Märchenland

Camaun

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Anmerkungen des Autors: Diese Geschichte bildet den ersten Teil von bisher drei geschriebenen.
Falls weiterer Bedarf besteht, poste ich gerne auch die restlichen noch *g*.
Und sobald ich ein wenig Luft hab, werde ich auch hier ein paar Kritiken schreiben.
Besten Dank.


MÄRCHENLAND

Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und blickte ihn interessiert an.
"Nun... es war sicherlich keine angenehme Nacht, das kann man wohl behaupten." fuhr Mark fort und setzte einen glasigen Blick in die Landschaft.
"Sie hatten einen Toten zu begraben, der von etwas getötet wurde, was sie alle zwar gesehen hatten, aber niemand kaufte es ihnen ab. Ja, sie wurden sogar dazu gezwungen, nichts zu erzählen.
- Und woher wollt ihr wissen, daß es ein Gargoyle war? Habt ihr je einen Gargoyle gesehen? - fauchte der Befehlshaber den eingeschüchterten Rogan an.
Und der Befehlshaber Punin war eine imposante Gesalt. Ein zerfurchtes Gesicht, einen grimmigen, wissenden Blick, der dich bis aufs Mark frösteln ließ, sobald er dich damit streifte, breite Schultern, die du sofort mit einem Bären assoziieren würdest, könntest du sie sehen.
Und zu all dem kam noch sein unglaubliches Alter und seine dennoch fast unmenschlich anmutende jugendliche Kraft, die er ausstrahlte.
Ich sage dir, Judith, du wärst so klein mit Hut ", sagte er mit leuchtenden Augen, hob seine rechte Hand und presste Daumen und Zeigefinger aufeinander, "wenn du ihm gegenüberstehen würdest und er dich so in Grund und Boden reden würde, wie er es in diesem Moment mit Rogan gemacht hat."
Vorsichtig runzelte Judith die Stirn, als Mark eine seiner rhetorischen Pausen machte.
Sie hatte Mühe, wieder zurück in die Wirklichkeit zu finden und sich ins Gedächtnis zu rufen, daß sie keineswegs in dem kleinen Zimmer des schrecklichen Kommandanten Punin standen, sondern hier draußen um halb eins auf einem verlassenen Spielplatz auf einer Garage saßen.
Sie schüttelte leicht den Kopf und sah sich um. Fast erwartete sie, Punin neben sich stehen zu sehen, wie er mit seinem grimmigen Blick tief in ihre Seele sah und dort jeden noch so kleinen Fehler fand, um ihn heraus zu heben und ihr ihn haarklein vorzuhalten.
Doch bevor sie wieder zu sich kommen konnte, ertönte wieder die beruhigende Stimme von Mark, welcher seinen Faden wieder aufnahm und weiter erzählte.
Augenblicklich waren sie beide wieder in dem kleinen Zimmer des Kommandanten.
"Rogan rann eine kleine Schweißperle von der Stirn herab, als er mit toter... und ich meine mit wirklich toter Stimme antwortete: ...vielleicht war es auch nur... ein wildes Tier... .
Alle Lebensgeister waren aus Rogan gewichen. Sein Gesicht war aschfahl und er wollte nur noch nach Hause. Er hätte in dieser Situation sogar behauptet, ein gelbes Kaninchen gesehen zu haben, wenn er dafür nur nach Hause gekonnt hätte."
Der braunhaarige junge Mann verschränkte seine Finger, bog sie herum und ließ sie dabei leicht knacken, während er sich ausgiebig streckte und die sommerlich warme Abendluft genoß.
"Es war genauso ein Tag wie heute gewesen..." schwelgte er dann.
Judith blinzelte wieder und sah ihren Bekannten an, wobei einige Minuten lang gar nichts gesagt wurde und beide ruhig und in Gedanken versunken auf der einsamen Garage des Spielplatzes saßen.
Irgendwo in der Ferne konnten die beiden eine Straßenkatze fauchen hören.
Schließlich wurde Judith das Schweigen ein wenig unangenehm und sie fragte: "Ja... und was passierte dann weiter?"
Mark zuckte mit den Schultern. "Rogan ging heim und wurde irgendwann später tot gefunden. Sie sagten, er habe einen schweren Unfall gehabt."
Darauf lachte er kurz und bitter: "So haben sie es schon immer gemacht. Menschen, die, ob durch Zufall oder nicht, auf solche Sachen gestoßen sind, bedeuteten meistens... nachdenkende Menschen. Und nachdenkende Menschen sind sehr schlecht für das System... und tja... naja.", beendete er seine Ausführung und wedelte ein wenig mit der rechten Hand auf und ab.
"Was meinst du mit 'nachdenkenden Menschen' ?", fragte die schwarzhaarige Bekannte von Mark.
Dieser griff sich ans Kinn und brummte ein "Hmm...".
"Ist im Grunde ganz einfach, aber es ist schwierig zu beschreiben....", begann er, machte eine kurze Pause zum Überlegen und fuhr dann fort: "Es soll ja so etwas wie gesunden Menschenverstand geben... und ich bin der Meinung, daß, wenn die Leute davon mehr Gebrauch machen würden... die ganze Welt ein Stück weit angenehmer wäre, als sie es ist. Weil...", doch er unterbrach sich und sah auf seine Armbanduhr.
"Hmm... wie die Zeit vergeht."
Erschrocken blickte Judith ebenfalls auf die Uhr und stieß einen überraschten leisen Schrei aus. "Schon eins?! Mist, ich muss nach Hause!"
Sie war schon aufgesprungen und von der Garage geklettert, als Mark ihr ein leises "Bis morgen..." hinterher schickte. Er selbst verweilte noch eine zeitlang allein auf dem Dach, bevor auch er sich langsam aufmachte und nach Hause trottete.

Grübelnd fuhr er mit seinem rechten Zeigefinger über die großen Buchseiten.
Mark hatte dieses Buch von einem seiner wenigen, aber guten Bekannten, welche er aus den versteckten Buchläden, Bibliotheken und ähnlichen Einrichtungen kannte, erwerben können.
Es hatte ihn viel gekostet... mehrere hundert Mark, aber irgendwie war es ihm doch gelungen, an das Geld zu kommen.
Für einen Moment hielt der Schüler inne und dachte an die seltsamen Begebenheiten, die dazu geführt hatten, daß er sich dieses Buch überhaupt hatte leisten können.
Sicher, im Auge hatte er es schon seit geraumer Zeit gehabt, denn in diesem offensichtlich authentisch alten Buch standen viele Erkenntnisse über magische Phänomene, Berichte über erfolgreiche Beschwörungen von verschiedenen Wesen, Beschreibungen über alte, vergessene Legenden und Lebewesen, Sagen über Drachen, Elben? (meinst du Elfen oder Alben) und viel dergleichen mehr.
Für ihn stand sofort fest, daß er dieses Buch haben musste, doch selbst er konnte über seine Verbindungen nicht sonderlich günstig an das Buch herankommen. Es war mehr ein Wunder, daß er überhaupt da herankam.
Doch von den seltsamen Verkettungen von sonderlichen Zufällen, die dazu geführt haben, daß das Buch überhaupt erst in die Reichweite von Mark kam, hatte er in diesem Moment noch immer keine Ahnung.
Er wusste nur, daß das Buch damals seine finanziellen Verhältnisse bei weitem überstieg und er verzweifelt versuchte, irgendwie das Geld aufzutreiben.
Er musste das Buch haben, koste es was es wolle.
Und an einem verregneten Dienstagnachmittag nach der Schule geschah es dann.
Sinnierend wie immer war er seinen Heimweg wieder einmal wie in Trance gelaufen, als ihm so ein großer Regentropfen ins Gesicht klatschte, daß es den nachdenklichen Schüler aus seinen Gedanken riss.
Verwundert war er stehengeblieben und hatte sich umgesehen.
Im Grunde hatte es nur genieselt und Mark stand auch unter keinem Baum oder etwas ähnlichem. Über ihm war nur freier Himmel und doch... dieser Regentropfen hatte ihn erwischt.
Stirnrunzelnd wischte er sich die Wassermassen aus dem Gesicht, ging ein paar Schritte auf eine einsame, nasse Parkbank zu und sah erneut in den Himmel.
Kleine Tropfen, viele, genug, um den einsamen Schüler leicht zu durchnässen, doch nicht ein einziger großer Tropfen, welcher ihm... ja fast absichtlich ins Gesicht gesprungen ist.
Ein unbekanntes Gefühl durchströmte ihn, als er an der Parkbank lehnend über diesen zugegebenermaßen belanglos wirkenden Zufall nachdachte.
Aber das war er nicht... belanglos. Irgendetwas sagte Mark, daß dieser Tropfen wirklich Absicht war.
Und bevor er darüber weiter nachdenken konnte, erblickte er unter der Parkbank den zerschlissenen Geldbeutel.
Minutenlang starrten die beiden sich an.
Schließlich überwand sich Mark dann doch und hob den Geldbeutel auf. Eine sichere Gewissheit sagte ihm, daß in diesem Geldbeutel exakt der Betrag sein wird, den er für sein Buch brauchte.
Und der Schüler hatte recht.
Keine Ausweise, keine Adressen, sondern nur das blanke Geld.
Das war schon seltsam gewesen, überlegte Mark im nachhinein und blätterte eine Seite in seinem Buch weiter.
Fast als ob jemand oder etwas gewollt hat, daß er dieses Buch lesen sollte.
Nun, es war in jedem Fall überaus interessant und sehr lehrreich. Noch nie hatte er ein ähnliches Buch gelesen, welches ihn in solchem Maße faszinierte und gefangenhielt, was ihn einerseits durch eine vertraute und andererseits durch eine komplett neue Welt führte. Ihn bei der Hand nahm und ihm all die kleinen und großen Wunder zeigte, die diese Welt ausmachten. Diese und andere Welten.
Das Buch stellte ihm die Bewohner dieser Welten vor, es erzählte ihm von längst vergessenen Völkern und von nie gehörten Sagen und Legenden, wobei sich doch immer wieder Parallelen ziehen lassen konnten zu den heutigen Mythen.
Aber irgendwie wusste Mark, daß das, was in diesem Buch über die alten Erzählungen stand... die Wahrheit war.
Gargoyles zum Beispiel, wurden bei Tag nicht zu Stein, sondern erst, wenn sie starben.
Trolle waren keine kleinen grünen gemeinen Wesen, sondern große, ehrfurcht gebietende Kolosse, aber keineswegs aus Stein, sondern aus Fleisch und Blut.
Dies und noch viel, viel mehr stand in diesem Buch, in dem als Autor nur ein seltsamer Buchstabe stand, den Mark nicht genau entziffern konnte.
Und er verschlang es, er las den ganzen Tag, jede freie Minute, die er zu Hause verbrachte.

