ansichten eines fisches
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„Marie! Marie?“, es klopfte heftig an der Türe.
Jacques? Jacques, bist du es?
Marie öffnete die Türe, sie hatte Jacques seit über einem halben Jahr nicht mehr gesehen und sie fiel ihm sofort den Hals, so freute sie sich über diesen Besuch. Jacques war selbst überwältigt und es platzt aus ihm heraus: „Weißt du, wie lange ich gebraucht habe um herauszufinden, wo du wohnst? Wie geht es dir denn? Wie ist es dir ergangen?“. Marie freute sich sehr, Jacques war ihr in den letzten Jahren ein wichtiger Kamerad und vertrauter Freund geworden und so bat sie den überraschenden Besuch in die Wohnung. „Tante Louise, schau mal, das ist Jacques, er ist von der Einheit, bei der ich die letzten Jahre verbracht habe! Erinnerst du dich, ich habe dir schon so viel von ihm erzählt!“ So setzten sie sich an den Tisch in der Küche und die gegenseitige Neugier aufeinander löste die Zungen und sie redeten und redeten, von den alten Zeiten, die erst drei Jahre zurücklagen, von den Erlebnissen, die sie teilten und schließlich von den letzten Monaten. Standen am frühen Nachmittag noch Kaffee und Gebäck auf dem Tisch, so übernahm bald der Wein überhand, die Gespräche wurden spontaner und die Gedanken weniger kontrolliert. Schließlich fragte Jacques breit grinsend: „Na, Marie, wie stehts denn mit den Männern?“. Marie zuckte innerlich zusammen, Jacques kannte sie ja und ihre Geschichte, aber er ahnte wahrscheinlich nichts von dem, was es von ihr verlangt hatte, über die Jahre hinweg, die unnahbare, tapfere, harte Frau, der Kumpel und Kamerad zu sein – oder auch zu spielen, als die er sie kannte. Er selbst war verheiratet, hatte drei kleine Kinder und Marie wusste, dass er sie immer als so etwas wie eine kleine Schwester betrachtete, die er eigentlich im Glück sehen wollte. Sie nahm seine Frage also nicht als Provokation, biss innerlich die Zähne zusammen, lächelte und sagte: „Jacques, du kennst mich, das ist nicht so einfach für mich. Was meinst du denn, wie ich die letzten Jahre erlebt hatte? Ich weiß, ihr mochtet mich alle, aber ich wollte euren Respekt. Dazu musste ich so sein wie ihr. Ich musste mit euch saufen, rauchen, kämpfen, hart sein. Ich war Soldat, wie ihr, wie konnte ich da gleichzeitig eine Frau sein?“. Sie - und wohl auch Jacques wusste, dass sie in vielem nicht dem entsprach, was sich Männer von einer Frau erwarteten und auch, dass sie nicht mehr bereit war, ihr Leben künftig dem eines Mannes unterzuordnen und sie ahnte, dass es auch ihr Ich war, welches viele Männer nicht mehr akzeptieren wollte, weil sie sich diesen überlegen fühlte. Weil Jacques Marie mochte, ermunterte er sie mehr zu erzählen und er hörte er ihr aufmerksam zu. Und so erzählte sie ihm noch einmal ihre Geschichte und weil sie vieles, was Jacques schon wusste nicht erwähnte, sei es hier auch noch ergänzt. Er hörte, auch wenn er vieles schon kannte, von einem jungen Mädchen, welches mit seinem Vater eine Flugschau besuchte. Das war damals etwas Unerhörtes, etwas Spektakuläres, etwas, was die Menschen noch nie gesehen hatten. Sie war von diesen Fluggeräten begeistert, fasziniert, ja, infiziert und sie träumte davon, in einer dieser Maschinen zu sitzen und den Himmel zu streifen. Weil der Vater selber von den rasanten technischen Entwicklungen seines Zeit angetan war und weil er seine einzige Tochter sehr liebte, wollte er ihr diesen Traum erfüllen. Er war ein gut situierter Beamter, hatte seine Tochter erst recht spät bekommen und so unterstützte er sie wo er nur konnte mit Zuspruch und Geld und mit seiner Autorität als höherer Beamter, wenn es wieder mal hieß, dass so etwas wie das Fliegen nichts für Mädchen sei. Ihr Vater fragte viel herum und so erfuhr er von einer eine Gruppe von Ingenieuren die außerhalb der Stadt, in der sie wohnten eine Firma gegründet hatten, in der sie genau solche Flugmaschinen entwickelten und erprobten. Und so fand der Vater eine Möglichkeit seine Tochter ganz nah an ihren Traum zu bringen. Marie war begeistert und kam, so oft es ihr möglich war. Die Strecke war mit ihrem Fahrrad gut in einer Stunde zu bewältigen. Da die Ingenieure die junge Dame mochten ließen sie sie immer wieder einmal mitfliegen. Schließlich ließen sie sie selbst an das Steuer einer dieser Maschinen und so lernte Marie zu fliegen. Ihr Vater traute sich einmal mit ihr zu fliegen und er platzte vor Stolz auf seine Tochter, das erste Mädchen in der Stadt, im Land, ja, auf der Welt, die so etwas konnte. Marie wurde Älter und ging in eine größere Stadt. Dort sollte sie eine weiterführende Schule besuchen, schließlich sollte sie eine Lehrerin werden. Auch das war ungewöhnlich zu dieser Zeit, aber ihr Vater meinte wollte seiner Tochter unbedingt die Möglichkeit geben einen eigenen Beruf zu erlernen. Und er war stolz auf seine Tochter. Zugegeben, Lehrerin war nicht ihr Traumberuf, aber es war für eine Frau in ihrer Stellung akzeptabel – und darauf musste schließlich auch Rücksicht genommen werden. Das was sie eigentlich interessierte – die modernen Wissenschaften, die sich so rasant entwickelten, das Ingenieurwesen blieben ihr als Frau verschlossen.
