Mahasas Torheit – Teil 4

Mahasas Torheit (Kinder des Velt) – Teil 4 – Fortsetzung von „Mahasas Torheit (Kinder des Velt) – Teil 3


Seit einem Jahr tobte nun ein Bürgerkrieg im Bund und während dieser Zeit waren die Männer der Familie meistens nur zusammengekommen, um Angriffe oder Verhaftungen zu planen. Ihre Frauen hatten währenddessen zu Hause gesessen und um ihre Ehemänner, aber auch um ihre Söhne gebangt, die gegen den Feind auszogen. In diesen Zeiten stellte die Hochzeit von Fanadjas Sohn Cahec und Bologs jüngster Tochter Gosjvar eine willkommene Abwechslung für alle dar. Zu selten hatten sie in den letzten Monaten zu einer Feier zusammenkommen können. Die letzte lag jetzt schon geraume Zeit zurück und ihr Anlass war die Geburt von Xasfas drittem Sohn Asepym gewesen.

Aber selbstverständlich war auch an diesem Tag der Kampf gegen die Anhänger des vor drei Jahren verstorbenen Wistitt ein Gesprächsthema. Seit dem Zeitpunkt, an dem der vorherige Soloti die ersten Gesetze erlassen hatte, die die Entwicklung des Bundes endlich wieder in die richtige Richtung lenkten, hatten die Irregeleiteten – wie der Soloti sie verächtlich nannte – sich gegen ihren Herrscher gestellt. Je mehr die Gesellschaft der Oixya sich veränderte, desto stärker wurde ihr Widerstand. Zu den Waffen wurde das erste Mal gegriffen, nachdem Xaeva und Ymmuit die Führung der Rebellen, nach dem Tod ihres Vaters, übernommen hatten. Trotzdem war die ganze Situation erst mit der Thronbesteigung Haxyms richtig eskaliert. Erst als der neue Soloti seine Gesetze erließ, die den Bund noch radikaler verändern würden, war der Bürgerkrieg ausgebrochen. Und nicht nur unter den Verwandten des Herrschers ging ein Riss quer durch die Familie.

Aber der Soloti wusste, dass alle Männer und Frauen, die an diesem Tag hier im Palast mit ihm feierten, auch zu seinen Unterstützern zählten. Dies hatte im Übrigen nichts damit zu tun, ob er ihnen vertrauen konnte oder nicht. Eigentlich zählte er nur seinen Bruder Djepyo und seinen Freund Maysap tatsächlich zu seinen Vertrauten, schließlich waren diese beiden auch seine Komplizen bei der Hinrichtung seines Onkels gewesen. Aber selbst sie wussten nichts über den nächtlichen Besuch bei seinem Vater.

„Wie schreitet die Säuberung meiner Hauptstadt voran, Maysap?“, wollte er von seinem Freund wissen, als er zu ihm und Djepyo trat. Die beiden hatten sich zuvor schon in eine Ecke des großen Raums zurückgezogen, um in Ruhe über wichtige Angelegenheiten zu sprechen. Mochte der Rest der Familie für einen Moment den Krieg vergessen, die drei hatten anderes im Sinn, als zu feiern. Er hatte ein Reich zu regieren und die beiden mussten ihn dabei unterstützen. Es galt Feinde zu vernichten.

„Leider sind unsere Männer mit dieser Aufgabe noch nicht ganz fertig geworden“, begann sein Freund mit vorsichtigen Worten. Er kannte Haxym nur zu gut und wusste, was diesem nicht gefiel. Und er wusste auch, wie dieser auf seine Worte reagieren würde. „Aber sie haben bereits eine ganze Reihe Gefangene gemacht.“

„Gefangene!“ Haxym klang in der Tat nicht erfreut. „Heißt das etwa, wir müssen sie auch noch durchfüttern?“

Er wandte sich direkt an seinen Bruder. „Wie schnell können wir diese Leute verurteilen und hinrichten lassen?“

Djepyo runzelte die Stirn. „Der Großteil von ihnen hat nichts verbrochen, das ein Todesurteil rechtfertigen würde.“

„Reicht es nicht aus, dass der Soloti ihren Tod will?“ Sein Bruder schüttelte den Kopf, auch wenn er Haxym nicht gerne widersprach, sagte aber nichts. „Nein? Dann muss ich dafür sorgen, dass wir eine Handhabe gegen sie erhalten. Wir müssen sie verurteilen können, denn ich sehe nicht ein, dass wir sie auch noch versorgen müssen.“

„Natürlich kannst du die Gesetze verschärfen, um sie härter bestrafen zu lassen, aber das wird nicht ausreichen, um sie alle dem Henker zu übergeben.“ Maysap war der Einzige, der es sich erlauben konnte, so etwas wie Kritik am Soloti zu äußern. Aber auch er tat dies nur dann, wenn er einen Vorschlag parat hatte, um Haxyms Zorn zu besänftigen. „Aber muss es tatsächlich ein Todesurteil sein? Es gibt doch auch noch die Bergwerke und Steinbrüche. Dort müssen die Gefangenen zwar immer noch versorgt werden, aber sie können sich nützlich machen. Ich habe auch gehört, die Überlebensrate dort sei nicht sehr hoch.“

Haxyms Zorn war zwar bereits hervorgerufen worden, aber sein Freund kannte ihn tatsächlich gut. Der Vorschlag gefiel dem Soloti. Aber hatte der andere auch an alles gedacht?

„Was wird aus den Kindern der Verräter, Maysap?“

Der andere zögerte nicht mit seiner Antwort. „Die älteren von ihnen können wir ohne Probleme ebenfalls zu Arbeitsdienst verurteilen. Im Gesetz steht keine Altersbeschränkung. Und die jüngeren Mädchen könnten wir in die Familien unserer treuen Anhänger geben. Dort würden sie schnell ordentliches Benehmen lernen.“ Er holte tief Luft. „Die übrigen Jungen stecken wir am Besten in ein Militärlager. Mit der entsprechenden Ausbildung werden sie zu Kämpfern, die wir gut für unsere Zwecke einsetzen können.“

Haxym lächelte. Er wusste wie sein Lächeln auf andere wirkte, aber er wusste auch, dass diese beiden Männer es bereits so oft gesehen hatten, dass es sie nicht mehr sehr erschrecken würde. Sie hatten aber auch sofort verstanden, dass er mit ihnen zufrieden war. Trotzdem entschloss er sich noch einige Worte hinzuzusetzen. „Diese Idee könnte von mir stammen, Maysap. Ich bin sehr stolz auf dich.“

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Haxym schäumte förmlich vor Wut und er befand sich gerade nicht in einer ansprechbaren Verfassung. Wäre er in der Lage gewesen, sich selbst zu beobachten, hätte er dies sofort ohne Probleme erkannt, aber auch die Reaktion seiner beiden engsten Vertrauten hätte ihm dies mitgeteilt, denn die beiden achteten genauestens darauf, ihm nicht zu nahe zu kommen. Aber weder konnte er sich selbst sehen, noch beachtete er seine Begleiter in diesem Augenblick und daher hatte er keine Ahnung, welchen Eindruck er gerade auf andere machte. Auf der anderen Seite hatte ihn das noch nie sonderlich interessiert, es sei denn, er konnte einen Vorteil daraus ziehen.

Aber in diesem Moment dachte er einmal nicht über irgendwelche Vorteile nach. Während er auf den Leichnam seines ältesten Sohnes starrte, wurde er stattdessen immer wütender. Je mehr er erfuhr, desto mehr steigerte er sich in seinen Zustand hinein. Seine Wut war richtiggehend durch die Feststellung entfacht worden, dass man Wasajas nicht einfach nur getötet hatte. Die Tatsache, dass seine Mörder sich bei ihrem Tun hatten Zeit lassen können, steigerte sie weiter. Offensichtlich waren sie in der Lage gewesen, ohne von irgendjemandem gestört zu werden, den erst Fünfzehnjährigen zu foltern, bevor sie ihn dann aufhängten. Und Haxym hatte kein Problem gehabt, zu erkennen, dass er erst getötet worden war, nachdem man seinen Begleiter, den fünf Jahre älteren Optar – einer von Fanadjas Zwillingssöhnen - ebenfalls gefoltert und ihm anschließend die Kehle durchgeschnitten hatte. Nach seinem Tod hatten die Mörder ihm den Penis abgeschnitten und seinem Sohn in den Mund gestopft. Erst danach war ihm eine Schlinge um den Hals gelegt worden. Und Haxym hatte ebenfalls nicht übersehen können, dass er langsam gestorben war. Er hatte direkt festgestellt, dass sein Genick nicht gebrochen war. Er war erdrosselt worden.

Haxym hatte sich den Anblick der beiden ermordeten jungen Männer nicht erspart, obwohl das nicht notwendig gewesen wäre. Ihm selbst war auch nicht bewusst geworden, dass er sich die Details mit einer morbiden Faszination eingeprägt hatte. Aber er hatte gemerkt, wie er immer wütender wurde, je mehr er entdeckte. Es half ihm auch nicht, dass er sich sicher war, sein Sohn sei kein zufälliges Opfer gewesen. Er war der festen Überzeugung, seine Mörder hätten genau gewusst, um wen es sich bei Wasajas handelte. Da er seine Söhne, auch wenn er immer sehr stolz auf sie war, so gut wie nie der Öffentlichkeit gezeigt hatte – zumindest nicht als seine Familie – konnte er deshalb nur eine Schlussfolgerung daraus ziehen. Und der Gedanke, jemand aus dem Palast habe Wasajas verraten, verstärkte seine Wut dann noch weiter. Zudem waren seine Mörder auch noch so unverfroren, ihn mitten in der Hauptstadt zu töten, praktisch unter den Augen des Soloti.

Auf einmal hörte er hinter seinem Rücken jemanden würgen und sich übergeben. Sofort spürte er weitere Wut in sich aufsteigen, obwohl es kaum vorstellbar war, dass dies möglich war. Wer wagte es, ihn in diesem Moment zu stören? Er schnellte herum, um den Schuldigen direkt vom Ort des Verbrechens entfernen zu lassen, nur um feststellen zu müssen, dass es sich um seinen Onkel Fanadja handelte, der neben dem Leichnam seines Sohnes stand. Schlagartig wurde ihm, trotz seiner Verfassung, klar, dass er den Mann noch brauchte. Er konnte sich seiner jetzt nicht entledigen, nur weil er sich über ihn ärgerte. Mehr noch sollte er ihm sein Mitgefühl zeigen oder zumindest etwas, das der andere als Mitgefühl interpretieren würde. Er atmete behutsam aus und versuchte, sich etwas zu beruhigen, bevor er langsam auf den Älteren zuging.

„Onkel?“

Fanadja drehte sich zu ihm um und verbeugte sich, als er erkannte, wer ihn angesprochen hatte. „Es tut mir leid wegen deines Sohns, Soloti“, gab er mit tränenerstickter Stimme von sich. Trotz seines für alle ersichtlichen Schmerzes hatte er sich wieder unter Kontrolle.

„Ich danke dir für deine Anteilnahme, Onkel“, erwiderte Haxym und dachte sogar daran, den Älteren zu umarmen. „Mir tut es leid wegen deines Sohnes.“ Er gab sich keine Mühe, die Wut aus seiner Stimme herauszuhalten. Ein Vater durfte durchaus wütend sein, wenn sein Sohn ermordet worden war. Er durfte es sich sogar leisten, eher wütend als schmerzerfüllt zu wirken.

Erst gestern noch hatten sie gefeiert. Die Familie war zusammengekommen, um die Hochzeit seines jüngsten Bruders Nevjemar zu begehen. Alle waren glücklich gewesen, niemand hatte etwas von dem drohenden Unheil geahnt. Haxym erinnerte sich, dass sein Sohn nach dem Ende der Feier noch etwas erledigen wollte und sich deshalb zusammen mit Optar in die Stadt aufgemacht hatte. Aber er wusste nicht, ob sie überhaupt an ihrem Ziel angekommen waren.

Der Soloti hatte Wasajas einmal dafür vorgesehen gehabt, sein Nachfolger zu werden. Haxym war zwar klar, dass dies noch viele Jahre in der Zukunft lag, aber er hatte ihn von jungen Jahren an darauf vorbereitet. Selbstverständlich hatte er die Ausbildung seiner anderen Söhne nicht vernachlässigt, aber er hatte sich auf seinen Erben konzentriert. Nun musste er schnellstens damit beginnen, Ypheg auf die gleiche Weise vorzubereiten, wie er es bei dessen älterem Bruder getan hatte. Die Mörder seines Sohnes hatten ihm in dieser Nacht viele Jahre Arbeit gekostet.

„Es ist eine Schande, was man unseren Söhnen angetan hat“, Fanadja klang jetzt selbst eher wütend als schmerzerfüllt. Er hatte in dieser Auseinandersetzung schon seine zwei Brüder verloren und jetzt noch einen Sohn. Natürlich hatte er jeden Grund, wütend zu sein. Haxym gefiel das sogar, weil er sich sicher war, dies zu seinem Vorteil nutzen zu können.

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„Mutter“, Haxym hatte die Tür noch nicht ganz hinter sich geschlossen, als er auch schon zu sprechen begann, „ich habe heute wirklich keine Zeit für dich.“

Eponai war bei seinem Eintritt aufgestanden, so wie es sich gehörte, wenn der Soloti jemanden aufsuchte, aber die Tasse, die sie in Händen hielt, hatte sie nicht abgestellt. Bevor sie ihm antwortete, nahm sie sogar erst noch einen großen Schluck daraus. „Dann trifft es sich ja gut, dass ich heute auch nicht viel Zeit für dich habe. Mein Sohn.“

Er hatte bereits dazu angesetzt, ihr zu sagen, er werde ihre Räume direkt wieder verlassen, aber dann fiel ihm plötzlich auf, wie seltsam sie ihre letzten zwei Worte betont hatte. Auf einmal kam es ihm so vor, als wolle sie ihm mitteilen, sie hielte sie nicht für wahr. Sofort wurde ihm klar, dass er jetzt nicht wieder gehen konnte. Erst musste er herausfinden, was mit ihr los war. So ein Verhalten konnte er niemandem durchgehen lassen, noch nicht einmal ihr.