Gerade wollte sich Mark räuspern und wieder in das Buch tauchen, als eine kleiner Stein von außen gegen sein Fenster prallte.
Mit einem Ruck sah der erschrockene Schüler auf, klappte fast schon reflexmäßig sein großes Buch zu und verstaute es mit ein, zwei schnellen Handgriffen unter seiner Bettmatratze.
Seine Eltern sahen es nicht gerne, daß er solchen "Schund" las.
Dann stand er auf, ging langsam zu seinem Fenster und öffnete es.
In diesem Moment traf ihn ein kleiner Stein schmerzhaft an der linken Schulter und von der Straße unten konnte man ein erschrockenes "Huch!" hören.
Grummelnd rieb sich der angeschlagene Schüler die Schulter und sah hinunter auf die Straße.
Es war einer seiner Klassenkameraden. Jörg... Jürgen... Jakob, irgend so etwas, Mark wusste es nicht mehr genau, es interessierte ihn auch nicht.
Dieser junge Kerl da unten war so etwas wie ein Bewunderer. Er fand Marks ganzes Auftreten "cool", er mochte Marks Kommentare, wenn er welche abließ und war auch sonst völlig begeistert von dem von ihm schon lange genervten Mark.
"He Mark!", rief er zu seinem vermeintlichen Freund hinauf. "Hast du vergessen, daß heute Sportfest ist? Ich soll dich nämlich holen von Herrn Hibbert aus!"
Angeekelt verzog der junge Mann am Fenster das Gesicht. Das hatte er wirklich vergessen...
"Ich bin krank...", gab er zurück und wollte schon das Fenster schließen, als sein persönlicher Fanclub rief: "Du bist immer krank! Die kaufen dir das langsam nicht mehr ab! Herr Hibbert hat schon mit Verweis gedroht, Mark!"
Halb hängend stand der genervte Schüler im ersten Stock an seinem Fenster, verdrehte die Augen und sah gequält nach oben.
"Nnnnngggaaaa...." machte er dann und ließ sich ein Stück am Fenster hinunterrutschen.
Grinsend zog Marks Fanclub seine Zigaretten aus der Hosentasche und steckte sich eine an, als er darauf wartete, daß sein Kamerad aus der Haustür kam.
Gekonnt blies er eine große Rauchwolke in die Luft, als sich die Tür öffnete und ein überaus schlecht gelaunter Mark zum Vorschein kam.
Jan hielt ihm seine Zigarettenschachtel hin und der schweigsame Schüler betrachtete sie lange.
Dann sah er dem blonden Jan auf eine Weise in die Augen, die ihn frösteln ließ. Sein Herz krampfte sich zusammen wie ein geprügelter Hund.
Diese Blicke könnten töten, dachte er bei sich.
Ohne ein weiteres Wort schritt Mark an ihm vorbei und ging Richtung Sportplatz.

