Marthe und Johannes 1. Teil- Kapitel 1-5

Personen, sowie deren Geschichte sind frei erfunden.

Maria Schenck, Jakobs Frau

Jakob Schenk, Marias Ehemann, Wirt

Katharina Schenck, 1. Kind; bei der Geburt verstorben

Marthe Schenck, 2. Kind

Johann Lorenz, Pfarrer der Marienkirche in Osnabrück

Gunda Rader, Schwester von Maria Schenck

Paul Rader, Gundas Mann

Helene Maurer, die Hebamme

Franz Neuner, der Bader

Josef Merker, der Richter

Appolonia Merker, dessen Frau

Margarete und Frieda Merker, deren Töchter

August Schinkel, Folterknecht der Hebamme Helene Maurer

Michel Grunder, junger Folterknecht der Maria Schenck

Michael, der Schankjunge der Schencks

Konrad Wagner, Stadtrat

Bruder Markus, Johanns Prior

Bruder Benedikt, Johanns Name im Kloster

Bauer Grendel, Witwer>









Vorwort




Nichts kann schrecklicher und zerstörerischer sein als eine Liebe, die nicht wachsen darf. Nichts schürt tiefere Verzweiflung, unbändigeren Hass. Nichts ist stärker als der Drang nach Gerechtigkeit, vor allem, wenn man eine kleine Ewigkeit lang nach dieser einen, ganz besonderen Liebe suchen muss.



Marthe stand inmitten der regennassen Gasse, sie fror entsetzlich. Allmählich senkte sich die Dunkelheit der Nacht auch tief in ihr Herz. Obwohl sie mehr Geld im Beutel unter ihren Röcken versteckt hatte, als andere ihr Lebtag jemals verdienen konnten, war sie trotz allem, der ärmste Mensch dieser Welt. Tief im Inneren war sie betäubt, ihre Ausweglosigkeit kannte kein Erbarmen. Marthe würde ihr Leben lang schuldig sein. Das Bündel, welches sie vorsichtig in ihren Armen trug, begann leise zu greinen. Tränen liefen über ihr Gesicht, Verzweiflung und unbändige, tiefe Trauer erfüllte sie. Das Kind, welches in eine warme, liebevoll bestickte Decke eingewickelt war, streckte eines der kleinen Händchen nach Marthe aus, fast so, als wüsste es, was nun geschehen würde. Als wüsste es, was unweigerlich geschehen musste, in dieser harten, schweren Zeit. Das, was Marthe nun zu tun hatte, brach ihr nicht nur das Herz, es zerstörte ihr Leben, es vernichtete mit einem Schlag den Glauben an das Gute, den Glauben an Gott.

1.KAPITEL


Osnabrück im Jahre1543:

Marthe war gerade fünfzehn Jahre alt, als ihr Leben eine schicksalhafte Wende nahm. Jeden Sonntag gingen ihre Eltern mit ihr in die Kirche am Dorfrand, nahe des belebten Marktplatzes, in der seit nicht all zu langer Zeit Pfarrer Lorenz seine Predigten hielt. Er sprach mit solch tiefer Liebe und Inbrunst zu Gott, dass es selbst diejenigen unter ihnen, die heimlich an dessen Existenz zweifelten, zu Tränen rührte. Pfarrer Lorenz liebte die Kirche, er liebte Gott wie seinen eigenen Vater. Manch einer munkelte sogar, er sei in Wirklichkeit Gottes Sohn, gesandt, um Licht in das Dunkel dieser schweren Zeit zu bringen. In seinen Ansprachen verstand er es, die Menschen geradewegs in sein eigenes Herz sehen zu lassen, seine tiefsten Gefühle mitzuerleben, fast so, als wären es die Eigenen. Er weinte, wenn er über das Leiden Christi sprach, er lachte, wenn er über dessen Wunder und Taten erzählte. Nie zu-vor war es einem Pfarrer gelungen, in solch bunten Bildern zu predigen, dass es selbst den Dummen und Schwachsinnigen unter seinen Schafen gelang, die vollkommene Macht und Liebe ihres Gottes zu erkennen. Pfarrer Lorenz lenkte die Menschen, wie ein Schäfer, der seine Herde nach einem langen Tag nach Hause führte. Niemand zweifelte an seinen Worten und, wenn es doch vorher einer insgeheim getan hatte, so verließ dieser nach dessen Predigten das Haus Gottes als Erleuchteter. Marthe liebte diese Stunden in der Kirche. Sie liebte die Atmosphäre und das Stau-nen in den Augen der Menschen, wenn sie den Worten von Pfarrer Lorenz lauschten. Sie liebte das warme Gefühl der Liebe, wenn sie danach die Kirche wieder verließ. Schon Tage vorher konnten ihre Eltern die unbändige Freude in ihren Augen erkennen. Maria Schenck betrachtete liebevoll die freche Nase ihrer Tochter, die ausdrucksstarken braunen Augen, das wallende Haar. Marthe war etwas Besonderes, schon immer war sie das gewesen. Sie strahlte all die Lebensfreude aus, die Maria auch einmal besessen hatte, damals, vor ihrer Vermählung mit dem jungen Schankwirt Jakob. Ihre Eltern hatten ihn für sie ausgesucht, in der Hoffnung, Maria mit dieser Ehe ein Leben in Wohlstand zu sichern. Sie hatten nicht geahnt, welches Leid sie somit in das Leben ihrer jüngsten Tochter brachten. Ihre Schwester Gunda war schon vor Jahren mit einem Gerber verheiratet worden. Ob sie glücklich war wusste niemand, denn ihr Mann legte keinen Wert auf Familie. Seit sie zu ihm nach Minden gezogen war, hatten sich die ungleichen Schwestern nicht mehr gesehen. Maria tat es nicht leid, denn schon immer waren sie so unterschiedlich gewesen wie Feuer und Wasser. Gunda war nicht mit Schönheit gesegnet, ihr Rücken zeigte einen Buckel, ihre Beine und Arme waren, im Gegensatz zum Rest ihres Körpers, viel zu kurz. Wie sehr neidete sie Maria ihre Schönheit, ihre Makellosigkeit. Sie hatte schon immer die Blicke der Knaben gehasst, wenn sie gemeinsam durch die Stadt gingen. Maria wurde von den Leuten bestaunt, sie im Gegensatz dazu nur mitleidig belächelt. Nun allerdings waren sie beide erwachsene Frauen, doch der Missmut in Gundas Kopf blieb, auch, wenn sie viele Kilometer von ihrer schönen Schwester entfernt lebte. Die Nachricht derer Hochzeit mit dem schönen Schankwirt schürte in ihrem kalten Herz noch mehr das Feuer des Neides und der Missgunst. Ihre Ehe blieb auch nach all den Jahren lieblos und einsam, sie selbst allerdings, tat nichts gegen diesen Zustand. Für Gunda war jeder Tag gleich, die Hauptsache war, dass ihr Mann früh aus dem Hause ging und erst spät am Abend wieder von der Arbeit heim kam. Maria hingegen fügte sich so gut es ging in ihr Schicksal. Sie versuchte ihrem Mann eine gute Ehefrau zu sein, in Haus und Küche, wie auch auf dem Lager. Allerdings fand sie keinen Gefallen an den gemeinsamen Stunden in der Nacht. Jakob war grob und herrschsüchtig, ihm schienen die stummen Tränen, die er dann bei seiner Frau sah, egal zu sein. Er dachte nur an sich, an seine Gier und deren schnelle Befriedigung. Er warf sie mitunter unsanft auf das Lager, zerriss ihre Kleider, drang ohne Zärtlichkeiten oder irgendeine Art von Zärtlichkeit hart in sie ein. Marias Unterleib brannte wie die Feuer der Hölle, er schien sie zu zerreisen, fast so, als wäre ihr Schmerz der entscheidende Faktor für seinen Höhepunkt. Er röhrte und brüllte am Ende, fast unmenschlich dröhnten diese Laute in Marias Ohren. Als Jakob schließlich, nach schier unendlichen Minuten, fertig war, rollte er sich schlapp und plump von ihrem geschundenen Körper und begann alsbald zu schnarchen. Kein liebes Wort kam über seine Lippen, weder vorher noch hinterher. Keine Fragen nach dem Grund ihrer Tränen kamen ihm in den Sinn. Sein Atem, den er ihr dabei immer heftiger ins Gesicht geblasen hatte, stank nach dem billigen Wein, dem er sich seit einiger Zeit immer häufiger hingab. Wenn Jakob wieder einmal betrunken nach Hause kam, verlangte er unglaublich erniedrigende Dinge von Maria. All die Dinge, die sie ihm in seiner Gier erfüllen musste, schienen ihren Glauben an Gott auf ewig zu zerstören. Sie hasste ihn dafür, jede einzelne Minute in diesen langen Nächten, verachtete sie ihn. Der einzige Gedanke der ein wenig Trost spendete, war die Hoffnung auf ein Kind. Sie hoffte so sehr darauf, dass sie all den Schmerz und all die schlimmen Dinge, wortlos über sich ergehen ließ, immer wieder und wieder. Schnell verlor Jakob Schenck allerdings das Interesse an seiner Frau, zu unerfahren war sie ihm, viel zu oft musste er sie aufs Lager zwingen.
„ Du liegst da wie ein Brett, selbst deine Beine muss ich noch auseinander spreizen, wie ein Tischler das Holz. Du bist kalt wie Stein, nichts was ich tue scheint dir Gefallen zu bereiten!“
Jakob war wütend, seine Augen blitzten bei diesen Worten auf, seine Stimme überschlug sich. Er hatte Maria nie geliebt, auch wenn sie eine unglaublich schöne Frau war, doch sie war nie in der Lage gewesen sein Herz zu gewinnen. Anfänglich schmückte er sich noch mit ihrer Schönheit. Jacob genoss es, wegen ihr beneidet zu werden, vor allem von den Männern des Dorfes. Wie es wirk-lich in ihm aussah, verriet er nicht, viel zu wichtig war ihm das Bild, welches die anderen Leute sich von ihm gemacht hatten. Er war in Wirklichkeit allerdings nichts anderes als ein Schwätzer, ein Blender, ein Nichtsnutz. Nachdem er in seiner Schänke all die negativen Gedanken ertränkt hatte, nach unzählbaren Bechern Wein, endlich all sein Unglück, seine Einsamkeit betäubt hatte, schwankte er nach Hause, um wieder einmal seine unbändige Gier zu befriedigen. Wieder blieb ihm dafür nur seine Frau; wieder musste er sich dann fast gewaltsam das nehmen, was ihm seiner Meinung nach rechtmäßig zustand. So vergingen die Jahre, die Einsamkeit allerdings ließ die Zeit noch einmal so langsam vergehen. Beide waren Gefangene in ihrem eigenen Haus. Maria machte den Haushalt, kochte, putzte und kümmerte sich um den kleinen Garten, den sie sich über die Jahre, hart hatte erbetteln müssen. Jakob verstand noch immer nicht, wozu ein Garten nützlich sein sollte, doch irgendwann, gab er schließlich doch nach, in der Hoffnung, seine ihm ungeliebte Frau, weniger oft ertragen zu müssen. Maria dagegen floh regelrecht vor ihrem Mann, vor allem dann, wenn er wieder einmal betrunken nach Hause kam. So hatten sie ein mehr oder weniger ruhiges Leben, während Jakob in der Wirtschaft arbeitete, kümmerte sich Maria um das Haus, da-nach gingen sie sich aus dem Weg. Nur ab und zu noch musste sie ihrem Mann gefügig sein, nämlich dann, wenn er einmal nicht mit einer seiner Schankmägde im Weinkeller verschwinden konnte, dann, wenn er sein unbändiges Verlangen nach bereitwilligem Fleisch, nicht hatte an jungen unerfahrenen Mädchen stillen können. Maria wusste von der Untreue ihres Mannes, doch es belastete sie nicht, im Gegenteil, sie war froh, dass ihr Mann andere Opfer fand, an denen er seine Lust befriedigen konnte. Doch manchmal konnte sie ihm nicht entkommen, dann nahm er sich einfach, was er begehrte, nur, um sie danach wie einen schmutzigen, gebrauchten Lappen wieder von sich zu werfen. Sie betete, dass diese Minuten schnell vergehen mochten, doch nur selten wurde ihr Flehen erhört.
„ O Herr, welche Sünden habe ich begangen, dass du mich so hart strafen musst? Welche Prüfungen wirst du mir noch auferlegen, bis ich endlich meinen Frieden finden darf?“
Maria bekam keine Antwort. Im Gegenteil, bald darauf wurde sie krank. Maria wurde immer dünner, so sehr zeichnete sie die plötzlich auftretende, starke Übelkeit. Sobald sie etwas aß, musste sie sich an Ort und Stelle übergeben. Maria lebte nur noch von stark verdünnter Milchsuppe, da wenigstens diese für kurze Zeit in ihrem Magen blieb. Ob Jakob sich wirklich Sorgen um sie machte, oder nur um den Schein zu wahren einen Bader zu Rate zog, wusste Maria nicht. Sie war zu schwach um sich gegen die schroffen Anweisungen ihres Mannes zu wehren. Der Bader ließ Maria zur Ader, doch sie wurde nur noch schwächer. Ganze drei Monate dauerte nun schon dieser Zustand, für ihren Mann wurde sie zur Last, da er nun auch noch eine Dienstmagd einstellen musste, damit das Haus nicht vollkommens verdreckte. Maria lag nur noch in ihrem Bett und starrte an die Decke. Sie grübelte über ihre Sünden nach und ob ihr Tod sehr schmerzhaft sein würde. Das sie bald sterben würde, war für sie nur noch eine Frage der Zeit, sie hatte sich schon damit abgefunden, ja, sie wartete geradezu darauf. Maria verspürte keine Angst, sie fühlte sich fast schon erleichtert, wenn sie an ihr Ende dachte. Nichts konnte schrecklicher sein, als das einsame Leben hier in diesem Haus, neben einem gefühlskalten, egois-tischen Mann, der keinerlei Gefühl für die Frau übrig hatte, welche er einmal geheiratet hatte. Er behandelte die Köter auf der Straße besser, indem er diese mit dem Fuß trat. Diesen zeigte er somit wenigstens einen Funken Aufmerksamkeit, wenn auch von recht zweifelhafter Art. Maria wäre der Tod in diesem Moment mehr als Recht gewesen, doch es sollte alles ganz anders kommen.

