Das unentwegte Hupen des Nachmittagsverkehrs und die sägenden Laute der kleinhubigen Motoroller brachten ihn letztendlich doch dazu aufzuwachen. Einen kurzen Moment lang wusste er nicht wo er aufgewacht war. Natürlich auf einem Bett in einem Apartment, versteht sich. Doch wo genau war ihm innerhalb der Unendlichkeit seines Schlafmangels entfallen. Er öffnete das Fenster und betrat den Balkon. Die schwere Nachmittagsluft schien ihn zu erdrücken. Er war auf jeden Fall noch in Marokko. Das verrieten ihm weniger die angleuchteten Palmen die seinen Blick kreuzten, als die arabischen Reklameschilder, deren französische Übersetzung beständig darunter zu finden war. Wenigstens darauf konnte man sich in diesem Land verlassen, und das obwohl er nur brüchiges Französisch sprach. Dennoch war er froh ein Stückweit europäische Heimat in diesem Land zu begegnen, als nur dem Arabischen ausgesetzt zu sein. Nachdem er sich den Schlaf langsam aus den Augen gerieben hatte, fiel ihm die durch und durch rötlichen Fassaden der Gebäude auf, die aufgrund der Nachmittagssonne aussahen als würden sie glühen. Während er das Panorama einen Augenblick beobachtete zeichneten sich grob zwei Farben ab, die ihm entgegenprallten. Neben dem Karminrot der Gebäude das saftige Grün der Palmen, die sich regelmäßig zwischen die Häuser mischten. Die dichten Luftmassen ließen kaum Weitsicht zu. Dennoch zeichnete sich im Hintergrund der Stadt ein dunkles Relief ab, das sich immer mehr im Hintergrund aufdrängte. Ein Hochgebirge. Er hatte keinen Zweifel mehr. Das musste Marrakech sein.
Er schaute auf die Uhr: 15:32. Nicht einmal sechs Stunden Schlaf, nachdem er die ganze Nacht auf der Ladefläche eines dreirädrigen ˋDockersˋ verbracht hatte. Daniel rieb sich die Augen und atmete lange aus. Gerade war er noch am Strand von Essaouira, den besten Wellen hinterherjagen, die er seit Bali gesehen hatte und nun stand er da. Ohne Papiere mitten in einer Stadt die alles andere als Gelassenheit ausstrahlte. Er konnte sich daran erinnern, wie er verzweifelt mit seinem Surfbrett unter dem Arm im Neoprenanzug über die Strandpromenade von Essaouira eilte und mit höchst fraglichem Französisch versuchte, Passanten von seiner misslichen Situation zu unterrichten. Nur wusste er weder, wie er den Passanten erklären sollte, dass man seinen Mietwagen gestohlen hatte, noch dass er keine feste Bleibe hatte und alles was er besaß sich in diesem Auto befunden hatte. Alles außer seinem schwarzen Sharpeye Inferno, das noch durch die Leine an seinem linken Fuß befestigt war und seinem vier Millimeter dicken Neoprenanzug den er nur noch bis zum Bauchnabel hin trug. In aller Verzweiflung fiel ihm noch die Gendarmerie ein, die nicht schwer zu finden war, da sie die Promenade auf und ab patrouillierten. Unglücklicherweise schob sich wohl eine Raucherpause zwischen die Patrouillenfahrt der Gendarmerie just in dem Moment als, sein Mietwagen aufgebrochen und gestohlen wurde, mutmaßte Daniel. Wenigstens verstanden die Beamten etwas englisch und nahmen den ausgetrockneten Surfer mit auf die Polizeiwache, wo sie dann seine Daten aufnahmen jedoch schnell feststellen mussten, dass Daniel keinerlei Dokumente aufweisen konnte, die eine Beweisfunktion innehatten.