Es war eines dieser Feste, die man am liebsten mit allen Mitteln vermeiden möchte.
Ein Sportfest, wie es schrecklicher kaum ging. Überall jagten Menschen über den Platz und waren mit irgenwelchen Dingen beschäftigt.
Schüler sprangen in Sandgruben, über Stangen, warfen Speere und Kugeln durch die Luft und zeigten sich auch sonst größtenteils energisch und motiviert.
Sogar ein großer Teil der allgemeinen Elternschaft war dabei, um ihre Sprößlinge anzufeuern.
Wenigstens sind meine Eltern nicht hier, dachte sich Mark, als er an den Versammlungsplatz seiner Klasse gelangte.
Sein Klassenleiter, Herr Hibbert, blickte ihn böse an. Seine buschigen Augenbrauen wirkten auf die meisten Leute einschüchternd, vor allem wenn man auf der Halbglatze des Lehrers noch die pulsierenden Adern dazu sehen konnte.
"Mark!", brummte er ärgerlich. "Ich dachte, wir hätten 15:00 Uhr ausgemacht."
Der braunhaarige Schüler sah auf und meinte hintergründig: "Es soll sogar noch andere Orte geben, an denen ich gebraucht werde..."
Herr Hibbert verzog sein Gesicht leicht, steckte die Hände in seine zugegebenermaßen häßliche Jogginghose und meinte abfällig: "Da du ja sowieso nicht an den Wettkämpfen teilnehmen willst, habe ich mir überlegt, wie du dich heute nützlich machen könntest."
"Schuhe putzen, Getränke bringen und die Sandgruben glattkehren, ich weiß...", setzte Mark beiläufig an. "Verzeihen sie mir meinen Ungehorsam.", fügte er sarkastisch hinzu und hörte hinter sich das dämliche Kichern seines Fanclubs.
Herrn Hibbert war damit schon wieder der Wind aus den Segeln genommen, doch er hatte im Moment einfach genug andere organisatorische Probleme, um sich weiter mit Mark und seiner Bestrafung zu befassen und daher beließ er es bei einem: "Und bis morgen schreibst du zwei Seiten über den Sinn eines Sportfestes.", womit er sich umwandte und zu einem aufgeregten Haufen Eltern ging, die irgendwelche Probleme mit einem verletzen Kind hatten, das sich offenbar den Fuß verstaucht hatte.
Einige Momente stand Mark ungerührt da und überlegte kurz über den Sinn und Unsinn des heutigen Sportfestes.
"Heeheehee...", machte Jan, der mittlerweile neben ihn getreten war.
Er erntete wieder einen dieser tötenden Blicke und fand sich unmittelbar danach wieder verlassen in der Mitte seiner restlichen Klassenkameraden, die das ganze Schauspiel mit nicht zu verkennender Belustigung betrachtet hatten.
Inzwischen war Mark zur nächstgelegenen Sandgrube gelaufen und hatte sich gelangweilt einen der herumliegenden Kehrbesen gegriffen.
Während er mit trübem Blick darauf wartete, daß ein Springer nach dem anderen seine säuberlich gekehrte Sandgrube wieder verhunzte, versank er wieder in seiner Welt.
Seine Wahrnehmung beschränkte sich auf ein Minimum, seine Aktionen in der realen Welt waren fahrig und ungenau und auf Ansprache reagierte Mark sowieso nicht mehr wirklich.
Der Verstand des seltsamen Schülers schwebte irgendwo zwischen dem Jetzt und einer fantastischen Vergangenheit einer Welt, die nur in seiner Vorstellung existierte.
Zumindest glaubte er das.
Marks Blick glitt über die Berge, welche unfreundlich und spitz bis nahezu in den Horizont ragten und dabei lange schwarze Schatten im Licht der untergehenden Sonne warfen.
Er sah vor sich das weite Tal seiner Welt, eingeschlossen in einem weitläufigen Ring hoher unübersteigbarer Bergkuppen, die das Ende der Welt markierten.
Am Grunde dieses Kessels pulsierte das Leben, wenngleich die zwar riesige Quadratfläche, im Grunde doch äußerst klein schien, verglich man sie mit dem Platz, den man auf der Erde zum leben hatte.
Keiner der Bewohner war je auf die Idee gekommen zu fragen, was jenseits der Gebirge lag und die Obrigkeit der Ländereien und Städte tat ein Übriges dazu, daß es auch so blieb.
Denn sie war zufrieden mit der allgemeinen Lage der Dinge, einer funktionierenden Monarchie mit entsprechenden Hintermännern, welche im Geheimen die Fäden zogen, einem charismatischen König, genannt Theodam II und, im Vergleich zu anderen Halls, saftigen Steuern, welche die Bürger aber zahlten, da ihnen ja im Grunde jeglicher Vergleich fehlte und sie sich in allem nach den Vorgaben der Oberen richteten.
Der Begriff Halls war nur den Höchsten der Höchsten bekannt, denn er bezeichnete ein Reich, welches innerhalb eines Tales umgeben von vier Gebirgen lag.
Natürlich hatten sich die wichtigen Leute sehr dafür interessiert, was jenseits der Gebirge lag und so sandten sie Späher aus, große, wohl gerüstete Trupps und allerlei sonstige Gestalten, die das Gebirge überqueren sollten, um Nachricht zu bringen, was auf der anderen Seite lag.
Beschwerlich waren die Reisen solcher Gesandter, und viele kamen bei ihren Versuchen, die natürlichen Mauern zu überwinden, ums Leben, doch man gab nicht auf.
Immer und immer wieder sandte man neue Leute, bis es schließlich gelang, sich manch einen Weg in ein benachbartes Hall zu bahnen.
Was man dann erfuhr, war erstaunlich, denn man fand heraus, daß das eigene Hall von jeweils vier weiteren Halls umgeben lag, in denen sich ebenfalls eigene Zivilisationen entwickelt hatten. Zumindest in dreien von vieren.
Das östlich gelegene Hall wurde von Salbena (so hieß das Hall, auf welches Marks Blick gerichtet war) im Geheimen besiedelt und um seine natürlichen Rohstoffe erleichtert.
Die Berge waren, obgleich viel an der Zahl, nicht sonderlich ergiebig, was die Rohstoffe betraf und so waren Gegenstände und Waffen aus Stahl doch eher eine Seltenheit und wurden teuer gehandelt.
Das östliche Hall jedoch hatte einige Gebirgsstreifen, die viel Erz und Silber lieferten, und so konnte Salbena seine eigene Wirtschaft leicht ankurbeln, den eigenen Arbeitern durch teure Preise das Geld wieder aus den Taschen ziehen und sie so zu noch mehr Arbeit bringen, ohne daß jemand einen Verdacht schöpfte.
Jeder lebte in relativem Wohlstand, und Hunger musst kaum jemand leiden.
Und da dieser Zustand zu der Zufriedenheit eines jeden Bewohners beitrug, achtete die Obrigkeit peinlich genau darauf, daß nichts und niemand dieses Weltbild zerstörte.
Die drei anderen Halls blieben aber dennoch interessant und zu dem westlichen wurde sogar Kontakt aufgenommen. Natürlich im Geheimen, denn es war ähnlich dem Hall Salbena, nur nicht ganz so wohlhabend, aber funktionierend.
Deren Oberhäupter waren keine Monarchen, sondern ganze Familien. Was aber im Grunde das Gleiche war, zumindest merkte der einfache Bürger keinen Unterschied.
Man tauschte Informationen aus, schloß verschiedene Abkommen und einigte sich im Endeffekt darauf, daß man einander aus dem Weg ging und sich nicht in die Angelegenheiten des anderen einmischte.
Vor allem aber verpflichteten sich beide Seiten, nach aller Möglichkeit zu verhindern, daß Wanderer oder sonstige Gestalten über die Gebirge kamen, welche nicht im Auftrag der Regierung standen.
Aber das kam sowieso bisher noch nie vor.
Die Berge waren dermaßen hoch, gefährlich und unwegsam, daß es jedesmal an ein Wunder grenzte, wenn einer der Boten der Regierung es auf die andere Seite schaffte.
Mark blickte in den Himmel.
Eine handvoll Wolken zog gemächlich vorbei und die Sonne strahlte freundlich zu dem munteren Treiben auf dem Sportfest herab.
Nachdem ein weiterer Springer in die Sandgrube gesprungen war, stapfte Mark erneut los und sorgte dafür, daß man nichts mehr vom vorherigen Sprung sah.
Wenn ich nur dort leben könnte, dachte er sich, während er seinen Besen hin- und zurückgleiten ließ.
Nicht in Salbena... oder vielleicht doch? Hmm..., grübelte er gedanklich.
Vom Regen in die Traufe wäre das ja direkt. In dieser Welt ist es doch kaum anders, oder?
Ich meine, seht euch nur um!
Sein Blick wanderte umher und suchte alle Anwesenden. Wie sie herumstanden, redeten, lachten, sich anstrengten, stritten oder diskutierten.
Wieviele aufgeklärte Seelen werden da dabei sein?
Die meisten könnten doch wirklich nur innerhalb ihres Halls denken. Nicht weiter, als bis zum nächsten Berggipfel. Nicht weiter, als bis zum nächsten Fußballspiel am Sonntag.
Nicht weiter, als dir die Wissenschaftler erzählen.
Gibt es etwas hinter den unüberwindlichen Grenzen der Berge? Nein, sie sind so hoch, daß nicht einmal Gott hinübersteigen kann, denn sie markieren das Ende der Welt. Hinter ihnen ist nichts, die Leere, das Wort, in dem die Welt getragen wird. Wer etwas anderes behauptet, soll hinübergehen und mir das Gegenteil beweisen.
Gibt es etwas hinter den weltlichen Ansichten? Gibt es etwas hinter der Schulmedizin? Gibt es etwas zwischen Himmel und Hölle, das die Wissenschaft nicht erklären kann?
Natürlich nicht! Wie kommt man auch darauf so einen Blödsinn zu behaupten? Was muss man für ein Trottel sein, wenn man an Geister, Gespenster, Magie und all den anderen blödsinnigen Kram glaubt. Sowas hat noch nie funktioniert und solange mir keiner das Gegenteil beweist, gibt es diese Dinge auch nicht.
Mark stieß ein kurzes hartes Lachen aus, als er darüber nachdachte und damit störte er die Konzentration eines anderen Schülers, der gerade im Begriff war, seinen besten Weitsprung hinzulegen. Er strauchelte, stieß sich falsch ab und landete mit dem Gesicht im Sand.
Wütend und spuckend fuhr er hoch und wandte sich an den unbeteiligt aussehenden Mark, der friedlich am Rand der Grube stand: "Du blöder Wichser! Halt doch deine scheiß Klappe, wenn ich springe!"
Das Gesicht des Springers war rot angelaufen, seine halblangen blonden Haare hingen ihm zerzaust ins Gesicht und ließen den ganzen Anblick etwas komisch wirken, so daß Mark sich ein kaum erkennbares Lächeln nicht verkneifen konnte.
Knurrend sprang der blonde Schüler vor, denn er sah sich in seinem Stolz verletzt und versetzte Mark einen Stoß vor die Brust, der ihn keuchend zurücktaumeln ließ. Der Kehrbesen fiel ihm aus der Hand und er schlug hart mit dem Kopf auf dem Grasboden auf, der ihm jedoch glücklicherweise die ärgste Wucht nahm.
"Volltrottel!", schleuderte ihm der immernoch wütende Springer entgegen. Er stapfte knurrend davon, als sich endlich die restlichen Leute geneigt fühlten, einzugreifen.
Sie führten den blonden Springer fort, redeten auf ihn ein und sagten ihm, daß er einfach nochmal springen sollte. Mark würde diesmal auch weiter weg stehen und sicher die Klappe halten.
Jan war natürlich sofort zur Stelle, um seinem Idol wieder auf die Beine zu helfen, was Mark jedoch nur sehr zögernd annahm. Eigentlich fühlte er sich so auf dem Boden ganz wohl, überlegte er.
Sollen sie doch ihre seltsamen Bräuche ohne ihn durchführen.
Aber schließlich siegte wieder einmal die Vernunft und er richtete sich mit Jans Hilfe wieder auf, klopfte sich den ärgsten Schmutz aus den Klamotten, schnappte sich seinen Besen und entfernte sich einige Meter von der Sandgrube, um auf den blonden Springer zu warten.
"Der Carsten ist ein hirnloser Vollidiot, Mark. Am liebsten hätt ich den schon hundertmal gegen die Wand geklatscht.", ereiferte sich Jan und wich Mark nicht von der Seite.
Dieser brummte kurz etwas und entgegnete dann: "Und warum hast du nicht?"
Sein blonder Freund stockte kurz und ließ sich mit der Antwort etwas Zeit: "Ääh... weil er doch etwas stärker ist als ich?"
"Ja... und?", gab Mark zurück und fuhr sich durch seine zerzausten halblangen Haare, damit sie wieder einigermaßen in Form waren und ihm nicht ins Gesicht hingen.
"Was und? Der macht micht platt, wenn ich ihm auch nur auf den Fuß trete!", antwortete Jan ungläubig.
"Hm...", machte Mark und fügte ein: "Wie du meinst.", hinzu.
Jan schaute etwas belämmert, ging aber nicht weiter darauf ein. Schließlich, nachdem Carsten seinen Sprung erfolgreich getan hatte, jedoch ohne seinen eigenen Rekord zu schlagen, was ihn nur noch wütender machte, fragte Jan: "Was machst du dann morgen?"
Sein Gegenüber seufzte leise und entgegnete: "Das selbe, was ich jeden Tag mache."
"Du versucht die...", wollte Jan grinsend ansetzen, doch Mark stieß ein verächtliches "Pah!" aus, ging eilig zur Sandgrube hinüber, und hoffte, Jan würde seine dummen Sprüche für sich behalten und ihn endlich in Ruhe lassen.
Diesesmal meinte das Schicksal es gut mit ihm und verzichtete darauf, Jan zu ihm herübergehen zu lassen, denn er wurde vom Klassenlehrer ungeduldig zu seiner Gruppe gerufen. Schließlich musste er noch in die Sandgrube springen.
Man könnte schreien, dachte Mark und lehnte sich auf seinen Besen. Ich gehe einfach in den Wald und schreie. Ganz laut.
Vielleicht hilft es etwas...
Nun... wenn man es richtig anstellt, hilft es bestimmt etwas, grübelte er vor sich hin.
Aber irgendwie war das nicht einer der Gedankengänge, die er denken wollte. Sie führten zu nichts.
Oder nun, sie würden zu etwas führen, wenn man lange genug darüber nachsinnierte, doch Mark hatte einfach keine Lust, über diese Art von Thema zu denken.
Stattdessen wandte er seine Aufmerksamkeit wieder in Richtung Salbena.
Das große, weite Land. Für einen normalen Reisenden nicht unter einem Monat zu durchreisen. Zu Pferd versteht sich.
Von Norden nach Süden brauchte man sogar noch länger, etwa zwei Monate. Im inneren des Tals war das Gelände zumeist flach, bis auf einige Landstriche, an denen man auf einige Hügel und sogar kleinere Gebirgsformationen stoßen konnte.
Viele Flüsse, die den angrenzenden Gebirgen entsprangen, durchkämmten das Land und sorgten so für einen reichen Ackerbau und genügend Nahrung für das Volk.
Die Reichswälder taten ihr Übriges, um alle Bewohner mit genügend Holz und Wild zu versorgen. Salbena konnte sogar einen großen See in seiner geographischen Mitte sein eigenen nennen.
Alten Überlieferungen zufolge soll einst eine große und mächtige Stadt an dieser Stelle gestanden haben, doch deren Bewohner waren am Ende so hochmütig, daß sie sich mit den Göttern gleichsetzten und somit ihren eigenen Untergang besiegelten.
Der See war so tief, daß bis heute auch nicht der allerbeste Taucher auf seinen Grund gekommen ist, um die verfallenen Ruinen zu bestaunen, die man dort unten vermutete. Aber nicht nur die beängstigende Tiefe hielt die meisten Menschen davon ab, hinunterzutauchen, sondern auch die großen und gefährlichen Fische, Kraken und sonstigen Seeungeheuer, die in diesem See ihr Unwesen trieben.
Weltloch nannten sie ihn, und selten befuhr ihn ein Schiff, denn es hieß, wer sich zur falschen Zeit in der Mitte des Sees befand, würde durch einen Strudel hinuntergesogen und auf der unteren Seite der Welt ins Nichts ausgespuckt.
Das widersprach sich natürlich mit Weltlochs anderer Legende, doch hielt es die Leute nicht davon ab, ein wenig von beiden zu glauben und dabei immer ein geheimnisvolles Lächeln aufzusetzen, wenn sie dem Zuhörer überließen, welche Version er nun glauben wollte.
Mark sah diese Welt vor sich, während er, gleich einem Geist, weit über ihr schwebte, so daß er alles im Blick hatte. Seine Blicke streiften nicht über den Sportplatz, wie es ein Außenstehender wohl angenommen hätte, nein, sie glitten über goldene Felder, imposante Burganlagen, Gehöfte, Schafherden, Schmieden, belebte Marktplätze und viel dergleichen mehr.
Die Augen des Schülers glänzten, als er seine Welt so in Augenschein nehmen konnte.
Er erschuf sie nicht, er erfuhr sie, dachte er sich. Sie stellte sich vor ihm dar, als wäre sie bereits existent und er betrachte sie nur. Als würde alles bereits vorhanden sein und er wäre nur ein stiller Beobachter.
Mark erfand nichts von all dem, was er in seinen Gedanken sah, es war einfach da. Richtig und wahrhaft. Einfach da.

