Manöver im Südatlantik – fast ein Ramming Chapter 10

Als ich am Morgen aus der Koje steige, dieses Mal hat man uns schlafen lassen, hatte sich das Wetter aufgeklart. Noch immer ziehen Wolkenmassen über den Horizont, auch die Wellen sind hoch, aber man spürt den Hauch des Südens, irgendwie ist die Luft würziger, der Wind wärmer und das Licht heller geworden.

In diesem Moment heulen die Alarmsirenen durch das Schiff. Ich weiß, ich muss sofort auf die Brücke. Jim, Willi und ich erreichen fast gleichzeitig den Treppenaufgang. Wir melden uns an und übernehmen von den abzulösenden Kollegen die Positionen. Was war passiert?

Der 2-WO gibt bekannt, dass ein deutscher Frachter „May Day“ funkt. Wassereinbruch, das Schiff sinkt. Wir sind noch über 90 Seemeilen entfernt und müssen uns sputen. Der Maschinentelegraf liegt auf Halbe-Kraft und wir donnern mit 24 Knoten durch die wogende See, schneller geht es nicht, sonst würde der Kahn, bei diesem Seegang, auseinanderbrechen. Laufend kommen neue Meldungen über den Funkraum zu uns herein.

Fremde Schiffe melden sich, jeder will helfen. Andere Schiffe liegen günstiger zum Havaristen und jetzt beginnt das Wettrennen.
Die Informationen über den Frachter sagen aus, dass auch Frauen an Bord sind. Wie wir später erfahren, wurde bei den Seelords ausgelost, wer die Damen in Empfang nehmen und betreuen darf. Es ist schon ein verrückter Haufen.

Bei der Geschwindigkeit ist es für mich als Rudergänger einfach, das Schiff auf Kurs zu halten, denn die hohe Geschwindigkeit lässt es kaum zu, dass der Kahn zu irgendeiner Seite ausbrechen kann.
Er hechelt, wie ein Hund, der eine Fährte aufgespürt hat, durch die See und die Erschütterungen, wenn das Schiff, das aus den Wellen förmlich herausschießt, mit seinem Leib aus Stahl auf das Wasser aufschlägt, lässt sich nur durch Abfedern in den Knien ausgleichen. Wir sind noch ca. 20 Seemeilen vom Frachter entfernt, als über BÜ, der Bordübermittlung, die Information kommt, dass der Alarmzustand aufgehoben ist.

Ein russischer Frachter lag näher und hat die Besatzung aufgenommen. Manch einer der Jungs auf Deck wird sich vielleicht ärgern, wir auf der Brücke, die wir die Hektik im Funkverkehr der helfenden Schiffe und die Angst des Havaristen mitbekommen haben, freuen uns, dass alles gutgegangen ist. Die Geschwindigkeit wird zurückgenommen und die Kurskorrektur folgt sofort nach. Wir sechs Gasten, die wir für den Alarmeinsatz zuständig sind, werden wieder abgelöst durch das normale Wachpersonal.

*​
Die Tage vergehen, wir stecken voll im Manöver. Fast jedes der zur NATO gehörigen Länder hat Einheiten in den Atlantik beordert. Die Fläche, die wir unter strategischen Gesichtspunkten befahren, muss riesig sein, denn viele fremde Einheiten bekommen wir nicht zu sehen.
Aus der Bordzeitung erfahren wir, dass wir südlich der Azoren kreuzen und mit U-Boot Angriffen rechnen müssen. Bei meinen Rudergängen bekomme ich das zu spüren. In wilden, für mich unverständlichen Manövern steuern wir Kurse, als wäre der Teufel hinter uns her und auf der Brücke herrscht Aufregung.

Es ist Nacht und wir fahren im Verdunklungszustand, das heißt, niemand kann uns sehen, ist ja auch klar, schließlich spielen wir Krieg. Wir werden von allen Seiten seit geraumer Zeit angefunkt, unser Kennzeichen ist Delta-Bravo-Zulu-Quebec.
„Da wird über Funk aber eine Menge gequatscht“, bemerke ich flüsternd zu Jim. Auf dem Radar haben sich verschiedene Punkte versammelt, einige können wir leicht ausmachen, sie gehören zu unserem Geschwader und die spielen natürlich mit, andere Punkte sind uns unbekannt und die dürfen nicht mitspielen, denn das sind normale Schiffe, vielleicht Tanker, Passagierdampfer oder Containerschiffe und denen gilt es auszuweichen.