In diesem Sommer brauten sich dunkle Wolken über der Welt zusammen und schließlich brach Krieg aus. Der Feind drang schnell und unbarmherzig vor und schon schien das ganze Land bedroht. Schließlich gelang es, unter Aufwand der letzten Kräfte den Vormarsch zu stoppen. Und dieser Vormarsch kam dort zum Halt, wo sich ihre Heimatstadt befand. Sie verlor den Kontakt zu ihrer Familie und erfuhr erst Monate später vom Artilleriebeschuss, der ihr Elternhaus, wie die halbe Stadt in Trümmer legte und ihre Eltern darunter begrub. Marie fühlte sich ohnmächtig in ihrer Wut und Trauer. Schließlich zog zu einer Tante, etwas entfernt von der Front und aber näher an dem, was sie verloren hatte. Um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, begann sie dort nun Schüler zu unterrichten, deren Lehrer in den Krieg gezogen waren
Nicht weit von der kleinen Stadt, in der ihre Tante wohnte befand sich ein Feldflugplatz. Marie konnte ihn gut mit dem Fahrrad erreichen und so fuhr sie immer wieder dort hin und beobachtete den Flugbetrieb. Bei jedem Abflug hoben ihre Träume mit ab und es war ihr ein Trost in dieser Zeit, ihre Gedanken mit den Fliegern zu schicken. Es machte ihr außerdem Mut, zu sehen, wie diese Männer sich einsetzten, um ihr Land zu verteidigen und in ihr wuchs der Wunsch, sie darin zu unterstützen.
Die Soldaten ihrerseits wurden bald auf die junge Frau aufmerksam und sie freundeten sich mit ihr an. Es war nicht nur ihr freundliches Wesen, es war ihnen eine Freude und ein Bedürfnis über das was sie Taten und was sie täglich beschäftigte mit einer jungen Frau reden zu können. Viele trauten sich mit einer Frau offener darüber sprechen was sie belastete, die Sorgen, die sie mit sich trugen und darüber wovor sie Angst hatten. Ihre Frauen und Freundinnen befanden sich ja oft sehr weit weg – und viele Soldaten waren froh, überhaupt mit einer Frau sprechen zu können. Gleichzeitig schätzten sie es, ein Gegenüber auf Augenhöhe zu haben – denn sie kannte sich ja mit dem Fliegen aus und teilte ihre Leidenschaft dafür.
Es dauerte auch nicht sehr lange, bis die Piloten ihr das Angebot machten, doch einmal mitzufliegen, es gab ja genügend ungefährliche Routine- oder Verbindungsflüge. Schließlich trauten sie ihr sogar zu, selbst zu einmal fliegen.
Marie verbrachte nun fast jeden Tag an „ihrem“ Flugplatz und viele der Soldaten wurden ihr gute und enge Freunde. Schließlich meinte sie sogar, ein Stück von dem zurück zu bekommen, was sie so schmerzlich verloren hatte - eine Familie – mit lauter „Brüdern“ zwar- aber ein Ort mit Menschen, denen sie sich verbunden fühlte.
Die Vorgesetzten durften davon natürlich nichts wissen -aber eine Familie hält zusammen.
Mit der Zeit wurde es nun immer selbstverständlicher, dass Marie Flüge übernahm, solange sie ungefährlich erschienen. Es blieb aber nicht lange aus, da begegnete sie in der Luft einem feindlichem Flugzeug. Es hielt auf sie zu und nahm sie unter Beschuss. Marie schaffte es mit gewagten Manövern und knapper Not zu entkommen und sie landete unbeschadet auf dem Stützpunkt. Zu ihrer Verwunderung war es weniger die Angst, die sie in diesen Momenten bestimmte, es war eine nie gekannte Art der Erregung, ja fast ein Rausch und dennoch konnte sie ungewöhnlich klar denken und fokussiert handeln. Marie hatte nun immer wieder solche Begegnungen während ihrer Flüge und sie ergriff nun nicht mehr die Flucht, sie suchte sie förmlich. Sie merkte, dass sie eine gewisse Gabe hatte, die Flugmanöver der Feinde vorauszuahnen und so fühlte sie sich in diesen Duellen immer sicherer, ja es gab Situationen, da spielte sie mit ihren Gegnern. Schließlich begann sie das Maschinengewehrfeuer zu erwidern. Es löste in ihr fast ein Hochgefühl aus, sich nach einem kurzen „Balgen“ der Flugzeuge in der Luft, hinter den Feind zu klemmen und ihn mit einigen Salven in die Flucht zu treiben. Sie fühlte sich in solchen Momenten mächtig, unverwundbar, ja fast euphorisch. Ihre Kameraden entwickelten einen großen Respekt, ja Hochachtung vor ihren Fähigkeiten.