Am nächsten Tag war er morgens schlecht gelaunt. Durch dieses dumme Sportfest musste er sich eine Erkältung oder ähnliches zugezogen haben, denn als er aufwachte, ging sein Atem leise rasselnd und er musste sich erst drei- bis vierhundertmal schneuzen, bevor er wieder halbwegs klar denken konnte.
Dabei war es im Grunde gar nicht kalt gewesen, überlegte Mark im Nachinein...
Als der Unterricht an diesem Tag vorbei war, zog er sich an seinen Erzählhügel zurück.
Inmitten eines kleinen Waldes, welcher in einem weitläufigem öffentlichen Park lag, war dieser Hügel ideal vor den Blicken der meisten Parkbesucher geschützt und man konnte stundenlang in Frieden auf ihm sitzen. Irgendwie machte es den Anschein, als würde diesen Platz nie jemand betreten.
Anscheinend lag er zu ungünstig, denn die Sonne fiel nie wirklich auf diesen Hügel, was er dem kleinen Wäldchen zu verdanken hatte. Außerdem schützte die Seite, an der sich keine Bäume befanden, eine kleine, aber dichte und gemeine Hecke, die böse Kratzer auf der Haut hinterlassen konnte, wenn man nicht genau wusste, wo man durch sie hindurchsteigen konnte, ohne auf bösartige Weise angefallen zu werden.
Im Endeffekt war das auch der wahre Grund, warum hier niemand herkam.
Judith nannte diesen Platz immer liebevoll "den Schwedenhügel".
Mark hatte bis heute noch nicht herausbekommen, warum. Aber er musste jedesmal grinsen, wenn sie dieses Wort erwähnte.
Und heute trafen sie sich wieder, denn Mark brannte seine Erzählung auf der Seele. Außerdem hatte er mehrere Packungen Taschentücher mitgenommen, weil sein Schnupfen im Laufe des Tages nur wenig abgeflaut war.
Judith setzte sich, so wie sie es immer tat, wenn sie hier waren, auf einen großen bequemen Stein, welcher überwachsen mit etwas Moos am Rande des Hügels lag. Von hier aus konnte sie Mark wunderbar beobachten, wenn er ausgestreckt auf dem Gras des Schwedenhügels lag und erzählte.
Kaum waren die beiden angekommen, da sprudelte es auch schon aus Mark heraus, fast, als ob er platzen würde, könnte er mit niemandem sprechen.
Die schwarzhaarige Schöne war innerhalb von Sekunden wieder gebannt und gefesselt von den geschickten und nahezu magischen Worten ihres Bekannten, der ihr wieder von seiner Welt berichtete.
Er erzählte ihr von den Halls, vom Reich Salbena und von einer großen Arena, welche etwas abseits der Hauptstadt gelegen war.
Man veranstaltete dort alle zwei Wochen ein großes Spektakel mit allerlei Kämpfen, Theaterstücken und diversen Showeinlagen, um die Bürger von Salbena, welche geldig genug waren, sich diesen Spaß zu leisten (und das waren die meisten) und sich köstlich zu unterhalten.
Aber was sie viel mehr faszinierte, war Cain.
Diese vage Gestalt nahm erst nach und nach mit Marks Erzählungen Gestalt an. Er kam immer öfter in seinen Reden vor, tauchte mal hier und mal dort auf, doch seine Existenz zog sich langsam, aber sicher wie ein roter Faden durch alles, was ihr erzählender Freund über seine Welt berichtete.
Dieser Cain war etwas ganz Sonderbares, ein unnachahmlicher Streiter, ein Mann ohne Erinnerung, eingehüllt in eine magische Rüstung und bewaffnet mit einem wundersamen Speer.
Bald war es soweit, daß Mark nicht mehr im Allgemeinen vom Salbena Hall sprach, sondern Cains eigene Lebensgeschichte erzählte, dichtete, formte und Gestalt annehmen ließ.
Sie begann von dem Tage an, als Cain, ohne jegliche Erinnerung an einer Weggabelung stand, an deren Rand sich ein verkohlter und zerstörter Wagen befand. Die Luft roch nach Rauch und das verbrannte Holz verbreitete ebenfalls ein strenges Aroma, das dem verwirrten Mann scharf in die Nase stach.
Völlig verwirrt blickte er sich um... unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Was? Wie? Wer?
Cain runzelte verzweifelt die Stirn, doch in diesem Moment geschah etwas, was ihm später noch viel öfter passieren sollte. Ein Teil seiner Gedanken, um nicht zu sagen ein unterbewusster Teil, jenen Teil, den er anscheinend irgendwann einmal getrimmt und trainiert hatte, löste sich und übernahm kurz die Kontrolle über das weitere Denken und Handeln des Dragoons.
Sofort blitze dieses Wort in seinen Gedanken auf und er konnte es ganz klar mit sich asoziieren. Er war ein Dragoon, sagte er sich. Er war Cain, der Dragoon! Und er war hier, weil...
Weil... ganz einfach, weil das, was eben passiert ist, war...
Hier fand gerade... was fand hier gerade statt? Das Gesicht des Mannes in seiner grünbraun-fleckigen Rüstung verzog sich schmerzhaft.
"Was war hier gerade passiert?!", schrie er gedanklich und fasste sich an den Kopf mit beiden Händen.
Zumindest versuchte er das, doch ein schepperndes Geräusch riss ihn unvermittelt in die Gegenwart zurück. Seine Hände waren aus Stahl!!
Eiskalt krochen spitze Finger seinen Rücken hinauf, als er das Schlimmste befürchtete, doch dann entspannte er sich sichtlich erleichtert, als er feststellte, daß das nur seine Plattenhandschuhe waren.
Auch einen metallenen Helm hatte er auf, was das scheppernde Geräusch erklärte.
Vorsichtig nahm er beides ab und fuhr sich durch die verschwitzten Haare, wobei er sich weiter umblickte und seine Umgebung in Augenschein nahm.
Stundenlang verbrachten Mark und Judith diesen Tag damit, den er so lebhaft mit Berichten füllte, daß Judith ständig ein geistiges Bild vor Augen hatte und bei allen Erlebnissen direkt dabei zu sein schien. Sie merkten gar nicht, wie die Zeit verging, und innerhalb von nur einer handvoll Momenten war es Abend geworden.
Der Dragoon war inzwischen schon weitergereist und hatte damit begonnen, seine eigene Identität zu suchen, wobei er allerdings bei den näheren Bauernhöfen wenig Erfolg hatte.
Die meisten schlugen ihm die Tür vor der Nase zu, was er allerdings nicht ganz verstehen konnte.
Mark holte tief und wieder leise rasselnd Luft, schneuzte sich kräftig in eines seiner letzen Taschentücher und warf dieses wie alle seine restlichen in Richtung Mülleimer.
Ein kleiner weißer Haufen zeugte von seiner nicht all zu guten Treffsicherheit.
Aber wer warf schon gut mit Taschentüchern?
Judith rieb sich angestrengt die Augen und sah ihren seltsamen Bekannten an. Sie kannte ihn jetzt vielleicht ein halbes Jahr und sie hatte schon öfter seinen Geschichten gelauscht, doch diese jetzt waren wesentlich tiefgreifender und mitreißender als alles, was er vorher erzählt hatte.
Wie kam er nur auf solche Dinge? Und vor allem... wie schaffte er es, diesen Zustand zu erzeugen, in dem man alles um sich herum vergaß, in dem sie völlig willenlos an seinen Lippen hing?
Irgendwie ängstigte sie sich ein wenig vor Mark, doch ihre Neugier und die Faszination, die von diesem Menschen ausging, zog sie immer wieder in Marks Netz aus Rhetorik, Erzähl- und Dichtkunst.
Es war schon seltsam, gestand sie sich ein. Aber einfach unglaublich...
Ihr Gegenüber sah sie ebenfalls unverwandt an, nachdem er seine Geschichte für heute beendet hatte. Fast konnte er erraten, was sie dachte und innerlich genoß er diese Bewunderung, obwohl er es nach außen hin nicht zeigen mochte. Er hatte Judith viel zu gerne, als sie mit Arroganz und Hochmut zu vertreiben.
Überhaupt bestand zwischen den beiden eine wahrlich seltsame Beziehung, die sich keiner von beiden so recht erklären konnte.
Mark hatte in ihr jemanden gefunden, der ihm zuhörte, ihn achtete und auch sonst offensichtlich eine wahrhaft denkende Seele war. Er hatte einen unheimlich großen Respekt vor dieser Frau und betrachtete sie, obwohl er sie erst seit ein paar Monaten kannte, mittlerweile als seine einzige Vertrauensperson, die er je gehabt hatte.
Niemand war bisher so wie sie gewesen. Alle hatten ihn immer für einen verrückten kleinen Spinner gehalten, der nur komische Sachen im Kopf hatte und seltsame Dinge erzählte.
Oder aber es waren Leute wie Jan, die ihn einfach cool fanden, mit denen er aber wirklich rein gar nichts anfangen konnte, da sich deren geistiger Horizont etwa auf der Höhe einer Streichholzschachtel befand.
Zumindest nach Marks Ansicht.
Sie verstanden nicht, was er sagte, sie nickten immer nur und fanden alles toll, was er von sich gab. Er hätte genauso gut dreimal an eine Wand spucken können und sie wären um ihn herum gestanden und hätten "wissenschaftlich" versucht zu ergründen, welche tiefsinnige Botschaft er damit wieder zum Ausdruck bringen wollte.
Niemand vermochte bisher auch nur annähernd in den gleichen Bahnen zu denken... bis auf Judith.
Wobei er sie auch nicht ganz durchschauen konnte, denn manchmal brachte auch sie Aktionen, die für ihn einfach logisch nicht zu erklären waren.
Bestes Beispiel hierfür war Judiths Freund. Ein wahres Prachtexemplar an niederträchtiger Existenz. Sozusagen ein Prolet, wie er im Buche stand, laut Marks Ansichten. Grob und laut, kräftig, klobig und ein wenig machomäßig. Dieses typische Bild von einem Mann, wie es die geschichtliche Entwicklung der Erde vorgab.
Er hatte schon oft darüber nachsinniert, doch war er nie zu einer für ihn akzeptablen logischen Erklärung dafür gekommen, was eine denkende Seele wie Judith dazu veranlassen konnte, sich mit so einem Holzklotz einzulassen.
Vielleicht waren Holzklötze einfach erotisch?
Lächelnd zuckte er mit den Schultern und zog ein weiteres Taschentuch aus seiner Hosentasche.
"Wieso bist du eigentlich so erkältet?", fragte seine Vertraute, nachdem er sich erneut geschneuzt hatte und das Taschentuch wieder in Richtung Mülleimer warf.
Diesmal traf er sogar.
Nach einem längerem Schniefen antwortete er: "Ich weiß nicht. Vielleicht wegen dem Sportfest gestern."
"War aber gar nicht kalt eigentlich. Übrigens hab ich dich gesehen, wie Carsten dir eins vor die Brust gegeben hat. Das sah ja nicht sonderlich gut aus, hm?", meinte sie daraufhin und stand auf, wobei sie ihre müden Gelenke ein wenig streckte.
"Ich bin tief getroffen in meinem Stolz...", gab er grinsend zurück, lehnte sich rücklings auf seine beiden Ellenbogen und sah sie an.
Er erntete ein warmes Lächeln von Judith. Als sie auf ihre Uhr sah und feststellte, daß es bereits wieder nach elf Uhr war, fragte sie ihn: "Ich glaube, wir sollten dann mal langsam heimgehen, meinst du nicht auch?"
Grübelnd stand Mark schließlich auf, wischte sich ein wenig Gras von seiner Hose und sagte: "Ja gut, du hast recht. Hast du morgen vielleicht wieder etwas Zeit für mich?"
"Oh hm. Morgen wollte mich mein Freund in irgend so eine Bar einladen, zusammen mit seinen Kumpels. Ich schätze, ich hab morgen keine Zeit, tut mir leid."
Schulterzuckend lief Mark auf die gemeine Hecke des Schwedenhügels zu.
"Man kann nicht alles haben, schätze ich.", sagte er und sprang in einem eleganten Satz über das Hinderniss, drehte sich um und wartete auf seine Vertraute.
Sie sprang nicht über die Hecke, sondern wandte sich an einer dünneren Stelle geschickt hindurch, ohne einen dieser fiesen Kratzer abzubekommen. Sie waren beide schon zu oft hier gewesen.
Beim Abschied legte Mark seine rechte Hand auf seinen Bauch und verbeugte sich leicht, was Judith mit einem Lächeln beanwortete, bevor sie sich in Richtung Straße wandte und nach Hause ging.