So kamen die beiden Kollegen der Marokkanischen Polizei, die mit Daniels prekären Situation augenscheinlich überfordert waren, auf die Idee dass er schnellstmöglich ein deutsches Konsulat aufsuchen müsste, um überhaupt eine Chance auf eine Rückreise nach Deutschland zu haben. Auf die Frage hin, ob man nicht doch versuchen könne den Wagen und somit auch sein Gepäck ausfindig zu machen, reagierten die Kollegen mit einem enttäuschendem Blick. Man könne bestenfalls den Wagen innerhalb den nächsten 24 Stunden ausfindig machen, aber das Gepäck sei aller Erfahrung nach in weniger als zwei Stunden verteilt, verkauft, verschenkt oder verhehlt worden. Also bliebe für Daniel nur noch die Möglichkeit, jemanden in Deutschland von seiner Situation zu berichten, damit von dort aus alles notwendige in die Wege geleitet werden würde. Das würde allerdings lange dauern und außerdem kannte Daniel keine der Telefonnummern seiner Notfallkontakte auswendig. Die eingespeicherten Nummern seiner beiden besten Freunde waren nun mitsamt dem Rest seiner Kontakte Diebesgut. Er musste also irgendwie ohne Geld und ohne Pass nach Marrakech kommen, was die nächste große Stadt war.Einer der Polizisten bot ihm eine Eskorte an. Diese würde aber erst in 18 Stunden abfahren und solange müsste Daniel quasi nackt in der Wache verbringen.
Er hatte sich bereits mit dem Schicksal abgefunden wohl nie mehr dieses Land zu verlassen, als eine ihm bekannte Stimme durch das Wartezimmer der Gendarmerie seinen Namen rief. Es war Walid. Einen Surfer den er am Tag davor im Wasser kennen gelernt hatte. Nur sah er ganz anders aus. Fast hätte Daniel ihn aufgrund der Polizeiuniform nicht erkannt.
Auf gebrochenem Englisch fragte er den oberkörperfreien Europäer dessen Neoprenanzug noch tropfte, ob er sich mit einem anderen Surfer, um eine Welle geschlagen hätte. Doch Daniel dem keineswegs nach Späßen zu Mute war, schilderte Walid kurz und knapp seine Situation. Dieser zückte ohne groß Anstalten zu machen sein Handy und signalisierte Daniel dass er sich kurz gedulden müsse. Nach ungefähr zehn Minuten, für Daniel spielte Wartezeit mittlerweile keine große Rolle mehr, kam Walid mit einem erwartungsvollen Gesichtsausdruck auf ihn zu:
„No worry my friend. You will be tomorow in Marrekech.“
In Daniel kamen nicht wenige Fragen auf, vor allem was das Wie betraf, aber in erster Linie freute er sich, dass die Surfer Gemeinschaft scheinbar weltweit zusammenstand.
Bevor Daniel mit seinem Fragenkatalog beginnen konnte klärte ihn Walid auf:
„My neighbour will take you tonight on his vehicle to Marrakech and you can stay at the Apartment of my sister for some nights.“
Daniel stellte keine Fragen mehr sondern dankte seinem Kumpanen nur.
„There is only one Problem. You will need cash Money in Marrakech if you want to survive my friend.“
Der Deutsche hatte schon fast vergessen dass er keinen Besitz mehr hatte.
„So i was talking with my other friend und he will give you 3000 Dirham for your Surfboard. With this you will have at least something.“
Daniel kniff die Augen zusammen. Ausgerechnet sein geliebtes Inferno musste er opfern. Und er würde dafür umgerechnet nicht einmal 300 Euro bekommen. Weniger als halb so viel von dem, was er in Deutschland dafür erhalten hätte. Aber er hatte keine Wahl. Walid hatte recht. Er brauchte mit Sicherheit Geld für das Konsulat und andere Besorgungen, wie beispielsweise Kleidung. Und die Zeit drängte. Walids Nachbar würde bald losfahren, denn es war schon Abend.
So kam es also dazu, dass Daniel nur mit einem Neoprenanzug bekleidet und mit knapp 3000 Dirham in der Hand im Morgengrauen Marrakech erreichte. An weitere Details konnte er sich kaum erinnern. Doch als er auf dem Balkon des Apartments stand und über seine gestrige Odysee nachdachte, fiel ihm das blaue Innenfutter seines Rip Curl Anzuges auf der vor ihm über der Brüstung hing. Er schaute nach unten und ihm wurde klar, dass er die ganze Zeit nackt auf dem Balkon stand. Vor lauter Scham flüchtete er sich hinter die Gardinen der Balkontür. Er konnte sich nicht erinnern den Anzug ausgezogen geschweige denn zum trocknen aufgehangen zu haben. Auf einmal klopfte es an der Schlafzimmertür.