Der Standortkommandant, der Marie sehr schätzte aber das Geschehen vor seinen Vorgesetzten zu verbergen suchte – ein weiblicher Kampfpilot, eine Frau im Kampfeinsatz – das war undenkbar, nicht verhandelbar, in der glorreichen französischen Armee nicht vorgesehen – gab ihr zur Tarnung eine Stelle in der Standortküche. So konnte sie ihre Stelle an der Schule aufgeben und bekam ein Dienstzimmer, eine winzige Kammer auf dem Stützpunkt zur Verfügung gestellt und sie konnte jeden Tag fliegen. Natürlich wurde sie nie in der Küche gesehen. Marie trug die Haare nun kurz, um unter den anderen Piloten nicht aufzufallen – wenn doch jemand unangemeldet zur Inspektion kam.
Marie identifizierte sich immer mehr mit ihrer Rolle als Soldat und so begann sie in den Luftkämpfen „ernst“ zu machen. Sie verteidigte ihre Heimat, sie wollte Vergeltung für die Vernichtung ihrer Stadt, ihrer Familie. Und so begnügte sie sich nicht mehr, die Gegner aus dem Luftraum zu vertreiben, sie verfolgte sie und schoss sie vom Himmel. Jeder Feind, der zu Boden musste war ihr Genugtuung. Und sicher waren viele dabei, die nie mehr aufstanden und das war gut so.
Der Krieg indes ging weiter und es war kein Ende abzusehen. Immer wieder gab es nun auch Luftkämpfe, in denen sie nicht schaffte, den Gegner niederzuringen, Kämpfe, aus denen sie nur mit knapper Not davonkam.
Immer mehr der Kameraden, die ihre vertrauten Freunde waren kamen von ihren Einsätzen nicht mehr zurück. Es kamen dafür viele neue, junge Piloten, für die war sie aber nicht mehr die junge offene Frau die ihnen zuhörte sondern eine Institution, ein Mysterium – keine Freundin. Gerade die jungen Piloten, kaum drei, vier Jahre jünger als sie, waren auch diejenigen, die am schnellsten vom Himmel fielen. Marie veränderte sich, so wie der Krieg alle veränderte. Die Routine des Tötens und Sterbens, die Ängste, die jetzt in unpassenden Momenten hervorkrochen, die Ermüdung angesichts der Unveränderlichkeit. Die Faszination des Fliegens war verflogen, sie war einem bleiernen Gefühl der Pflichterfüllung gewichen, einer abgeklärten Vorsicht, das eigene Leben nicht unnötig zu riskieren. Marie musste sich immer mehr zusammennehmen, zusammenhalten um das alles zu ertragen, sie wurde schweigsamer und teilte mit ihren Kameraden immer mehr Flaschen Wein und Branntwein und Zigaretten um für Momente die Seele, den Mund und die Ohren zu öffnen. Manchmal lächelte sie immer noch, manchmal, wenn sie allein war, überkam sie ein unkontrollierbares Zittern.
Sie konnte froh sein, dass sie nie bei den Kommandos dabei war, die die Absturzstellen nach den Luftkämpfen inspizierten, die zerstörten, entstellten, manchmal verbrannten Reste der Körper identifizierten, die einmal ihre Freunde waren– oder ihre Feinde.
Als die Lage ans Unerträgliche grenzte, als man sich auf das Durchhalten in einem weiteren trostlosen Winter einrichtete, kam die Nachricht, dass der Feind aufgab. Der Krieg war gewonnen. Marie wusste kaum, was sie fühlen sollte, sicher sie schloss sich dem unmittelbaren Jubel der Kameraden an – wer jetzt noch lebte durfte es bleiben, vielleicht alt werden – ihr kam aber auch der Gedanke, dass ihr Weg nun zu Ende war. Sie, die Kriegsheldin, die Soldatin, die Kameradin, durfte nicht länger sein. Und so kündigte eine Küchenkraft auf einem französischen Militärflugplatz, zog zu ihrer Tante in die nahe Stadt und unterrichtete wieder Kinder. Zu viele Lehrer kehrten nicht mehr in ihre Schulen zurück und sie wurde nun gebraucht um Frankreichs Zukunft aufzubauen.