2.Kapitel


Marias Leib schwoll von Woche zu Woche stärker an. Sie hatte nun schon so starke Rückenschmerzen, dass sie kaum mehr die Arbeiten im Haus bewältigen konnte. Die Nächte waren alles andere als erholsam, nicht etwa, weil ihr Mann sie nicht in Ruhe ließ, denn dieser hatte sie seit der Offenbarung ihrer Schwangerschaft, nicht ein Einziges Mal mehr angerührt, sondern weil sie mit ihrer Leibesfülle einfach nicht mehr liegen konnte. Sie schlief also halb im Sitzen, den Rücken gegen ein großes Kissen gelehnt. Jakob verbrachte, seit er kaum mehr Platz im ehelichen Bett fand, immer mehr Zeit in seiner Wirtschaft. Maria konnte dies nur Recht sein. Endlich hatte sie Zeit für sich, konnte die wenigen Bekanntschaften pflegen, die sie seit ihrer Hochzeit mit Jakob, vor nun mehr fünfzehn Jahren, geschlossen hatte. Maria war inzwischen zweiunddreißig Jahre alt, fast schon zu alt um ein gesundes Kind zu gebären, doch sie freute sich über das unsagbare Glück, welches der Herr ihr geschickt hatte. Das Kind in ihrem Bauch war ein Licht im Dunkel ihres Lebens. All die Liebe, die ihr Herz tief verborgen in sich trug, würde sie ihm geben, all die unerfüllte Liebe, die sie vor ihrem Mann stets verbergen musste. Kurz vor der Niederkunft kam Helene, die Wehmutter des Dorfes, zu ihr ins Haus. Jakob war wieder einmal in der Wirtschaft geblieben, da ihn der Besuch der Hebamme zu stören schien. Maria hingegen freute sich auf ihr Kommen, wie ein kleines Kind über eine bunte Zuckerstange. Sie wirbelte im Haus umher und versuchte Ordnung in ihren inzwischen unsortierten Haushalt zu bekommen. Sie mangelte und legte die Leinentücher, faltete ihre Unterröcke und stopfte sogar das Loch in Jacobs guten Sonntagssocken. Während der Arbeit spürte sie schon die nahende Ankunft des Kindes, denn mit einem Mal schmerzte ihr Rücken so stark, wie noch nie zuvor. Untrüglich war das Ziehen in ihren Lenden. Immer stärker spannte sich die Muskulatur ihres Leibes. Maria musste eine Pause machen, schließlich waren diese Zeichen noch ganze zwei Monate zu früh. Sie würde sich jetzt ausruhen, egal wie hoch der Wäscheberg sich stapeln mochte. Atemlos ließ sie sich auf einen der Küchenstühle fallen, der Schmerz raubte ihr inzwischen den Atem. Maria würde heute dieses Kind auf die Welt bringen müssen, egal ob es zu zeitig war, oder nicht. Sie hoffte nur, dass Helene noch rechtzeitig eintreffen würde. Immer stärker zog sich ihr Leib zusammen, während dessen beugte sich Maria nach vorn, um den Schmerz die Kraft zu nehmen. Es gelang ihr kaum. Selbst warme Umschläge auf den schmerzenden, aufgequollenen Leib, brachten nicht die ersehnte Linderung, im Gegenteil, sie verstärkten den Schmerz noch zusätzlich. Maria war mutterseelenallein, dies wurde ihr nun mit einem Mal so bewusst, wie noch nie zuvor in ihrem erbärmlichen Leben. Jakob war nicht da, so wie all die Jahre in ihrer Ehe und Helene, hatte auch den Weg zu ihr noch nicht gefunden. Durst quälte sie, jeder neue Schmerz verstärkte die Trockenheit ihrer Kehle. Als Maria zwischen zwei besonders kräftigen Wehen aufstehen wollte, um etwas Wasser zu trinken, wurde es mit einem Mal nass zwischen ihren Beinen. Maria stand inmitten einer riesigen Pfütze, fast schon panisch versuchte sie das scheinbar peinliche Malheur mit den von ihr sorgsam gelegten Leinentüchern zu beseitigen, doch ein erneuter Schmerz übermannte sie dabei. Maria stürzte nach vorn und schlug sich den Kopf an einem der handgeschnitzten Tischbeine. Kurzzeitig verlor sie das Bewusstsein, doch der Schmerz der nun auftretenden Wehen, brachte sie in diesen Raum zurück. Maria musste pressen, denn der Druck, der nun in ihr Aufstieg, war so unmenschlich, das sie nicht dagegen ankam. Todesangst nahm Besitz von ihr, ihre Verzweiflung ertränkte sie fast. Immer wieder presste sie, immer stärker wurde der Schmerz in ihrem Becken. Sie hatte das Gefühl zu zerspringen. Sie würde heute hier sterben, ganz allein. Niemals würde sie ihr Kind sehen können, niemals in die Augen dieses Wesens sehen, welches ihr kaltes Sein, schon als Frucht in ihrem Leib, mit Wärme erfüllt hatte. Sie liebte ihr Baby, auch wenn es sie nun töten würde, sie hoffte nur, dass es gesund war und so lange überlebte, bis es gefunden wurde. Vollkommen benebelt, sah sie plötzlich eine Frau auf sich zueilen. Maria war alles um sie herum gleichgültig, denn mit der nächsten Wehe würde sie von dieser Welt scheiden, sie würde sich vor ihren Herren stellen und sein Urteil empfangen. Sie hoffte, dass sie in ihrem Leben schon genug Buße getan hatte, sie hoffte auf die Gnade ihres Gottes.

