Mary Sue - Die große Misere der Fan-Fiction

Vielleicht hat der ein oder andere von euch diesen Namen schon einmal gehört oder gelesen. Dabei ist Mary Sue keine reale Person sondern eine Kunstfigur aus einer Kurzgeschichte, „A Trekkie’s Tale“ von Paula Smith, die 1973 in dem Magazin „Menagerie #2“ veröffentlicht wurde. Die Geschichte stellt dabei eine Parodie zu damaligen Star Trek-Fan-Fiction-Geschichten dar und das aus gutem Grund.

Die Geschichte handelt von der Halbvulkanierin Lieutenant Mary Sue. Dabei ist auffällig, dass sie sowohl Kirk, Spock wie auch McCoy in so ziemlich jeder Hinsicht überlegen ist. Am Ende des Tages rettet sie dann noch allen dreien das Leben bevor sie unter tragischen und dramatischen Umständen selbst stirbt.
Paula Smith hat damit ein Paradebeispiel vieler Fan-Fiction-Autoren geliefert, die immer wieder denselben Fehler in ihren Geschichten begehen, und das auch noch so gut, dass Mary Sue als eigene Charakter-Trope aufgenommen wurde.

Der Mary Sue-Charakter (die männliche Variante wird auch als Marty Sue oder Gary Stu bezeichnet) beschreibt den simplen Umstand, wenn der Autor einer Geschichte sich selbst in die Geschichte hinein schreibt. Wer schon einmal eine Geschichte geschrieben hat, wird an dieser Stelle vermutlich ein wenig verwirrt sein. Denn da ich selbst gerade an einem Buch schreibe, kann ich mit Stolz behaupten, dass ein Teil meiner Persönlichkeit in jedem meiner Charaktere steckt. Insofern schreibe ich mich mit jedem Charakter, den ich entwerfe, selbst in meine Geschichte hinein. Zugegeben, das ist nichts Besonderes. Es ist aber nur die halbe Wahrheit.
Ich schreibe mich zwar mit jedem Charakter in mein Buch, aber ich verpasse ihm immer nur Teile meiner Persönlichkeit, wie die Art zu sprechen, meine Gedanken, Träume und meine Weltanschauungen. Ich schreibe mich aber nie komplett als eigenständigen Charakter in meine Geschichte, der sozusagen als meine eigene Proxy (=engl. Stellvertretung) mit meinen anderen Charakteren kommunizieren und interagieren kann. Dabei ergibt sich nämlich in den meisten Fällen ein ziemlich verheerendes Problem.

Hat man einmal einen solchen Mary Sue-Charakter geschaffen, kennzeichnen ihn i.d.R. besondere Merkmale. So ist er beispielsweise schlauer, stärker, cooler als die anderen Charaktere. Auffallend ist auch, dass er in den meisten Fällen von allen anderen Charakteren gemocht wird und das ob wohl er meist keine nennenswerten Eigenschaften wie gutes Aussehen oder eine herausragende Intelligenz besitzt, z.T. sogar von Charakteren, die den Mary Sue-Charakter gem. ihrer bisherigen Schreibe eigentlich hassen müssten.
Ich denke, das bekannteste Beispiel für einen solchen Mary Sue-Charakter dürfte die Bücher- und Filmreihe zu Twilight sein, auch wenn sich die Mary Sue-Anteile noch in einem gewissen Rahmen halten. Vor allem in den Büchern wird meines Wissens sogar erwähnt, dass der Hauptcharakter Bella weder besonders schön noch intelligent ist und auch sonst keine herausragenden Merkmale aufweist. Sie ist ein ganz normales Mädchen und doch fahren alle auf sie ab.

Wahrscheinlich hat sich jeder von uns schon einmal gewünscht gemeinsam mit Harry Potter und seinen Freunden die Welt vor den dunklen Mächten zu retten oder mit Kirk & Co. in fremde, noch unerforschte Welten vorzustoßen. Solche Wunschvorstellungen hat wohl jeder Mensch, doch in den meisten Fällen werden das leider immer Wunschvorstellungen bleiben. Als Autor hat man aber die Möglichkeit sein eigenes Abenteuer zu schreiben, nach seinen eigenen Wunschvorstellungen. Und dabei kommt immer wieder der Mary Sue-Charakter zum Einsatz und meiner persönlichen Erfahrung nach betrifft das vorwiegend Fan-Fictions.