„Ja, Jacques und nun bin ich hier, eine Lehrerin, alleine mit meiner Tante, meinen Familien entrissen. Verlassen, ausgebrannt, ich bin so hart geworden. Ich zittere immer noch, wenn ich alleine bin. Und du fragst mich nach den Männern?!“ Marie weinte. „Marie, das tut mir leid, vieles habe ich so noch nie gesehen, vieles habe ich so nicht gewusst.“ Und er nahm sie in den Arm und versprach ihr, dass er diejenigen, die noch lebten zusammenholen wolle, dass sie immer noch einen Teil ihrer Familie hätte. Er erzählte ihr, dass er diese Veränderung im Kriege ganz ähnlich erlebt hätte, dass er auch immer noch zu viel Wein bräuchte, dass er zu Hause manchmal auf seine Kinder und seine Frau losging, obwohl er es nicht wollte – „die Nerven sind schwach geworden in den Jahren“. Und dann er erzählte weiter: „Weißt du, ich arbeite zurzeit auf dem Flugplatz der Engländer, der unserem benachbart war. Der wird im Moment abgebaut und dort brauchen sie Verbindungspersonal. Und weißt du, ich habe das Gefühl, die ticken völlig anders als wir. Die sahen den Krieg anscheinend als sportlichen Wettbewerb. Einer von ihnen hat einen deutschen Piloten eingeladen, einen hochdekorierten Offizier, einen dieser bornierten preußischen Adligen. Weißt du, wie viele der von uns auf dem Gewissen hat? Er soll nächste Woche kommen.“ Er erregte sich zunehmend über diese Geschmacklosigkeit der Briten.
Es war spät am Abend, als Jacques ging und er ließ Marie aufgewühlt zurück. Natürlich hatte sie sich über seinen Besuch sehr gefreut – aber die ganzen Erinnerungen ließen ihr keine Ruhe – und dann noch die Geschichte mit dem Deutschen. Es arbeitete in ihr. Marie konnte die Nacht wieder nicht schlafen und sie scherte sich ihre Haare kurz.
Am Tag, für dem der deutsche Besuch angekündigt war fuhr mit ihrem Rad zu diesem Flugplatz. Sie ging den Briten aus dem Wege und suchte Jacques. Sie standen etwas abseits, als ein Handvoll alkoholisierter Männer aus dem Zigarettenqualm des Standortkasinos kam. „Ist er das?“ fragte Marie. „Ich glaube schon“ erwiderte Jacques. „Was machen sie den jetzt? Wollen sie ihn noch fliegen lassen?“ Marie war entsetzt.“ Jacques, das darf nicht sein, ich durfte seit einem halben Jahr nicht mehr fliegen und diesen Boche heben sie in ein Flugzeug?!“. Jacques war selbst entsetzt. Nachdem der Deutsche abgeflogen war und die Engländer wieder ins Kasino gegangen waren, sagte Jacques: „Marie komm, da sind noch mehr Maschinen, die flugbereit sind! Ich helfe dir“. Marie strahlte.
Sie war nur kurz in der Luft, als sie das Flugzeug des Deutschen entdeckte. Sie flog auf ihn zu, klemmte sich hinter ihn. Und da war es wieder, die Wut, der Rausch, diese sonderbare Erregung. Sie eröffnete das Feuer und jeder Schuss, jede Salve war ihr eine tiefe Genugtuung. Der Andere war keine leichte Beute und flog riskante Manöver um ihr zu entkommen. Sie ließ nicht ab von ihm, folgte jedem Ausweichmanöver. Einmal geriet sie zu tief an den Boden, es gab einen heftigen Schlag, irgendetwas musste kaputt gegangen sein. Das Flugzeug ließ sich kaum noch kontrollieren und sie schaffte es gerade noch, es auf einem Feld zu Boden zu bringen. Sie erlitt bei der Landung schmerzhafte Prellungen und Schürfwunden. Sie taumelte aus dem Flugzeug, kaum noch fähig zu denken, als dieses hinter ihr zu brennen begann. Sie schleppte sich noch einige Meter bis zu einem Baum, dann brach sie in sich zusammen. Das Zittern nahm überhand und sie begann hemmungslos zu weinen. Tausende Gedanken schossen ihr noch durch den Kopf, die Wut, die Trauer, die Blamage und was das alles für Konsequenzen hätte. Nie mehr hätte sie die Möglichkeit ein normales Leben zu führen, nie mehr würde sie fliegen können. Dann trat eine bleischwere Leere in ihren Kopf.
Nach ein Weile merkte sie, dass eine Person an sie herantrat, es musste wohl der dieser deutsche Pilot sein. Unfähig zu einer Regung oder zu einem Wort verharrte sie in sich gekauert. Nach einer Weile griff eine Hand nach der ihren. Es war die Hand eines Menschen, nicht die eines Feindes und sie war warm und sie hielt sie im Leben. Und so erwiderte sie den Griff und so saßen sie, schweigend bis in den Abend, bis ein Auto mit britischen Soldaten heranfuhr und sie aufnahm.
Die Nacht war schwarz und sie hatte keine Träume, keine Erinnerung. Am Morgen war lag sie wach, als der Deutsche in ihren Raum trat, sich zu ihr setzte und ihr die Hand reichte. Diesmal fand Marie Worte und sie begann mit ihm zu sprechen. Zu ihrer Überraschung sprach er ein passables Französisch und sie fragte ihn wer er war und woher er kam und er erfuhr die Geschichte eines Mädchens, das mit seinem Vater vor vielen Jahren eine Flugschau in Nordfrankreich besuchte.
