Mandy

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lietzensee

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Mandy​

Sie war eine seltsame Frau, dachte er und beobachtete, wie sie den Löffel zum Mund führte. Den Brocken Kartoffel darauf sah sie aufmerksam, fast fragend an.
Natürlich waren alle Frauen seltsam. Das wusste er, denn er hatte schon vielen so gegenübergesessen, getrennt durch Teller und fettige Speisekarten. Vielleicht waren es zu viele gewesen. Auf jeden Fall waren es zu viele Frauen, um sich an einzelne Namen zu erinnern. Ihr Blick aber stach heraus.
Das Gespräch mit ihr strengte ihn an, doch geriet es nie ins stocken. Ob ihm nie aufgefallen sei, was Handschuh für ein lustiges Wort ist? Nein, das war ihm nie aufgefallen. Er war nie auf die seltsame Idee gekommen, über die Namen von Kleidungsstücken nachzudenken. Andererseits, ein Schuh für die Hände ...
Sie redete viel, zumindest das war ihm von solchen Essen vertraut. Sie erzählte, was sie in Büchern gelesen und auf der Straße gehört hatte. Bücher hatte sie viele gelesen und war durch Straßen von Städten und Dörfern gestreunt. Nahe der Warschauer Universität gab es ein kleines Restaurant, das nur Pirogen servierte. Er nickte und hörte auf das Schmatzen ihrer Lippen. Bekam man dort einen Tisch, sollte man unbedingt Murzynek Bamboo zum Nachtisch bestellen.
Hatten ihre Augen einen leichten Silberblick? Vielleicht wirkte ihr Ausdruck deshalb so seltsam. Er studierte ihre Züge in der schummrigen Beleuchtung. Ihr Blick wirkte eher unheimlich. Schwer zu sagen, ob ihre Augen braun oder grau waren. Ihr Blickt wirkte interessant, das war es. Genau genommen wirkte er anziehend.
"Warum guckst du mich so an?", fragte sie und lachte. Die Frage durchbohrte ihn mit der Kraft ihres linken Auges. Da fühlte er Blut in seinem Kopf aufsteigen und kam ins Stottern, als er das Thema zu wechseln versuchte. Sie schien sich daran nicht zu stören.
Jetzt sprach er darüber, was ihn bewegte. Er selbst war erstaunt. Sie nickte, den Blick auf ihn gerichtet. Er kam in Fahrt und winkte nur flüchtig, als der Kellner Schokoladenkuchen zwischen sie stellte. Noch nie hatte er so intime Ängste bei einem Rendezvous offenbart: "... am Ende müssen wir eh alle sterben!"
Da verriet ihr Lächeln, dass sie ihn für einen seltsamen Mann hielt. "Aber vor unserem Tod müssen wir alle leben", war ihre Antwort. Sie schmatzte sinnlich. Dann streckte sie ihre Hand über den Tisch.
 
Zuletzt bearbeitet:

Matula

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Hallo lietzensee,

eine hübsche Geschichte über Befremden und Beklommenheit bei der ersten Begegnung, über den Blick in eine andere Welt, von der man nicht weiß, ob sie einem guttun wird oder nicht. Aus meiner Sicht könnte sie etwas "elaborierter" sein.

Liebe Grüße,
Matula
 

petrasmiles

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Ein bisschen viel 'seltsam' im Text ... aber dafür hat es sich gelohnt, ihn zu lesen:
Noch nie hatte er so intime Ängste bei einem Rendezvous offenbart: "... am Ende müssen wir eh alle sterben!"
Da verriet ihr Lächeln, dass sie ihn für einen seltsamen Mann hielt. "Aber vor unserem Tod müssen wir alle leben", war ihre Antwort.
 

lietzensee

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Hallo Matula,
vielen Dank für Antwort und Bewertung! Es freut mich, dass dir die Geschichte gefällt. Wahrscheinlich könnte man sie noch aufbohren. Aber ich glaube, die Erzählweise im Gedankenstrom würde bei längerem Text und mehr Handlung dann auf die Nerven fallen.

Hallo Petra,
vielen Dank für deine Antwort! Freut mich, dass dich da etwas im Text ködern konnte. Ich verwende gern ein Wort als Leitmotiv, dass ich dann von verschiedenen Seiten abklopfe. Manchmal verliere ich dabei etwas das Augenmaß. Ich hab den Text noch mal etwas überarbeitet und einige "Seltsame" gestrichen.

Viele Grüße
lietzensee
 

anbas

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Moin lietzensee,

für mich ist das ein schönes Stück Kurzprosa. Ich mag solche Texte, die trotz ihrer Kürze etwas erzählen, die Phantsie des Lesers anregen und gleichzeitig eine bestimmte Stimmung erzeugen.

Gern gelesen.

Liebe Grüße

Andreas
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Anbas, hallo Marc,
vielen Dank für euere Antworten. Sehr schön, dass euch der kurze Text gefallen hat.

Viele Grüße
lietzensee
 



 
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