Als Maria die Augen öffnete wurde sie von hellem Licht nahezu geblendet. War so der Himmel? Hatte sie all den Schmerz, all die Qual endlich hinter sich? Maria verspürte einen ziehenden Schmerz in ihrem Bauch, welcher mit der Zeit immer stärker zu werden schien. Nein, sie konnte nicht tot sein, denn sie hatte noch nie gehört, dass man im Himmel ebenfalls Schmerz empfand. Wurde nicht immer gepredigt, dass der Himmel die Erfüllung alles Glückes sei? Das aller Schmerz, alle Pein ein Ende hatten, sobald man in das Reich Gottes eingetreten war? „Maria! Maria, geht es dir gut?“
Es war die Stimme ihres Mannes. Warum hörte sie Jakob? Warum klang er so besorgt? Maria hatte ihren Mann in all den Jahren noch nie besorgt erlebt, vor allem nicht, wenn es um sie ging. Was war nur geschehen? Allmählich verschwand der Schleier vor ihren Augen und da saß er. Jakob sah unglaublich müde aus, sein Kinn war unrasiert, unter seinen Augen lagen dunkle Schatten.
„ Gott sei dank dir geht es gut! Ich habe gedacht du hättest mich verlassen! Maria, es tut mir so leid! Alles tut mir so unendlich leid!“
Maria sah die Tränen in seinen Augen, doch sie empfand nichts, sie war leer und kalt. Jacob griff nach ihrer Hand und sprach mit gebrochener Stimme weiter.
„ Nie war ich gut zu dir, nie habe ich dich so auf Händen getragen, wie du es eigentlich verdient hättest. Es tut mir so unglaublich leid Maria! Bitte verzeih mir eine Schuld, meine unglaublich große Dummheit!“
Jakob kniete sich vor ihrem Bett auf den Boden und legte seine kalte Stirn auf ihren Arm. Er bereute, das sah Maria, doch ob sie ihm verzeihen konnte, war für sie in diesem Augenblick nicht wichtig.
„ Wo ist unser Kind? Jakob, gib mir unser Kind, ich flehe dich an!“
Tränen liefen über seine eingefallenen Wangen, noch nie war Maria aufgefallen, dass auch er so gealtert war. Jakob brauchte nichts sagen, sie verstand auch ohne Worte. „ Nein, bitte lieber Gott! Warum muss ich so leiden, warum
nimmst du mir auch noch das Wichtigste in meinem Leben? Ich habe mich nie beklagt, nie habe ich mich über mein einsames Leben beklagt. Warum nimmst du mir jetzt auch noch das, was mich aus diesem Finstern hätte befreien können?“
Maria weinte bitterlich, nichts konnte sie trösten, sie spürte nichts in sich, außer den unbändigen Hass einer Mutter, der gerade ihr Kind genommen wurde.
„ Jakob, lass es mich sehen. Bitte, lass mich mein Kind sehen!“
Nun trat auch noch eine Frau an ihr Bett, die Maria vorher nur ein einziges Mal gesehen hatte. Es war Helene, die Hebamme. Ihr Haar war schon schlohweiß, die Haut von vielen winzigen Fältchen gezeichnet. Helene hatte gelebt, das sah man auf den ersten Blick. Maria wäre in einem anderen Moment neidisch auf diese Frau gewesen, denn auch sie hatte sich immer nach einem ereignisreichen Leben gesehnt, doch nun, sehnte sie sich einzig und allein nach ihrem Kind. Alles andere war unwichtig. Vorsichtig tastete Maria nach ihrem Bauch. Vielleicht war es ja noch in ihr und sie hatte alles nur geträumt? Maria wurde bitter enttäuscht. Ihr Leib fühlte sich weich und leer an. Fast schon so tot und leblos, wie sie es in diesem Augenblick auch gern hätte sein wollen. Jakob betrachtete seine Frau mit zärtlichem Blick. Noch nie zuvor hatte er seine Frau so innig betrachtet, noch nie zuvor, war sein Gefühl zu ihr dabei so voller Wärme gewesen. Erst jetzt bemerkte er, wie sehr er diese Frau liebte, wie sehr er ihre Nähe brauchte. Es musste erst etwas so unglaublich schreckliches geschehen, um ihm die Augen für die Schönheit und Liebe seiner Frau zu öffnen. Jakob schämte sich. Wie sehr hatte er sie verletzt, jeden Tag hatte er sie aufs Neue gedemütigt. Wenn er ehrlich zu sich war, musste er sich eingestehen, dass er manchmal dieses Gefühl von Überlegenheit genossen hatte. Jetzt fühlte er sich schmutzig, er fühlte sich schlecht. Niemals wieder würde er Maria Schmerz zufügen, niemals wieder wollte er eine andere Frau an seiner Seite haben. Wie sehr hoffte er, dass auch Maria ihn noch liebte. Jakob war sich allerdings auch bewusst, dass er in all den Jahren jegliches aufkeimende Gefühl seiner Frau mit Füßen getreten hatte.
„ Als ich dich so liegen sah, deinen Schmerz fühlte, hätte ich am liebsten dein Leid auf mich genommen. Maria, du wirst es mir nicht glauben und ich kann das auch verstehen, doch in diesem Augenblick wurde mir all mein Fehlen als liebender Ehemann und Freund bewusst. Wie sehr hast du die Jahre an meiner Seite gelitten, wie sehr habe ich dich verletzt. Glaube mir, auch ich habe gelitten, doch anders als du. Ich habe mich verhalten wie ein geschundenes Tier in einem Käfig, wie die gefangenen Löwen der Gaukler, die manchmal durch unser Land reisen. Doch in Wirklichkeit habe ich dich gequält. Vergib mir bitte Maria! Ich kann nicht gut machen, was ich dir angetan habe, doch ich werde zu einem besseren Menschen, wenn du mich noch willst.“
Jakob endete jäh, als Helene ein kleines Bündel, eingepackt in saubere Leinentücher, in Marias Arme legte. Tränen liefen über ihr schmerzverzerrtes Gesicht. Aller Schmerz überkam sie in diesem Moment, sie suchte Jakobs Hand, fast so, wie eine Ertrinkende den berüchtigten Strohhalm. Er gab ihr Halt, zum ersten Mal in ihrer Ehe, gab er seiner Frau das Gefühl, für sie da zu sein. Das Gesicht des Kindes war rosig, es schien Maria, als schliefe es.
„ Es lebt! Schau doch Jakob, es schläft nur!“
Jakob atmete langsam aus, er spürte den gleichen Schmerz wie sie, doch er wusste, dass ihr Kind niemals singend durch die Wiesen laufen würde, dass sie niemals ein schallendes Kinderlachen aus seinem kleinen Mund hören würden.
„ Ich wünschte so sehr wie du, dass unsere Tochter nur selig schlummert, doch es ist leider der Tod, der sie so friedlich aussehen lässt.“
Seine Worte waren leise, fast nur ein Hauch in der Kälte der Nacht. Maria schlug das Tuch zur Seite und sah, dass sie ein Mädchen zur Welt gebracht hatte. Es war das schönste Wesen, das sie jemals gesehen hatte. Nichts konnte diesen tiefen Schmerz, diese lähmende Gewissheit lindern. Sie hatte einen Engel geboren, sie würden ihm einen Namen geben und ihn dann in das Reich Gottes entlassen. Maria verstand die Wege ihres Herren nur selten, doch sie ergab sich ihnen stets bereitwillig. Dieses eine Mal allerdings, zweifelte sie an seiner Allmacht und Gerechtigkeit.

„ Wir nennen sie Katharina, denn sie ist die Reinheit, die Vollkommenheit!“
Maria gab ihrem Kind einen sanften Kuss auf die Stirn.
“ Ich gebe dich frei! Gib auf dich Acht, wo immer du auch sein magst, mein kleiner Engel! Wir werden dich immer lieben, dich immer in unseren Herzen bewahren.“
Jakob nahm das Bündel aus den Armen seiner weinenden Frau und küsste sein Kind ebenfalls.
„ Auch wenn du nicht an unserem Leben teilhaben darfst, du hast uns gerettet und dafür werde ich dir auf ewig dankbar sein!“
Er wollte sich noch nicht von seinem Kind trennen, doch Helene drängte ihn sanft.
„ Ich werde sie baden und ihr das Taufkleidchen anziehen. So wird Katharina sicher gut im Reich Gottes aufgenommen werden. Sorgt euch nicht, es wird ihr dort gut gehen, denn der Herr gibt auf sie Acht! Er hat sie nicht umsonst so früh zu sich gerufen, sicher hat er noch eine wichtige Aufgabe für sie.“ Jakob schmiegte sich an seine Frau und flüsterte leise und voll tiefer Trauer:
„ Eine Prüfung hat sie schon bestanden, denn sie war in der kurzen Zeit auf Erden in der Lage, meine Augen zu öffnen. Sie zeigte mir, wie schön es ist geliebt zu werden, wie wichtig es ist, selber zu lieben.“
Maria strich vorsichtig durch das volle, haselnussbraune Haar ihres Mannes. Wie lange hatte sie sich nach dieser Art von Zärtlichkeit zwischen ihnen gesehnt! Allerdings verstand sie nicht, warum ihrer Tochter dafür das Recht auf Leben versagt geblieben war. Der Preis den sie dafür bezahlen musste, erschütterte ihr Vertrauen in Gott und die Kirche. Maria ging seitdem kaum mehr zu den Predigten, sie betete nicht mehr so oft, wie sie es früher getan hatte. Maria trauerte viele Jahre, genauso wie Jakob. Doch der Tod ihrer Tochter verband sie auf ewig.