Jacques? Jacques, bist du es?
Marie öffnete die Türe, sie hatte Jacques seit über einem halben Jahr nicht mehr gesehen und sie fiel ihm sofort den Hals, so freute sie sich über diesen Besuch. Jacques war selbst überwältigt und es platzt aus ihm heraus: „Weißt du, wie lange ich gebraucht habe um herauszufinden, wo du wohnst? Wie geht es dir denn? Wie ist es dir ergangen?“. Marie freute sich sehr, Jacques war ihr in den letzten Jahren ein wichtiger Kamerad und vertrauter Freund geworden und so bat sie den überraschenden Besuch in die Wohnung. „Tante Louise, schau mal, das ist Jacques, er ist von der Einheit, bei der ich die letzten Jahre verbracht habe! Erinnerst du dich, ich habe dir schon so viel von ihm erzählt!“ So setzten sie sich an den Tisch in der Küche und die gegenseitige Neugier aufeinander löste die Zungen und sie redeten und redeten, von den alten Zeiten, die erst drei Jahre zurücklagen, von den Erlebnissen, die sie teilten und schließlich von den letzten Monaten. Standen am frühen Nachmittag noch Kaffee und Gebäck auf dem Tisch, so übernahm bald der Wein überhand, die Gespräche wurden spontaner und die Gedanken weniger kontrolliert. Schließlich fragte Jacques breit grinsend: „Na, Marie, wie stehts denn mit den Männern?“. Marie zuckte innerlich zusammen, Jacques kannte sie ja und ihre Geschichte, aber er ahnte wahrscheinlich nichts von dem, was es von ihr verlangt hatte, über die Jahre hinweg, die unnahbare, tapfere, harte Frau, der Kumpel und Kamerad zu sein – oder auch zu spielen, als die er sie kannte. Er selbst war verheiratet, hatte drei kleine Kinder und Marie wusste, dass er sie immer als so etwas wie eine kleine Schwester betrachtete, die er eigentlich im Glück sehen wollte. Sie nahm seine Frage also nicht als Provokation, biss innerlich die Zähne zusammen, lächelte und sagte: „Jacques, du kennst mich, das ist nicht so einfach für mich. Was meinst du denn, wie ich die letzten Jahre erlebt hatte? Ich weiß, ihr mochtet mich alle, aber ich wollte euren Respekt. Dazu musste ich so sein wie ihr. Ich musste mit euch saufen, rauchen, kämpfen, hart sein. Ich war Soldat, wie ihr, wie konnte ich da gleichzeitig eine Frau sein?“. Sie - und wohl auch Jacques wusste, dass sie in vielem nicht dem entsprach, was sich Männer von einer Frau erwarteten und auch, dass sie nicht mehr bereit war, ihr Leben künftig dem eines Mannes unterzuordnen und sie ahnte, dass es auch ihr Ich war, welches viele Männer nicht mehr akzeptieren wollte, weil sie sich diesen überlegen fühlte. Weil Jacques Marie mochte, ermunterte er sie mehr zu erzählen und er hörte er ihr aufmerksam zu. Und so erzählte sie ihm noch einmal ihre Geschichte und weil sie vieles, was Jacques schon wusste nicht erwähnte, sei es hier auch noch ergänzt. Er hörte, auch wenn er vieles schon kannte, von einem jungen Mädchen, welches mit seinem Vater eine Flugschau besuchte. Das war damals etwas Unerhörtes, etwas Spektakuläres, etwas, was die Menschen noch nie gesehen hatten. Sie war von diesen Fluggeräten begeistert, fasziniert, ja, infiziert und sie träumte davon, in einer dieser Maschinen zu sitzen und den Himmel zu streifen. Weil der Vater selber von den rasanten technischen Entwicklungen seines Zeit angetan war und weil er seine einzige Tochter sehr liebte, wollte er ihr diesen Traum erfüllen. Er war ein gut situierter Beamter, hatte seine Tochter erst recht spät bekommen und so unterstützte er sie wo er nur konnte mit Zuspruch und Geld und mit seiner Autorität als höherer Beamter, wenn es wieder mal hieß, dass so etwas wie das Fliegen nichts für Mädchen sei. Ihr Vater fragte viel herum und so erfuhr er von einer eine Gruppe von Ingenieuren die außerhalb der Stadt, in der sie wohnten eine Firma gegründet hatten, in der sie genau solche Flugmaschinen entwickelten und erprobten. Und so fand der Vater eine Möglichkeit seine Tochter ganz nah an ihren Traum zu bringen. Marie war begeistert und kam, so oft es ihr möglich war. Die Strecke war mit ihrem Fahrrad gut in einer Stunde zu bewältigen. Da die Ingenieure die junge Dame mochten ließen sie sie immer wieder einmal mitfliegen. Schließlich ließen sie sie selbst an das Steuer einer dieser Maschinen und so lernte Marie zu fliegen. Ihr Vater traute sich einmal mit ihr zu fliegen und er platzte vor Stolz auf seine Tochter, das erste Mädchen in der Stadt, im Land, ja, auf der Welt, die so etwas konnte. Marie wurde Älter und ging in eine größere Stadt. Dort sollte sie eine weiterführende Schule besuchen, schließlich sollte sie eine Lehrerin werden. Auch das war ungewöhnlich zu dieser Zeit, aber ihr Vater meinte wollte seiner Tochter unbedingt die Möglichkeit geben einen eigenen Beruf zu erlernen. Und er war stolz auf seine Tochter. Zugegeben, Lehrerin war nicht ihr Traumberuf, aber es war für eine Frau in ihrer Stellung akzeptabel – und darauf musste schließlich auch Rücksicht genommen werden. Das was sie eigentlich interessierte – die modernen Wissenschaften, die sich so rasant entwickelten, das Ingenieurwesen blieben ihr als Frau verschlossen.