Aber sehen können die uns auch nicht. Wir halten Abstand, so gut wie es die Situation zulässt, dürfen uns aber von unserem Treiben nicht abhalten lassen. Mit der Zeit werden die grünen Punkte auf dem Radarschirm zu guten Bekannten, denn an ihrer geradlinigen Route kann man sie zuordnen, schließlich läuft ja alles wie in Zeitlupe ab.

Es muss doch mit dem Teufel zugehen, wenn man auf diesem riesigen Meer nicht im kommoden Abstand aneinander vorbeifahren kann. So verging einige Zeit und es scheint, als würden sich alle Einheiten, sei es die christliche Seefahrt oder die Kriegsschiffe, friedlich voneinander trennen lassen.

Nur einer der Punkte, aber das merken wir erst spät, tanzt etwas aus der Reihe. Er liegt, kaum zu glauben, auf Kollisionskurs und das zu einem Zeitpunkt, wo sich auf unserer Brücke die Aufgaben häufen, die Meldungen über Funk nicht abreißen, wir immer wieder Ausweichmanöver fahren müssen, weil sich U-Boote anschicken, uns über eine Zangenbewegung, in eine gute Abschussposition zu bringen.

Da kann es doch nicht sein, dass so ein Spielverderber, nur weil er auf Kollisionskurs liegt, glaubt, er könne einen Zerstörer der Deutschen Bundesmarine dazu zwingen, seinen Kurs zu ändern, um uns damit, bei einem, auch von allem anderen ernst genommenen Kriegsspiel, in eine ungünstige Position zu bringen. Nein, das können wir nicht leiden. Also fahren wir weiter, auf Kollisionskurs. Ich halte meine, vom Kompass vorgegebene Richtung bei, denn ich habe meinen Befehl.

Ab und zu werden Unterwasserraketen im weiten Bogen über das Vorschiff abgefeuert. 24 dieser Raketen fliegen gleichzeitig aus einer Stahlkiste nicht unähnlich einem Kasten Limonade. Sie belegen schachbrettartig ein weites Feld, links und rechts vor dem Zerstörer, sie sinken ab und detonieren gleichzeitig.

Schmale, aber hohe Wasserfontänen steigen in den Himmel. Es dauert noch einige Zeit und der grüne Punkt auf dem Radar näherte sich als Querläufer weiter unserem Kurs. Wir Gasten sehen das, aber keiner der Offiziere reagiert, sie sind alle viel zu beschäftigt.

Erst dann, als plötzlich eine laute Stimme, sie ist tief und fordernd, über die Freisprechanlage, in Englisch, mit spanischem Akzent, unmissverständlich fragt, was sich bei uns abspiele. Da werden sie plötzlich wach auf der Brücke, sie versuchen zu realisieren was geschehen ist. Aber alles läuft im Schneckengang ab, alles geht viel zu langsam, man ist ja noch tief in der Abwehrbewegung des Schiffes versunken.

Und dann passiert es, dass was jetzt geschieht, werde ich in meinem Leben nicht vergessen. Es kommt wie ein Blitzeinschlag. Ein Hornsignal, laut, drohend und Vorfahrt fordernd. Ich schaue über mein vertrautes Licht, vorne am Bug, hinaus ins schwarze Nichts. In diesem Moment geht vor unserem Bug, nur unweit entfernt, plötzlich eine Wand mit Lichtern an, so lang und so hoch, dass ich den oberen Rand des Schiffes, durch unsere Scheibe kaum sehen kann.

Es gibt keine Schwärze mehr, ich bin wie geblendet. Ein riesiger Passagierdampfer steht da vor uns, er hat sich wohl nicht anders zu helfen gewusst, sich vielleicht gedacht, wir müssen es diesen Idioten zeigen, wer wir eigentlich sind.
Dieses Schiff ist gewaltig, ich sehe unendliche Fensterreihen und alle hell erleuchtet. Das Schiff ist so riesig, dass wir bei ihm glatt in der Kategorie Beiboot eingestuft würden.

Ich bin so erschrocken, dass ich fast das Steuer verreiße, aber das darf ich nicht, also steuere ich weiter auf Kollisionskurs, auf den Dampfer zu, ich bekomme aber sofort das Kommando hart Steuerbord. Selten habe ich einen Befehl so schnell umgesetzt wie in diesem Moment.
 



 
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