Das Ehepaar Schenck war Gespräch in der gesamten Stadt, ihre Verbundenheit und Liebe, die Veränderung ihres Umganges miteinander, füllte die Münder der Klatschweiber. Jede wollte etwas anderes wissen. Von Wunderkräutern war die Rede, von Hexerei und schwarzem Zauber. In diesem Zusammenhang wurde auch über den Tod des ersten Schenck- Mädchens gesprochen, die doch nur so kurz auf dieser Welt verweilen durfte. Immer grausiger wurden die Geschichten, immer unwirklicher die Tatsachen zum Verbleib des toten Körpers. Nach fast einem ganzen Jahr, wurde Helene von den Stadtbütteln, mitten in der Nacht, aus ihrem Haus geführt. Sie war sich keiner Schuld bewusst und glaubte in diesem Moment an eine schreckliche Verwechslung. Sie sollte sich irren. Am nächsten Morgen schon, wurde sie vollständig entkleidet vor eine Auswahl finster drein blickender Stadtmänner geführt. Helene schämte sich, so entblößt vor ihnen stehen zu müssen, doch jegliche Versuche ihre Scham zu bedecken, wurden vom Folterknecht verhindert. Helene weinte, doch noch immer hoffte sie darauf, dass dieser Irrtum aufgeklärt werden würde, dass alles nur ein böser Traum war.
„ Herr Richter, ich habe doch auch ihren Kindern den Weg auf diese Welt gezeigt, nun sagt mir doch endlich, warum ich hier steh!“
Wieder versuchte sie, mit ihren Händen Brüste und Geschlecht zu verdecken. Wieder wurde sie daran gehindert. Diesmal allerdings schlug der Folterknecht mit einem Stock auf ihre Hände, so dass sie vor Schmerz laut aufschrie.
„ Du bist eine Hexe, das hat die Beck und die Frau vom Gerber bezeugt! Du hast aus dem leblosen Kinderkörper der Schencks eine Hexensalbe gekocht! Gib es zu und du ersparst dir große Pein!“
Der Blick des Richters flog sichtlich angewidert über ihren nackten Körper. Helene war inzwischen sechzig Jahre alt, ihr Körper gezeichnet vom Alter. Die Brüste hingen schlapp an ihrem ausgemerkelten Oberkörper herab, die Haut war runzelig und grau. An einigen Stellen ihres Körpers standen die Knochen besonders markant hervor. Ihre Scham war beinah nackt, nichts von ihr blieb somit den Männern verborgen. Helene spürte die Furcht, die langsam aber stetig in ihre Glieder kroch. Sie war doch unschuldig, warum also sollte sie sich fürchten?
„ Ich bin keine Hexe! Ich bin eine Hebamme, meine Aufgabe ist es, Kindern das erste Licht zu zeigen, ihnen gesund auf die Welt zu helfen. Das Mädchen der Schencks war schon tot, als ich es das erste Mal auf dem Arm hielt. Ich kann nichts für ihren Tod! Glaubt mir bitte, ich bin unschuldig!“
Der Richter wies den Folterknecht mit nur einem kleinen Wink an, ihr die Instrumente zu zeigen, welche bei der Wahrheitsfindung helfen sollten. Helene stockte der Atem, das Blut gefror augenblicklich in ihren Adern.
„ Gestehe lieber, Hexe! Wenn nicht, werde ich als erstes deine Handgelenke hinter den Rücken binden und dich sogleich daran aufhängen. Deine Füße werden den Boden nicht mehr berühren, sobald ich erst begonnen habe dich hochzuziehen! Deine Schultern werden schmerzen, deine Knochen werden brechen und dir höllische Qualen bereiten.“
Der Folterknecht leckte sich genüsslich über die trockenen Lippen. Er genoss es sichtlich, seine Macht gegenüber Helene auszuspielen. Richter Merker trat nah an Helene heran und schaute ihr tief in die Augen. Helene hielt dem bohrenden Blick nur kurze Zeit stand.
„Gib zu, dass du eine Hexe bist, dass du der jungen Schenck einen Zaubertrank gemischt hast, damit ihr Mann in der Nacht das Lager wieder mit ihr teilt. Gib zu, dass du aus dem armen Kind bei Vollmond eine Salbe gekocht hast und damit deinen Be-sen bestrichen hast, um darauf eilig zu deinem Herren zu fliegen. Gib zu, dass du es mit ihm auf dem Besen getrieben hast, dass du dich ihm mit Leib und Seele hingegeben hast! Gestehe!“
Helene sah die Folterinstrumente, die Daumenschrauben, sie sah den Hexenstuhl, welcher über und über mit spitzen Nägeln bestückt war. Die Ausweglosigkeit ihrer Situation wurde ihr nur langsam bewusst, noch immer hoffte sie auf die Gerechtigkeit der hohen Männer, auf den Schutz ihres Gottes. Niemals hatte sie sich dem Satan hingegeben, niemals die toten kleinen Körper der Kinder geschändet, welche ihr von den trauernden Eltern zur Beerdigung übergeben wurden. Helene mochte zwar auf manche Menschen seltsam wirken, doch all die Kräuter die sie bei Vollmond sammelte, waren gute Kräuter. Sie brauchte sie, um den Schwangeren allerlei Pein zu nehmen, die Geburt zu erleichtern, manchmal sogar, wenn die Frau keinerlei Ausweg sah, eine Frucht zu nehmen. Natürlich durfte dies keiner dieser hohen Herren erfahren, denn es würde in ihren Augen nur wieder als Hexenwerk gelten.
„ Ich bin keine Hexe, so wahr ich hier steh! Sagt mir die genauen Anklagepunkte, ich werde sie zu entkräften wissen!“
Helene war sicherlich älter als manche Frau in dieser Stadt, doch sie war auch klug und redegewandt. Die Höhe ihres Alters lag einzig und allein daran, dass sie ihre Krankheiten stets mit der Heilkraft ihrer Kräutermedizin ausheilen konnte. Andere Frauen und Männer hingegen, gingen an einfachen Wehwehchen zu Grunde, da sich die Krankheit in ihnen ungehindert ausbreiten konnte. Selbst ein einfacher Husten konnte so, in der kühlen und nassen Jahreszeit, ein Todesurteil sein. Helene achtete auf Sauberkeit, sie wusch sich, wenn möglich jeden Tag. Auch war sie darauf bedacht, täglich ihre Wäsche zu wechseln, ihre Unterkleider genauso reinlich zu halten, wie ihr Oberkleid. Sicher, sie war arm; häufig wusste sie am Abend noch nicht, was sie am nächsten Morgen in den Magen kriegen sollte, doch ihre Sauberkeit sollte darunter nicht leiden. Ihr Körper war zierlich, fast schon mager, wobei ihr Alter sein übriges dazu tat.
„ Hexe! Du hast keine Ansprüche zu stellen, schon gar nicht, da selbst dein Äußeres dich als Hexe verrät!“
Helene wusste nicht, wie eine Hexe auszusehen hatte, schon gar nicht, warum gerade ihr Körper der einer solchen sein sollte. Der Raum um sie herum begann sich zu drehen, Übelkeit überkam sie.
„ Du bist alt und verschrumpelt wie eine alte, faule Pflaume. Deine Glieder sind dürr und verformt. Du hast die Zeichen des Satans überall auf deinem Körper verstreut. Wie oft hast du dich ihm schon hingegeben? Wie oft hast du ihm schon deinen nackten Arsch entgegengereckt?“
Plötzlich wurde die Übelkeit übermächtig. Helene erbrach sich in hohem Schwall, direkt vor die Füße des Richters. Dieser war gerade wieder aufgestanden und hielt eine Nadel in seiner rechten Hand. Es stank erbärmlich nach dem Erbrochenen der alten Frau. Da sie seit ihrer Festnahme kaum mehr etwas zu sich genommen hatte, bestand das, was aus ihrem Magen kam, fast ausschließlich aus einer klaren, schleimigen Flüssigkeit. Der saure Geruch, der den Raum nun fast vollständig auszufüllen schien, löste eine Welle des Würgens bei den Männern des Gerichts aus. Der Richter sprang einen Schritt zurück, doch seine Bewegungen waren nicht schnell genug, so, dass seine Stiefel nicht mehr zu retten waren. Helene wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Sie fror entsetzlich in diesem kalten, nassen Kellergewölbe. Noch immer war sie splitternackt, noch immer gingen die hohen Leute davon aus, dass sie eine Hexe war. Wie sollte sie nur ihre Unschuld beweisen?
„Legt ihr die Daumenschrauben an, damit diese Posse endlich ein Ende hat! Ich halte diesen satanischen Gestank, den diese Hexe verbreitet, keinen Moment länger aus.“
Für Helene war dieser Satz das Ende alles Guten, das Ende ihrer Welt. Sie war schuldig, bevor sie sich überhaupt hatte verteidigen können. Wo war Gott jetzt? Wo war ihr Herr in diesem Moment? Ließ er sie so leiden, damit sie für ihre Sünden Buße tut? Helene wusste es nicht, sie verlor all ihre Hoffnung, doch an ihren Glauben hielt sie trotz allem fest. Ein stechender, heiß- kalter Schmerz durchfuhr ihre Hände. Der Folterknecht hatte inzwischen mit genießerischer Ruhe die Daumenschrauben angelegt und drehte sie mit aller Macht fest. Helene hörte ein lautes Splittern und Krachen, fast so, als zerbräche ein morsches Stück Holz. Blut spritzte, doch der Schmerz raubte ihr sofort die Sinne.
„ Schüttet einen Eimer kaltes Wasser über dieses elende Weib! Die Hexe muss bei Sinnen sein, um ihre Schuld zu gestehen!“
Helene benötigte zwei Eimer Wasser, bevor sie langsam wieder ihre Augen öffnete. Der Schmerz, der sich wie ein glühendes Schwert, in ihre Seele brannte, hätte schlimmer nicht sein können. Helene hatte Angst, nackte, kalte Angst beherrschte sie. Der Richter hingegen schaute sie unbeeindruckt an, wischte seine triefende Nase an einem blütenweißen Tuch ab und stellte sie erneut vor die Wahl.
„ Gibst du endlich zu, dass du mit den bösen Dämonen verbündet bist? Gibst du zu, all die Straftaten begangen zu haben, die dir hier und heute zur Last gelegt werden?“
Helene wurde wieder übel, erneuter Brechreiz überkam sie.
„ Steckt den Kopf der Hexe in einen Wassertrog, damit sie uns nicht wieder mit ihrer stinkenden Galle voll spuckt!“
Helene ließ alles über sich ergehen, sie hatte die Hoffnung, dass sie vielleicht sogar die Gnade bekäme unter Wasser zu sterben. Ihr wäre alles Recht gewesen, wenn nur endlich diese höllischen Qualen ein Ende finden würden. Prustend kam ihr Kopf wieder zum Vorschein, der Brechreiz war vorerst verschwunden, doch die Übelkeit blieb. Helene war nicht mehr Herrin über ihre Sinne, sie lallte und sabberte, der Schmerz hielt sie gefangen, nie wieder würde er sie verlassen. Sie wollte sterben, ihre Ruhe finden, denn schlimmer als das, konnte die Hölle nicht sein.
„ Gestehst du endlich?“
Der Richter wurde immer ungehaltener, zu lange schon dauerte ihm diese Tortur. Für die hohen Herren war diese Hartnäckigkeit, wie sie es später bezeichnen würden, ein klares Indiz dafür, dass die Hebamme schuldig war. Sie musste einen Pakt mit dem Teufel eingegangen sein, denn sonst hätte sie diese Schmerzen und Qualen nicht so lange durchstehen können. Helene raffte sich ein letztes Mal auf. Sie wollte nicht als Hexe gelten, sie würde niemals etwas gestehen, was nicht der Wahrheit entsprach.
„ Ich bin keine Hexe! Ich bin so wenig eine Hexe, wie ihr der Satan seit!“
Danach brach sie erneut kraftlos zusammen. Der Richter war außer sich, er gestikulierte wild, während er den Folterknecht aufforderte, glühende Späne unter die Nägel der Hexe zu schlagen. Als auch diese Tortour nicht den gewünschten Erfolg brachte, wies er den Folterknecht an, die Hexe wieder in ihren Kerker zu bringen.
„ Und lasst den Bader kommen, damit er ihr die Daumen wieder einrenkt! Gebt ihr zu Trinken, falls sie überhaupt in der Lage sein sollte etwas zu sich zu nehmen.“
Der Folterknecht, dessen massiger Körper vor Schweiß und Dreck stank wie die Gassen der ärmeren Viertel dieser Stadt, hob Helene unsanft auf. Er achtete nicht darauf, dass ihr zerbrechlicher Körper, welcher durch die Schläge der Stadtbüttel grün und blau war, an die kalten Wände schlug. Helene wurde unsanft auf ein Lager aus schmutzigem Stroh gelegt. Unsanft wurde ihr der Schandkittel übergestreift, welcher aus hartem, kratzendem Leinen bestand. Helene bekam all dies nicht mit, sie brauchte lange, bis sie wieder zu sich kam.