In diesem Sommer brauten sich dunkle Wolken über der Welt zusammen und schließlich brach Krieg aus. Der Feind drang schnell und unbarmherzig vor und schon schien das ganze Land bedroht. Schließlich gelang es, unter Aufwand der letzten Kräfte den Vormarsch zu stoppen. Und dieser Vormarsch kam dort zum Halt, wo sich ihre Heimatstadt befand. Sie verlor den Kontakt zu ihrer Familie und erfuhr erst Monate später vom Artilleriebeschuss, der ihr Elternhaus, wie die halbe Stadt in Trümmer legte und ihre Eltern darunter begrub. Marie fühlte sich ohnmächtig in ihrer Wut und Trauer. Schließlich zog zu einer Tante, etwas entfernt von der Front und aber näher an dem, was sie verloren hatte. Um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, begann sie dort nun Schüler zu unterrichten, deren Lehrer in den Krieg gezogen waren
Nicht weit von der kleinen Stadt, in der ihre Tante wohnte befand sich ein Feldflugplatz. Marie konnte ihn gut mit dem Fahrrad erreichen und so fuhr sie immer wieder dort hin und beobachtete den Flugbetrieb. Bei jedem Abflug hoben ihre Träume mit ab und es war ihr ein Trost in dieser Zeit, ihre Gedanken mit den Fliegern zu schicken. Es machte ihr außerdem Mut, zu sehen, wie diese Männer sich einsetzten, um ihr Land zu verteidigen und in ihr wuchs der Wunsch, sie darin zu unterstützen.
Die Soldaten ihrerseits wurden bald auf die junge Frau aufmerksam und sie freundeten sich mit ihr an. Es war nicht nur ihr freundliches Wesen, es war ihnen eine Freude und ein Bedürfnis über das was sie Taten und was sie täglich beschäftigte mit einer jungen Frau reden zu können. Viele trauten sich mit einer Frau offener darüber sprechen was sie belastete, die Sorgen, die sie mit sich trugen und darüber wovor sie Angst hatten. Ihre Frauen und Freundinnen befanden sich ja oft sehr weit weg – und viele Soldaten waren froh, überhaupt mit einer Frau sprechen zu können. Gleichzeitig schätzten sie es, ein Gegenüber auf Augenhöhe zu haben – denn sie kannte sich ja mit dem Fliegen aus und teilte ihre Leidenschaft dafür.
Es dauerte auch nicht sehr lange, bis die Piloten ihr das Angebot machten, doch einmal mitzufliegen, es gab ja genügend ungefährliche Routine- oder Verbindungsflüge. Schließlich trauten sie ihr sogar zu, selbst zu einmal fliegen.
Marie verbrachte nun fast jeden Tag an „ihrem“ Flugplatz und viele der Soldaten wurden ihr gute und enge Freunde. Schließlich meinte sie sogar, ein Stück von dem zurück zu bekommen, was sie so schmerzlich verloren hatte - eine Familie – mit lauter „Brüdern“ zwar- aber ein Ort mit Menschen, denen sie sich verbunden fühlte.
Die Vorgesetzten durften davon natürlich nichts wissen -aber eine Familie hält zusammen.
Mit der Zeit wurde es nun immer selbstverständlicher, dass Marie Flüge übernahm, solange sie ungefährlich erschienen. Es blieb aber nicht lange aus, da begegnete sie in der Luft einem feindlichem Flugzeug. Es hielt auf sie zu und nahm sie unter Beschuss. Marie schaffte es mit gewagten Manövern und knapper Not zu entkommen und sie landete unbeschadet auf dem Stützpunkt. Zu ihrer Verwunderung war es weniger die Angst, die sie in diesen Momenten bestimmte, es war eine nie gekannte Art der Erregung, ja fast ein Rausch und dennoch konnte sie ungewöhnlich klar denken und fokussiert handeln. Marie hatte nun immer wieder solche Begegnungen während ihrer Flüge und sie ergriff nun nicht mehr die Flucht, sie suchte sie förmlich. Sie merkte, dass sie eine gewisse Gabe hatte, die Flugmanöver der Feinde vorauszuahnen und so fühlte sie sich in diesen Duellen immer sicherer, ja es gab Situationen, da spielte sie mit ihren Gegnern. Schließlich begann sie das Maschinengewehrfeuer zu erwidern. Es löste in ihr fast ein Hochgefühl aus, sich nach einem kurzen „Balgen“ der Flugzeuge in der Luft, hinter den Feind zu klemmen und ihn mit einigen Salven in die Flucht zu treiben. Sie fühlte sich in solchen Momenten mächtig, unverwundbar, ja fast euphorisch. Ihre Kameraden entwickelten einen großen Respekt, ja Hochachtung vor ihren Fähigkeiten.