„Une Moment sil vous plaît.“, rief Daniel in aller Verzweiflung, kein Dilemma auszulösen.
Nacktheit war in einem arabischen Land wie Marokko keineswegs gern gesehen. Schnell band er sich ein Bettlaken um die Hüfte. Dann öffnete er die Tür.
Er sah etwas was er nicht erwartet hatte, obwohl er es hätte erwarten müssen, wenn er seine Gedanken rechtzeitig geordnet hätte.
„Nichts gegen dein französisch aber vielleicht sollte wir doch lieber deutsch reden.“, bestimmte sie in einem selbstbewussten Tonfall, den er von Frauen in diesem Land nicht gewöhnt war. Auch ihre Erscheinung als solches war er nach zwei Wochen Marokko nicht gewöhnt. Ihm kam dieses Bild vor wie eine erfrischende Erinnerung eines weiblichen Anblicks, den er aus Europa gekannt hatte.
Sie trug ihr saftig schwarzes Haar offen über ihren Schultern, die mit Ausnahme der zwei Spagettiträger ihres weißen Tops unbedeckt blieben. Ihre Haut schien blasser zu sein als erwartet. Sie trug kein Make-up soweit Daniel das beurteilen konnte, was auch kein Wunder war. Die kräftigen Augenbrauen und ausgeprägten Wimpern machten jegliche Untermalung überflüssig. Wohl ein klarer Gewinn mit Superzahl in der Gen-Lotterie dachte sich Daniel. Ihr Kleidungsstil war durchweg französisch, gepaart mit ihren dominanten orientalischen Zügen. Ihre Jeanshose, welche an den Enden der Hosenbeine ausgefranst war, trug sie bis zum Bauchnabel, der fast sichtbar war, da ihr Oberteil ein offenes Ende aufwies. Daniel fehlte schon seit Beginn das Talent vulgär die Attraktivität einer Frau zu beschreiben. Das war eher das Steckenpferd seiner Freunde. Aus diesem Grund hakte er den Anblick, der jungen Frau die auf der anderen Seite der Türzarge stand, als ‚gesund und genetisch bevorzugt‘ ab.
„Du verstehst doch was ich sage oder nicht? Zumindest hat Walid gestern am Telefon gesagt, dass er einen Freund aus Deutschland vorbei schicken wird, der eine Unterkunft in Marrakech benötigt und kein Geld hat.“
Ihre dunklen Augen starten ihn mit einem allmählich strenger werdenden Blick an. Daniel war nun am Zuge, denn mehr als ein überfordertes „Äh“ brachte er bisher nicht heraus. Nicht nur die Tatsache, dass es für sie scheinbar völlig unspektakulär war, dass vor ihr ein fremder halb-nackter ausländischer Mann in ihrem Schlafzimmer stand, sondern auch ihr nahezu akzentfreies Deutsch hatte Daniel aus der Fassung gebracht.
„Ja … ich bin Walids Freund aus Deutschland. Und ich spreche deutsch.“
Er wurde etwas rot um die Wangen, als sie zu kichern begann.
„Alles gut, ich weiß du hast eine harte Nacht hinter dir. Du kannst dich auch gleich wieder aufs Ohr legen. Ich wollte dich nur nach deiner Kleidergröße Fragen, als ich hörte, dass du wach bist. Ich schätze mal Oberweite L und …“, sie scannte Daniels provisorischen Lendenschurz, der durch das einfallende Sonnenlicht mehr Schattierungen offenbarte als ihm lieb war. „Bei der Hosengröße wird wohl M ausreichen.“
Sie zwinkerte dem unrasierten Surfer zu, dem vor lauter Unbehagen, die Hände zu schwitzten begannen. Dann drehte Sie sich zum Wohnzimmer und ging Richtung Garderobe, um sich ihre Tasche umzuhängen und die Haustürschlüssel einzustecken.