In dieser Nacht bekam Mark wenig Schlaf, denn seine Erkältung, oder was immer es zu sein schien, war schlimmer geworden und er hatte abends vorm zu Bett gehen nur sehr schlecht Luft holen können.
Seine ganze Lunge war fast wie zugeschnürt gewesen und das Atmen strengte ihn so sehr an, daß an Schlaf nicht zu denken war.
So hatte er sich seufzend an den Bettrand gesetzt, rasselnd geatmet und dabei seinen dicken Wälzer weiter verschlungen. Neben ihm türmte sich bald ein großer Berg an Taschentüchern auf und als alle Packungen in seinem Zimmer leer waren, ging er ins Bad, um sich eine Rolle Klopapier zu holen.
Stunden später wurde der schwitzende Schüler dann aber so müde, daß er sich schweren Herzens doch gegen vier Uhr wieder hinlegte und mühsam einschlief.
Als er wieder erwachte, waren nicht einmal zwei Stunden vergangen. Erschrocken fuhr er hoch, sprang aus dem Bett, riß mit einem gewaltigem Ruck sein Fenster auf und streckte seinen Kopf hinaus.
Keuchend sog er gierig die frische und kalte Luft von draußen ein.
Zumindest soweit es eben ging, denn besonders viel konnte er davon nicht in seine Lunge pressen.
Minutenlang verharrte er in dieser Pose und dachte nach.
Das war nicht normal. Diese Atemnot musste etwas bedeuten. Was hatte er falsch gemacht? Was war der Grund dafür?
Nach etwa einer halben Stunde jedoch beruhigte sich seine Lunge wieder und auch das Atmen fiel ihm wieder leichter.
Gegen halb acht zog er sich an und verließ das Haus seiner Eltern, nicht ohne die vorherige Zeit damit genutzt zu haben, noch ein wenig mehr über seine Welten und das Verständniss der Magie zu erlernen.
Zur Zeit befasste sich sein Buch mit den fädenartigen Zusammenhängen von Vorstellungskraft, Realität und der Verbindung dieser beiden Komponenten.
Er hatte einige interessante Dinge erkannt, was diesen Sachverhalt betraf. Allerdings sorgte er sich im Moment mehr um seine Atmung, als um sein magisches Verständnis.
Die kühle Morgenluft tat immernoch sehr gut im Hals und er dehnte seinen Schulweg so lange wie möglich aus, um genug Zeit zu haben, sich wieder zu beruhigen.
Normalerweise brauchte er etwa zehn Minuten bis zu seinem Lieblingsplatz im Pausenhof, doch heute schlenderte er mal hierhin und mal dahin, immer darauf konzentriert, seine Lunge wieder unter Kontrolle zu bringen und zum normalen Arbeiten zu überreden.
Als er dann endlich ankam, rasselte sein Atem zwar noch leicht, wenn er tief durchatmete, doch sonst merkte ihm keiner etwas an. Nicht einmal Judith, aber sie hatte heute sowieso nicht viel Zeit für ihn.
Dabei hätte er ihr so gerne erzählt, was weiter mit Cain geschah.
Er hatten nämlich ernste Probleme bekommen inzwischen. Da er nunmehr seit geraumer Zeit durch das Land von Salbena stromerte, immer auf der Suche nach seiner Identität, verdingte er sich nebenbei mit allerlei kriminellen Kleinigkeiten, um sich mit genügend Nahrung und Schlafplätzen zu versorgen.
Die erstaunlichen Fähigkeiten, die ihm innewohnten und bei diversen Aktionen ans Tageslicht kamen, erfreuten den Dragoon natürlich sehr.
Zum einen stellte er sehr schnell fest, daß er anscheinend ein wahrhaft meisterhafter Speerkämpfer war. Ebenso konnte er mit seinem Kurzschwert umgehen, sowie mit beiden Waffen gleichzeitig und sogar ohne Waffen, denn seine fleckige Rüstung hatte an den Ellbogen und den Knien scharfe und spitze Ausläufer, die häßliche Wunden schlagen konnten, sollte er einmal im unbewaffneten Nahkampf sein.
Und zu kämpfen hatte er bis dato auch genug gehabt. Einerseits verdiente er sich etwas, indem er in kleinere Dörfer ging und gegen Wetten gegen die härtesten Burschen der Gegend antrat, wobei er das natürlich der Fairness halber ohne Rüstung tat, und zum anderen, wenn streunende Halsabschneider meinten, sie fänden in ihm leichte Beute.
Zum anderen hatte er in seinem vorherigen Leben auch viel Zeit damit verbracht, außerordentlich gut zu reiten lernen, war sehr belesen und wusste somit viel über die Welt zu erzählen, so wie abendliche Lagerfeuergeschichten, die er in manchen Kneipen gegen ein Abendbrot zum Besten gab.
Am Ende hatte er den hiesigen Monarchen Theodam so verärgert, daß dieser kleine Trupps seiner Soldaten aussandte, um ihn gefangenzunehmen, auf daß er in der verruchten Salbena-Arena kämpfen sollte, einer Arena dem römischen Kollosseum ähnlich, mit ähnlichen Spielen und Veranstaltungen, vor allem aber wilden Zweikämpfen zwischen Banditen, Gesetzlosen und anderen Nicht-Gewollten der Gesellschaft.
Cain war auf dem besten Weg, sich in die dritte Gruppe zu manövrieren, denn die ausgesandten Soldatentrupps von Theodam kamen nicht zurück.
Es waren Gruppen von meist einem halbem Dutzend oder mehr kräftigen Männern, die im ganzen Lande den Ruf hatten, einer doppelten Übermacht leichthin die Stirn bieten zu können.
Doch von ihrem Auftrag, den Dragoon gefangenzusetzen, kamen sie nicht wieder, was Theodam nur um so mehr verärgerte.
Sogleich schickte er, wobei er in jedem Fall gewinnen musste, einen seiner höheren Generäle aus, um sich dieser unangenehmen Aufgabe anzunehmen. Theodam mochte diesen General nicht besonders, da er in letzter Zeit anfing, zu viele Fragen zu stellen, die dem Monarchen ganz und gar nicht passten.
Howel begann langsam, aber sicher, am kompletten Staatssystem und der ganzen Monarchie zu zweifeln und so wurde er losgeschickt. Einerseits, wenn er stürbe, hätte Theodam ein Problem weniger, andererseits, wenn er Cain herbringen konnte, hatte er ebenfalls ein Problem weniger.
Man musste nur die richtigen Entscheidungen treffen, überlegte der stämmige Imperator und griff sich an den goldverzierten Gürtel, während er aus einem der zahllosen Fenster seiner Burg über das weite Land in den Südwesten blickte.
Dem Dragoon unterdessen ging es weitaus weniger gut, denn Howel war ein erfahrener Mann, der in seinem Leben schon unzählige Schlachten geschlagen hatte, sei es gegen die wilden und unbezähmbaren barbarischen Völker, die im südlichen Caucavewald wohnten, oder aber Aufständische im Westen von Salbena, die immer wieder versuchten, durch Raubüberfälle ihre missliche Lage in den kargen Westländern zu verbessern.
Im Schlafe wurde der Dragoon überrascht, selbst seine Rüstung, die ihn immer vor jeglichem Schaden bewahrt hatte, trug er nicht, als die Reiter über ihn hereinbrachen.
Seine übermenschlich trainierten Reflexe brachten zwar noch zwei der Angreifer zu Fall, doch dann wurde er niedergeschlagen und verschleppt.
Als er erwachte, war es besonders schlimm.
Angsterfüllt schlug er die Augen auf und versuchte ,Luft zu holen. Es wurde ein sehr langer Atemzug, kaum genug, um seinen Sauerstoffbedarf zu decken und fast alle Kraft wich aus seinen Gelenken.
Ein lähmender Gedanke stieg in ihm auf, doch dann zwang er sich mit aller Gewalt zur Ruhe, setzte sich auf, beugte sich erschöpft nach vorne und keuchte minutenlang vor sich hin.
Verdammt, dachte er sich. Ich muss hier raus!
Als er aufstand, taumelte er in seinem Zimmer umher, griff wankend nach seiner Hose und seinem T-Shirt, zog beides an und stolperte die Treppe hinunter. Als er seine Schuhe anzog, wurde ihm so schwindlig, daß er sich erst etwa zehn Minuten gegen eine Wand lehnen musste, damit er nicht die Besinnung verlor.
Nach anstrengenden Momenten raffte er sich wieder auf, öffnete die Haustür und taumelte ins Morgengrauen davon.
Es war schätzungsweise fünf Uhr früh, dem Sonnenaufgang nach zu urteilen.
Verbissen hielt sich Mark die Brust mit der Rechten und ging zitternd in Richtung Park, wo er hoffte, auf dem Schwedenhügel etwas Erlösung zu finden.
Wie auch am Vortag tat die kühle und frische Morgenluft unendlich gut. Sie wirkte regelrecht befreiend auf seine verkrampfte Lunge und löste fürs erste die gröbsten Verspannungen, so daß er zumindest wieder genug Sauerstoff in seine klagenden Adern pumpen konnte, wenn auch unter einem häßlich rasselnden Atemgeräusch.
Verzweifelt blickte er in den Himmel und schrie gedanklich hinauf, WAS habe ich denn getan?!
Seine Schritte beschleunigten sich, als er wieder besser atmen konnte, und nach etwa zwanzig Minuten erreichte er seinen Weltenplatz, auf dem er sich, nachdem er grob durch die am Eingang gelegene Hecke geprescht war und sich dabei mehrere böse Kratzer zugezogen hatte, seufzend niederließ.
Seine gestrige Lektüre über Realität und Imagination hatte ihn nur wenig aufgeheitert. Wie sollte er sich seinen Studien und seiner Welt widmen können, wenn er nicht mal gesund in dieser Ebene existieren konnte?
Wütend rupfte er einen Grasbüschel aus dem Boden des Hügels, auf dem er saß und warf ihn in Richtung Hecke. Dabei atmete er protesthalber einmal tief aus und verzog angeekelt das Gesicht, als er die wunderbare Geräuschkulisse dazu hörte.
Wie ein alter Opa, der kurz vorm Sterben steht, höre ich mich an! Und ich bin nicht einmal zwanzig Jahre alt!
Teufel, was geht hier vor?!
Krank? , fragte er sich. Vielleicht bin ich einfach krank?
Einige außerst lange Momente verstrichen, bevor er grübelnd den Kopf schüttelte.
Ich bin mir nicht sicher, ging es ihm durch den Kopf. Für die weltlichen Leute hier war das natürlich alles keine Frage. Sicher hatte er plötzlich eine Allergie gegen etwas in seinem Zimmer entwickelt.
Vielleicht der PVC-Boden, oder die Tapetenfarbe oder weiß der Geier was noch.
Aber das war es nicht, daß wusste Mark einfach.
Nur was war es dann?