Der Standortkommandant, der Marie sehr schätzte aber das Geschehen vor seinen Vorgesetzten zu verbergen suchte – ein weiblicher Kampfpilot, eine Frau im Kampfeinsatz – das war undenkbar, nicht verhandelbar, in der glorreichen französischen Armee nicht vorgesehen – gab ihr zur Tarnung eine Stelle in der Standortküche. So konnte sie ihre Stelle an der Schule aufgeben und bekam ein Dienstzimmer, eine winzige Kammer auf dem Stützpunkt zur Verfügung gestellt und sie konnte jeden Tag fliegen. Natürlich wurde sie nie in der Küche gesehen. Marie trug die Haare nun kurz, um unter den anderen Piloten nicht aufzufallen – wenn doch jemand unangemeldet zur Inspektion kam.
Marie identifizierte sich immer mehr mit ihrer Rolle als Soldat und so begann sie in den Luftkämpfen „ernst“ zu machen. Sie verteidigte ihre Heimat, sie wollte Vergeltung für die Vernichtung ihrer Stadt, ihrer Familie. Und so begnügte sie sich nicht mehr, die Gegner aus dem Luftraum zu vertreiben, sie verfolgte sie und schoss sie vom Himmel. Jeder Feind, der zu Boden musste war ihr Genugtuung. Und sicher waren viele dabei, die nie mehr aufstanden und das war gut so.
Der Krieg indes ging weiter und es war kein Ende abzusehen. Immer wieder gab es nun auch Luftkämpfe, in denen sie nicht schaffte, den Gegner niederzuringen, Kämpfe, aus denen sie nur mit knapper Not davonkam.
Immer mehr der Kameraden, die ihre vertrauten Freunde waren kamen von ihren Einsätzen nicht mehr zurück. Es kamen dafür viele neue, junge Piloten, für die war sie aber nicht mehr die junge offene Frau die ihnen zuhörte sondern eine Institution, ein Mysterium – keine Freundin. Gerade die jungen Piloten, kaum drei, vier Jahre jünger als sie, waren auch diejenigen, die am schnellsten vom Himmel fielen. Marie veränderte sich, so wie der Krieg alle veränderte. Die Routine des Tötens und Sterbens, die Ängste, die jetzt in unpassenden Momenten hervorkrochen, die Ermüdung angesichts der Unveränderlichkeit. Die Faszination des Fliegens war verflogen, sie war einem bleiernen Gefühl der Pflichterfüllung gewichen, einer abgeklärten Vorsicht, das eigene Leben nicht unnötig zu riskieren. Marie musste sich immer mehr zusammennehmen, zusammenhalten um das alles zu ertragen, sie wurde schweigsamer und teilte mit ihren Kameraden immer mehr Flaschen Wein und Branntwein und Zigaretten um für Momente die Seele, den Mund und die Ohren zu öffnen. Manchmal lächelte sie immer noch, manchmal, wenn sie allein war, überkam sie ein unkontrollierbares Zittern.
Sie konnte froh sein, dass sie nie bei den Kommandos dabei war, die die Absturzstellen nach den Luftkämpfen inspizierten, die zerstörten, entstellten, manchmal verbrannten Reste der Körper identifizierten, die einmal ihre Freunde waren– oder ihre Feinde.
Als die Lage ans Unerträgliche grenzte, als man sich auf das Durchhalten in einem weiteren trostlosen Winter einrichtete, kam die Nachricht, dass der Feind aufgab. Der Krieg war gewonnen. Marie wusste kaum, was sie fühlen sollte, sicher sie schloss sich dem unmittelbaren Jubel der Kameraden an – wer jetzt noch lebte durfte es bleiben, vielleicht alt werden – ihr kam aber auch der Gedanke, dass ihr Weg nun zu Ende war. Sie, die Kriegsheldin, die Soldatin, die Kameradin, durfte nicht länger sein. Und so kündigte eine Küchenkraft auf einem französischen Militärflugplatz, zog zu ihrer Tante in die nahe Stadt und unterrichtete wieder Kinder. Zu viele Lehrer kehrten nicht mehr in ihre Schulen zurück und sie wurde nun gebraucht um Frankreichs Zukunft aufzubauen.