3. Kapitel


Die Hebamme schlug vorsichtig ihre geschwollenen Augen auf. Der Schmerz, welcher sie nun erneut überkam, brachte sie fast um den Verstand. Um sie herum war es dunkel, der Gestank nach menschlichen Ausdünstungen und den Abfällen geschundener Körper, raubte ihr den Atem. Warum hatte sie nicht sterben können? Warum musste sie noch weiter diese Qual ertragen? Ihre Finger schmerzten, es war fast so, als hätte man ihr brennendes Holz unter die Nägel geschoben. Sie wusste gar nicht, wie Recht sie damit hatte. Der Richter nutzte jeden lichten Moment, um ein Geständnis aus Helene heraus zu bekommen. Er hatte auch nicht davor zurückgeschreckt, ihr, mit in Schwefel getränkten Holzspänen, noch mehr Schmerz zuzufügen. Helene allerdings, hatte dies schon nicht mehr mitbekommen. Sie war irgendwann in eine andere Welt getaucht, in eine Welt ohne Schmerz und Furcht, in eine Welt, in der sie ihrem Schöpfer näher war, als hier auf diesem kalten Planeten. Sie versuchte die geschundenen Glieder so zu legen, dass dieser quälende Schmerz wenigstens ein wenig gelindert wurde, doch es gelang ihr nicht. Das klamme Stroh ließ die Kälte des harten Steinbodens direkt zu Helenes Körper vordringen. Sie zitterte erbärmlich, sie hatte Durst, der Hunger nagte an ihr. Wie im Nebel liefen die nächsten Minuten und Stunden an ihr vorbei. Sie empfand nichts, weder Hass, noch Wut. Helene war leer, ausgebrannt, dem Tod näher als dem Leben. Sie würde bald sterben und sie hoffte auf diesen Moment, der ihrem Leiden hoffentlich bald ein Ende setzen würde. Das Poltern der Tür riss Helene kurz aus ihrer Gleichgültigkeit. Der Bader betrat den Kerker, welcher in einem schlanken, steinernen Turm, direkt an der Stadtmauer, untergebracht war. Seit hier Hexen gefangen gehalten wurden, wurde dieser Teil des Kerkers auch Hexenturm genannt. Selbst Franz Neuner ließ der bestialische Gestank dieses Raumes fast ohnmächtig werden. Er hielt sich eilig ein Tuch vor Nase und Mund und versuchte, so oberflächig wie nur irgend möglich, zu atmen. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, doch was er dann im Schein des kleinen Binsenlichtes in seiner Hand sah, ließ ihn an der Gerechtigkeit Gottes zweifeln. Vor ihm auf dem Boden kauerte eine alte Frau, das Haar hing ihr Schweiß und Blutverschmiert vom Schädel. Das Lager aus Stroh unter ihr, hatte sich verdächtig dunkel gefärbt, der Gestank ließ darauf schließen, dass es sich hierbei nicht um Blut handeln konnte. Er sollte die Daumen dieser Frau wieder einrenken und ihre Wunden grob versorgen, damit sie für die nächste peinliche Befragung so schnell wie möglich wieder zur Verfügung stand. Das Mitleid überkam diesen kleinen, hageren Mann. Selten nur, hatte er eine Frau zu behandeln, welche diese Tortur überlebt hatte, ohne ein Geständnis abzulegen. Noch nie hatte er in seiner Zeit als Bader erlebt, dass eine vermeintliche Hexe nochmals unter die Folter musste. Normalerweise hätte die so genannte Nadelprobe zur Verurteilung ausgereicht, doch Richter Merker wollte stets und unter allen Umständen ein Geständnis erzwingen. Josef Merker hasste diese Hexenbrut, diese Schar von Teufelsbuhlinnen. Aus diesem Grund war der neue Richter schon nach kurzer Zeit vielerorts als besonders streng und brutal verschrien, dies allerdings, schien ihn nur noch in seinem unmenschlichen Umgang mit den armen Wesen zu bestärken. Franz Neuner hingegen glaubte nicht an Hexen, jedenfalls glaubte er nicht daran, dass diese sich so leicht unter den normalen Menschen finden lassen würden. Er sah schließlich täglich die Wunden, die schmerzverzerrten Gesichter, die Angst in den blutunterlaufenen Augen der geschundenen Frauen, Kindern und Männern. Warum sollte Satan seinen Untertanen diese Schmerzen zumuten? Hieß es nicht, dass er den Hexen unter der Folter allen Schmerz nahm? Warum dann, mussten diese Menschen so leiden? War dies nicht ein Beweis für die Unschuld dieser Wesen? Helene wurde von dem plötzlichen Lichtstrahl geblendet. Ihre Augen schmerzten, sie wusste nicht woher dieses wunderbare Licht kam. War das ihre Erlösung? War dieses Licht das Licht Gottes? Hatte sie genug für ihre Sünden Buße getan? Helene lächelte.
„ Bleibt ruhig liegen, ich gebe ihnen erst einmal etwas zu trinken.“
Helene verschwand sofort wieder in einem Tal aus Hoffnungslosigkeit. Es war also noch nicht das Ende, im Gegenteil, sie wurde versorgt, damit ihre Pein bald fortgesetzt werden konnte. Franz Neuner hielt vorsichtig den Kopf seiner Patientin hoch, um langsam etwas Wasser auf deren aufgesprungenen Lippen zu träufeln. Das Wasser war brackig und alt, es stank beinah genauso fürchterlich, wie der Rest dieses schrecklichen Ortes. Helene trank gierig, ihr leerer Blick konnte die Dankbarkeit, die sie in diesem Moment für den Bader empfand, nicht ausdrücken. Franz Neuner allerdings verstand Helene auch so. Nachdem er ihr beim Hinsetzen geholfen hatte, begann er mit der Untersuchung. An ihrem Oberkörper konnte er nur ein paar blaue Flecken und vereinzelte Schürfwunden feststellen, ihre Hände hingegen waren bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Übelkeit stieg in ihm auf. Zwar konnte er Blut ohne Probleme sehen, doch die Begleitverletzungen waren so schrecklich, dass es selbst den härtesten aller Männer die Tränen in die Augen getrieben hätte. Helenes Daumen waren so zerquetscht, dass das Fleisch von ihnen in ganzen Fetzen abhing. Die Knochen hingegen waren vollkommen zertrümmert. Unter den restlichen Nägeln der Betroffenen sammelte sich das geronnene Blut, die Finger selbst waren verkohlt und stanken noch immer nach verbranntem Horn, fast so, wie wenn man einem Pferd neue Hufe anpasste. Das sanfte Licht dämpfte den schrecklichen Anblick ein wenig, doch der Bader wollte das gesamte Ausmaß der Verletzungen auch gar nicht sehen. Er empfand tiefstes Mitleid, unglaubliche Wut und unbändige Furcht vor dem, was die Menschen dieser Stadt wohl noch Schreckliches erwarten würde. Als er Helene so gut es ihm hier möglich war versorgt hatte, strich er ihr noch einmal vorsichtig über ihre geschundene Hand.
„ Gott sei mit dir!“
Helene schaute ihm mit leeren Augen hinterher, ihr Glaube würde sie nicht retten können. Die Zeit verging nur schleppend. Helene konnte in dieser Dunkelheit nicht mehr zwischen Tag und Nacht unterscheiden, sie lag auf ihrem Lager und stierte ins Nichts. Was würde in der nächsten Zeit noch auf sie zukommen? Während sie auf ihr Ende wartete, hörte sie erneut den Schlüssel im Schloss der schweren Eichentür. Wieder sah sie ein warmes Licht auf sich zukommen, doch sie hoffte nicht mehr auf ihre Erlösung. Sie sah eine schlanke Frau mit hochgestecktem Haar auf sich zukommen, Sie konnte auch unter größter Anstrengung nicht erkennen um wen es sich diesmal handelte. Da ihre Augen so sehr an die ständige Finsternis gewöhnt waren, blendete selbst dieses sanfte Licht ihre Augen so stark, dass sie diese nach einer Weile wieder schloss.
„ Helene, was haben sie dir nur angetan?“
Die Stimme dieser Frau kam ihr bekannt vor, doch ihr Kopf war so leer, dass sie nicht darüber nachdenken konnte, wo sie diese schon einmal zuvor vernommen hatte.
„ Ich bin es, Helene! Erkennst du mich nicht? Maria Schenck! Du hast mir mein Leben gerettet, damals!“
Helene erinnerte sich an die Frau des Schankwirtes Jakob.
„ Was willst du? Willst du schauen, ob ich alte Hexe auch richtig leiden muss?“
Maria erschrak, sie war hier um zu helfen, nicht um sich an ihrem Leid zu ergötzen!
„ Sprich nicht so, denn ich bin hier um dir zu helfen. Ich weiß allerdings nicht wie…!?“
Verzweiflung lag in ihrer Stimme, auch Helene entging das nicht.
„ Du kannst mir nicht helfen! Bete für meine Seele, vielleicht hilft ihr das, vor dem Gericht Gottes zu bestehen. Geh! Geh und komm nicht wieder! Ich bin verloren und auch du solltest besser nicht mit mir in Verbindung gebracht werden! Geh, ich bitte dich!“
Helenes Augen hatten sich inzwischen an das leichte Licht gewöhnt, somit sah sie auch gleich die verräterische Rundung unter Marias Kleid.
„ Du bekommst wieder ein Kind? Ich freue mich für dich!“
Maria griff sich schützend an ihren Bauch, die Angst, erneut ein totes Kind zu gebären, begleitete sie täglich.
„ Ja, es ist bald soweit, ich spüre schon, dass es auf die Welt möchte. Doch das soll nicht das Thema sein. Wie kann ich dir helfen? Sprich doch endlich, und sage mir, wie ich wenigstens deine Schmerzen lindern kann!“ Helene überlegte nicht lange.
„ Geh in mein Haus, doch lasse dich nicht dabei entdecken! In einem roten Flakon unter meinem Lager, ist ein Mittel, welches meiner Pein ein sanftes Ende bereiten kann. Bring mir diesen, doch beeile dich, der Richter wird nicht mehr lange warten. Er will mich brennen sehen!“
Maria erhob sich und verließ eilig, nachdem sie drei Mal an die schwere Tür geklopft hatte, den schmutzigen Kerker. Sie war froh, wieder frische Luft atmen zu können. Heute Nacht würde sie in das Haus der Hebamme gehen und die Medizin holen. Aus was auch immer diese bestehen mochte, sie würde sie Helene bringen, so schnell wie möglich!