Aber seine Mutter sprach bereits weiter, als wäre ihr überhaupt nicht aufgefallen, dass er nicht geantwortet hatte. „Es stört dich doch nicht, wenn ich dir nichts zu trinken anbiete? Du sagtest ja selbst, du habest nicht viel Zeit. Und dies …“, sie hob ihre Tasse ein kleines Stück an, „war der Rest meines Tees. Wir werden hier fertig sein, bevor die Diener frischen bringen könnten.“ Ihren Tonfall konnte er nicht als freundlich bezeichnen. Dies wunderte ihn, weil sie ja nicht nur mit ihrem ältesten Sohn sprach, sondern auch mit ihrem Herrscher.

„Dein Tonfall gefällt mir nicht, Mutter.“ Er gab sich keine Mühe, seine Verärgerung zu verbergen. Sie würde schon sehen, was sie davon hatte, so mit ihm zu sprechen.

Sie schien sich aber nichts aus seiner Verärgerung zu machen, sie lachte sogar darüber. Aber ihm entging der bittere Unterton in ihrem Lachen nicht. Worüber sie auch gelacht haben mochte, es hatte ihr keine Freude bereitet. „Ich weiß genau, dass dir das nicht gefällt. Du hast nie einen Hehl daraus gemacht, was du von Frauen hältst. Und deine Mutter oder deine Schwester oder selbst deine Ehefrau hast du auch nie anders behandelt als die anderen Frauen. Selbstverständlich gefällt es dir dann nicht, wenn eine Frau dir nicht nach dem Mund redet. Oder ihren Mund nicht hält. Aber soll ich dir was sagen? Das interessiert mich nicht im Geringsten, denn ich möchte dir nur einmal die Wahrheit sagen.“

Er konnte sich nicht erinnern, dass seine Mutter jemals auf diese Weise mit ihm gesprochen hatte. Er hätte auch nicht gedacht, dass sie sich das trauen würde. „Die Wahrheit worüber?“, wollte er von ihr wissen und versuchte dabei ruhig zu bleiben.

Sie dagegen wirkte auf einmal ziemlich wütend. „Die Wahrheit worüber? Natürlich die Wahrheit über dich. Die Wahrheit über den Mann, den ich jahrelang meinen Sohn genannt habe. Die Wahrheit über die Person, die der Grund dafür ist, dass ich mich seit Jahren frage, was dein Vater und ich verbrochen haben. Wieso hat das Leben uns ein Monster als Sohn gesandt?“

Einen Augenblick lang, war er zu nichts anderem fähig, als sie anzustarren. Niemals zuvor, hatte sie auch nur das geringste Anzeichen dafür gezeigt, dass sie derart über ihn dachte. Nun war er nicht mehr in der Lage, ruhig zu bleiben. Und er wollte auch nicht mehr ruhig bleiben. Er wollte auch nicht mehr leise bleiben. „Ein Monster? Du nennst mich ein Monster? Wie kannst du es wagen? Wer gibt dir das Recht, so über deinen Soloti zu sprechen?“ Je länger er sprach, desto lauter wurde er, bis er die letzten Worte hinausschrie.

Aber sie schien sich an seinem Gebrüll nicht zu stören. Er war sich sogar sicher, dass sie noch nicht einmal zusammengezuckt war. Mit unterdrückter Wut in der Stimme sprach sie einfach weiter. „Ich hatte schon lange einen Verdacht, was dich betrifft. Zuerst habe ich versucht, mit meinem Ehemann darüber zu sprechen, aber er hat sich rundweg geweigert, auch nur darüber nachzudenken. Aber ich gehe davon aus, er hat seine Meinung am Ende doch noch geändert.“ Sie schnaubte verärgert. „Mit der Zeit habe ich Dinge, die ich persönlich mitbekommen habe und Dinge, über die andere sprachen oder besser gesagt, über die sie flüsterten, zusammengefügt und das Bild, das ich erhielt, hat mir nicht im Geringsten gefallen. Dann habe ich damit begonnen, noch genauer hinzusehen und noch mehr Menschen zuzuhören.“

„Ich weiß nicht, Frau, was du mit deinem Gerede bezweckst, aber sei dir sicher, ich werde dich nicht schonen, nur weil du mich geboren hast.“ Er würde ihr zeigen, wer im Palast das Sagen hatte.

Sie schnaubte erneut. „Das glaube ich dir aufs Wort. Aber du hast mich ja gefragt, deshalb werde ich dir gerne mitteilen, was ich tatsächlich will! Einmal in meinem Leben will ich dir einfach nur sagen, was ich wirklich von dir halte. Ich wünschte mir, ich hätte den Mut, das in aller Öffentlichkeit zu tun, aber darauf muss ich leider verzichten. Ich bin mir nämlich sicher, dass du dann alle umbringst, die anwesend sein würden, egal um wen es sich handelt. Na ja, mit Ausnahme von Maysap und Djepyo. Diese beiden würden sich nie gegen dich wenden. Dazu haben sie viel zu viel Angst vor dir. Aber das kann ich ihnen noch nicht einmal verdenken, habe ich doch selbst Angst vor dir. Angst vor meinem eigenen Sohn.“

Inzwischen war Haxym so wütend, dass er sich fast nicht mehr zurückhalten konnte. Aber ihm war bewusst, dass er seiner Wut nicht nachgeben durfte. Erst musste er unbedingt erfahren, was sie alles herausgefunden hatte. Er musste unbedingt erfahren, ob sie überhaupt etwas herausgefunden hatte. Nur aus diesem Grund musste er sie unbedingt weiterreden lassen. Er musste sie ausreden lassen, bevor er etwas unternahm. Aber es fiel ihm sehr schwer, nicht die Kontrolle zu verlieren. „Du hast mir immer noch nicht erklärt, wieso du mich für ein Monster hältst, Mutter.“ Mehr brachte er nicht heraus.

„Wieso sollte ich jemanden, der sowohl seinen Onkel, als auch seine eigene Frau und selbst seinen Vater getötet hat, nicht ein Monster nennen. Jemanden, der beim Tod seines Sohnes nur daran gedacht hat, dass er nun einen neuen Erben ausbilden muss.“ Trotz dieser schrecklichen Worte schien sie völlig ruhig zu sein. Dabei hätte sie eigentlich vor Angst zittern müssen. Sie hätte vor Angst überhaupt kein Wort hervorbringen dürfen. „Ich habe auch kein Problem damit, einen Vater ein Monster zu nennen, der seinen Sohn wahrscheinlich eigenhändig umgebracht hätte, wäre ihm die Wahrheit über ihn bekannt gewesen.“

Völlig übergangslos setzte sie sich hin. Eben hatte sie noch voller Wut vor ihm gestanden und nun schien sie – für ihn gänzlich unerwartet - keine Kraft mehr zu haben. Aber darüber konnte er jetzt nicht nachdenken, denn er hatte sich mit ganz anderen Problemen herumzuschlagen. Wie war es nur möglich, dass sie all das herausgefunden hatte? Wer waren diese Personen, die sie belauscht hatte? Konnte er sicher sein, dass sie tatsächlich mit niemandem darüber gesprochen hatte? Oder hatte sie irgendwo einen schriftlichen Bericht versteckt? Und dann wurde ihm auf einmal bewusst, dass sie Wasajas erwähnt hatte.

„Was war mit meinem Sohn?“, wollte er von ihr wissen und trat dabei so nahe an sie heran, dass sie ihren Kopf in den Nacken legen musste, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Er verstand immer noch nicht, wieso sie so ruhig bleiben konnte.

„Hast du dir nie die Frage gestellt, wieso man Wasajas zusammen mit seinem Freund umgebracht hat? Oder warum sie sich ausgerechnet in diesem Teil von Ssuyial aufgehalten haben? Und aus welchem Grund wurde Optar auf diese Weise verstümmelt? Kam dir das nie seltsam vor? Dann ist dir wohl auch nie aufgefallen, wie eng die beiden befreundet waren?“ Sie lachte, allerdings klang das seltsam atemlos und abgehackt, als bekäme sie nicht genug Luft. „Die beiden waren sehr vorsichtig, wussten sie doch auch, was du von Männern hältst, die andere Männer lieben.“

Auf einmal legte sich ein roter Schleier über seine Augen und ehe es ihm bewusst wurde, hatten sich seine Hände um den Hals seiner Mutter gelegt und zugedrückt. Erst als er sie wieder wegnahm, kam ihm zu Bewusstsein, dass sie nicht die geringste Anstrengung unternommen hatte, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Viel zu spät stellte er fest, er habe es nur seiner Einbildung zu verdanken, dass er glaubte, sie würde ihn anstarren. Ihre Augen waren längst nicht mehr in der Lage, ihn zu erblicken.

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Vor zwei Jahren war der Imperator diejenigen seiner Untertanen losgeworden, die nicht seine Ansichten teilten. Selbstverständlich hätte er es viel lieber gesehen, wenn er sich in einer Position befunden hätte, die Töchter seines Onkels mitsamt ihren Anhängern zu vernichten, aber dafür waren es einfach zu viele gewesen. Einzig aus diesem Grund, hatte er zugestimmt, dass sie sich in die südlichen Städte zurückziehen durften. Dass sie dort den Oixyyaa – den Bund der Oixya – hatten wiederaufleben lassen und anschließend Xaeva zu ihrer Soloti erwählten, störte ihn hingegen weniger. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits der Imperator der Virei gewesen und hatte damals bereits verstanden, dass er die Verbindungen zur Vergangenheit konsequent kappen musste. Er hatte ebenfalls begriffen, dass dies nur dann funktionieren konnte, wenn er und seine Untertanen aufhörten, sich als Oixya zu sehen.

Diese Trennung hatte allerdings nur der erste Schritt sein können. Damit er seine Visionen von der Zukunft umsetzen und das Imperium nach seinen Vorstellungen gestalten konnte, hatte er noch einmal zwei Jahre benötigt. Dann erst hatte er alle nötigen Gesetze und Regelungen ausgearbeitet und dieses Mal hatte er darauf geachtet, alle zum gleichen Zeitpunkt in Kraft zu setzen. Diese zwei Jahre hatte er auch benötigt, um seine treuesten Anhänger auf alle Veränderungen vorzubereiten. Die Zeitspanne hatte dann aber auf jeden Fall ausgereicht, um diese begreifen zu lassen, was es tatsächlich bedeutete, ein Viri - ein Mann - zu sein. Vor vielen Jahren hatte sein Vater bereits die ersten vorsichtigen Schritte auf diesem Weg zurückgelegt, indem er sich die Ansichten der Sar zu eigen machte, aber er hatte nicht den Mut besessen, alles konsequent umzusetzen. Im Endeffekt war er zu weich und nachgiebig und Haxym war nichts anderes übriggeblieben, als an seine Stelle zu treten.

Vor einigen Wochen war dann endlich der Zeitpunkt gekommen, alles in Gang zu setzen. Seine Männer, von ihm gut vorbereitet, hatten dafür gesorgt, dass alles so reibungslos ablief, wie er sich das vorgestellt hatte. Damit eine Veränderung dieses Ausmaßes in Gang gesetzt werden konnte, war eine fehlerlose Planung seinerseits notwendig gewesen. Aber er hatte so gute Vorarbeit geleistet, dass ihm sogar noch Zeit geblieben war, die neuen Gesetze in seiner Familie eigenhändig umzusetzen. Zumindest in einigen Fällen.

Nun endlich war er der Herrscher über ein Imperium, in dem es nur noch Bürger gab, die seiner würdig waren. Seine Gesetze hatten dafür gesorgt, dass all jene aussortiert worden waren, die es nicht verdienten, Untertanen eines Imperators seines Kalibers zu sein. Selbstverständlich hatten die Virei alle Rechte behalten, die sie vorher schon besessen hatten, aber die anderen – die, denen er das Bürgerrecht genommen hatte – waren nun auch ganz offiziell kein Teil des Imperiums mehr, denn jetzt gehörten sie dem Imperium. Sie waren Eigentum seiner Bürger geworden, Eigentum aller Virei, weil die Virei die einzigen Bürger waren, die es im Imperium noch gab.

Haxym hatte es genossen, seine neuen Gesetze eigenhändig umsetzen zu können. Hätte seine Ehefrau noch gelebt, hätte er sie selbstverständlich persönlich auf das Gelände gebracht, das er „Den Pferch“ genannt hatte. Er hatte diese Bezeichnung als sehr passend für die, von einer soliden Mauer umgebenen, Gebäude empfunden. Er hatte sich aber auch dafür entschieden, weil er wollte, dass jeder verstand, dort werde Eigentum des Imperiums sicher verwahrt. Auch den Standort hatte er selbst ausgesucht. Nachdem ihm klar geworden war, dass er einen großen zentralen Platz benötigte, hatte er nicht lange gebraucht, um zu erkennen, wo die Gebäude errichtet werden sollten. Gleich neben dem Palast hatte er deshalb etwas abreißen lassen, für das er persönlich keinen Bedarf hatte. Das Leben hatte zugelassen, dass ihm drei seiner sechs Söhne genommen wurden und aus diesem Grund hatte er kein Problem damit gehabt, das Heiligtum zu zerstören. Er benötigte keine Erinnerung an das Leben und er wollte auch nicht, dass seine Untertanen weiterhin daran erinnert wurden. Und so, wie er es in Ssuyial vorgemacht hatte, war man dann auch in den anderen imperialen Städten vorgegangen. Dort hatte man sich nach seinen unausgesprochenen Wünschen gerichtet und den Pferch ebenfalls an der Stelle des Heiligtums errichtet. Und genau wie in der Hauptstadt, hatte man auch im ganzen übrigen Imperium die Frauen und Mädchen in den neuen Gebäuden untergebracht.

Da er aber keine eigene Ehefrau mehr besaß und nie eine Tochter gehabt hatte, um die er sich hätte kümmern müssen, hatte er stattdessen seinem Bruder Djepyo und seinem Freund Maysap diese Aufgabe abgenommen. Dadurch waren die beiden in die Lage versetzt worden, sich intensiver darum zu kümmern, in der Hauptstadt für einen zufriedenstellenden Ablauf der Ausbürgerungsaktion zu sorgen. Sie hatten dafür zu sorgen gehabt, dass seine Befehle umgesetzt wurden. Aus diesen Gründen hatte er sie gerne bei ihren persönlichen Verpflichtungen unterstützt und es auch nicht als unter seiner Würde angesehen, deren Ehefrauen und Töchter im Pferch abzuliefern.

