiten mit dem feuchten Dreck beschmiert war, hörte er das Bremsen eines Fahrrads und er schaute sich ängstlich um. Es war der Förster mit seinem Hund, der ihn auch sogleich beschnupperte. Der Förster pfiff seinen Hund zurück und sah entgeistert auf Holger, der sogleich zu stottern begann und sich aus dem Suhl erhob. Als der Förster ihn so nackt und schmutzig vor sich stehen sah trat er gleich in die Pedale und wartete seine Entschuldigung erst gar nicht ab. Schuppe setzte daraufhin seine Zeremonie fort. Er stellte sich vor den Baum und rieb sich den Rücken am Baum, so dass ihm dabei sämtliche Schuppen zusammen mit dem Dreck abfielen.

Fortsetzung
 

anemone

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2. Teil

Darüber freute sich Schuppe sosehr, dass er einen Tanz im Wald aufführte und es ihm ganz entging, dass inzwischen der Förster mit einigen Leuten in weißen Kitteln zurückkam, die nichtsEiligeres zu tun hatten, als ihn in eine Zwangsjacke zu stecken und ihn abzutransportieren. Nun befand sich Schuppe also sehr bald in einer Irrenanstalt, aus der er so leicht nicht entkommen konnte. Er musste zunächst einmal seine Glaubwürdigkeit beweisen, was er aufgrund der Tatsache, die vorlag, nämlich dass er splitterfasernackt tanzend und schmutzig im Wald umherirrte, schlecht widerlegen konnte.

Hier wo er jetzt war, konnte er machen was er wollte, er war vogelfrei solange man ihn nicht einsperrte und das geschah nur, wenn man ihn als Gefahr für die Gesellschaft ansah. Zuerst versuchte er noch zu entkommen und dem Arzt seine Situation klar zu machen. Aber da dieser immer mit „nicht normalen“ Menschen zu tun hatte, war es schwer, ihn von seiner Normalität zu überzeugen. Schuppe gab es auf, es war ihm zu mühsam, kaum hatte er dem Arzt glaubhaft machen können: Ich bin ein normaler Mann mit einem juckenden Hautausschlag, der jetzt nicht mehr existiert, da sah der ihn plötzlich wieder mitleidig an und Schuppe wusste: Es gibt kein Entrinnen. So machte er aus seiner Situation das Beste und benahm sich wie er wollte. Da ihm die Haut nicht mehr juckte, brauchte er sich nicht mehr im Dreck zu suhlen und seinen Rücken an Bäumen kratzen. Doch verspürte er Lust, jemanden zu beleidigen, tat er es, denn hier war ja alles möglich. Manche Leute lachten noch darüber oder bedankten sich hinterher bei ihm. Ja und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er auch noch heute.

„Was denn? Immer noch in der Irrenanstalt!“ rief ich aus. „Solche Märchen gibt es nicht!“ Ich war entrüstet und böse auf Andi. „Eben noch haben wir darüber gesprochen, dass sie eine Kraft haben das Leben positiv zu sehen, dass die etwas bewegen. Was du mir hier erzählst ist absolut negativ, du bist ein schlechter Märchenerzähler! Dein Märchen macht mich traurig.“

„Der Wolf fraß auch die Großmutter!“ behauptete jetzt Andi.
„Du vergißt eins,“ musste ich dabei bemerken:“ Im Märchen ist es so, dass das Schlechte und Böse vernichtet wird, zum Beispiel der Wolf nach seiner Tat. Das Gute wird belohnt. Du hast mir anfangs ein Märchen, aber hinterher eine Geschichte erzählt. Denk mal drüber nach!“
 



 
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