An diesem Nachmittag hatte der mittlerweile gesundheitlich doch schon etwas angeschlagene Schüler wieder etwas Zeit von seiner Vertrauten erringen können.
Cain brannte ihm auf der Seele. Er musste einfach erzählen, denn wenn er es nicht tat, so dachte er, würde es ihn schlichtweg zerreissen.
Auch der Dragoon war in keiner sichtlich besseren Lage als Mark, jedoch unter weitaus anderen Umständen. Seit mehreren Wochen war er nun in dieser höllenhaften Arena und hatte schon einige Kämpfe bestanden, die sie ihm aufgehalst hatten.
Allerdings musste er ohne seine geliebte Rüstung kämpfen und auch mit anderen Waffen als seinen eigenen, was seine Kampfkraft doch um einiges beeinträchtigte. Dennoch war er immernoch ein äußert versierter Krieger, der es immer irgendwie verstand, seine Gegener zu täuschen und so einen mehr oder minder leichten Sieg zu erringen.
Allerdings trug er zahlreiche Verletzungen davon, einige waren sogar so schwer gewesen, daß er mehrere Tage auf dem Krankenbett zubrachte.
Als er an diesem Nachmittag in seiner Zelle saß, sah er in seiner Nachbarzelle einen weiteren Mitgefangenen liegen, der ebenfalls schwer verletzt war. Er hatte einen riesigen Verband quer über seinen Bauch gelegt, der allerdings schon begann, sich leicht rötlich zu verfärben.
Mark schneuzte sich und warf das gebrauchte Taschentuch verärgert hinter sich.
Seine Gedanken waren wie wild in letzter Zeit. Er wusste kaum mehr, ob er jetzt in Salbena lebte oder im Hier und Jetzt der Erde. Die Grenzen waren nicht mehr so klar, wie sie es sonst immer gewesen waren.
Sonst konnte er, wenn er es wollte, schlicht hinübersteigen und dort sein, aber auch immer, wenn es die Zeit erforderte oder er über das Geschehene nachdenken wollte, wieder zurückkehren.
Dieser Cain war aber anders als alles, was er vorher über Salbena erdichtete.
Aber erdichtete er das wirklich?
Ihm kam es mittlerweile wirklich so vor, als ob Salbena wahrhaft existiert und ihn langsam aufzusaugen begann.
Sein Herz pochte schmerzhaft in der Brust, doch wenigstens ging seine Atmung wieder etwas leichter vonstatten, so daß er immerhin in der Lage war, ordentlich zu reden und seine Magie der Worte wirken lassen zu können.
Wo blieb Judith nur, fragte er sich und fuhr sich mit seiner Rechten durch die verschwitzten Haare.
In seiner Nachbarzelle regte sich der Hüne.
Es waren allerdings mittlerweile wieder einige Tage vergangen und Cain hatte seinen Nachbarn sogar schon kennengelernt, was für ihn eine beträchtliche Überraschung war, denn dieser breite Hüne war kein Geringerer als der im ganzen Land als der beste Gladiator bekannte Terron, der Schlächter, wie sie ihn liebevoll nannten.
Er war schon von klein auf in der Arena gewesen, denn er war der Sohn zweier Gefangener, die mittlerweile schon längst ihr Leben in den unmenschlichen Zweikämpfen gelassen hatten.
Man munkelte sogar, daß caucavisches Blut in seinen Adern floß.
Schließlich regte er sich, setzte sich auf und sah zu Cain herüber.
In diesem Moment kam auch Judith, sich durch die Hecke windend, zu Mark auf den Schwedenhügel.
"Ich grüße dich", sagte er mit einem Lächeln.
Sie sah ihn an und hob ebenfalls lächelnd die Hand.
Als Judith sich setzte, schüttelte Mark verwirrt den Kopf und rieb sich danach die Augen.
"Wie geht es dir? Du siehst ziemlich mitgenommen aus. War gestern etwas?", fragte sie mit dunkler Stimme, die kaum zu Judith zu passen schien. Sie hörte sich vielmehr nach einem männlichen Zweimeterriesen an.
"Ich...", begann Mark stockend. "Wie soll ich sagen..."
"Dir fehlen die Worte?!", fragte Judith mit ihrer gewohnten Stimme und blickte ihn wahrhaft erstaunt an.
Mark hustete ein paarmal grob und schluckte dann einen schweren Kloß in seinem Hals hinunter.
Schließlich gewann er einen Teil seiner Fassung zurück, verzog sein Gesicht mühsam zu einem halben Lächeln und meinte: "Ich bin auch nur ein Mensch."
Fachmännisch betrachtete sie ihren Vertrauten und meinte nach einigen kurzen Augenblicken: "Ich sehe schon, du bist irgendwie angeschlagen. Kommt das immernoch von dem...", grübelte sie leise, bis ihre Stimme abbrach und der Satz wie in einer schwimmenden Filmblende mit einem "...Kampf vor ein paar Tagen?", beendet wurde.
"Ich...", schluckte Mark und fuhr sich mit einer fahrigen Geste durchs Gesicht. "Kampf? ...von was redest du?"
Ernstlich besorgt blickte Judith ihn an und runzelte dabei die Stirn, als ob sie ihn mittlerweile für völlig verrückt hielt. "Vielleicht solltest du mal zu einem Arzt gehen, Mark, was meinst du?"
Mühsam nickte dieser und holte ein neues Taschentuch aus seiner Hosentasche hervor.
"Es gibt noch zu viele Dinge, die ich einfach nicht verstehe, Judtih. Ich bin so verwirrt die letzten Tage. Und dann noch der Schnupfen und meine regelrechten Atemnotsanfälle dazu..."
Der Blick seiner Vertrauten wurde um einiges weicher, als sie ihn so ansah.
"Aber... eines brennt mir schon seit vorgestern auf der Seele.", begann er schließlich und brachte sich eine vorgebeugte und für ihn angenehmere Postition zum Atmen.
Er erntete einen ehrlich interessierten und gleichzeitig warmen Blick, der in seinem tiefsten Inneren etwas berührte. Es fühlte sich schön an und er merkte, wie seine Wertschätzung für Judith wieder um einige Punkte auf einer imaginären Skala nach oben stieg.
Rasselnd sog er wieder einen Schwall Luft in seine Lungen, blickte sie an und meinte mit zitternder Stimme: "Du musst mir helfen."
Judith rückte näher an ihn heran, wagte es aber dennoch nicht, ihn zu berühren. Sie sah ihm aber trotzdem tief in die Augen und fragte ganz leise: "Wie?"
Ihr Gegenüber hob seine rechte Hand und machte eine verzweifelt wirkende Bewegeung in der Luft. "Hör mir bitte zu...", ächzte er dann.
"Immer und überall...", hauchte sie zur Antwort, verschränkte die Arme um ihre Beine und blickte ihn an.
"Wir müssen hier herauskommen. Ich habe schon fast einen Plan, wie wir das anstellen, aber ich brauche deine Hilfe.", flüsterte Cain zu seiner Nachbarzelle hinüber und irgendwie hatte er das Gefühl, daß er das schon einmal gesagt hatte, nur konnte er sich nicht erinnern, wo.
Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, antwortete Terron: "Immer und überall, Cain. Ich möchte die Welt sehen und all ihre Wunder schauen, von denen du mir erzählt hast."
Ein grauer Schleier schob sich langsam in Marks Blickfeld, doch er wollte nicht darauf achten.
Sein ganzer Kopf fühlte sich schwer und taub an, seine Gedanken drehten sich in wilden Kreisen und es dauerte einige lange Augenblicke, bis er sich wieder halbwegs in der Gewalt hatte.
Judith legte ihren Kopf schief und wartete darauf, daß ihr Vertrauter endlich anfing, denn auch sie war gespannt darauf, was in der Zwischenzeit wieder alles passiert war.
Und so konnte Mark dann schlußendlich doch noch berichten, was er in den letzen zwei Tagen alles erfahren hatte.
Während er redete, spürte er, wie seine Kehle sich immer weiter entspannte und die angenehme Abendluft strömte warm seinen Hals hinab. Zwar hatte er immernoch eine verstopfte Nase, doch wenigstens war sein Taschentuchverbrauch etwas zurückgegangen.
Neben diesen kleinen Unterbrechungen schaffte es Mark dennoch wieder, fast ohne sein Zutun, seine bekannte Aura zu erwirken, die die beiden einschloß, und sie alles um sich herum vergessen ließ.
Cain und Terron planten ihren Ausbruch in den nächsten Tagen, immer wenn sie ungestört waren und gerade keiner von diesen unheimlichen, großen stählernen Golems in der Nähe war.
Das war das erste, was dem Dragoon in dieser verfluchten Arena aufgefallen war. Sie hatten kaum Wachen aus Fleisch und Blut hier, sondern nur diese seltsamen mechanischen Dinger, die auf irgendeine Weise magisch animiert wurden. Allerdings konnte sich Cain nicht erklären, wie das funktionieren sollte.
Sein Gefühl sagte ihm, daß Magie nicht auf solche Art und Weise mit so einem Material gewirkt werden könne und er hatte mit der Zeit gelernt, auf sein Gefühl zu hören, denn es war wie die warnende Stimme des Cain, der noch genau wusste, wer er war.
In jedem Fall waren sie äußerst unangenehm und obwohl sie keinerlei Anzeichen machten, auf gesprochene Worte zu reagieren, fühlte Cain, daß sie sehr wohl in der Lage waren, alles zu verstehen, was in ihrer Nähe gesagt wurde, nur um es dann ihren Herren zu berichten, auf daß diese entsprechende Maßnahmen ergreifen konnten, sollte etwas bei den Gefangenen im Busch sein.
Nach stundenlangem Gerede schließlich sahen sich die beiden an.
"Ich denke, wir sollten für heute Schluß machen. Ich bin erschöpft und brauche endlich etwas Schlaf.", meinte Cain und lehnte sich schwer atmend an seine Zellenwand.
Judith nickte und versuchte langsam wieder in die Realität zurückzufinden.
Der Dragoon sah lange und kritisch in ihre Richtung, bis Judith plötzlich erschrocken aufsah. Cain blickte sie an!
Ihr Herz machte einen erschrockenen Satz, als sich ihr Blick mit dem des Dragoon traf. Sie sah in seinen Augen den gleichen Schrecken, der auch in ihren eigenen zu sehen sein musste.
Förmlich spürte sie, wie sich eine kalte Decke aus Eis auf ihren Rücken zu legen begann.
Unter ihr war kein weiches Gras mehr, wie es auf dem Schwedenhügel hätte sein sollen, sondern ein grober und harter Sandsteinboden, in den sich ihre Fingernägel langsam, aber sicher, verkrampften.
Eben wollte sie voller Panik den Mund aufmachen und schreien, als die ganze Szenerie verschwamm und Marks sorgenvolles Gesicht hinter dem wirren Farbenspiel auftauchte, das die zerreissenden Nebelfetzen vor ihren Augen bildeten.
Vorsichtig rutschte er zu ihr hinüber und machte Anstalten, sie in den Arm zu nehmen, doch er zögerte.
Als einige Momente verstrichen, in denen Judith sich immernoch zu Tode erschrocken umsah, um sich auch ganz sicher zu vergewissern, daß sie wirklich wieder auf der Erde war, ging die Magie des Augenblicks verloren und Mark zog sich wieder auf Armeslänge von ihr zurück.
"Alles okay?", fragte er besorgt, nachdem er den Schrecken in ihren Augen erkannte, der nur langsam und widerstrebend zu weichen schien.
Stockend antwortete sie: "J...ja... ich... ich denke schon."
Die schwarzhaarige Schülerin war leichenblaß geworden und in ihrem Kopf spielten ihre Gedanken völlig verrückt. Was war das eben?
Das war doch nicht möglich! Sie hatte den Fels gespürt, mit ihren eigenen Fingern!
Wie um sich selbst etwas zu beweisen, hob sie ihre Hände und betrachtete ihre Fingernägel genau, wobei sie einen seltsamen Blick von Mark erntete.
Unter ihren Fingernägeln war Erde.
Erde! Kein Sand!
Eine unglaubliche Erleichterung machte sich in ihr breit und es schien, als wäre ihr ein großer Stein von der Seele gerollt.
Fassungslos starrte sie ihren Vertrauten an.
"Wie machst du das?", stammelte sie leise und begann, ihre Fingernägel zu säubern.
Dabei gab es diese knackenden Geräusche, die Mark überhaupt nicht leiden konnte.
Angewidert wendete er den Kopf, um nicht sehen zu müssen, wie Judith sich mit ihren eigenen Fingernägeln die Nägel saubermachte.
Jedesmal, wenn es knackte, schüttelte es Mark. Es war ein Gefühl, wie es manche Leute haben, wenn man mit Fingernägeln über eine Schultafel kratzt.
Aufgrund dessen konnte er auch keine rechte Antwort geben.
Erst, nachdem sie fertig war, drehte er sich wieder zu ihr um und holte tief Luft.
Seine Lunge war wieder verspannter geworden und es hörte sich erneut nach einem leichten Rasseln an.
Er verdrehte gequält die Augen und griff sich an die Stirn, während er den Kopf hob und in den Himmel starrte.
Es war dunkel geworden, doch man sah keine Sterne am Himmel. Die Lichter der Stadt waren zu hell...
Dann stand seine Vertraute auf, etwas zitternd und unsicher, aber dennoch bestimmt.
"Ich... ich muss nachdenken, Mark.", begann sie mit ihrer weichen Stimme, die Mark in diesem Moment schier zum Schmelzen brachte.
Sie hatte ja keine Ahnung, was sie für ihn bedeutete!
Jedoch ohne eine Regung im Gesicht zu zeigen, nickte Mark und stand ebenfalls auf.
Minutenlang standen sie beide nah beieinander und blickten über die dunkle Hecke in Richtung Straße.
Widersprüchliche Gefühle stiegen in den beiden hoch. Judith senkte den Kopf ein wenig und als Mark, der etwas versetzt hinter ihr stand, sie so ansah, zogen seine Gedanken seltsame, noch nie dagewesene Kreise, von denen er nie erwartet hätte, daß es sie gab.
Einiges hatte er also immernoch zu lernen, überlegte er und seine rechte Hand zuckte ganz leicht vor und wieder zurück.
Auch Judith wusste nicht, was sie in diesem Moment dachte. Es fühlte sich schön an, zu wissen, daß ihr Vertrauter hinter ihr stand. Doch fast wünschte sie sich eine Situation herbei, von der sie selbst nicht genau wusste, welche sie war. Ihr Herz schlug schneller und ihr Puls beschleunigte sich, selbst ihr Atem ging ein wenig heftiger als sonst.
Was war nur los...
Wenn nicht plötzlich ein streunender Hund in der Nähe gebellt hätte, stünden die beiden wahrscheinlich bis zum Morgengrauen noch nebeneinander.
Doch auch dieser Augenblick ward vergangen und beide schritten wortlos nebeneinander durch die Hecke und zur Straße.
Sie sahen sich lange in die Augen, bevor sie sich zwar wortlos, aber dennoch tiefgreifend verabschiedeten und nach Hause gingen.