Aber trotz aller Vorbereitungen und Bemühungen war dann doch nicht alles reibungslos abgelaufen. Es hatte tatsächlich Bürger gegeben, die nicht einsahen, ihre Frauen abgeben zu müssen. Einige Männer hatten sich geweigert, das Eigentum des Imperiums in den Pferch zu bringen. Andere Männer hatten versucht, Eigentum zu verbergen oder es bei einer Flucht mitzunehmen. Bürger, die bei einem solchen Vergehen erwischt wurden, mussten natürlich mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden. Haxym hatte aber auch für diese Möglichkeit vorgesorgt und entsprechende Strafen festgelegt. Auch wenn er es nicht nachvollziehen konnte, war ihm bereits im Vorhinein bewusst geworden, dass es Männer geben würde, die sich den neuen Gesetzen widersetzten. Er hatte allerdings nicht damit gerechnet, in seiner unmittelbaren Umgebung auf einen solchen Verräter zu treffen. Zwar hatte ihm bisher niemand einen Beweis geliefert, trotzdem war er fest davon überzeugt, dass es keine andere Erklärung für das Verschwinden seines jüngsten Bruders Nevjemar geben konnte. Auch das Eigentum des Imperiums, das sich in seinem Besitz befunden hatte, war verschwunden, weil er es wohl mitgenommen hatte. Haxym wartete noch auf einen Bericht seiner Grenzwachen, wusste aber, dass es genauso gut geschehen konnte, niemals ein Wort über das Schicksal seines Bruders zu erhalten. Sollte dieser irgendwo abseits der Städte gefasst worden sein, dann hatte man ihn – seinen Gesetzen entsprechend – auf der Stelle getötet und das gestohlene Eigentum zum nächstgelegenen Pferch gebracht.

Aber eigentlich wollte er sich nicht länger den Kopf über einen Bruder zerbrechen, dessen Schicksal ihn nicht mehr interessierte. Es machte überhaupt keinen Unterschied, ob dieser noch lebte oder schon seine gerechte Strafe erhalten hatte, denn für ihn war er bereits tot. Er empfand dies auch nicht als Verlust, denn Nevjemar war immer schon zu weich für einen richtigen Viri gewesen. Allerdings hatte Haxym Sorge dafür getragen, dass sein Onkel von diesen Gedanken und Überlegungen nichts mitbekam. Der Ältere hatte zwar keine Probleme gemacht, als man seine Frau abholte, aber das Schicksal seiner jüngeren Tochter hätte ihn vielleicht doch zum Widerstand verleiten können. Auch er hatte nämlich mitbekommen, dass die Männer sich oftmals des Eigentums bedienten, das sie in den Pferch bringen sollten. Das stand zwar so nicht in den Gesetzen, stellte aber für Haxym kein Problem dar, denn seiner Meinung nach, konnte es nicht schaden, den Frauen schnellstmöglich klarzumachen, wo sich ihr neuer Platz im Imperium befand. Aber Fanadja sah das wahrscheinlich anders und der Imperator war sich noch nicht sicher, ob er schon auf seinen Verwandten verzichten konnte. Dieser hatte nämlich noch viele Freunde unter den alten Anhängern seines verstorbenen Bruders Yriti.

Dies war aber kein Thema, das er in seinen täglichen Besprechungen mit Maysap und Djepyo ansprechen musste. Stattdessen tauschten sie sich über die Probleme aus, die trotz seiner Vorbereitungen und der Unterstützung durch seine loyalen Untertanen nicht sofort gelöst werden konnten. Jeden Tag besprach er mit ihnen die weitere Vorgehensweise und sie unterrichteten ihn über die praktische Umsetzung seiner Gesetze, aber auch über Vorkommnisse, die den Ablauf hemmten. Inzwischen hatte sich bei diesen täglichen Treffen bereits eine gewisse Routine eingestellt. Sie kamen immer um die gleiche Zeit im gleichen Raum zusammen und wurden immer von der gleichen Vassu bedient. Und diese hatte er mit Absicht für diese Arbeit ausgesucht, weil er damit allen anderen eine bestimmte Botschaft übermitteln wollte. Sowohl die Virei, als auch die Vassu sollten verstehen, dass die Familie des Imperators nicht über dem Gesetz stand. Und wer wäre dafür besser geeignet, als die Vassu, die er früher einmal Schwester und die Maysap Ehefrau genannt hatte. Nun war sie, genau wie alle anderen ehemaligen Bürgerinnen, Eigentum des Imperiums.

„Meinen Berichten nach ist fast überall wieder Ruhe eingekehrt. Diejenigen Unruhestifter, die sich zwischen deinen Untertanen versteckt hatten, um dem Imperium zu schaden, wurden aufgespürt und der Gerechtigkeit zugeführt. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass es noch Eigentum in der Stadt gibt, das nicht den Weg in den Pferch gefunden hat.“ Wie alle Männer, die direkt mit dem Imperator zu tun hatten, vermied Maysap das Wort „Frau“, obwohl es nicht verboten worden war. Haxym war diese Entwicklung natürlich nicht entgangen und er war sehr zufrieden damit. Und was sein Stellvertreter – auch wenn er ihn öffentlich nie so genannt hatte - ansonsten noch zu berichten hatte, fand ebenfalls die Zustimmung des Herrschers.

„Wie du ja schon von Beginn an vorausgesehen hattest, gab es einige Probleme“, ergänzte sein Bruder Maysaps Ausführungen, während er die Vassu beobachtete, die die Kelche der drei Virei auffüllte. Sobald sie damit fertig war, zog sie sich sofort an den Rand des Raums zurück und kniete dort nieder. Vielleicht dachte Djepyo ja darüber nach, ob sie noch ein Problem werden könnte.

„Ich hätte es gerne gesehen, wenn meine diesbezüglichen Vorbereitungen überflüssig gewesen wären, aber trotzdem bin ich mit dem ganzen Ablauf nicht unzufrieden.“ Haxym entging nicht, dass seine Worte zu einem Nachlassen der Anspannung bei den anderen beiden Männern führten. Ihn wunderte das aber nicht, schließlich kannten sie ihn sehr gut und fürchteten sein Temperament nicht ohne Grund. Ihm war selbst schon in jungen Jahren aufgefallen, wie seine Mitmenschen auf seine Wutausbrüche reagierten und so hatte er schon frühzeitig damit begonnen, dieses Verhalten zu kultivieren. Wenn es ihm zupasskam, dann setzte er es ganz gezielt ein. Und er kalkulierte die Angst der anderen regelmäßig in seine Pläne mit ein. Ihm war es nur recht, dass sie ihn fürchteten.

„Ich habe hier eine Auflistung der Dinge, um die wir uns noch kümmern müssen“, warf Maysap ein und legte ein Schriftstück auf den Tisch, das er offenbar von einer längeren Pergamentrolle abgerissen hatte.

Haxym zog das Papier zu sich heran und warf einen Blick auf die von seinem Freund, in seiner ordentlichen Schrift, erstellten Liste.

„Auch wenn du die neuen Gesetze für alle verständlich formuliert hast, scheint es einige Virei zu geben, die noch zusätzliche Erläuterungen benötigen. In einigen Fällen habe ich auch noch ein paar Vorschläge aufgeschrieben, die die Umsetzung der Gesetze in der Praxis für diese Personen einfacher machen würde.“ Maysap hatte immer schon etwas von einem Bürokraten gehabt und Haxym hatte immer schon Gebrauch von dieser Eigenschaft gemacht. Wozu sollte er sich selbst den Kopf zerbrechen, wenn er jemanden dafür hatte.

„Ich bin froh, dass du dir bereits Gedanken darüber gemacht hast, Maysap. Du kennst mich so gut, dass diese Liste genauso von mir hätte stammen können. Das gefällt mir auch deswegen, weil es so nicht lange dauern wird über alles zu sprechen.“ Er war nun ganz auf die beiden Männer konzentriert, die mit ihm am Tisch saßen. An die Vassu, die vor der Wand kniete, verschwendete er in diesem Moment genauso wenig einen Gedanken wie an die Möbel, die hier im Raum standen.

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Tiripa hatte dem heutigen Tag nicht gerade mit Freude entgegengesehen, aber sie wusste auch, dass sie an dem, was für heute geplant war, nichts ändern konnte. Aus diesem Grund, hielt sie es für besser, sich nichts anmerken zu lassen. Sie war zwar erst vierzehn Jahre alt, aber sie war alles andere als dumm. Und sie hatte schon vor Jahren gelernt, ihre tatsächlichen Gefühle und Gedanken gut zu verbergen.

Als sie noch jünger war, hatte sie mit all ihren Problemen und Sorgen immer zu ihren Eltern gehen können. Aber inzwischen hatte sie lernen müssen, dass diese ihr nicht glaubten, wenn sie erzählte, wovor sie jetzt Angst hatte. Oder besser gesagt, sie wollten ihr nicht glauben, dass ihre Tochter Angst vor ihrem eigenen Bruder hatte. Sie würden ihr auch nicht glauben, dass sie Angst vor dem jungen Mann hatte, der als ihr Ehemann ausgewählt worden war. Daher hatte sie erst gar nicht versucht, ihnen klarzumachen, welch ein grausamer und skrupelloser Mensch ihr Bruder war oder wie er versuchte, die Menschen um ihn herum einzuschüchtern und zu manipulieren. Zumindest tat er das bei den Männern und Jungen, denn um die Mädchen und Frauen kümmerte er sich nicht. Er verachtete sie, traute ihnen aber auch nichts zu, daher beachtete er sie nicht weiter.

Anfänglich hatte sie sich tatsächlich über die Verachtung ihres Bruders geärgert, aber inzwischen hatte sie begriffen, dass Haxyms Ansicht, Frauen wären unwichtig oder besser noch, unfähig, in Wirklichkeit einen Vorteil für sie darstellte. Vor einiger Zeit hatte sie dann damit begonnen, unter den Mädchen der Familie Verbündete zu suchen. Ihre Suche dauerte nicht allzu lange, denn die meisten ihrer Verwandten würde sie nicht als dumm bezeichnen. Sie hatten auch alle bereits in jungen Jahren gelernt, die Männer um sie herum aufmerksam zu beobachten. Den meisten von ihnen war auch nicht entgangen, was für eine Art Mensch ihr ältester Bruder war. Ihnen war aber auch – ebenso wie ihr - aufgefallen, dass er selbst ebenfalls Verbündete unter seinen Verwandten gefunden hatte. Ihren gemeinsamen Bruder Djepyo, zwei Jahre jünger als er, aber vor allem den gleichaltrigen Maysap, den Mann, den sie heute heiraten sollte. Nachdem sie Todja, die ihr Alter hatte, auf ihre Seite gezogen hatte, schloss sich ihr auch schnell – und nicht unerwartet - die ein Jahr jüngere Gajef an. Aber es überraschte sie, dass auch Todjas Mutter Pajosa – die doppelt so alt war, wie sie selbst – sie ernst nahm und sogar bereit war, ihr zu folgen. Sie hatte allerdings feststellen müssen, dass es keinen Zweck hatte, Haxyms eigene Ehefrau Cayhma anzusprechen. Sie war ihrem Mann völlig ergeben, trotz der Art, wie er sie behandelte. Oder vielleicht gerade deswegen. Und leider wäre es genauso zwecklos, wenn Tiripa das Gespräch mit ihrer eigenen Mutter suchen würde. Eponai wollte nicht wahrhaben, wie ihr Sohn tatsächlich war.

Aber dies alles konnte nichts an der heutigen Heiratszeremonie ändern. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sie über sich ergehen zu lassen. Zum Glück würde es nicht schwierig werden, ihren Ehemann davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich das hirnlose und gehorsame Wesen war, für das er sie hielt. Schwerer könnte es für sie dann schon sein, nicht tatsächlich zu diesem hirnlosen und gehorsamen Wesen zu werden. Sollte sie allerdings jemals in diese missliche Lage geraten, musste sie sich nur das abschreckende Beispiel von Cayhma vor Augen halten.

Für eine kurze Zeit hatte sie befürchtet, Maysap werde sie, als seine Ehefrau, zu Hause isolieren, aber dann ging ihr auf, dass er, wie die anderen Männer auch, froh darüber sein würde, wenn die Frauen sich miteinander beschäftigten. Die Familie traf sich praktisch jeden Tag und die Männer wollten dann nicht von ihren Ehefrauen oder Töchtern behelligt werden. Sie wollten sich stattdessen in Ruhe ihren Männerangelegenheiten widmen. Sie würde also auch zukünftig keine Probleme damit haben, mit ihren Verbündeten in Verbindung zu bleiben. Trotzdem gab sie sich nicht der Illusion hin, ihr Leben würde so weitergehen wie bisher. Sie konnte davon ausgehen, dass ihre Tage und Nächte als Maysaps Ehefrau nicht angenehm werden würden. Sie ging aber auch davon aus, dass sie diese Ehe überleben konnte. Dies würde sie nicht daran hindern, auch weiterhin einen Weg zu suchen, der ihr ihre Freiheit bringen würde. Und den anderen Frauen auch.

Als ihr Vater, der Soloti, zu ihr trat, schob sie ihre Überlegungen fürs erste zur Seite. „Bist du so weit, mein Schatz?“, wollte er von seiner einzigen Tochter wissen. Sie wusste, dass er ebenfalls der Ansicht war, die Aufgaben der Frauen hätten sich auf ihren Haushalt zu beschränken, aber sie wusste auch, dass er sie ehrlich liebte. Und damit es ihr auch in den kommenden Jahren – wenn er einmal nicht mehr leben würde – gutgehen würde, hatte er für sie eine Heirat mit dem ältesten Sohn seines besten Freundes arrangiert und das bereits vor etlichen Jahren.

„Ja, Vater. Lassen wir die anderen nicht warten.“ Sie erhob sich und ließ sich von ihm in den angrenzenden Raum führen. Dort wartete nicht nur ihr Bräutigam auf sie, sondern auch der Rest der Familie. Dazu gehörten auch Gasar und Bolog, die Freunde ihres Vaters, und deren Familien.