„Hey warte kurz.“, rief ihr Daniel hinterher.
Sie war schon dabei die Wohnung zu verlassen.
„Ja?“
„Tut mir leid für den Aufzug. Ich habe wohl vor lauter Müdigkeit vergessen, dass ich meinen Anzug heute früh über die Brüstung gehängt habe und nicht bedacht, dass noch eine Dame nebenan wohnt.“
Sie zog ihre dichten Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme:
„Nein dein Gedächtnis arbeitet richtig. Du bist gleich, nachdem ich dich halbwach hier rein gelassen habe mit deinem nassen Wetsuit in das Bett gefallen.“
Daniel kratzte sich am Kopf.
„Also wer hat dann …“
Sie unterbrach ihn:
„Du bist die ganze Nacht mit nasser Kleidung auf einer offenen Ladefläche durch die Wüste gefahren. Ich konnte mir das einfach nicht weiter anschauen und habe versucht zu retten was noch ging. Du kannst froh sein, wenn du dir keine Blasen oder Nierenentzündung zugezogen hast. Und falls dem nicht so ist, dann ist das definitiv mein Verdienst.“
„Warte mal du hast mich ausgezogen als ich noch geschlafen habe?“
Sein Gesicht war wie eingefroren.
„Sagen wir mal so: Es gibt nichts was ich nicht schon gesehen habe, aber mach dir keine Sorgen als Ärztin bist du nicht der erste fremde nackte Mann, der mir begegnet ist.“
Daniel antwortete mit einem perplexen „Achso“ und fügte noch ein ernstgemeintes „Dankschön“ hinzu. Er war nun endgültig am Grund angekommen. Neben seinem Hab und Gut hatte er nun auch noch einen nicht unerheblichen Teil seiner Würde verloren. So kam es ihm zumindest vor. Wusste er überhaupt noch wer er war?
„Ich bin übrigens Jasmina, die Schwester von Walid.“, sie reichte ihm die Hand bevor sie aus der Wohnung trat.
Er hielt mit einer Hand das Bettlaken um seiner Hüfte fest und erwiderte den Händedruck:
„Daniel … Daniel Stanev.“
„Freut mich sehr Daniel. Ich komme erst heute Abend wieder zurück, dafür aber mit frischer Kleidung. Fühl dich wie zuhause.“
Ihr süßes Lächeln, das sie ihm zum Abschied zuwandte konnte er kaum einordnen. Es konnte heißen, dass sie ihn mochte. Oder aber es gehörte einfach zur marokkanischen Gastfreundschaft dazu, die sich bei Daniel in den letzten Wochen besonders eingeprägt hatte. Wie auch immer. Er war trotz aller Peinlichkeiten, die er in den letzten 24 Stunden erdulden musste, froh auf etwas Wärme zu stoßen.
Damit die Kälte nicht wieder Eintritt in sein Leben fand ging er zum Schlafzimmer zurück und mummelte sich tief in die Bettlaken ein. Noch etwas Schlaf konnte nicht schaden.
Er schaute auf die Uhr: 15:32. Nicht einmal sechs Stunden Schlaf, nachdem er die ganze Nacht auf der Ladefläche eines dreirädrigen ˋDockersˋ verbracht hatte. Daniel rieb sich die Augen und atmete lange aus. Gerade war er noch am Strand von Essaouira, den besten Wellen hinterherjagen, die er seit Bali gesehen hatte und nun stand er da. Ohne Papiere mitten in einer Stadt die alles andere als Gelassenheit ausstrahlte. Er konnte sich daran erinnern, wie er verzweifelt mit seinem Surfbrett unter dem Arm im Neoprenanzug über die Strandpromenade von Essaouira eilte und mit höchst fraglichem Französisch versuchte, Passanten von seiner misslichen Situation zu unterrichten. Nur wusste er weder, wie er den Passanten erklären sollte, dass man seinen Mietwagen gestohlen hatte, noch dass er keine feste Bleibe hatte und alles was er besaß sich in diesem Auto befunden hatte. Alles außer seinem schwarzen Sharpeye Inferno, das noch durch die Leine an seinem linken Fuß befestigt war und seinem vier Millimeter dicken Neoprenanzug den er nur noch bis zum Bauchnabel hin trug. In aller Verzweiflung fiel ihm noch die Gendarmerie ein, die nicht schwer zu finden war, da sie die Promenade auf und ab patrouillierten. Unglücklicherweise schob sich wohl eine Raucherpause zwischen die Patrouillenfahrt der Gendarmerie just in dem Moment als, sein Mietwagen aufgebrochen und gestohlen wurde, mutmaßte Daniel. Wenigstens verstanden die Beamten etwas englisch und nahmen den ausgetrockneten Surfer mit auf die Polizeiwache, wo sie dann seine Daten aufnahmen jedoch schnell feststellen mussten, dass Daniel keinerlei Dokumente aufweisen konnte, die eine Beweisfunktion innehatten.