Mark hatte unschwer erraten, was für ein Schicksal ihn diese Nacht erwartete, doch trotz aufgerissener Fenster, verschiedenster Kräutertees und aller sonstiger Tricks erwachte er nach vier Stunden unruhigen Schlafes völlig verschwitzt um etwa fünf Uhr früh in seinem Bett.
Die Decke war auf den Boden gefallen und es war unangenehm kalt im Zimmer.
Keuchend griff Mark nach seiner Bettdecke, zog sie sich über und legte sich noch einmal hin, in der naiven Hoffnung, noch etwas Schlaf zu finden, doch sobald er sich zurück aufs Bett legte, schnürte sich ihm die Luft fast komplett ab.
Mit Tränen in den Augen setzte er sich auf und klopfte sich verzweifelt auf die Brust.
All seine Kräfte schienen ihm aus den Knochen zu weichen und die Welt drehte sich vor seinen Augen. Er wollte sich abstützen, doch sein Arm knickte ein und Mark rollte ungeschickt von der Bettkante zu Boden, wo er keuchend und nach Luft ringend liegenblieb.
Ans Fenster!, brannte es ihm in Gedanken.
Mit aller Macht rappelte er sich auf, taumelte zum Fenster und ließ sich wie ein Toter auf dem Rahmen nieder.
Pfeifend ging sein Atem. Erst nach einer kompletten halben Stunde fand er wieder genug Kraft, um sich aufrecht hinzustellen und wenigstens so zu wirken, als wäre er in Ordnung.
Zitternd sog er die Morgenluft ein und beachtete weder die Gänsehaut auf seinen Armen, noch das Zittern seiner Zähne aufgrund der Kälte, die im Zimmer war.
Die nächsten Minuten verbrachte er damit, sich unendlich langsam anzuziehen.
Das Duschen erwies sich als besonders schwer, denn die heiße Luft hatte keine beruhigende Wirkung auf Marks Lunge.
Die ganze Zeit konnte er sich nur mit minimaler Anstrengung bewegen, damit ihm nicht vor lauter Sauerstoffmangel schwindlig wurde.
Es dauerte eine ganze Stunde, bevor Mark erleichtert das Haus seiner Eltern verlassen konnte, um an der Frischluft spazierenzugehen, in der Hoffnung, seine Atmung würde dadurch besser werden.
Doch diesmal ward ihm dieser Wunsch anscheinend verwehrt, selbst das Laufen wurde zu anstrengend.
Schließlich schleppte er sich mit vor Erschöpfung hochrotem Kopf zum Schwedenhügel und setzte sich in das hinterste Eck der Baumformation, damit er von außen von niemandem gesehen werden konnte.
Etwas hockte ganz tief in ihm drin, daß spürte er.
Etwas, das dringend hinaus musste, etwas, das ihn umbringen konnte, wenn er nicht bald herausfand, was es war.
Stunde um Stunde verging, in der Mark fast bewegungslos unter dem Schatten der dichten Bäume saß. Er hatte für heute auf die Schule verzichtet, denn alles, womit er die ganze Zeit beschäftigt war, war atmen.
Er konnte kaum denken, er konnte nicht mehr richtig reden, er konnte nur noch atmen.
Pfeifend und rasselnd die Luft einsaugen und unter den gleichen schrecklichen Geräuschen wieder ausatmen.
Irgendwie war es ihm gelungen, ungesehen in den Waffenraum zu gelangen, so daß er sich seine begehrte Rüstung wieder anlegen konnte. Ebenso waren sein Speer und sein Kurzschwert vorhanden, welche er zufrieden umschnallte und wieder zum Eingang zurückschlich.
Es war früh am Morgen und er war nur durch Terrons Mithilfe um diese Zeit zum Trainingsplatz gelangt, an dem sich die Waffenkammer befand, von der aus die Wächter die Übungswaffen an die Gefangenen verteilten und die Zweikämpfer für ihre bevorstehenden Arenakämpfe ausrüsteten.
Da Terron schon seit Jahren in der Arena lebte und seither nie Anstalten gemacht hatte, auch nur einen Verdacht zu erwecken, daß er fliehen wollte, genoß er bei den metallenen und fleischlichen Wächtern besondere Privilegien, von denen die restlichen Gefangen nur träumen konnten.
Seine Zelle war nie abgeschlossen und er konnte sich fast in der gesamten Anlage frei bewegen, was es ihm auch ermöglicht hatte, dafür zu sorgen, daß Cain in aller Früh, noch bevor die ersten Wachen in der Trainingshalle auftauchten, sich entsprechend wieder mit seinen Besitztümern ausstatten konnte.
Ihre Flucht stand unmittelbar bevor.
Angestrengt biss Mark seine Zähne zusammen, beugte sich in seiner sitzenden Position etwas nach vorne und bohrte seine beiden Fäuste in den weichen Erdboden.
Schweißperlen rannen von seiner Stirn herab, als er einen erneuten schweren Atemzug tat.
Der hünenhafte Barbar und der Dragoon in seiner schäbig aussehenden Rüstung rannten durch eine große Säulenhalle, deren Verwendungszweck beide nie ganz verstanden hatten.
Cains Schritte hallten metallisch und laut aus allen Ecken wieder und er wünschte sich ebenfalls solch schwere Lederstiefel wie sein barbarischer Freund zu haben, denn die waren nicht mal ein Zehntel so laut wie seine eigenen Plattenstiefel.
Allerdings machte das im Moment auch keinen Unterschied mehr, dachte er sich und blickte gehetzt nach hinten.
Die scheppernden Stampfer des metallenen Kolosses hinter ihnen waren noch um ein vielfaches lauter als alle Geräusche der beiden Fliehenden zusammengenommen.
Abrupt endete ihre Verfolgung vor einer schweren steinernen Tür, was Terron zu einem überraschtem Ausruf verleitete: "Was?! Seit wann ist dieses Tor geschlossen?!"
"Darüber können wir uns später Gedanken machen.", sagte der Dragoon angespannt und deutete auf die Tonnen Stahl, die sich rollend auf die beiden zu bewegten.
Der Barbar löste die ledernen Riemen, die seine zweischneidige Stahlaxt auf seinem Rücken hielten und Cain zog langsam seinen Speer aus dem Schaft.
Röchelnd spuckte Mark auf den Boden und beugte sich tief so hinunter, daß das Gras fast seine Nasenspitze berührte. Schmerzhaft knirschten seine Zähne, als ein stechender Schmerz in seiner Brust ihm schier den Verstand zu rauben schien.
Sein Kopf pochte wie verrückt und seine Augen tränten, selbst seine Nase war völlig verstopft und so musste er Sekunden später wieder den Mund öffnen, um weiteratmen zu können.
Sein Arm baumelte fast völlig nutzlos an seiner rechten Seite.
Der Schlag des stählernen Giganten hatte ihm warhscheinlich alle Knochen darin gebrochen und selbst seine äußerst stabile Rüstung hatte ihn davor nicht bewahren können.
Solche Maschinen konnten Städte einreißen, dachte Cain verzweifelt und beobachtete Terron, wie dieser sich am Schloß einer schweren Eichentür zu schaffen machte.
"Verflucht...", murmelte er unentwegt und der Dragoon sah sich, während er seinen schmerzenden Arm hielt, um. Aus den Gängen, von denen sie gekommen waren, war nichts zu hören, aber dennoch konnten jeden Moment einige Wachen um die Ecke kommen und dann sähe es böse aus für die zwei.
Schließlich ließ ihn ein krachendes Geräusch herumfahren.
Der entnervte Barbar hatte die Eichentür, die mindestens mehrere Zentimeter durchmaß, schlichtweg eingerannt.
"Geschafft!", stieß er aus und sprang in den dahinterliegenden Raum.
Cains Herz machte einen schmerzhaften Satz bis hinauf in seinen Hals, als er neben Terron einen grimmigen Mann der Arenawache sah, welcher gerade im Begriff war, dem unachtsamen Barbar ein Schwert in den Rücken zu schlagen.
Ohne nachzudenken zuckte die linke Hand des Dragoons zu seinem Speer, zog und warf ihn in einer fließenden Bewegung nach der Wache, die im Bruchteil einer Sekunde später blutend zusammenbrach. Terron sah sich um und wischte sich ein wenig Schweiß von der Stirn.
"Danke!", sagte er erleichtert, zog den Speer aus dem Toten und reichte ihn Cain. "Linkshänder, wie ich sehe.", fuhr er dann fort und Cain war erstaunt über diese Erkenntnis. Das hatte er selbst noch nicht bemerkt. Wie gut, daß "nur" sein rechter Arm gebrochen war.
"Schnell weiter!", fauchte er dann und hetzte ebenfalls in den neuen Raum.
Über eine Rampe, die darin lag, wollten sie einen langen Weg hinunter rutschen.
Terron hatte erzählt, daß die Wachen immer alle Abfälle hier hinunter kippten, und er nahm an, daß diese Rampe somit irgendwo nach draußen führte.
Womöglich in den Burggraben, denn das war die Hoffnung der beiden, doch in diesem Moment preschte aus einer der ungeöffneten anderen Türen, die ebenfalls in diesem Raum lagen, ein weiterer dieser mörderischen Stahlgolems heraus und warf die beiden Flüchtlinge zur Seite, wo sie beide schmerzhaft gegen die Steinwand prallten und zu Boden rutschten.
Erschrocken stieß Judith einen Schrei aus, als sie Mark zusammengekauert auf dem Boden des Schwedenhügels liegen sah.
Das Röcheln, das er unentwegt von sich gab, brach ihr schier das Herz.
Mark schien sie kaum zu registrieren und vor seinen Augen lag ein Schleier, wie ihn Judith noch nie zuvor gesehen hatte. "Mark! Ich bin da! Sag etwas, kann ich dir helfen?", fragte sie verzweifelt, wagte aber nicht, ihn auch nur anzufassen aus Angst, sie könnte alles nur noch schlimmer machen.
"Jetzt helfen uns allein die Götter...", murmelte Cain verzweifelt und sah den stählernen Golem auf sich zu kommen.
Die letzte Stunde ward gekommen...
Doch in der größten Not scheint immer ein Licht.
Es sind Freunde und Wunder, die uns zu Hilfe kommen.
Ungeahnte Kräfte schlummern tief im Verborgenen eines jeden einzelnen, von denen man keine Ahnung hat. Menschen sind Schöpfer... gottgleiche Wesen mit fantastischen Kräften, die nur darauf warten, endlich hervorbrechen zu können, auf das man sein ganzes Potential nutzen kann.
Dieses war einer dieser Momente, in denen zwei wundersame Menschen ihr gesamtes Potential offen darlegten, um einander zu helfen. Ihre Vetrautheit war so stark geworden, daß sich daraus eine unglaubliche magische Verbindung ergab, die mit einemmal und aller Kraft zuschlug.
Mit einem Ruck fuhr Mark hoch.
Cain stand urplötzlich kerzengerade vor dem Golem und hob den Arm. Knisterndes blaues Licht sprühte aus seiner Hand, und es gab einen fürchterlichen, schloweiß hellen Knall.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Judith an und holte tief und ohne sichtliche Probleme Luft.
Seine Lebensgeister waren mit einem Schlag zu ihm zurückgekehrt.