Ihr Vater führte sie bis in die Mitte des Raumes und dort blieb sie Maysap gegenüber stehen. Ihr zukünftiger Ehemann war nicht nur um einiges größer als sie – er war fast so groß wie sein eigener Vater – sondern auch sechs Jahre älter. Sein blondes Haar trug er selbstverständlich so kurz wie es unter den Anhängern ihres Vaters üblich war, genau, wie sie auch alle Bärte hatten. Maysap war alt genug, einen imposanten Vollbart sein Eigen zu nennen. Dazu war er noch breitschultrig und muskulös, sodass er allgemein als gutaussehend bezeichnet wurde. Ihr war klar, dass andere Frauen sie um ihn beneiden würden. Schließlich kannten sie ihn nicht.

Sie selbst kam mehr nach ihrer Mutter. Sie war klein, schlank und dunkelhaarig und hatte bereits gelernt, ihr Aussehen zu ihrem Vorteil einzusetzen. Genau wie sie gelernt hatte, Maysap nicht mitbekommen zu lassen, was tatsächlich in ihrem Kopf vorging.

Sie sah kurz zu ihm auf, lächelte ihn schüchtern an und senkte den Blick sofort wieder. Er reagierte kaum darauf, denn sie hatte sich jedes Mal so verhalten, wenn sie sich begegneten. Er hatte sich schon daran gewöhnt.

Maysap wirkte ungeduldig und deshalb ging sie davon aus, dass er sich nicht lange mit der Zeremonie aufhalten wollte. Und sie merkte schnell, dass sie ihn auch dieses Mal wieder richtig eingeschätzt hatte, denn er fing sofort an zu sprechen, sobald ihr Vater zurückgetreten war. Er sah sie allerdings nicht an, als er die Worte wiederholte, mit der ein Mann in ihrer Familie eine Frau zu seiner eigenen machte. „Dies wird dich an mich binden“, gab er von sich und legte ihr gleichzeitig die Armbänder an, mit denen sie ab jetzt als verheiratete Frau galt, bevor er fortfuhr. „Hiermit heirate ich dich und gelobe, dich vor Schaden zu schützen.“ Zum Abschluss befestigte er noch den Cultro an seinem Gürtel. Mehr war nicht notwendig, um aus ihnen ein Ehepaar zu machen. Sie selbst musste kein Wort äußern.

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„Sie ist wunderbar“, schwärmte Tiripa und schaute mit großer Zuneigung auf ihre Tochter, die sich gerade auf dem Arm ihrer Großmutter befand und dort friedlich schlummerte. „Hast du bei deinen Kindern auch so ein großes Glück empfunden, Mutter?“

Eponai lächelte sie an. „Jede Mutter fühlt bei der Geburt ihrer Kinder dieses Glück, Liebes. Und du wirst es als noch größer empfinden, wenn sie älter ist. Jedes Kind ist ein Wunder und sie wird dir später sicherlich noch sehr viel mehr Freude machen.“

‚Mir vielleicht‘, dachte Tiripa, ‚aber auf keinem Fall ihrem Vater.‘ Maysap hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass ihm die Geburt einer Tochter keine Freude bereitete. Vor allem nicht, da sein Freund Haxym inzwischen bereits Vater dreier Söhne war. Ihr Ehemann hatte ihr unverblümt mitgeteilt, es wäre ihre Aufgabe, sich um das Mädchen zu kümmern. Welch ein Glück für ihre Tochter. Zumindest bis sie alt genug war, dass er sie einem Ehemann zuführen konnte.

„Maysap und Haxym haben bereits ihre Verlobung mit Wasajas beschlossen“, verriet sie Eponai.

Ihre Mutter runzelte die Stirn. „Davon bin ich überhaupt nicht begeistert. Die beiden sind viel zu nah miteinander verwandt, um verheiratet zu werden. Meinem eigenen Vater hätte das auch nicht gefallen. Er hätte niemals sein Einverständnis zu so etwas gegeben. Ich werde mit deinem Vater darüber sprechen, er wird dafür sorgen, dass die beiden Männer das Verlöbnis wieder auflösen.“

Tiripa ließ sich nicht anmerken, dass es ihrer Meinung nach völlig nutzlos wäre, wenn ihre Mutter das versuchte. Haxym würde sich auch von seinem Vater nicht umstimmen lassen. Und Maysap würde seinem Freund niemals widersprechen. Aber Eponai würde ihr nicht glauben, deshalb gab Tiripa lieber das von sich, was ihre Mutter hören wollte. „Wenn du meinst, dass dies notwendig ist.“

„Dein Vater hat zwar einige Bräuche der Sar übernommen, aber deswegen ist er trotzdem nicht zu einem von uns geworden. Er hatte auch nie vor, aus seinen Kindern Sar zu machen. Aber vielleicht haben wir euch nicht deutlich genug gezeigt, dass ihr Oixya seid. Ich merke jetzt immer mehr, wie mir entgangen ist, dass du weder ganz zu den Oixya, noch ganz zu den Sar gehörst. Du stehst zwischen den beiden Gruppen. Es tut mir leid, Tiripa, das war nicht deines Vaters und meine Absicht. Ich hoffe, du wirst deswegen keine Probleme bekommen.“

„Es ist doch noch nicht zu spät, Mutter. Ich kann immer noch von dir lernen.“ ‚Was immer das auch bringen wird.‘ Schaden könnte es aber auch nicht. Aber sie würde ihre Augen aufhalten müssen, um sich nicht einwickeln zu lassen.

In diesem Moment machte sich Etogia lautstark bemerkbar und Eponai reichte ihr den Säugling zurück. Tiripa nahm ihre Tochter entgegen, die offensichtlich Hunger hatte. Erneut dachte sie, dass die Kleine auf jeden Fall ein Wunder war, ganz egal, was ihr Mann dazu sagte. Sie würde alles daransetzen, sie vor ihrem Bruder oder ihrem Mann zu schützen.

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Im Kreis der anderen Frauen hatte sich Tiripa immer wohl gefühlt. In einem gewissen Maß kam sie sich bei ihnen auch geschützt vor. Auf jeden Fall musste sie sich in der Gegenwart der Frauen nicht verstellen. Leider war dies aber auch die einzige Zeit, in der sie sich nicht vorsehen musste.

Sie hörte dem Geplapper nur mit einem Ohr zu, während sie ihre Tochter im Arm hielt. Auch dieses kleine Wesen war wieder eine Quelle des Glücks für sie, genau wie ihre älteren Geschwister es waren. Von ihrem Sohn hatte sie nur nicht sehr lange etwas gehabt, bevor ihr Mann ihn ihr wegnahm. Als wenn ein Zweijähriger bereits alt genug wäre, um in die Männergesellschaft aufgenommen zu werden.

Ihr Mann hatte seine Enttäuschung über die Geburt einer zweiten Tochter nicht vor ihr verbergen können. Sie hatte allerdings darüber gestaunt, dass er es überhaupt versucht hatte. Und aller Wahrscheinlichkeit nach, war er auch der Meinung, dies wäre ihm gelungen. Allerdings hatte er sich nicht wirklich Mühe dabei gegeben. Tiripa konnte das sogar nachvollziehen, hielt er sie doch für dumm. Er war auch der Meinung, sie wäre keine gute Beobachterin. Sie fand dies sehr praktisch und ließ ihn daher in diesem Glauben. Das konnte den Schutz für sie und ihre Töchter nur verbessern. Aber obwohl sie ihren Sohn nicht vor seinem Vater hatte schützen können, hatte sie trotzdem immer noch die Hoffnung, bei ihren Töchtern und bei denen der anderen Frauen mehr Erfolg zu haben. Die Jungen dagegen wurden von ihren Vätern früh in deren Kreis aufgenommen, um sie nach ihrem Vorbild zu erziehen. Was im Falle von Haxym, Maysap und Djepyo nichts Gutes bedeutete.

Gajef hielt, genau wie sie selbst, einen Säugling im Arm und betrachtete ihn zärtlich. Niemand hatte den Stolz ihres Bruders Djepyo über die Geburt eines Sohnes übersehen können, aber ihre Verwandte und Freundin konnte sich nicht im gleichen Maß über ihr Kind freuen, wie Tiripa sich über Oseya. Dies lag allerdings nicht daran, dass sie einen kleinen Jungen bekommen hatte, sondern am Tod ihres Bruders Nyvediat, der erst wenige Wochen zurücklag. Der Achtzehnjährige war, zusammen mit Gasar und dessen Frau Taepa, von den Feinden des Soloti ermordet worden. Die drei waren somit die ersten Opfer in ihrer Familie geworden. Zumindest wenn man nur ihre Seite betrachtete.

Tiripa betrauerte die Ermordeten, aber sie war von der Tat nicht überrascht worden. Nach dem grausamen Tod ihres Onkels Wistitt vor einem Jahr, hätte eigentlich jeder damit rechnen müssen, dass seine Anhänger zurückschlagen würden. Trotzdem war jeder wie vor den Kopf geschlagen gewesen, auch weil die Tat in unmittelbarer Nähe des Palastes stattgefunden hatte. Die Toten waren in einem Teil der Stadt gefunden worden, in dem die Familie sich immer sicher gefühlt hatte. Nun trauten die Frauen sich kaum noch aus ihren Häusern und wollten auch ihre Kinder nicht mehr hinauslassen. Haxym bestand allerdings darauf, keine Angst zu zeigen. Er war offenbar nicht gewillt, auf jemanden Rücksicht zu nehmen. Und der Soloti hielt ihn nicht mehr zurück.

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Nachdem Tiripa zum wiederholten Mal in Tränen ausgebrochen war, hatte ihr Ehemann die Räume seiner Familie im Palast verärgert verlassen. Er konnte nicht verstehen, wieso sie sich nicht genauso wie er, über die Geburt seines zweiten Sohnes Mihor freuen konnte. Aber sie hatte seit der Geburt fast ununterbrochen geweint, obwohl die anderen Frauen der Familie alles versuchten, sie zu trösten.

Durch den Tränenschleier hindurch hatte sie Maysap beobachtet, als er die Tür hinter sich zuschlug und sobald sie sicher war, dass er nicht zurückkehren würde, versiegten ihre Tränen.

„Er versteht nicht, dass du um deine Mutter trauerst, oder?“, ließ Gajef sich vernehmen. Die Ehefrau ihres Bruders Djepyo, ein Jahr jünger als sie selbst, leistete ihr schon seit Tagen Gesellschaft und hatte auch ihre beiden zwei- und achtjährigen Töchter mitgebracht. Ihr Sohn, vier Jahre alt, befand sich natürlich bei seinem Vater, den es offensichtlich nicht weiter störte, dass seine Frau mit den Mädchen praktisch bei Tiripa eingezogen war.

„Seiner Meinung nach war sie doch nur eine Frau. Für ihn ist unerheblich, dass sie die Witwe eines Soloti und die Mutter eines anderen war. Und wenn Haxym nicht um seine eigene Mutter trauert, warum sollte er es dann tun.“ Pajosa, die zwanzig Jahre älter war, als der Rest der anwesenden Frauen, klang noch nicht einmal erstaunt, als sie diese Feststellung machte.

„Nevjemar trauert wirklich um seine Mutter, aber er ist der Einzige unter den jüngeren Männern und es hat ihm bereits Probleme mit seinem Bruder eingebracht“, ließ sich Remya vernehmen. Mit siebzehn Jahren war sie die jüngste der anwesenden Ehefrauen und auch erst seit einem Jahr verheiratet. Trotzdem hatte es die übrigen Frauen überrascht, dass sie noch nicht schwanger war. Ihre Überraschung war noch größer geworden, nachdem sie erfahren hatten, ihr Ehemann wolle in der derzeitigen Situation noch keine Kinder haben. Dies unterschied ihn erheblich von den anderen jungen Männern der Familie.

„Haxym macht jedem Probleme, selbst Bolog und Fanadja“, antwortete ihr Pajosa. „Mein Ehemann ärgert sich zwar darüber, aber er macht sich auch Gedanken, wohin dieser Konflikt mit Wistitts Anhängern führen wird. Er denkt intensiv darüber nach, wohin unser Soloti uns unter dem Vorwand dieser Auseinandersetzung führen will.“

„Fanadja wird sich doch von Haxym nicht einschüchtern lassen?“ Tiripa wollte sich vergewissern, dass mit ihrem Onkel immer noch zu rechnen war.

Pajosa sah sie an. „Sowohl Bolog, als auch er selbst, mussten feststellen, dass sie keinen großen Rückhalt mehr bei den Männern des Soloti haben. Sie sind vorsichtig geworden, denn niemand scheint vor Haxym sicher zu sein. Selbst Maysap und Djepyo, die ja wohl jeder als seine Freunde ansieht, fürchten ihn. Und der Soloti hat den Älteren nie wirklich getraut. Ich glaube nicht, dass mein Mann es wagen wird, sich gegen ihn zu stellen. Ich fürchte, er hat resigniert. Und bei Bolog sieht es nicht anders aus.“

Die anderen Frauen seufzten. Pajosas Worte führten dazu, dass sie sich noch schlechter fühlten. In den vergangenen Jahren hatten sie hilflos miterleben müssen, wie ihre Rechte immer weiter beschnitten wurden, vor allem in den drei Jahren seit Yritis Tod. Sie wussten, was dies bedeutete und sie fürchteten, wohin dies führen könnte, denn sie waren beileibe nicht so dumm und ignorant, wie die Männer dachten.

Tiripa hatte in den letzten Wochen begonnen, ihre Tränen vor allem dafür einzusetzen, ihren Mann aus ihrer Nähe zu vertreiben, aber nun fühlte sie sich tatsächlich so verzweifelt, dass sie beinahe wieder angefangen hätte, zu weinen. Bis jetzt hatte sie immer noch die Hoffnung gehegt, dass Yritis Bruder und sein Freund Haxym Widerstand entgegensetzen würden. Pajosas Worte hatten ihr jedoch auch diese Hoffnung genommen.

„Wir müssen uns darauf einstellen, dass es für uns noch schlimmer wird“, musste sie den anderen Frauen schließlich mitteilen.

„Noch schlimmer?“ Die hochschwangere Gosjvar traute sich kaum diese Frage zu stellen. „Kann es wirklich noch schlimmer werden? Wir dürfen doch jetzt schon so gut wie nichts ohne die Einwilligung unserer Ehemänner oder Väter tun. Was will Haxym uns denn jetzt noch nehmen?“ Sie klang verzweifelt.