So kamen die beiden Kollegen der Marokkanischen Polizei, die mit Daniels prekären Situation augenscheinlich überfordert waren, auf die Idee dass er schnellstmöglich ein deutsches Konsulat aufsuchen müsste, um überhaupt eine Chance auf eine Rückreise nach Deutschland zu haben. Auf die Frage hin, ob man nicht doch versuchen könne den Wagen und somit auch sein Gepäck ausfindig zu machen, reagierten die Kollegen mit einem enttäuschendem Blick. Man könne bestenfalls den Wagen innerhalb den nächsten 24 Stunden ausfindig machen, aber das Gepäck sei aller Erfahrung nach in weniger als zwei Stunden verteilt, verkauft, verschenkt oder verhehlt worden. Also bliebe für Daniel nur noch die Möglichkeit, jemanden in Deutschland von seiner Situation zu berichten, damit von dort aus alles notwendige in die Wege geleitet werden würde. Das würde allerdings lange dauern und außerdem kannte Daniel keine der Telefonnummern seiner Notfallkontakte auswendig. Die eingespeicherten Nummern seiner beiden besten Freunde waren nun mitsamt dem Rest seiner Kontakte Diebesgut. Er musste also irgendwie ohne Geld und ohne Pass nach Marrakech kommen, was die nächste große Stadt war.Einer der Polizisten bot ihm eine Eskorte an. Diese würde aber erst in 18 Stunden abfahren und solange müsste Daniel quasi nackt in der Wache verbringen.
Er hatte sich bereits mit dem Schicksal abgefunden wohl nie mehr dieses Land zu verlassen, als eine ihm bekannte Stimme durch das Wartezimmer der Gendarmerie seinen Namen rief. Es war Walid. Einen Surfer den er am Tag davor im Wasser kennen gelernt hatte. Nur sah er ganz anders aus. Fast hätte Daniel ihn aufgrund der Polizeiuniform nicht erkannt.
Auf gebrochenem Englisch fragte er den oberkörperfreien Europäer dessen Neoprenanzug noch tropfte, ob er sich mit einem anderen Surfer, um eine Welle geschlagen hätte. Doch Daniel dem keineswegs nach Späßen zu Mute war, schilderte Walid kurz und knapp seine Situation. Dieser zückte ohne groß Anstalten zu machen sein Handy und signalisierte Daniel dass er sich kurz gedulden müsse. Nach ungefähr zehn Minuten, für Daniel spielte Wartezeit mittlerweile keine große Rolle mehr, kam Walid mit einem erwartungsvollen Gesichtsausdruck auf ihn zu:
„No worry my friend. You will be tomorow in Marrekech.“
In Daniel kamen nicht wenige Fragen auf, vor allem was das Wie betraf, aber in erster Linie freute er sich, dass die Surfer Gemeinschaft scheinbar weltweit zusammenstand.
Bevor Daniel mit seinem Fragenkatalog beginnen konnte klärte ihn Walid auf:
„My neighbour will take you tonight on his vehicle to Marrakech and you can stay at the Apartment of my sister for some nights.“
Daniel stellte keine Fragen mehr sondern dankte seinem Kumpanen nur.
„There is only one Problem. You will need cash Money in Marrakech if you want to survive my friend.“
Der Deutsche hatte schon fast vergessen dass er keinen Besitz mehr hatte.