4.Kapitel


„ Maria, kommst du zu Tisch? Die Suppe wird sonst kalt!“ Jakob saß schon erwartungsvoll am schweren Eichentisch, welcher Mitten in der Stube des Hauses stand. Der Tisch war mit einem weißen Leinentuch bedeckt, darauf wiederum, stand braunes, handgetöpfertes Geschirr. Die Mitte zierte ein großer, sehr bunter Blumenstrauß, welcher in seiner Form darauf hinwies, dass Jakob in selber gepflückt haben musste. Maria kam eilig in die Stube, während die Terrine, die sie trug, fast schon auf ihrem Bauch aufsaß. Jakob lächelte seine Frau liebevoll an, er betrachtete ihre Rundungen und bemerkte dabei, dass er seine Frau noch nie als so schön empfunden hatte. Er vergötterte Maria, doch heute, sah er nicht nur ihr schönes Gesicht, sondern auch den Beweis ihrer tiefen Liebe für einander. Seit der Geburt ihres toten Kindes vor einem Jahr, hatte sich ihre Beziehung zueinander grundlegend geändert. Während sie früher nur nebeneinander her gelebt hatten, ohne Liebe und Wärme, so lebten sie nun miteinander. Sie genossen die Stunden zu Zweit, die Nähe und Zärtlichkeit. Obwohl Jakob häufig brutal und streng zu Maria gewesen war, konnte sie sich inzwischen vollkommen seinen Berührungen hingeben. Seitdem die Liebe gesiegt hatte, waren die Tage und vor allem auch die Nächte von einer ungeheuren Sanftheit und Umsicht erfüllt. Maria liebte ihren Jakob mehr als ihr eigenes Leben, sie verstand ihn inzwischen, konnte mit seinen, immer noch häufigen Launen umgehen. Sie fühlte sich in seiner Nähe sicher, ohne ihn, war sie nur ein halber Mensch. Jakob selbst, war der glücklichste Mensch auf Erden, er genoss es, seine Frau zu verwöhnen, zu liebkosen. Er hatte dies zwar erst lernen müssen, doch fiel es ihm nicht so schwer, wie am Anfang gedacht. Er war es immer gewöhnt gewesen eine Frau zu besitzen, ob sie wollte oder nicht. Er fand es damals unnötig, eine Frau zu streicheln, zu küssen. Für ihn war stets nur seine Befriedigung wichtig gewesen, ob die Frau Schmerzen dabei empfand, kümmerte ihn nicht. Nun war alles anders. Jakob Schenck, der einsame, tief traurige und verzweifelte Nichtsnutz, konnte sich sein Leben ohne seine Frau nicht mehr vorstellen.