Todja, die ihre wenige Wochen alte Tochter auf dem Arm hielt, beugte sich zu der Jüngeren hinüber, um sie zu trösten.

„Ich muss dir zwar zustimmen“, antwortete ihr Tiripa, die von den anderen Frauen als deren Anführerin angesehen wurde, „aber so wie ich ihn kenne, wird Haxym sich etwas einfallen lassen. Wir können es uns nicht erlauben, davon auszugehen, er würde jetzt aufhören. Auch wenn das vielleicht herzlos klingt, müssen wir hoffen, dass Wistitts Anhänger ihm noch länger Ärger machen. Wenn er sich nicht mehr mit ihnen befassen muss, dann hat er mehr Zeit, sich seinem Frauenproblem zu widmen. Und wenn ich daran denke, geht es mir richtig schlecht. Wenn ich ehrlich bin, beschert mir das eine riesige Angst. Aus diesem Grund müssen wir uns noch besser organisieren und für einen Ernstfall planen, den niemand von uns erleben will. Leider müssen wir aber davon ausgehen, dass er uns das Leben noch viel schwerer machen will. Und ich bin mir sicher, dass er uns das Leben auch viel schwerer machen kann. Und das für eine lange Zeit.“

Ihre Worte ließen die anderen Frauen abrupt verstummen, aber niemand wollte ihr widersprechen. Niemand konnte ihr widersprechen, denn niemand war anderer Meinung als sie.

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Tiripa kauerte auf dem nackten, schmutzigen Boden und hielt ihre beiden Töchter fest im Arm. Die siebenjährige Oseya hatte die ganze Zeit über geweint, während man sie hierhergetrieben hatte. Sie hatte nun eine gute Vorstellung davon, wie sich Vieh fühlte, wenn man es in den Pferch trieb. Sie hatte die Jüngere den ganzen Weg über fest an sich gedrückt, aber sie hatte viel mehr Angst um ihre ältere Tochter gehabt. Etogia galt mit ihren vierzehn Jahren bereits als Frau und sie hatten mehrmals beobachtet, wie sich einige Männer der Frauen bedienten, die sie verschleppten.

Als sie dann endlich in diesem Riesenpferch angekommen waren, fanden sie bereits viele Frauen und Mädchen in den Verschlägen vor und seitdem hatten die Männer unzählige weitere hineingetrieben. Auch wenn es Tiripa widerstrebte, den Begriff zu übernehmen, den die Männer benutzten, entsprach er leider der Wahrheit. Und sie durfte sich der Wahrheit nicht verschließen. Zumindest nicht, wenn sie überleben wollte. Und sie musste dafür sorgen, dass die anderen Frauen sich dieser Wahrheit ebenfalls stellten. Ansonsten hatten sie keine Chance zu überleben.

Trotz der schrecklichen Lage, in der sie sich befanden, hatten es die anderen Frauen der Familie geschafft, zu ihr zu gelangen. Offenbar war es denn Männern egal, ob die Frauen sich zwischen den einzelnen Verschlägen hin und her bewegten. Inzwischen befanden sie sich fast alle bei ihr. Sie hatte die fast fünfzigjährige Pajosa - die ihr soeben bestätigt hatte, ihr Mann Fanadja habe tatenlos danebengestanden, als man sie abholte - bereits hier vorgefunden. Neben ihr hockte Gajef, die Ehefrau ihres älteren Bruders, zusammen mit ihren drei Töchtern. Todja, die sich bei ihrer Ankunft ihrer Mutter Pajosa in die Arme geworfen hatte, hielt ihre eigene dreijährige Tochter fest. Und sie alle bemühten sich darum, die völlig in Tränen aufgelöste Gosjvar, die einundzwanzigjährige Schwester ihres eigenen Ehemannes, zu trösten, denn ihr hatten die Männer den erst einjährigen Sohn mit Gewalt weggenommen.

Nur eine fehlte. Remya war bisher nicht hierhergebracht worden und Tiripa hoffte inständig, ihr Bruder Nevjemar, den Haxym immer als viel zu weich beschimpft hatte, habe sie noch rechtzeitig wegbringen können. Ihm traute sie durchaus zu, seine Ehefrau in Sicherheit bringen zu wollen. Und sie hoffte, er habe sich selbst ebenfalls retten können. Tiripa bezweifelte, dass Haxym jemandem vergeben würde, der sich ihm widersetzt hatte, selbst wenn es sein eigener Bruder war. Jetzt wo der Imperator uneingeschränkt herrschen konnte, hatte er keinen Grund mehr, sich zu verstellen oder zurückzuhalten. Dies spürte sie gerade am eigenen Leib.

Jetzt, nachdem er seine letzte Maske abgelegt hatte, war eingetreten, wovor Tiripa sich bereits seit mehreren Jahren fürchtete. Allerdings hatte sie sich noch nicht einmal in ihren schlimmsten Alpträumen vorstellen können, wie schlimm es tatsächlich werden würde. Aber nachdem Wistitts Anhänger vor zwei Jahren eine Übereinkunft mit ihm getroffen und sich in die südlichen Städte jenseits des unbewohnbaren Niemandslandes zurückgezogen hatten, sah der Imperator wohl keinen Grund mehr, sich weiter zurückzuhalten.

Er hatte sich sogar hierher in dieses primitive Gebäude begeben, nachdem er sich sicher war, dass alle Frauen der Stadt in die Verschläge getrieben worden waren. Er hatte ihnen wohl unbedingt persönlich mitteilen müssen, dass sie nun keine Bürger des Imperiums mehr waren. Und er versicherte ihnen – und dies ganz offensichtlich mit großer Genugtuung – dass keine Vassu, wie er die Frauen nun nannte, jemals wieder ihre Bürgerrechte zurückerhalten würde. Sie wären jetzt alle Eigentum des Imperiums und jeder Mann – jeder Viri – dürfe sich ihrer bedienen. Er hatte das Wort Sklavin nicht in den Mund genommen und doch hatte jede Frau es gehört. Und bevor er sich wieder entfernte, brüstete er sich auch noch damit, dass er selbst dafür gesorgt hatte, das Heiligtum abreißen zu lassen, um Platz für den Pferch zu schaffen.

Unter diesen Umständen war es jetzt viel schwerer geworden, das Überleben der Frauen zu sichern, selbst mit der Organisation, die sie in den letzten Jahren aufgebaut hatte. Keine von ihnen konnte in diesem Moment sagen, wie lange sie hier überleben mussten. Dies hing auch davon ab, ob einer der anderen Männer in der Umgebung des Soloti den Mut hatte, sich ihm zu widersetzen. Leider hatte Tiripa nicht den Eindruck, dass es unter ihnen so jemanden gab. Die Zukunft sah düster aus. Sie fürchtete um die Frauen und die Mädchen. Aber sie fürchtete ebenfalls um die Söhne. Die Ehemänner und Brüder, ganz zu schweigen von den Vätern, hatte sie bereits verlorengegeben.

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„Wenn wir diese Gelegenheit jetzt nicht nutzen und zuschlagen, werden wir wahrscheinlich nie wieder eine Chance erhalten, an unserer Situation etwas zu ändern“, bestärkte Tiripa die anderen Frauen darin, ihren gemeinsamen Entschluss zügig umzusetzen. „Die Männer sind durch die Ereignisse abgelenkt. Ypheg hat bereits begonnen, mit seinen Anhängern die Nachfolge zu feiern, und ihm ist bisher nicht bewusst geworden, dass sein Onkel ebenfalls der neue Imperator werden will. Dies bedeutet, die Männer sind jetzt entweder schon so betrunken, dass sie nicht mehr stehen können oder sie bekämpfen sich gegenseitig. Dies ist genau die Art von Situation, auf die wir uns jahrelang vorbereitet haben und ich versichere euch, dass wir in der Lage sind, die Männer zu besiegen. Wir können sie alle schlagen und das Imperium übernehmen.“

„Und dann?“, wollte eine der jüngeren Frauen von ihr wissen, die kein anderes Leben, als das im Pferch kannte.

„Darüber haben wir doch bereits ausgiebig gesprochen. Wir haben unsere Vorgehensweise bereits festgelegt und werden davon jetzt nicht mehr abweichen.“ Tiripa gab sich keine Mühe sanft oder mitfühlend zu klingen. Was sie und die anderen Frauen planten, würde hart werden. Für alle. Für die Frauen, die ihre Freiheit wiedergewinnen wollten und aus diesem Grund keine andere Möglichkeit sahen, als dafür zu sorgen, dass die Männer nie mehr die Oberhand bekommen konnten. Das würde zu einigen unangenehmen Entscheidungen führen und könnte durchaus für einige der Frauen zu hart werden, vor allem für einige der älteren. Aber Tiripa war sich dessen im Vorfeld bereits bewusst gewesen.

„Gut. Das wollte ich nur noch einmal bestätigt wissen“, entgegnete die junge Frau mit einem Grinsen, das Tiripa nur als blutrünstig beschreiben konnte. „Einen Augenblick lang hatte ich den Eindruck gewonnen, dass einige davon Abstand nehmen wollen.“

„Ich weiß, es wird schrecklich werden, aber es ist unsere einzige Möglichkeit zu verhindern, dass sich so etwas wie das Imperium der Virei wiederholt. Aber denkt bitte daran, uns ist nicht damit gedient, die Männer alle zu töten. Sie besitzen durchaus einige, nennen wir sie Fertigkeiten, die sie für uns interessant machen.“ Dies war alles, was Tiripa jetzt dazu sagen wollte, schließlich war über alles bereits lang und breit gesprochen worden. Nun war nur noch wichtig, dass sie und die anderen Frauen und Mädchen sich in Bewegung setzten.

Ihrer Meinung nach, war die ganze Diskussion sowieso überflüssig gewesen, denn sie hatten bereits damit begonnen, ihren Plan umzusetzen. Sie hatten schon die unter zehnjährigen Jungen eingesperrt, sowie die jungen Männer, die sich - aus den verschiedensten Gründen – im Pferch aufgehalten hatten. Niemand von ihnen hatte jemals darüber gesprochen, aber die Männer hatten sich alle hier befunden, weil sie ihre Mütter oder Schwestern besuchten. Als Haxym seine Gesetze in Kraft gesetzt hatte, war es seine Absicht gewesen, die Mädchen bei ihren Müttern aufwachsen zu lassen, die Jungen jedoch sollten von den Männern aufgezogen werden. In den ersten Jahren hatte das auch noch so halbwegs funktioniert, aber viele Männer waren nicht tatsächlich dafür geeignet, Kinder ohne die Hilfe von Frauen aufzuziehen und vor allem wollten sie das auch nicht. Und dann kam noch dazu, dass viele von ihnen meist noch nicht einmal wussten, ob diese Kinder überhaupt ihre eigenen Söhne waren und deshalb wollten sie sich erst recht nicht um sie kümmern.

Aus diesem Grund, hatte sich nach und nach eine andere Praxis durchgesetzt. Die Jungen blieben schließlich die ersten zehn Jahre ihres Lebens bei ihren Müttern im Pferch. Natürlich durften sie ihn jederzeit verlassen, sie waren ja keine Gefangenen. Aber die Männer hatten offensichtlich nicht darüber nachgedacht, welchem Einfluss diese Kinder ausgesetzt waren. Tiripa hatte es nicht überrascht, dass immer wieder junge Männer in den Pferch kamen, ohne sich irgendeiner der Frauen bedienen zu wollen. Trotzdem hatten sie diese Söhne und Brüder einsperren müssen. Und wenn die Frauen siegreich bleiben sollten, dann würden diese Jungen und Männer das Schicksal ihrer Geschlechtsgenossen teilen. Die Frauen konnten es sich nicht erlauben, Unterschiede zwischen ihnen zu machen.

Sie waren nun gezwungen, weiterzumachen. Sie würden vor den Männern niemals verbergen können, was sie bereits getan hatten und Haxyms Nachfolger würde keine von ihnen ungestraft davonkommen lassen. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb mussten sie jetzt mit ihrem Vorhaben fortfahren. Tiripa war sich bewusst, dass sie keine andere Wahl hatten, als sie den ersten Teil ihres Plans in Gang setzte. Und sie hatte dies durchaus in Kauf genommen, denn sie und der Großteil der Mädchen und Frauen hatte es genau so gewollt.

„Als erstes müssen wir den Palast einnehmen. Wenn uns das gelungen ist, haben wir einen riesigen Schritt in Richtung unserer Freiheit gemacht“, ermunterte sie ihre Frauen noch einmal. Sie war aber nun auch der Meinung, es wäre genug geredet worden.

Sie wandte sich der schräg hinter ihr stehenden älteren Frau zu. „Pajosa, du hast das Kommando hier im Pferch. Deine Kämpferinnen sind dafür verantwortlich, dass der Pferch nicht eingenommen wird. Ihr müsst dafür sorgen, dass die Mädchen, die hierbleiben müssen, sicher sind. Und nicht zuletzt ist es eure Aufgabe, unsere Gefangenen zu bewachen. Sie dürfen keine Gelegenheit erhalten, auszubrechen. Sie dürfen auch nicht befreit werden.“ Pajosa kannte ihre Befehle ganz genau und Tiripa hätte sie nicht noch einmal wiederholen müssen. Allerdings hatte sie das nicht getan, weil sie die Ältere für vergesslich hielt. Ihre Worte hatten in Wirklichkeit den übrigen Frauen gegolten.

Pajosa nickte. Sie wusste genau, aus welchem Grund ihre Anführerin alles noch einmal aufzählte. Und damit auch die Kämpferinnen in den hinteren Reihen, die sie nicht sehen konnten, dies mitbekamen, bestätigte sie ihre Befehle noch einmal mit lauter Stimme. Dann setzte sie allerdings noch etwas hinzu. „Wir werden dich nicht enttäuschen, Tiripa. Wir werden den Pferch halten, während ihr euch um den Palast kümmert.“ Sie war nicht erfreut darüber, hier bleiben zu müssen. Aber sie hatte dann doch eingesehen, dass sie mit einundsiebzig Jahren nicht mehr jung genug für den Kampf Frau gegen Mann war. Und Tiripa hatte ihr versprochen, ihren Ehemann, sofern er noch lebte, zu ihr zu bringen. Pajosa wollte ihm persönlich mitteilen, was er von der Zukunft zu erwarten hatte. Keine der beiden Frauen ging davon aus, er würde über diese Aussichten erfreut sein, aber dies interessierte sie nicht. Er hatte vor zweiundzwanzig Jahren seine Frau im Stich gelassen und sie hatte ihm dies nie verziehen. Wenn sie erst mit ihm fertig war, würde er sich vielleicht sogar wünschen, gestorben zu sein.