„So i was talking with my other friend und he will give you 3000 Dirham for your Surfboard. With this you will have at least something.“
Daniel kniff die Augen zusammen. Ausgerechnet sein geliebtes Inferno musste er opfern. Und er würde dafür umgerechnet nicht einmal 300 Euro bekommen. Weniger als halb so viel von dem, was er in Deutschland dafür erhalten hätte. Aber er hatte keine Wahl. Walid hatte recht. Er brauchte mit Sicherheit Geld für das Konsulat und andere Besorgungen, wie beispielsweise Kleidung. Und die Zeit drängte. Walids Nachbar würde bald losfahren, denn es war schon Abend.
So kam es also dazu, dass Daniel nur mit einem Neoprenanzug bekleidet und mit knapp 3000 Dirham in der Hand im Morgengrauen Marrakech erreichte. An weitere Details konnte er sich kaum erinnern. Doch als er auf dem Balkon des Apartments stand und über seine gestrige Odysee nachdachte, fiel ihm das blaue Innenfutter seines Rip Curl Anzuges auf der vor ihm über der Brüstung hing. Er schaute nach unten und ihm wurde klar, dass er die ganze Zeit nackt auf dem Balkon stand. Vor lauter Scham flüchtete er sich hinter die Gardinen der Balkontür. Er konnte sich nicht erinnern den Anzug ausgezogen geschweige denn zum trocknen aufgehangen zu haben. Auf einmal klopfte es an der Schlafzimmertür.
„Une Moment sil vous plaît.“, rief Daniel in aller Verzweiflung, kein Dilemma auszulösen.
Nacktheit war in einem arabischen Land wie Marokko keineswegs gern gesehen. Schnell band er sich ein Bettlaken um die Hüfte. Dann öffnete er die Tür.
Er sah etwas was er nicht erwartet hatte, obwohl er es hätte erwarten müssen, wenn er seine Gedanken rechtzeitig geordnet hätte.
„Nichts gegen dein französisch aber vielleicht sollte wir doch lieber deutsch reden.“, bestimmte sie in einem selbstbewussten Tonfall, den er von Frauen in diesem Land nicht gewöhnt war. Auch ihre Erscheinung als solches war er nach zwei Wochen Marokko nicht gewöhnt. Ihm kam dieses Bild vor wie eine erfrischende Erinnerung eines weiblichen Anblicks, den er aus Europa gekannt hatte.
Sie trug ihr saftig schwarzes Haar offen über ihren Schultern, die mit Ausnahme der zwei Spagettiträger ihres weißen Tops unbedeckt blieben. Ihre Haut schien blasser zu sein als erwartet. Sie trug kein Make-up soweit Daniel das beurteilen konnte, was auch kein Wunder war. Die kräftigen Augenbrauen und ausgeprägten Wimpern machten jegliche Untermalung überflüssig. Wohl ein klarer Gewinn mit Superzahl in der Gen-Lotterie dachte sich Daniel. Ihr Kleidungsstil war durchweg französisch, gepaart mit ihren dominanten orientalischen Zügen. Ihre Jeanshose, welche an den Enden der Hosenbeine ausgefranst war, trug sie bis zum Bauchnabel, der fast sichtbar war, da ihr Oberteil ein offenes Ende aufwies. Daniel fehlte schon seit Beginn das Talent vulgär die Attraktivität einer Frau zu beschreiben. Das war eher das Steckenpferd seiner Freunde. Aus diesem Grund hakte er den Anblick, der jungen Frau die auf der anderen Seite der Türzarge stand, als ‚gesund und genetisch bevorzugt‘ ab.
„Du verstehst doch was ich sage oder nicht? Zumindest hat Walid gestern am Telefon gesagt, dass er einen Freund aus Deutschland vorbei schicken wird, der eine Unterkunft in Marrakech benötigt und kein Geld hat.“
Ihre dunklen Augen starten ihn mit einem allmählich strenger werdenden Blick an. Daniel war nun am Zuge, denn mehr als ein überfordertes „Äh“ brachte er bisher nicht heraus. Nicht nur die Tatsache, dass es für sie scheinbar völlig unspektakulär war, dass vor ihr ein fremder halb-nackter ausländischer Mann in ihrem Schlafzimmer stand, sondern auch ihr nahezu akzentfreies Deutsch hatte Daniel aus der Fassung gebracht.