Maria sah den unförmigen Blumenstrauß, welcher in einem alten, hässlichen Bierkrug aus der Wirtschaft Platz gefunden hatte. Sie schmunzelte ihren Mann an, welcher mit erwartungsvollem Blick vor seinem noch immer leeren Teller saß.
„ Gefällt er dir? Ich habe ihn selber gepflückt!“
Maria konnte sich ein Lachen nicht mehr verkneifen.
„ Jetzt habe ich in meinem Garten wohl nur noch das Gemüse zu gießen?“ Beschämt schaute Jacob zu Boden. Er hatte tatsächlich all ihre Blumen gepflückt, in der Annahme, dass sie doch auf dem Tisch in der Stube viel besser aussehen mochten, als in dem inzwischen verwilderten Garten.
„ Ich freue mich! Jakob, schau nicht so traurig! Die Blumen sind wunderschön, hab Dank!“
Verschmitzt zeigt Jakob auf den Tisch.
“ Könnten wir dann jetzt endlich essen, ich sterbe nämlich vor Hunger!“
Mit großem Appetit aßen beide den deftigen Eintopf, in dem viel gutes Fleisch und große Fettaugen schwammen. Maria kochte für ihr Leben gern, vor allem, seit Jakob ihre Leistungen in Haus und Küche anerkannte.
„ Wann meinst du wird unser Kind auf die Welt kommen? Ich will diesmal bei dir sein, dir in deinem Schmerz beistehen!“
Maria war ihrem Mann dankbar, wie gern wollte sie ihm seine Unruhe nehmen. Doch selbst sie wusste noch nicht, wie sie diese Geburt überstehen würde.
„ Wer wird dir bei der Niederkunft helfen, jetzt, wo sie unsere Hebamme der Hexerei bezichtigen?“
Maria hatte noch nicht darüber nachgedacht, obwohl die Ankunft ihres Kindes nahte. „ Ich weiß es nicht, Jakob. Ich kenne keine andere Hebamme, schließlich hat Helene keine Tochter, die ihr Handwerk weiterführen könnte. Ich bin ratlos, was dies betrifft, doch ich bin mir sicher, dass unsere Tochter auch so den Weg zu uns finden wird.
“ Jakob schaute seine Frau überrascht an. „ Woher weißt du, dass es wieder ein Mädchen wird?“
„ Ich spüre es einfach und ich spüre auch, dass sie ein gesundes, kräftiges Kind sein wird. Glaube mir, es wird alles gut werden.“ Jakob legte seine Hand auf den mächtigen Bauch seiner Frau und lächelte.
„ Du bist so stark, ich bewundere dich für deine Kraft! Ich werde da sein, also bist du wenigstens nicht ganz allein.“
Maria küsste Jakob auf die stoppelige Wange.
„ Aber bevor ich irgendetwas tue, wirst du dich noch rasieren! Schließlich soll unsere Marthe sich ja freuen, wenn sie das erste Mal in das Gesicht ihres Vaters sieht!“ Maria lachte herzlich und trug das schmutzige Geschirr in die Küche.
„ Marthe wird unser Kind also heißen…!“
Jakob gefiel dieser Name, doch auch wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte er sich niemals gegen den Willen seiner hochschwangeren Frau aufgelehnt. Viel zu sehr liebte er sie für ihre Spontaneität und Freude. Maria wusch in der Küche eilig das Geschirr ab, ihre Gedanken dagegen waren schon im Haus der Hebamme. Wie sollte sie ihrem Mann nur erklären, dass sie mitten in der Nacht noch einmal das Haus verlassen musste? Jakob kam in die Küche und legte schwungvoll den Arm um Marias Schulter. Er wirbelte sie zu sich herum und drückte ihr einen dicken Kuss auf die Stirn.
„ Ich liebe dich! Unsere Marthe wird sicher genauso schön wie ihre Mutter!“
Maria freute sich, dass Jakob der Name gefiel. Sie hatte ein schlechtes Gewissen ihn nun anlügen zu müssen, doch es nützte nichts, sie musste es einfach tun, für Helene. „ Mir ist etwas unwohl, bestimmt hilft mir noch ein wenig Frischluft. Ich bin bald wieder da!“
Jakob traute seinen Ohren nicht, schließlich sollte in diesen Zeiten keine Frau alleine in der Nacht auf die Straße gehen. Er weigerte sich Maria gehen zu lassen, so sehr sie auch bettelte und sich herauszureden versuchte, er ließ sie nicht gehen. Maria blieb also nichts anderes übrig als Jakob einzuweihen. Was sollte er auch dagegen haben, der Frau zu helfen, die ihr einmal das Leben gerettet hatte?
„ Ich muss gehen, Jakob! Ich habe es ihr versprochen!“
Jakob verstand kein Wort.
„ Wem hast du etwas versprochen?! Maria, sag mir bitte was du vor hast, ich werde dir helfen, egal worum es sich handelt!“
Maria fiel ihm weinend um den Hals, sie wünschte sich seine Hilfe, doch sie hatte Angst, dass er ihr verbieten würde der Hebamme zu helfen. Schließlich sollte diese doch eine Hexe sein… Nachdem sie lange über die schrecklichen Zustände im Kerker gesprochen hatte, nachdem sie in bunten Bildern die Pein der Hebamme beschrieben hatte, erhob sich Jakob und zog sich seinen Mantel über.
„ Komm, wir haben heute Nacht noch etwas zu erledigen!“
Maria war mit einem Mal wie euphorisiert, sie sprang auf und legte sich ihr Tuch um die Schultern. „ Wir müssen vorsichtig sein, denn die Büttel bewachen die ganze Stadt. Vor allem dürfen wir uns nicht im Haus der Hebamme sehen lassen, denn sonst sind wir verloren!“
Maria hatte Angst, um Jakob und ihr Kind, sich selbst vergaß sie wie so oft dabei. Hand in Hand gingen sie durch die nassen Straßen. Die Stadtbüttel hatten sich an fast jeder Straßenecke postiert, scheinbar glaubten sie, die Hexen würden so in der Nacht direkt in ihre Arme laufen. Helenes Haus lag in der Dunkelheit einer riesigen Eiche. Vorsichtig öffnete Jakob die Tür des heruntergekommenen Hauses, ein muffiger Gestank traf ihn wie ein Schlag. Maria wurde übel.
„ Ich weiß nicht was hier so übel riecht, doch ich glaube, es wird uns nicht gefallen! “
Das Binsenlicht, welches sie mitgenommen hatten, offenbarte Unglaubliches. Das Haus bestand aus nur einem einzigen Raum, welcher nicht größer war, als die gute Stube der Familie Schenck. Eine kleine Feuerstelle in der Ecke des kleinen Raumes, schien häufig genutzt worden zu sein, jedenfalls sah sie so schmutzig und verrußt aus, als hätte sie wochenlang, ohne Reinigung, durchgebrannt. Überall an den Wänden hingen getrocknete Kräuter und Pilze. Maria fühlte sich unwohl. War Helene doch eine Hexe? Ein riesiger Kessel in der anderen Ecke des Raumes ließ darauf schließen, dass darin Zaubertränke gebraut wurden. Hatte die Hebamme vielleicht doch die toten Babys zu Salbe verkocht? Nein! Helene mochte zwar seltsam sein und aus Kräutern Tränke brauen können, die wundersame Wirkungen hatten, doch deshalb war sie noch lange keine Hexe! Sie mussten den Flakon finden, nur so konnte Maria der alten Frau helfen. Entschlossen trat Maria auf das Lager der Hebamme zu und erschrak. Auf der Matratze lag eine schwarze Katze, eingerollt, als würde sie selig schlummern. Der bestialische Gestank allerdings, welcher von ihr auszugehen schien, sprach eine andere Sprache. Die Katze hatte auf Helen gewartet, ohne das Haus verlassen zu können. Die Fenster waren mit hölzernen Läden verschlossen, die Tür lag fest im Schloss. Das arme Tier hatte keine Möglichkeit zu flüchten oder sich außerhalb Futter zu suchen, sie war somit jämmerlich verhungert. Maria packte das Mitleid, wie sehr musste sie Helene vermisst haben, dass sie auf deren Lager sterben wollte? Jakob nahm ein Leinentuch und wickelte den leblosen Körper der Katze fest darin ein.
„ Wir werden sie in unserem Garten begraben!“
Maria spürte, dass auch er Helene nicht verurteilte, sie war froh, dass er in diesem Augenblick bei ihr war. Es dauerte nicht lange und sie hatten den Flakon gefunden. Schnell verstaute Jakob ihn in seiner Jackentasche und schob Maria in Richtung Tür.
„ Wir müssen gehen, viel zu lange schon sind wir hier! Lass uns gehen, ich bin froh, wenn wir unentdeckt wieder zuhause ankommen!“
Maria zog das Tuch enger um ihre Schultern und so verließen sie mit eiligen Schritten das Haus der Hebamme.


5. Kapitel



Früh am Morgen schon verließ Maria das Haus, sie hatte nur einen Weg vor sich, sie musste zu Helene. Wie sehr hoffte Maria, dass es noch nicht zu spät war um ihr zu helfen. Vorsichtig betrat sie den Hexenturm. Der Wärter, welcher schon früh am Morgen stark nach Alkohol stank, schaute sie nur dümmlich an.
„ Was wollt ihr schon wieder hier? Die Hexe darf keinen Besuch mehr empfangen, da sie heute erneut befragt wird.“
Maria atmete auf, es war also noch nicht zu spät, doch wie sollte sie ungehindert an dem Wärter vorbei kommen?
„ Ich habe ihr versprochen, noch einmal ein Gebet für sie zu sprechen! Bitte lasst mich durch, es wäre doch sowieso das letzte Mal!“
Der Wärter schaute angewidert auf Marias Bauch.
„ Bist du nicht das Weib vom Schenken- Jakob?“ „ Ja, das bin ich. Ist das wichtig? Dem Wärter trat ein gieriges Funkeln in die dümmlichen, wässrigen Augen.
„Wenn ihr mich einmal einladen würdet, dann könnte ich vergessen, dass ihr heute hier ward…!“
Maria verstand sofort, doch ihr sollte es Recht sein. Jakob hatte bestimmt nichts dagegen, sie würde ihm später sowieso über alles Bericht erstatten.
„ Wir würden uns sehr freuen, sie als unseren Gast begrüßen zu dürfen!“ Der Wärter lächelte Maria von oben herab an, fast so, als hätte er einen großen Sieg über sie errungen. Er wusste allerdings nicht, dass er der Verlierer dieses Spieles war. Sabbernd schloss er die Kerkertür auf und hielt sie Maria auf.
„ Klopft drei Mal, wenn ihr genug von der Hexe habt. Und seid vorsichtig, damit sie euch nicht auch verhext!“
Marias Herz begann heftig zu schlagen.
„ Ich habe ein Kruzifix um den Hals, macht euch also um mich keine Sorgen! Ich bin gegen jeden Zauber gefeit, der Herr ist mein Zeuge!“
„ Schon gut, das war ja nur ein Scherz!“
Kopfschüttelnd schloss er die Tür hinter Maria und brabbelte dabei unverständliche Worte. Helene lag noch immer auf ihrem Strohlager. Es war noch das gleiche verschmutze Stroh, der Gestank schien nicht mehr stärker werden zu können. Maria überkam eine unglaubliche Übelkeit. Sie musste stark sein, schließlich wollte sie Helene helfen! „ Hast du es gefunden?“ Die Stimme der Hebamme war heißer und kraftlos.
„ Ja, ich hoffe nur, dass es reicht um deine Schmerzen zu lindern!“
Helene lächelte bitter. „ Es reicht um eine ganze Familie auszulöschen!“
„ Es wird dich töten? Ich dachte es würde dir nur die Schmerzen nehmen!“
Maria war entsetzt. Niemals hätte sie den Flakon mitgebracht, wenn sie gewusst hätte, dass er Gift enthielt! Sie wollte nicht Schuld am Tod dieser Frau sein! Sie wollte nicht so einfach die Hoffnung aufgeben, dass Helene doch die Befragung überstehen würde und somit frei gesprochen wurde!
„ Was glaubst du, Kind? Du hast keine Vorstellung darüber, wie sehr der Richter uns Frauen hasst, wie sehr er mich heute Abend quälen würde, nur um seine Anschuldigungen mir gegenüber zu rechtfertigen. Er will, dass ich etwas gestehe, was in seinem Hirn schon eingebrannt ist. Tue ich dies nicht, wird er mich so lange der Folter aussetzen, bis ich sterbe. Maria, ich bin schon so gut wie tot, für ihn bin ich eine Hexe und muss ausgelöscht werden. Hilf mir, dass ich ohne weitere Schmerzen sterben darf. Hilf mir, dass ich vor meinen wahren Richter treten kann. Er allein wird über mein weiteres Schicksal entscheiden, er wird entscheiden, ob ich in sein Reich eintreten darf, oder in die Hölle fahren muss.“
Maria kniete sich neben Helene und hielt vorsichtig deren geschundene Hand.
„ Aber wenn du selbst Hand an dich legst, wird er dich abweisen, er wird dich nicht aufnehmen!“
Wieder lächelte die alte Frau.
„ Er wird mich nicht abweisen, denn diese Foltermethoden sind kein Werk Gottes; sie sind das Werk des Satans, welchen sie eigentlich vernichten sollen. Vielleicht wird der Herr mich nicht mit offenen Armen empfangen, doch er wird mich in sein barmherziges Reich aufnehmen, er wird mich lieben, so wie er es schon immer getan hat. Gib mir den Flakon und dann geh!“
Maria weinte, sie wusste, dass Helene Recht hatte, trotzdem fühlte sie sich in diesem Moment unglaublich hilflos.
„ Woraus besteht dieser Trank? Nur damit ich weiß, womit ich dich töte…“
„ Der Trank besteht aus vielen verschiedenen Zutaten. Hauptsächlich aber besteht er aus allerhand giftiger Pilze, Pflanzen und Beeren. Niemals vorher habe ich ihn angewandt, doch nun wird er seine Wirkung tun, seine Bestimmung erfüllen. Maria, glaube mir, nicht du tötest mich, denn ich bin schon gestorben, in dem Moment, als ich der Hexerei bezichtigt wurde. Du hilfst mir nur, in Ruhe zu gehen, ohne Schmerz und weitere Tortur. Maria, ich bin keine Hexe, auch, wenn ich gewisse Kräuter der Natur zu nutzen weiß. Ich habe niemals Unrecht getan! Ich wünsche dir und deiner Familie alles Glück und den Segen unseres Herren, denn er ist die Gerechtigkeit, die Liebe, die Kraft! Vergiss das niemals!“