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Tiripa und ihre Kämpferinnen hatten sich zuerst um Yphegs Fraktion gekümmert. Haxyms ältester überlebender Sohn war der Meinung, er wäre nun nach dem Tod seines Vaters der neue Imperator und hatte bereits am vorangegangenen Tag angefangen zu feiern. Sie glaubte den Gerüchten, er habe bereits damit begonnen, bevor die Leiche seines Vaters erkaltet war. Schließlich war dies genau das, was dieser ihm vorgelebt hatte. Und seine beiden jüngeren Brüder hatten sich ihm angeschlossen. Es war möglich, dass einer der beiden hoffte, der neue Herrscher würde sich zu Tode saufen. Auch seine Anhänger feierten alle ausgiebig. Warum sollten sie dies auch nicht tun? Sie hatten doch nichts zu befürchten. Schließlich waren sie die Herren des Imperiums.

Die Betrunkenen und die Besinnungslosen waren eine leichte Beute für die Frauen geworden. Diejenigen, die sowohl die Feier als auch den Angriff überlebten, waren zu Gefangenen geworden und ihre Waffen hatten den Weg in die Hände der Frauen gefunden. Alle Kämpferinnen, einschließlich Tiripa, trugen nun ein Schwert an der Seite. Allerdings hatte keine von ihnen tatsächlich vor, damit zu kämpfen. Keine von ihnen hatte je ein Schwert geschwungen und sie wären wohl eher eine Gefahr für sich selbst und ihre Mitstreiterinnen, als für die Männer. Anders sah das allerdings mit Piken und Hellebarden aus. Sie hatten zwar auch auf solche Waffen keinen Zugriff gehabt, aber Tiripa hatte die Frauen bereits seit Jahren mit Besenstielen und ähnlichem Kämpfen gelehrt. Aber vor allem hatten sie geübt, sich waffenlos zu behaupten. Die letzten zwei Jahrzehnte waren nicht vergeudet worden und nun waren sie gut vorbereitet.

Die einfacheren Ziele hatten sie inzwischen alle ausgeschaltet und ihnen war bewusst, dass es ab jetzt schwieriger werden würde. Von nun an mussten sie mit mehr Verlusten rechnen, denn Djepyos Männer hatten nicht getrunken. Außerdem würden sie auch alle bewaffnet sein, weil Haxyms Bruder der Meinung war, er wäre der nächste, rechtmäßige, Imperator. Dementsprechend hatte er gehandelt, aber er hatte keine Ahnung, dass es einen weiteren Beteiligten beim Kampf um die Macht gab.

Tiripa wusste genau, wer in welchen Räumen des Palastes lebte, da sie oft genug für die verschiedensten Dienste geholt worden war. Vielen der Frauen war es genauso ergangen und sie hatten ihr, auf diesem Weg erworbenes, Wissen gut eingesetzt. Als die Kämpferinnen nun vor einer unauffälligen Tür standen, wussten sie deshalb ganz genau, wen sie dahinter finden würden. Sofern der Betreffende sich dort aufhielt.

Tiripa ging allerdings nicht davon aus, dass er seine Räume verlassen hatte. Ihrer Meinung nach, würde er auch nicht durch Wachen geschützt sein, denn er hatte dem verstorbenen Imperator nicht nahe genug gestanden. Deshalb traten sie und ihre Mitstreiterinnen relativ unbesorgt - aber dennoch wachsam - durch die Tür in den dahinterliegenden Raum, auch wenn sie sich in anderer Hinsicht nicht sicher war, ob sie persönlich dem, was sie dort erwartete, ebenso unbesorgt entgegensehen konnte.

Sobald sie den Raum betreten hatte, fiel ihr Blick auf einen älteren Mann, der sich zwar immer noch so aufrecht hielt, wie früher und nicht minder breitschultrig wirkte, aber nun graues Haar und einen kurzen grauen Bart hatte. Er wandte der Tür halb den Rücken zu und drehte sich nicht besonders schnell um, als er hörte, wie diese geöffnet wurde. Tiripa wusste natürlich nicht, wen er zu sehen erwartet hatte, aber sicherlich war es nicht der Trupp bewaffneter Frauen, der ihm nun gegenüberstand. Sie konnte nur bewundern, wie schnell er es schaffte, über seine Überraschung hinwegzukommen. Aber sie erschrak, als sie erkannte, wie müde sein Blick wirkte.

„Bist du gekommen, mich zu töten, Verwandte?“ Erstaunlicherweise hatte seine Stimme nichts von ihrer früheren Kraft verloren. Oder von der Ruhe, die er immer hatte vermitteln können.

Sie lächelte. In gewisser Hinsicht tat es gut, ihn nach so vielen Jahren wiederzusehen, aber sie bezweifelte, dass er derselben Meinung war wie sie. „Nur wenn du mich dazu zwingst, Onkel. Ich habe deiner Ehefrau zugesichert, dich lebend zu ihr zu bringen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Sofern mir das möglich ist.“

Offensichtlich war er sich wegen ihrer Absichten doch nicht ganz sicher gewesen, denn sie konnte beobachten, wie er erleichtert ausatmete. Er hatte versucht, dies nicht zu offensichtlich werden zu lassen, aber sie kannte ihn einfach zu gut.

„Ich sehe, ihr seid gut ausgerüstet“, bemerkte er mit einem Blick auf ihre Waffen. „Wer ist euch über den Weg gelaufen?“

Sie war nicht gezwungen, sich mit ihm zu unterhalten, aber sie sah es als einen letzten Gefallen an. Oder vielleicht auch als eine Möglichkeit, ihn noch etwas über sein Schicksal im Unklaren zu lassen. „Über den Weg gelaufen, ist nicht der richtige Begriff. Ypheg schien seinen neuen Titel bereits mehr als ausgiebig gefeiert zu haben.“

„Schien?“ Die Frage kam von dem zweiten Mann, der sich in diesem Raum befand. Als die Frauen hereinkamen, war er in seinem Sessel sitzengeblieben und hatte bis eben schweigend zugehört. Bolog war einige Jahre älter als Fanadja – Tiripa rechnete kurz nach und kam dann darauf, dass er achtundachtzig Jahre alt sein musste – aber er war nicht gut gealtert. Der einstmals hochgewachsene und muskulöse Milli hatte sich in einen gebrechlichen alten Mann verwandelt und selbst die Tatsache, dass er immer noch Haar und Bart vorweisen konnte, verbarg nicht, dass es nicht gut um ihn stand. Selbst seine Stimme war kraftlos und brüchig geworden. Tiripa war sich nicht sicher, ob er diesen Tag überleben würde, selbst wenn man ihn nicht zu hart anfasste.

„Mein Bruder ist der Meinung, er wäre der rechtmäßige Imperator und hat das seinem Verwandten bereits klargemacht. Offensichtlich wollte Ypheg ihm aber nicht zuhören und da hat er zu drastischeren Maßnahmen gegriffen.“ Sie hatten Yphegs kopflosen Leichnam zwischen seinen, ebenfalls nicht mehr unter den Lebenden weilenden, Leibwachen gefunden. In einer riesigen Blutlache, die sich zwischen unzähligen Krügen und Bechern ausgebreitet hatte. Krügen, die das Bier enthalten hatten, das von den Sklavinnen, die die Männer für die Feier in den Palast gerufen hatten, mit stärkerem Alkohol versetzt worden war. Von Lipava und Ychajvaj hatten sie allerdings keine Spur gefunden. Vielleicht hatte Djepyo sie gefangengenommen.

„Was steht uns nun bevor, Tiripa?“, wollte Fanadja wissen. Er vermittelte ihr allerdings nicht den Eindruck, Widerstand leisten zu wollen. In diesem Moment war sie sogar davon überzeugt, er würde sich selbst dann nicht wehren, wenn sie ihn töten wollte. Aber dies war nie ihr Plan gewesen.

„Ihr seid unsere Gefangenen und werdet an einem zentralen Punkt festgesetzt. Sobald wir den Palast eingenommen und unsere Stellung gesichert haben, werden wir uns um euch und die anderen Gefangenen kümmern.“ Sie gab mehreren der Kämpferinnen ein Handzeichen, die daraufhin ihre Piken an andere Frauen weiterreichten und sich zu den beiden Männern begaben.

„Es wird nicht so unangenehm werden, wenn ihr euch nicht wehrt“, fuhr sie fort, als sie sah, wie Fanadja die Frauen misstrauisch im Auge behielt.

Er seufzte. Offenbar hatte er doch nicht vorgehabt, ihr Ärger zu bereiten und er ließ sich dann auch problemlos die Hände hinter dem Rücken fesseln. Auch Bolog leistete keinen Widerstand. Die Frauen, die sich um ihn kümmerten, behandelten ihn wie ein rohes Ei, aber er wurde genauso sorgfältig gesichert wie Fanadja.

„Eine Sache solltet ihr euch aber merken. Wenn ihr auf die Idee kommt, durch die Gänge des Palastes zu brüllen, um andere Männer zu warnen, werde ich euch knebeln lassen. Und ich garantiere euch, dass meine Kämpferinnen dann nicht mehr sehr freundlich sein werden.“

Sie wartete die Reaktion der beiden Männer nicht ab, sondern öffnete die Tür wieder, um zum Rest ihres Trupps zurückzukehren. Dieser hatte im Gang Ausschau nach weiteren Gegnern gehalten und dabei auf die anderen Gefangenen aufgepasst. Die jüngeren Männer waren nicht nur gefesselt, sondern auch geknebelt worden. Viele von ihnen waren verwundet und hatten deshalb Probleme, sich auf den Beinen zu halten. Einige der Frauen sorgten dafür, dass sie trotzdem mit den anderen Schritt hielten.

„Wir bringen die Gefangenen jetzt erst einmal zum Sammelplatz, bevor wir uns auf die Suche nach Djepyo und seinen Anhängern machen. Wir werden eine andere Route, als auf dem Hinweg nehmen. Geht also davon aus, dass wir auf unserem Rückweg weiteren Männern begegnen.“ Die Frauen nickten nur und sie wandte ihre Aufmerksamkeit den Gefangenen zu. „Setzt euch gefälligst in Bewegung!“

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Der Kampf der Frauen um ihre Freiheit hatte selbstverständlich länger als nur ein paar Tage gedauert. Aber bereits am ersten Tag war es ihnen gelungen, den Palast einzunehmen und damit waren sie viel schneller gewesen, als Tiripa im Vorfeld gedacht hatte. Aber dann mussten sie sich in die Stadt hinausbegeben und der Kampf wurde um einiges härter. Etliche Männer, aber natürlich auch Frauen, verloren ihr Leben und nur die Tatsache, dass die Ernennung des neuen Imperators überall gefeiert worden war und sich gleichzeitig die Fraktionen von Ypheg und Djepyo gegenseitig bekämpften, hatte ihnen letztendlich zum Sieg verholfen.

Seit ihrem Sieg hatten sich die Frauen wenig Ruhe gegönnt und deshalb war Tiripa heute bereits in der Lage, sich um die erste Gruppe Gefangene zu kümmern. Sie hatten die Mehrheit der Männer fürs erste in dem gleichen Pferch untergebracht, in dem die Frauen für viele Jahre gezwungen worden waren, zu leben. Aber nun hatte man damit begonnen, sie in kleinere Gruppen aufzuteilen, damit sie besser im Auge behalten werden konnten. Sie hatten lange über die ganze Angelegenheit nachdenken können und daher bildeten sie diese Gruppen jetzt nicht willkürlich. Ihre Zusammensetzung richtete sich stattdessen danach, wer von den Männern miteinander verwandt war. Oder besser gesagt, wer von ihnen mit welchen Frauen verwandt war. Und nun würden die ersten von ihnen in Kürze erfahren, wie es für sie weitergehen sollte. Für diesen Zweck hatte sich Tiripa ihre eigene Familie ausgesucht.

Sie hatte die von ihr ausgewählten Männer in den großen Raum im Palast bringen lassen, den Haxym als seinen Thronsaal genutzt hatte. Unter denen befanden sich Bolog, dem die letzten Tage trotz der umsichtigen Behandlung durch seine Wächterinnen nicht gutgetan hatten, und Fanadja, sowie Haxyms zwei überlebende Söhne Lipava und Ychajvaj, die eine böse Überraschung erlebt hatten, nachdem sie aus ihrem Rausch erwachten, und Djepyos Sohn Wasotova. Aber auch Maysap gehörte zu ihnen. Er hatte erheblichen Widerstand geleistet, nachdem Tiripa ihn endlich aufgespürt hatte und sie hätte ihn am liebsten auf der Stelle getötet. Aber sie hatte feststellen müssen, dass ihr das vor den Augen ihrer gemeinsamen Söhne Vosyet und Mihor nicht möglich gewesen war. Außerdem hatte sie auch noch der Tod ihres Bruders belastet, der ihr keine Wahl gelassen hatte. Jetzt war sie allerdings froh darüber, dass ihr Ehemann nicht in die Weite gegangen war. Dies gestattete ihr nämlich, zu ganz andere Mitteln zu greifen.

Aber auch Maysaps jüngerer Bruder Xasfa war zusammen mit seinen Söhnen Hyawer, Wamidi und Asepym hierhergebracht worden, sowie Cahec und dessen Söhne Disagon und Oixuy und dazu noch eine ganze Reihe weiterer junger Männer und größerer und kleinerer Jungen, die von den Frauen der Familie in den letzten zwei Jahrzehnten geboren worden waren oder von denen ihre Mütter, die sie nicht hatten behalten wollen, behaupteten, sie wären von Männern der Familie gezeugt worden. Alle diese Männer, die sie im weitesten Sinne als Angehörige ihrer eigenen Familie betrachtete, waren nach und nach hereingeführt worden. Bis auf die allerjüngsten trugen sie alle noch ihre Fesseln, aber auf die Knebel hatte man bereits wenige Stunden nach ihrer Festsetzung verzichtet. Die Frauen hatten ja nie vorgehabt, alle Männer zu töten und ließen ihnen deshalb ein gewisses Maß an Fürsorge angedeihen. Sie behandelten ihre Wunden und sorgten dafür, dass sie ausreichend Wasser und auch etwas zu essen erhielten. Tiripa glaubte allerdings nicht, dass die Männer es ihnen danken würden, am Leben gelassen worden zu sein.