„Ja … ich bin Walids Freund aus Deutschland. Und ich spreche deutsch.“
Er wurde etwas rot um die Wangen, als sie zu kichern begann.
„Alles gut, ich weiß du hast eine harte Nacht hinter dir. Du kannst dich auch gleich wieder aufs Ohr legen. Ich wollte dich nur nach deiner Kleidergröße Fragen, als ich hörte, dass du wach bist. Ich schätze mal Oberweite L und …“, sie scannte Daniels provisorischen Lendenschurz, der durch das einfallende Sonnenlicht mehr Schattierungen offenbarte als ihm lieb war. „Bei der Hosengröße wird wohl M ausreichen.“
Sie zwinkerte dem unrasierten Surfer zu, dem vor lauter Unbehagen, die Hände zu schwitzten begannen. Dann drehte Sie sich zum Wohnzimmer und ging Richtung Garderobe, um sich ihre Tasche umzuhängen und die Haustürschlüssel einzustecken.
„Hey warte kurz.“, rief ihr Daniel hinterher.
Sie war schon dabei die Wohnung zu verlassen.
„Ja?“
„Tut mir leid für den Aufzug. Ich habe wohl vor lauter Müdigkeit vergessen, dass ich meinen Anzug heute früh über die Brüstung gehängt habe und nicht bedacht, dass noch eine Dame nebenan wohnt.“
Sie zog ihre dichten Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme:
„Nein dein Gedächtnis arbeitet richtig. Du bist gleich, nachdem ich dich halbwach hier rein gelassen habe mit deinem nassen Wetsuit in das Bett gefallen.“
Daniel kratzte sich am Kopf.
„Also wer hat dann …“
Sie unterbrach ihn:
„Du bist die ganze Nacht mit nasser Kleidung auf einer offenen Ladefläche durch die Wüste gefahren. Ich konnte mir das einfach nicht weiter anschauen und habe versucht zu retten was noch ging. Du kannst froh sein, wenn du dir keine Blasen oder Nierenentzündung zugezogen hast. Und falls dem nicht so ist, dann ist das definitiv mein Verdienst.“
„Warte mal du hast mich ausgezogen als ich noch geschlafen habe?“
Sein Gesicht war wie eingefroren.
„Sagen wir mal so: Es gibt nichts was ich nicht schon gesehen habe, aber mach dir keine Sorgen als Ärztin bist du nicht der erste fremde nackte Mann, der mir begegnet ist.“
Daniel antwortete mit einem perplexen „Achso“ und fügte noch ein ernstgemeintes „Dankschön“ hinzu. Er war nun endgültig am Grund angekommen. Neben seinem Hab und Gut hatte er nun auch noch einen nicht unerheblichen Teil seiner Würde verloren. So kam es ihm zumindest vor. Wusste er überhaupt noch wer er war?
„Ich bin übrigens Jasmina, die Schwester von Walid.“, sie reichte ihm die Hand bevor sie aus der Wohnung trat.
Er hielt mit einer Hand das Bettlaken um seiner Hüfte fest und erwiderte den Händedruck:
„Daniel … Daniel Stanev.“
„Freut mich sehr Daniel. Ich komme erst heute Abend wieder zurück, dafür aber mit frischer Kleidung. Fühl dich wie zuhause.“
Ihr süßes Lächeln, das sie ihm zum Abschied zuwandte konnte er kaum einordnen. Es konnte heißen, dass sie ihn mochte. Oder aber es gehörte einfach zur marokkanischen Gastfreundschaft dazu, die sich bei Daniel in den letzten Wochen besonders eingeprägt hatte. Wie auch immer. Er war trotz aller Peinlichkeiten, die er in den letzten 24 Stunden erdulden musste, froh auf etwas Wärme zu stoßen.
Damit die Kälte nicht wieder Eintritt in sein Leben fand ging er zum Schlafzimmer zurück und mummelte sich tief in die Bettlaken ein. Noch etwas Schlaf konnte nicht schaden.