Maria rannen Tränen über die vollen Wangen, sie bewunderte die Unerschütterlichkeit ihres Glaubens an die Herrlichkeit des Herren. Sie hoffte inständig, dass er Helene wirklich in sein Reich aufnehmen würde, auch, wenn sie ihrem Leben selbst ein Ende setzen würde. Helene setzte den Flakon an ihre blassen, trockenen Lippen und trank den Inhalt in einem Zug leer. Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr ausgemergeltes Gesicht. „ Nun geh und nimm den Flakon mit dir. Vernichte ihn, so dass niemand auf den Verdacht kommt, du hättest einer Hexe geholfen. Ich werde dir auf ewig dankbar sein!“ Helene schloss ihre Augen ein letztes Mal, Gott erwartete schon ihre geschundene Seele. Maria stand noch eine Weile neben dem leblosen Körper der alten Frau. Plötzlich dämmerte es ihr, in welcher Gefahr sie sich nun selbst befand. Sollte der Wärter den Tod der vermeintlichen Hexe erkennen, würde sie als Mittäterin sofort verhaftet werden. Eilig versteckte sie den verräterischen Flakon unter ihrem Rock und klopfte an die Tür. „ Die Hexe schläft, ich hoffe nur, dass der Richter die gerechte Strafe für ihre Missetaten findet!“ Maria schmerzten diese Worte, doch sie musste von sich ablenken, nur so konnte sie unbehelligt den Kerker verlassen. „ Wolltest du nicht für dieses elende Hexenweib beten?“ Der Wärter schien misstrauisch zu sein, doch Marias angewidertes Gesicht schien ihn plötzlich zu belustigen. „ Ich hatte es vor, doch da war ich von deren Unschuld auch noch überzeugt. Doch nun hat sich das Blatt gedreht, in ihrem Schmerz hat die Hexe mir all ihre Untaten gestanden, all die grauenhaften Einzelheiten. Als ich begann für ihre Seele zu beten, begann sie zu wimmern und sich zu winden. Scheinbar bereiteten ihr die Worte aus der Bibel eine noch größere Pein, als die Folter es jemals vermögen wird. Gott sei mein Zeuge!“
Der Wärter zeigte seine gelben Zähne, wieder schlug Maria der heftige, stinkende Dunst seines Atems entgegen. Maria versuchte ihr schönstes, verführerischstes Lächeln.
„ Ich hoffe, dass ihr meine Einladung trotzdem annehmen werdet! Mein Mann und ich freuen uns darauf, ihnen mit einem herzhaften Braten und bestem Wein zu danken. Nun weiß ich endlich, dass all meine Mühen für diese Frau vergebens waren.“
Der Wärter schloss die Kerkertür hinter sich ab, ohne auch nur einen einzigen Blick hinein zu werfen. In Gedanken schwelgte er schon in den Genüssen des Weines. Maria verabscheute sich, so schlecht von Helene gesprochen zuhaben, doch sie musste nun in erster Linie an sich und ihre Familie denken. Helene hingegen, war nicht mehr zu retten. Dass sie Gott als ihren Zeugen benannt hatte, bereute sie erst später, es blieb ihr nun nichts anderes übrig, als auf seine Gerechtigkeit zu hoffen, schließlich hatte sie einer armen Seele geholfen, in sein Reich zu gelangen. „ Ich werde kommen, seid euch gewiss. Ich hoffe nur, dass ihr nun dem Wissen unseres werten Richters Merker vertrauen mögt. Er kennt sich mit diesen schlechten Weibsbildern aus, die sich sabbernd und keuchend dem Stock des Satans hingeben. Er weiß wie er mit ihnen zu verfahren hat! Jetzt geht gute Frau, bald wird dieser Hexe das Lachen vergehen, dann wird sie auch vor dem Gericht alles gestehen! Dann wird sie endlich brennen und mit ihr, alle von ihr Besagten! Maria verschwommen die Bilder vor Augen. Hatte Helene in ihrem Schmerz irgendwelche Namen genannt? Hatte sie vielleicht so, das Schicksal anderer Frauen besiegelt?
„ Gibt es denn noch weitere Hexen in unserer Stadt? Das ist ja furchtbar! Vor wem sollte man sich denn besser in Acht nehmen, um nicht auch verhext zu werden?“
Maria hoffte, so etwas über die weiteren Beschuldigten heraus zu finden, doch der Wärter wusste scheinbar auch nichts über die Ergebnisse der letzten Befragung. Er wischte ihre Frage mit einer kurzen Handbewegung fort.
„ Sie hat, so weit ich weiß, noch niemanden benannt. Die Hexe ist stur wie ein Bock! Doch das wird ihr heute schon noch vergehen!“


Der Hexenwahn zog inzwischen immer weitere Kreise. In Heidelberg gab es eine wahre Hexenangst. Selbst Frauen und Männer, die vorher die Lager miteinander teilten, bezichtigten einander plötzlich der Hexerei. Auch Kinder waren nicht mehr sicher, vor den häufig selbsternannten Hexenjägern. Die ganze Stadt versank in Misstrauen, Angst und Missgunst. Missernten, Hagelschauer und totes Vieh waren plötzlich das Werk der Nachbarin, welche schon immer als merkwürdig gegolten hatte. Selbst das Äußere, welches nicht dem der Menge entsprach, war nun schon ein sicheres Zeichen für Hexerei und Zauberei. Flammend rotes Haar wurde verachtet, denn es zeugte vom Feuer der Hölle. Menschen mit diesem Merkmal versteckten ihr Haar unter einem Tuch oder einer Haube. Manche sogar, versuchten es sich mit Hilfe verschiedener Pflanzensäfte zu färben. Wenn das alles nicht half, wurde es kurzerhand abrasiert. Die Furcht vor dem Bösen, dem Unfassbaren verbreitete sich so schnell, wie die Feuer der Inquisition. Niemand mehr war sicher, jeder konnte durch einen anderen besagt werden und wurde somit wiederum der Folter ausgesetzt. Wer die Tortur ohne ein Schuldeingeständnis überstehen wollte, wer versuchte, seine Unschuld so zu beweisen, wurde meist bereits nach kurzer Zeit schwach. Was nutzten schließlich all diese Schmerzen, wenn man sie doch nicht lebend überstehen würde? Also gestanden viele der armen Wesen all die Dinge, die ihnen vorgeworfen wurden, in der Hoffnung, der Schmerz würde somit bald enden und der Tod, würde sie von dieser dunklen Welt befreien. Selbst die fantastischsten, merkwürdigsten Dinge, wurden schließlich zugegeben.
„ Gibst du zu, schlecht Wetter geschickt zu haben, um die Ernte deines Nachbarn zu zerstören? Gibst du zu, das arme Vieh auf den Weiden hinter deinem Haus verwunschen zu haben, weil du neidisch auf das Hab und Gut eines Anderen warst? Gibst du zu, Unzucht mit dem Gehörnten getrieben zu haben?“
Dies und noch viel mehr wurde den vermeintlichen Hexen und Zauberern vorgeworfen, ein Schreiber hielt ihre, durch unmenschlichen Schmerz hervor gepressten Geständnisse, fein säuberlich auf Papier fest. Das Todesurteil war somit besiegelt. Bald erloschen die Feuer gar nicht mehr, weder am Tag, noch in der Nacht. Da das besagen von Hexerei inzwischen von der Inquisition mit dem Vermögen der Selben belohnt wurde, wurden immer mehr reiche Bürger zum Opfer der Habgier. Es war nicht mehr wichtig, ob man wahre Hexerei erkannt haben wollte, sondern es wurde wichtig, wie viel man am Ende durch die Verurteilung eines Besagten erhielt.










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