Jetzt schienen alle anwesend zu sein, die sie für ihre Demonstration als notwendig erachtete, und damit wurde es nun Zeit für ihren Auftritt.

„Kniet nieder vor der Imperatra, Virei“, kündigte Pajosa sie an. „Kniet nieder vor der Imperatra!“ Sie konnte ihren Stolz nicht verbergen. Ihre kräftige Stimme drang bis in den letzten Winkel des Raums vor.

Ein Teil der Männer befolgte den Befehl sofort, vor allem die jüngeren und die ganz alten, aber nicht alle waren so einsichtig. Die Kämpferinnen ließen ihnen allerdings keine Wahl und gingen dabei auch nicht besonders freundlich mit ihnen um.

Tiripa begab sich gemessenen Schrittes bis vor den Thron, den ihr Bruder sich hatte bauen lassen. Er war, genau wie ihr Vater, sehr groß gewesen, während sie eher auf ihre zierliche Mutter kam, deshalb verzichtete sie darauf, sich auf ihm niederzulassen. Sie hätte niemandem damit imponiert, den Eindruck eines Kindes auf dem Stuhl eines Erwachsenen zu erwecken. Wenn sie die Zeit dafür hätte erübrigen können, dann hätte sie ihn längst entfernen lassen. So blieb ihr aber nichts anderes übrig, als den riesigen Thron zu ignorieren.

„Virei“, sprach sie die Gefangenen nun selbst an. Im Gegensatz zu Pajosa erhob sie ihre Stimme nicht. Sie hatte nicht vor die Männer anzuschreien, weil sie nicht wollte, dass diese glaubten, das hier diene ihrer persönlichen Rache.

„Virei“, wiederholte sie die Bezeichnung und empfand dabei Genugtuung, weil sie den Begriff benutzte, mit dem die Männer sich selbst benannt hatten. „Über zwanzig Jahre lang habt ihr uns als Sklavinnen gehalten, habt uns benutzt, wie es euch in den Sinn kam und untereinander weitergegeben. Ihr habt uns unserer Rechte beraubt und uns nicht als Bürger des Imperiums angesehen. Für euch waren wir nicht mehr als Tiere. Habt ihr tatsächlich gedacht, wir würden uns das gefallen lassen? Es hat zwar gedauert und wir haben gelitten, aber wir wussten von vornherein, dass wir uns gut vorbereiten müssen, um dann zuzuschlagen, wenn ihr uns eine Gelegenheit dazu gebt. Wir wussten immer, dass dieser Zeitpunkt einmal kommen würde. Und nun haben wir uns von euch befreit und wir werden dafür sorgen, dass ihr nie wieder ein Imperium der Virei errichten könnt. Wir haben euch genau beobachtet und werden eure Fehler nicht wiederholen. Ich versichere euch, ihr könnt davon ausgehen, unser Imperium der Vassu wird nicht untergehen. Ihr werdet es erleben und nach eurem Tod eure Söhne und eure Enkel, denn wir haben nicht vor euch umzubringen. Unter euch gibt es sogar einige, die uns nicht so schlecht wie der Rest behandelt haben, aber dennoch hat sich keiner von euch gegen Haxyms Herrschaft gewandt. Damit habt ihr euch alle schuldig gemacht und ihr werdet alle die gleiche Strafe erhalten. Keiner von euch wird davon ausgenommen werden, weder die ältesten noch die jüngsten.“

Sie machte eine Pause. Jahrelang hatte sie sich auf diesen Moment vorbereitet, aber als sie nun auf die Männer und Jungen hinabschaute, die vor ihr knieten, war sie sich trotzdem einen Moment lang nicht mehr sicher, ob sie ihren Plan tatsächlich durchführen konnte. Aber dann ging ihr Blick zu den Frauen hinüber, die um die Gefangenen herum Aufstellung genommen hatten und sie dachte daran, was diese hatten erleiden müssen. Ihr Moment der Unentschlossenheit ging so schnell vorüber, dass niemand etwas davon mitbekommen hatte. Nun war sie sich wieder sicher, das Richtige zu tun.

„Heute werdet ihr nun erfahren, was wir für euch beschlossen haben. Ich werde euch mitteilen, wie euer Schicksal und das eurer männlichen Nachkommen aussehen wird, bis das Leben uns das Velt wieder wegnimmt.“

Die Frauen hatten alles für den heutigen Tag vorbereitet und Tiripa empfand eine große Befriedigung dabei, den Männern begreiflich machen zu dürfen, was sie erwartete. Sie hatte unter den Männern in dieser Gruppe auch das geeignete Demonstrationsobjekt gefunden. Maysap würde sich vorzüglich für ihre Zwecke eignen. Natürlich war ihr bewusst, dass sie ihn deshalb ausgewählt hatte, weil sie ihn demütigen wollte. Sie hatte sich aber auch für ihn entschieden, weil ihr das endlich die Genugtuung verschaffen würde, ihn leiden zu sehen. Dieser Tag würde auch nur der Anfang sein, schließlich hatte er sie lange genug gequält. Und er hatte ihr auch ihre Söhne gestohlen. Dies konnte er nie wieder gutmachen. Niemals in seinem ganzen Leben.

„Wir werden euch nie wieder vertrauen können. Wir werden nie wieder so mit euch zusammenleben können, wie es bei den Oixya üblich war. Euer Verhalten hat uns dazu gezwungen, uns etwas anderes zu überlegen. Aber ihr habt uns auch die passende Idee geliefert. Außerdem habt ihr uns gelehrt, wie wir nicht vorgehen dürfen. Aus diesem Grund kann ich euch heute versprechen, wir werden eure Fehler nicht wiederholen.“

Sie gab Gajef und Pajosa ein Zeichen und die beiden brachten einen Korb nach vorne, den sie neben ihr abstellten. „Ihr habt im Imperium der Virei gelebt und dort ist es euch gut ergangen. Unser Leben hingegen konnte niemand als gut bezeichnen. Daher werdet ihr sicherlich verstehen, dass wir euer Imperium nicht fortführen wollen. Stattdessen seht ihr nun hier vor euch Bürgerinnen des Imperiums der Vassu. Und so, wie ihr uns das vorgemacht habt, werdet ihr keine Bürger dieses Imperiums sein. Ihr werdet neben uns leben oder genauer gesagt, ihr werdet ein Teil unserer Familien sein, aber wir können euch keine Rechte zugestehen. Wir dürfen euch niemals wieder die Gelegenheit verschaffen uns zu unterwerfen. Und wir wissen, wie wir das verhindern können.“

Sie blickte auf die beiden jungen Wachen, die sie bereits zuvor für ihre Aufgabe ausgesucht hatte. Die beiden wussten genau, was sie zu tun hatten. „Es ist jetzt viele Jahre her, dass mein Vater mich meinem Ehemann übergeben hat, aber erst jetzt habe ich die Möglichkeit, mich für all das zu revanchieren, was er mir in unserer Ehe hat zukommen lassen.“ Sie lächelte und einige der jüngeren Männer vor ihr wurden bleich, denn ihr Lächeln konnte man beim besten Willen nicht als freundlich bezeichnen. Es war kein Lächeln, das sie von einer Frau gewöhnt waren.

„Maysap, ich brauche dich jetzt! Komm her!“ Noch nie hatte sie so mit ihm gesprochen und er reagierte entsprechend, zuerst unwillig und dann wütend. Sie hatte ihren Satz kaum beendet, da machte er schon den Eindruck, sie auf der Stelle umbringen zu wollen. Die ganzen Jahre über, hatte er sie für schwach und dumm gehalten und noch bevor Haxym allen Frauen die Bürgerrechte entzog, behandelte er sie bereits wie seine Sklavin. Nun verlangte sie von ihm in aller Öffentlichkeit, er solle ihr gehorchen. Sie kannte ihn gut und deshalb entging ihr nicht, dass er fest entschlossen war, sich ihr nicht freiwillig zu unterwerfen. Aber genau diese Reaktion hatte sie von ihm erwartet. Immer schon war er der Meinung gewesen, Haxym wäre der einzige, dem er sich jemals beugen würde. Allerdings war er auch nie jemand anderem begegnet, der dies von ihm verlangt hätte. Daher hatte er auch nie die Möglichkeit gehabt, herauszufinden, ob er wirklich so unbeugsam war, wie er immer gedacht hatte. Aber sie wollte es ihm nicht zu schwer machen. Schließlich standen ja zwei junge kräftige Frauen bereit. Sie warteten nur auf ein Zeichen von ihr, um ihn vor sie zu schleifen.

Sie sah ihn mit einem strengen Blick an. „Du wirst schon noch lernen, mir zu gehorchen, Maysap. Schließlich bist du mein Ehemann.“ Noch während sie mit ihm sprach, hatte sie den beiden Wachen das vereinbarte Zeichen gegeben und diese griffen sich nun Maysap und schleppten ihn ohne Mühe vor sie. Tiripa blickte ihn erneut streng an und schüttelte dann den Kopf, als ob sie einen kleinen Jungen bei etwas Unartigem erwischt hätte. Er versuchte zwar, sich gegen die beiden zur Wehr zu setzen, aber nach den letzten Tagen und dem Kampf davor war er zu schwach. Er hatte keine Chance. Selbst dann nicht, als sie ihm die Fesseln abnahmen. Aber als sie dann damit begannen, ihm seine Kleidung auszuziehen, versuchte er doch noch einmal ihnen zu entkommen. Er hatte offensichtlich nicht darüber nachgedacht, dass es für ihn keine Möglichkeit gab, aus dem Thronsaal zu fliehen.

Eine der beiden Wachen holte aus und boxte ihm in den Magen und er klappte einfach zusammen. Während er noch versuchte, wieder Luft zu bekommen, machten die Frauen ungerührt damit weiter, ihn völlig zu entkleiden. Dann ließen sie ihn einfach vor Tiripas Füßen liegen. Sie hatte es nicht eilig und ließ ihm Zeit, sich wieder aufzurappeln. Endlich gelang es ihm, wieder auf die Beine zu kommen und er wollte sich gerade zu seiner vollen Größe aufrichten, als ihm aufging, dass er völlig nackt war. Offenbar wollte er sich auf keinen Fall so zeigen und er machte sich sofort so klein, wie es ihm möglich war.

Tiripa lachte laut. Wie oft hatte er sie in den letzten Jahren gezwungen, sich anderen Männern nackt zu zeigen. Und ihnen zu Diensten zu sein. Und nun schämte er sich, weil er nun der Nackte war. Sie konnte einfach nicht anders, sie musste über ihn lachen.

„Keine Angst, Ehemann, ich werde dich nicht zwingen nackt herumzulaufen. Niemand will nackte Männer um sich haben.“ Sie lachte erneut. „Zumindest nicht die ganze Zeit über. Wir haben lange darüber nachgedacht, was ihr ab jetzt tragen dürft und wir haben etwas gefunden, das uns zusagt.“ Sie griff in den Korb und holte ein Kleidungsstück aus ungebleichtem Stoff hervor, das sie Maysap zuwarf. „Hier, Ehemann, bedecke deine Blöße damit!“

Viele Frauen hatten in den letzten Tagen an den Kleidungsstücken gearbeitet. Sie hatten sie so einfach wie möglich gehalten, aber trotzdem erst einige hundert Stück fertigstellen können. Fürs erste musste das reichen. Maysap griff auf jeden Fall hastig danach und faltete den Stoff auseinander. Aber sobald ihr Ehemann erkannte, was sie ihm hingeworfen hatte, hielt er inne.

Er schüttelte erzürnt den Kopf. „Das werde ich nicht anziehen! Niemals!“ Er versuchte seine Worte mit fester Stimme hervorzubringen. Aber er hatte keinen Erfolg dabei.

Tiripa lachte erneut. „Oh doch, du wirst das tragen.“ Sie nahm ihm das Kleidungsstück wieder ab und hielt es so hoch, dass alle sehen konnten, was sie in Händen hielt. „Dies wird alles sein, was ihr in Zukunft tragen dürft. Der Rock wird das einzige Kleidungsstück der Männer sein, das wir euch erlauben. Das und nicht mehr.“ Sie machte eine kurze Pause. „Und natürlich die Fesseln, die ihr tragen müsst. Bis an euer Lebensende und darüber hinaus.“ Nun lachte sie nicht mehr. „Ihr habt uns gelehrt, dass wir wachsam sein müssen. Ihr habt uns auch gelehrt, euch nie mehr zu trauen.“

Sie wandte sich erneut Maysap zu, der immer noch nackt vor ihr kniete. „Du wirst das anziehen. Entweder alleine oder solltest du tatsächlich nicht dazu in der Lage sein, dann sind wir dir gerne behilflich. Aber bevor du deine Entscheidung triffst, will ich dir sagen, dass Ungehorsam empfindliche und schmerzhafte Strafen nach sich zieht.“ Sie warf ihm den Rock wieder zu. „Und glaube mir, wir sind in der Lage, dich angemessen zu bestrafen. Und dir den Rock danach anzuziehen. Wenn das dein Wunsch ist, dann werden wir ihm entsprechen. Allerdings wird das der letzte Wunsch sein, den wir dir erfüllen.“

Tiripas Stimme war hart geworden. Noch nie hatte jemand sie mit einer derartigen Härte und Kälte sprechen gehört. Die Frauen blickten sie alle voller Hochachtung an, aber die Männer waren durch die Reihe bleich geworden. Selbst die, die es eben noch gewagt hatten, gegen sie aufzubegehren, waren nun verstummt. Dann sah sie wieder auf ihren Ehemann hinab, der überrascht zu ihr aufblickte. Aber auf einmal zuckte er zusammen, als wäre er geschlagen worden. Offensichtlich hatte er in ihrem Gesicht und in ihren Augen etwas gesehen, das ihm Angst machte, denn er senkte seinen Blick sofort wieder zu Boden.