„Ja, Jacques und nun bin ich hier, eine Lehrerin, alleine mit meiner Tante, meinen Familien entrissen. Verlassen, ausgebrannt, ich bin so hart geworden. Ich zittere immer noch, wenn ich alleine bin. Und du fragst mich nach den Männern?!“ Marie weinte. „Marie, das tut mir leid, vieles habe ich so noch nie gesehen, vieles habe ich so nicht gewusst.“ Und er nahm sie in den Arm und versprach ihr, dass er diejenigen, die noch lebten zusammenholen wolle, dass sie immer noch einen Teil ihrer Familie hätte. Er erzählte ihr, dass er diese Veränderung im Kriege ganz ähnlich erlebt hätte, dass er auch immer noch zu viel Wein bräuchte, dass er zu Hause manchmal auf seine Kinder und seine Frau losging, obwohl er es nicht wollte – „die Nerven sind schwach geworden in den Jahren“. Und dann er erzählte weiter: „Weißt du, ich arbeite zurzeit auf dem Flugplatz der Engländer, der unserem benachbart war. Der wird im Moment abgebaut und dort brauchen sie Verbindungspersonal. Und weißt du, ich habe das Gefühl, die ticken völlig anders als wir. Die sahen den Krieg anscheinend als sportlichen Wettbewerb. Einer von ihnen hat einen deutschen Piloten eingeladen, einen hochdekorierten Offizier, einen dieser bornierten preußischen Adligen. Weißt du, wie viele der von uns auf dem Gewissen hat? Er soll nächste Woche kommen.“ Er erregte sich zunehmend über diese Geschmacklosigkeit der Briten.
Es war spät am Abend, als Jacques ging und er ließ Marie aufgewühlt zurück. Natürlich hatte sie sich über seinen Besuch sehr gefreut – aber die ganzen Erinnerungen ließen ihr keine Ruhe – und dann noch die Geschichte mit dem Deutschen. Es arbeitete in ihr. Marie konnte die Nacht wieder nicht schlafen und sie scherte sich ihre Haare kurz.
Am Tag, für dem der deutsche Besuch angekündigt war fuhr mit ihrem Rad zu diesem Flugplatz. Sie ging den Briten aus dem Wege und suchte Jacques. Sie standen etwas abseits, als ein Handvoll alkoholisierter Männer aus dem Zigarettenqualm des Standortkasinos kam. „Ist er das?“ fragte Marie. „Ich glaube schon“ erwiderte Jacques. „Was machen sie den jetzt? Wollen sie ihn noch fliegen lassen?“ Marie war entsetzt.“ Jacques, das darf nicht sein, ich durfte seit einem halben Jahr nicht mehr fliegen und diesen Boche heben sie in ein Flugzeug?!“. Jacques war selbst entsetzt. Nachdem der Deutsche abgeflogen war und die Engländer wieder ins Kasino gegangen waren, sagte Jacques: „Marie komm, da sind noch mehr Maschinen, die flugbereit sind! Ich helfe dir“. Marie strahlte.
Sie war nur kurz in der Luft, als sie das Flugzeug des Deutschen entdeckte. Sie flog auf ihn zu, klemmte sich hinter ihn. Und da war es wieder, die Wut, der Rausch, diese sonderbare Erregung. Sie eröffnete das Feuer und jeder Schuss, jede Salve war ihr eine tiefe Genugtuung. Der Andere war keine leichte Beute und flog riskante Manöver um ihr zu entkommen. Sie ließ nicht ab von ihm, folgte jedem Ausweichmanöver. Einmal geriet sie zu tief an den Boden, es gab einen heftigen Schlag, irgendetwas musste kaputt gegangen sein. Das Flugzeug ließ sich kaum noch kontrollieren und sie schaffte es gerade noch, es auf einem Feld zu Boden zu bringen. Sie erlitt bei der Landung schmerzhafte Prellungen und Schürfwunden. Sie taumelte aus dem Flugzeug, kaum noch fähig zu denken, als dieses hinter ihr zu brennen begann. Sie schleppte sich noch einige Meter bis zu einem Baum, dann brach sie in sich zusammen. Das Zittern nahm überhand und sie begann hemmungslos zu weinen. Tausende Gedanken schossen ihr noch durch den Kopf, die Wut, die Trauer, die Blamage und was das alles für Konsequenzen hätte. Nie mehr hätte sie die Möglichkeit ein normales Leben zu führen, nie mehr würde sie fliegen können. Dann trat eine bleischwere Leere in ihren Kopf.
Nach ein Weile merkte sie, dass eine Person an sie herantrat, es musste wohl der dieser deutsche Pilot sein. Unfähig zu einer Regung oder zu einem Wort verharrte sie in sich gekauert. Nach einer Weile griff eine Hand nach der ihren. Es war die Hand eines Menschen, nicht die eines Feindes und sie war warm und sie hielt sie im Leben. Und so erwiderte sie den Griff und so saßen sie, schweigend bis in den Abend, bis ein Auto mit britischen Soldaten heranfuhr und sie aufnahm.
Die Nacht war schwarz und sie hatte keine Träume, keine Erinnerung. Am Morgen war lag sie wach, als der Deutsche in ihren Raum trat, sich zu ihr setzte und ihr die Hand reichte. Diesmal fand Marie Worte und sie begann mit ihm zu sprechen. Zu ihrer Überraschung sprach er ein passables Französisch und sie fragte ihn wer er war und woher er kam und er erfuhr die Geschichte eines Mädchens, das mit seinem Vater vor vielen Jahren eine Flugschau in Nordfrankreich besuchte.