Einige Tage später, nachdem diese unglaubliche Geschichte erzählt war, begann wieder das halbwegs geregelte Leben Einzug zu halten.
Mark und Judith waren jedoch seit diesen Tagen enger verbunden, als sie sich das beide je vorstellen konnten. Oft trafen sie sich, und Mark gewann auch mit der Zeit wieder seinen alten Erzählergeist zurück.
Er hatte durch dieses Erlebnis und das fortgeführte Studium seines Buches viel über die Geschehnisse dieser Zeit gelernt.
Diese Welt war mehr als nur Vorstellung, daß wusste er nun sicher.
Und vielleicht gab es tatsächlich einen Weg dorthin...
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

erst einmal herzlich willkommen auf der lupe. da deine geschichte etwas länger ist, hab ich sie auf die festplatte gezogen und lese sie später, dann kommt auch meine meinung dazu. was ich gleich sagen kann - in der vorletzten zeile fehlt scheinbar ein wort. ganz lieb grüßt
 

Camaun

Mitglied
argl! Diesen Fehler hab ich doch schon vor geraumer Zeit ausgebessert...
Das kommt davon, wenn man nicht mehr weiß, wo die aktuellste Version der eigenen Geschichte liegt :)
Wünsch dir aber trotzdem viel Spaß beim lesen und bin gespannt auf die Kritik *g*
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

dein märchenland ist sehr fantasievoll. ich habe es verschlungen. aber, wie ich von vornherein befürchtete (wegen des fehlenden wortes in der vorletzten zeile), ist der text mit rechtschreib- und tippfehlern förmlich gespickt. stellenweise drückst du dich sehr gekonnt aus, aber oft holpert der text, daß sich die augen fast nach hinten verdrehen. da ich den text auf der festplatte habe - und er gefällt mir vom inhalt her ganz wunderbar - habe ich ihn durchkorrigiert. es würde aber zu weit führen, ihn hier reinzustellen. wenn du interesse an meiner fahne hast, dann gib mir deine net-adresse und ich mails dir rüber. ganz lieb grüßt in freudiger erwartung weiterer texte von dir
 

Camaun

Mitglied
Verzeih meine Rechtscheibfehler :)

Ich bin eigentlich jedesmal, wenn ich meine Geschichte les dabei sie immer und immer wieder zu überarbeiten, aber ich übersehe dennoch viele Fehler.
Das ist das... wenn einem die Bilder im Geiste aufsteigen und man sie so schnell man kann zu Papier bringt.
Ich schreibe zu schnell, schätze ich :)
Im RL wird meine Geschichte auch schon durchkorrigiert, aber über deine korrigierte Version würd ich mich auch freuen :)
Mails einfach an "thecraven@gmx.net".
Und falls sich deine Augen noch nicht ganz in den Hinterkopf gedreht haben... ich hätte da noch zwei weitere Teile im Ärmel *g*
Ich poste mal den zweiten.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
jut,

ich schicks dir rüber. hoffentlich kommt auch alles an. mein server behält es sich manchmal vor, texte eigenmächtig zu kürzen, dann bricht das mitten im satz ab. was is n rl? ganz lieb grüßt
 

Camaun

Mitglied
Grüße!

Vielen Dank für die Korrektur, ich stell se mal einfach so rein *g*
Und mit "RL" meinte ich "Real Life", sprich im echten Leben. Ich hab meine Story ausgedruckt und, böse wie ich bin, herumgereicht, so daß ein paar Leute sie auch durchkorrigieren können.
 



 
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