In diesem Moment hatte er offensichtlich erkannt, dass er längst nicht so hart und unbeugsam war, wie er immer von sich angenommen hatte. Er nahm den Rock erneut auf und machte sich dann umständlich daran, ihn anzuziehen. Das fiel ihm nicht leicht, denn er wollte dazu nicht aufstehen, aber endlich hatte er es geschafft und verknotete mit zittrigen Händen die Schnüre, die das Kleidungsstück an der Taille halten würden.

„Steh auf und dreh dich zu den anderen um!“, befahl sie ihm und er gehorchte augenblicklich. Er stand dort nun vor den anderen Gefangenen, in einem Rock, der ihm bis zu den Knien ging und niemand konnte übersehen, dass etwas in ihm zerbrochen war. In diesem Augenblick wurde allen hier anwesenden Männern klar, dass sie selbst keine Chance auf Widerstand hatten, wenn sogar jemand wie er aufgegeben hatte. Schließlich war er der letzte Überlebende der drei Männer, die das Imperium lange mit harter Hand regiert hatten. Und nun war er der erste, der sich den Frauen unterwarf.

Die beiden jungen Wachen griffen nun ebenfalls in den Korb und holten Ketten, Fesseln und einen Ledergürtel heraus, den sie ihm als erstes anlegten und er machte keinerlei Anstalten, sich gegen sie zu wehren. Danach legten sie ihm Lederfesseln um die Handgelenke. Tiripa hatte viele Jahre Zeit gehabt, über alles nachzudenken und hatte daher gewusst, was sie haben wollte. Ketten verbanden die Handfesseln mit dem Gürtel und ihre Länge konnte flexibel eingestellt werden. Im Moment waren sie so kurz, dass er seine Hände nicht benutzen konnte. Zum Schluss legten die Frauen ihm noch Fußfesseln an, die mit einer kurzen Kette miteinander verbunden waren. Maysap ließ das Ganze wie erstarrt über sich ergehen.

„Es wird einige Zeit dauern, bis wir alle Virei neu einkleiden können.“ Die Frauen lachten wegen ihrer Ausdrucksweise. „Trotzdem wird euch bereits aufgefallen sein, dass Röcke und Bärte nicht zusammenpassen. Aus diesem Grund haben wir auch entschieden, euch Bärte zu verbieten. Außerdem werden wir Frauen in Zukunft diejenigen sein, die ihre Haare kurz tragen. Unser langes Haar diente ja nur dazu, uns für euch attraktiver zu machen und das haben wir nicht mehr nötig. Unser kurzes Haar wird zukünftig auch als Symbol dafür dienen, dass wir nun die Kämpferinnen sind. Ihr hingegen müsst nun dafür sorgen, uns zu gefallen, daher werdet ihr euch die Haare nicht mehr schneiden. Ihr werdet uns dienen und wir werden für eure Sicherheit sorgen. Wir werden euch sogar erlauben, in unseren Familien zu bleiben. Wir werden euch sagen, was ihr zu tun habt, wo ihr leben dürft und wer euch heiraten wird. Eure Söhne werden bei euch leben, aber unsere Töchter werden wir selbst aufziehen. Ihr werdet uns gehorchen oder von uns bestraft werden. Ihr habt euer Schicksal selbst über euch gebracht, als ihr das Gleichgewicht im Bund zerstörtet. Und wir sind nun auch nicht mehr in der Lage, es wiederherzustellen. Wir sind aber auch nicht gewillt, es zu versuchen.“

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Im Nachhinein konnte Tiripa es fast nicht glauben, dass ihre Kämpferinnen weniger als ein Jahr benötigt hatten, um alle Städte der Virei für das neue Imperium der Vassu zu erobern. Sie fand es erstaunlich, dass es tatsächlich nicht länger gedauert hatte, um in allen Städten die Vassu zu befreien und die Virei in Ketten zu legen. Vassucit, das Reich der Vassu, war bereits jetzt so stark, dass es auf jeden Fall überlebensfähig war. Sie waren nun in der Lage, die Herrschaft der Kinder des Velt fortzusetzen und ihre Heimat gegen jegliche Eindringlinge zu verteidigen.

Dabei war sie sich bewusst, dass sie nicht die einzigen waren, die sich Kinder des Velt nennen durften. Südlich des Imperiums lagen die Städte der Oixya. Der Bund hatte überlebt und würde, so wie es aussah, genauso wenig wie das Imperium untergehen, aber Tiripa wusste auch, dass sie sich Vassucit nicht anschließen würden. Sie war aber auch nicht bereit, dem Oixyyaa beizutreten. Auf der anderen Seite hatte sie allerdings auch nicht vor, gegen das Schwestervolk zu kämpfen. Der Bund war kein Eindringling ins Velt, daher war er auch kein Gegner und musste ihrer Meinung nach nicht bekämpft werden. Und sie hoffte, die Oixya sahen das Imperium ebenfalls nicht als Feind an.

Nach der Konsolidierung ihrer Position im Imperium wollte sie nun endlich herausfinden, wie das südliche Reich zu den Vassu stand. Dafür hatte sie sich hierher ins Niemandsland zwischen den beiden Reichen begeben. Sie hatte ein Treffen mit der Person verabredet, die bei ihren Nachbarn das Sagen hatte, um, wenn möglich, zu einer Übereinkunft zu kommen. Sie wollte mit den Oixya nicht unbedingt ein Bündnis eingehen, dazu unterschieden sie sich zu stark von den Vassu. Aber vielleicht konnten sie eine Übereinkunft treffen und dafür sorgen, nicht gegeneinander kämpfen zu müssen. Das Imperium der Virei hatte auch darauf verzichtet, gegen den Süden zu kämpfen, aber trotzdem hatte es keinerlei offizielle Kontakte gegeben. Dies hatte sich bisher auch nicht geändert und deshalb war sich die Imperatra nicht sicher, ob ihre Informationen darüber stimmten, wer im Bund regierte. Sie wusste genauso wenig, wie viel die Oixya bisher über den Aufstieg von Vassucit erfahren hatten.

Aus diesem Grund hatte sie den Entschluss gefasst, Boten in den Süden zu entsenden, in der Absicht, ein Treffen zu vereinbaren. Und nun hatte sie sich mit ihrer Leibwache am vereinbarten Ort eingefunden. Sie hatte auch die Virei ihrer Familie mitgebracht, die sie ein großes Zelt aufbauen ließ. Im Innern hatten sie Teppiche und Kissen verteilt und auch für Essen und Getränke gesorgt. Danach blieb ihr nur noch, auf die Delegation der Oixya zu warten.

Ihre Töchter und sie erhoben sich, als sie eine Gruppe erspähten, die sich dem Treffpunkt von Süden her näherte. Wenn sie sich nicht täuschte, mussten das jetzt die Oixya sein. Die Virei hatten in den letzten Monaten gelernt, sich nicht von der Stelle zu rühren, bevor sie einen entsprechenden Befehl erhielten und so waren sie unbeweglich vor der hinteren Zeltwand stehengeblieben und warteten. Tiripa hoffte, von ihnen käme an diesem Tag keiner auf die Idee, sich zu widersetzen, denn auf die daraus entstehende Unruhe konnte sie gut verzichten. Sollte es aber doch passieren, würde sie mühelos damit fertig werden können. Sie hatte kein Problem damit, sie zu bestrafen. Auch nicht ihre Söhne, die bei ihr geblieben waren, weil keine Vassu sie als ihre Ehemänner anerkannt hatte, was ihr sogar gut zu Pass kam, denn somit standen sie ihr zur Verfügung, um mit anderen Familien Bündnisse zu schließen. Zu diesem Zweck würde sie sie von ausgesuchten Vassu heiraten lassen. Aber noch hatte sie nicht damit begonnen, solche Bündnisse zu vereinbaren und solange unterstanden sie immer noch ihrer Aufsicht. Die beiden hatten nicht sofort verstanden, was das für sie bedeutete, aber inzwischen ging ihre Mutter davon aus, sie hätten es kapiert. Sie hatte auch die beiden überlebenden Söhne ihres Bruders übernommen, auf die sonst niemand Anspruch erhob. Und selbstverständlich befand sich auch Maysap unter ihnen, denn er gehörte ihr mit Haut und Haaren. Daran gab es keinen Zweifel und das hatte er inzwischen auch selbst begriffen. Sein Willen zum Widerstand war nicht mehr vorhanden.

Auch ihre Töchter hatten Virei bei sich. Keine von ihnen hatte sich bisher einen Ehemann genommen und so würde Tiripa auch mit ihnen weitere Familien an sich binden können. Beide hatten allerdings vor der Befreiung einigen Kindern das Leben geschenkt und unter denen befanden sich auch einige Jungen.

Während die Gedanken der Imperatra zu den Virei abgeschweift war, hatte sich die Delegation der Oixya weiter genähert und schließlich stiegen sie nicht weit entfernt von ihren Pferden ab. Angeführt wurden sie offensichtlich von einer Frau, die in Tiripas Augen etwas älter als sie selbst zu sein schien. Als sie die andere erkannte, verspürte die Imperatra Freude, aber keine Überraschung. Aber den Mann, der sich an ihrer Seite befand, hatte sie auf keinen Fall erwartet. Ihn hatte sie seit dreiundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen, aber er hatte sich nicht so stark verändert, dass sie ihn nicht wiedererkennen konnte. All die Jahre hatte sie gehofft, er hätte überlebt, aber sie hatte nicht mehr damit gerechnet, ihn noch einmal wiederzusehen. Sie wäre niemals auf die Idee gekommen, er könne zu dieser Delegation gehören.

Die ältere Frau trat erst einmal alleine näher und Tiripa kam ihr ebenfalls ohne Begleitung entgegen. „Soloti“, begrüßte sie sie respektvoll und diese erwiderte ihren Gruß mit einem ebenfalls respektvoll vorgebrachten „Imperatra“.

„Ich bin Tiripa, Tochter der Eponai“, stellte sie sich vor. Mehr wollte sie aber jetzt nicht sagen, sondern wartete erst einmal auf die Antwort der anderen.

Diese lächelte. „Sei gegrüßt, Verwandte. Ich bin Xaeva, Tochter der Xasapon und des Wistitt. Meine Mutter hat mir vor vielen Jahren erzählt, wie wir das letzte Mal mit dem Rest der Familie zusammengetroffen sind. Damals müssen wir uns schon einmal begegnet sein, aber ich kann mich nicht daran erinnern.“ Fast entschuldigend hob sie ihre Hände, bevor sie fortfuhr. „Ich danke dir für deine Einladung.“

Die Soloti wartete aber nicht ab, ob Tiripa noch etwas sagen wollte, sondern wandte sich zu ihrem Begleiter um und bat ihn näher zu treten. Dann drehte sie sich wieder zu ihrem Gegenüber um. „Ich konnte mir natürlich nicht ganz sicher sein, was die Identität der Imperatra anging, aber ich habe mich trotzdem dafür entschieden, meinen angenommenen Sohn mitzubringen.“

Tiripa strahlte über das ganze Gesicht, als sie ihren jüngeren Bruder Nevjemar nach so langer Zeit wieder in die Arme schließen konnte.

„Ich habe das Leben darum gebeten, dir die Flucht zu ermöglichen. Ich habe keinen Moment darüber nachdenken wollen, der Imperator könne dich getötet haben. Trotzdem habe ich nicht geglaubt, dich noch einmal wiederzusehen.“ Sie umarmte ihn noch einmal voller Freude und Zuneigung, bevor sie sich von ihm löste.

Doch dann musterte sie ihn mit ernster Miene. „Wie geht es Remya? Sie hat die Flucht doch auch geschafft, oder?“

Ihr Bruder lächelte sie beruhigend an. „Es war der Sinn meiner damaligen Flucht, meine Frau in Sicherheit zu bringen, auch wenn ich nicht davon ausgegangen bin, unsere Verwandte werde mich mit offenen Armen empfangen. Eigentlich hatte ich fest damit gerechnet, dass sie mich einen Kopf kürzer macht, aber ich war mir ebenfalls sicher, sie werde Remya niemals etwas antun. Das war das Wichtigste für mich.“ Er machte eine kurze Pause und sie erlaubte sich ein erleichtertes Aufatmen. „Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, ich könnte mich jemals dort wiederfinden, wo ich heute bin.“ Er schüttelte den Kopf, als ob er immer noch überrascht war. „Und was Remya betrifft …“ Er wandte sich halb um und blickte auf die anderen Personen, die die Soloti begleiteten.

Er winkte und aus der Menge lösten sich drei Personen, die sich langsam auf die Imperatra und die beiden, die bei ihr standen, zubewegten und Tiripa starrte verwundert, aber auch mit erneuter Freude, auf sie. Eine von ihnen war eine Frau, die sie als eine stille und zurückhaltende – man könnte auch sagen, furchtsame – junge Ehefrau im Gedächtnis behalten hatte. Erstaunt beobachtete sie, wie sie aufrecht und selbstbewusst auf sie zuschritt und vor allem war sie verwundert darüber, wie selbstverständlich die andere die Kleidung einer Milli trug. Noch erstaunter war Tiripa allerdings über die beiden jungen Leute, die rechts und links von ihr gingen, über eine Frau und einen Mann, die fast gleich alt wirkten. Und die beide erstaunliche Ähnlichkeit mit ihrem eigenen Vater hatten, an den sie sich voller Liebe erinnerte.

Als die drei sie erreichten, verbeugten sie sich respektvoll, aber Tiripa breitete erneut ihre Arme aus. „Remya, was für eine Freude dich wiederzusehen.“ Sie umarmte die Frau, die einstmals eine ihrer Freundinnen und Verbündeten gewesen war und deren Ehemann als einziger der Familie, den Mut besessen hatte, seine Frau in Sicherheit zu bringen. Und sich damit dem Imperator widersetzte, obwohl ihm klar gewesen sein musste, welche Folgen es für ihn persönlich hätte, wäre er nicht erfolgreich gewesen.

Remya erwiderte ihre Umarmung herzlich und zeigte ihr die gleiche Zuneigung, wie früher. Als sie sich endlich von Tiripa löste, wies sie auf die beiden Jüngeren. „Ich möchte dir deine Verwandten Cateal und Xyson vorstellen, Imperatra. Wahrscheinlich bist du schon darauf gekommen, dass die Zwillinge die Kinder deines Bruders sind. Ich bitte dich, meine Tochter und meinen Sohn zu begrüßen.“


Ende
 
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