Es ist nicht verwerflich sich selbst in die eigene Geschichte hinein zu schreiben. Das Problem dabei ist nur, dass man dadurch meist mit sämtlichen Regeln bricht, die man in seiner Geschichte aufgestellt hat und damit die gesamte Handlung ruiniert. Denn außer dem Autor macht es leider kaum Anderen wirklich Spaß eine solch ausgeartete Geschichte zu lesen, in der der Hauptcharakter fast alles kann und mit jeder Situation fertig wird und die eigentlichen Helden dabei wie Idioten aussehen lässt. Das ist keine gute Schreibe. Daher würde ich jedem, der vorhat, sich selbst einen Charakter in seiner Geschichte zu geben, davon abraten. Selbstverständlich kann der Hauptcharakter starke Ähnlichkeit mit euch als Autor haben. Das halte ich sogar für wichtig, da man durch die viele Persönlichkeit, die man dem Charakter damit verleiht, diesen erst rund und unglaublich sympathisch und verständlich macht. Trotzdem solltet ihr dabei immer beachten, dass der Charakter nur ein Charakter in einer Geschichte ist, der in seiner eigenen kleinen Welt sein eigenes Leben führt und nicht als Stellvertretung für euch als Autor dient, um euch selbst in eure Geschichte einzubauen.

Quellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Mary_Sue, https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/MarySue
 

jon

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A: Ein Mary-Sue-Charakter ist oft eine überhöhte Wunschvorstellung des Autors. Aber erstens ist das nicht wirklich der Autor, sondern eben nur ein Wunschbild, und zweitens ist nicht jede "Autor-Figur" ein Mary-Sue. Es ist also zwar sinnvoll, aus dem erwähnten Grund von Mary-Sues abzuraten, nicht aber von einer "Autor-Figur".
B: Mary-Sues gibt es auch in Nicht-Fan-Fiction, stimmt, aber dort brechen sie nicht die Regeln, dort sind sie Teil der Regeln.
 
Was die Wunschvorstellungen bestrifft, stimme ich dir zu. Im Grunde ist es auch genau das, was ich meine. Und dass nicht jede vom Autor entworfene Figur ein Mary Sue ist, habe ich nie behauptet. Auch wenn man sicherlich darüber streiten könnte, wann ein Mary Sue anfängt. Denn im Normalfall ist es so, dass in jeder Figur, die man entwirft ein Stück von sich selbst drin steckt, ob dieser Teil nun der Wahrheit entspricht oder reine Wunschvorstellung ist.

Ich verstehe nicht ganz, was du damit meinst. Ja, der Mary Sue ist nicht nur auf Fan Fiction beschränkt, kommt dort aber am häufigsten vor, weil meiner Erfahrung nach die meisten Fan-Fictions erschaffen werden, um selbst zu einem Teil des Franchises zu werden.

Kannst du deinen Punkt B bitte etwas näher erklären? Ich vermute du beziehst dich auf die Regeln, die das verwendete Franchise aufgestellt hat. Aus dieser Sicht stimme ich dir zu, wenn du sagt, dass ein Mary Sue bei einer Nicht-Fan-Fiction keine Regeln brechen kann, da der Geschichte kein Franchise zugrunde liegt, welches irgendwelche Regeln vordefiniert hat.
Ich sehe das Ganze aber aus einer anderen Perspektive. Denn mit jeder Geschichte, die ich schreibe, stelle ich letztlich meine eigenen Regeln auf. Selbst wenn ich mich in Form einer Fan Fiction den Regeln eines beeits bestehenden Franchises bediene, so habe ich mich doch selbst entschieden, dass diese Regeln für meine Geschichte gültig sind, womit es letztlich wieder meine eigenen Regeln sind.

Die Regeln auf die ich mich hier aber beziehe, betreffen vor allem die Charaktere in ihren Charakteristika. Ich lege anhand der Hintergrundgeschichte eines Charakters fest, wie dieser in bestimmten Situationen zu reagieren hat. Wenn z.B. der Antagonist den Protagonisten hasst und man dem Protagonisten einen Sidekick an die Hand gibt, dann ist damit fast schon vorprogrammiert, dass der Antagonisten auch gegen diesen Sidekick arbeitet. Und ein Mary Sue-Charakter bricht eben mit diesen Regeln.
 

jon

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Dass in vielen Figuren Teile des Autors einfließen, hat mit dieser Sache hier nichts zu tun. Einigen wir uns darauf, dass es bei dieser Diskussion um Figuren geht, die von der Spiegelung des Autors auf seine Figur dominiert werden.

Und dass nicht jede vom Autor entworfene Figur ein Mary Sue ist, habe ich nie behauptet.
Das habe ich auch nicht behauptet, ich habe nur deiner Suggestion, die du erzeugst, widersprochen, dass jede Autor-spielt-gewissermaßen-selbst-mit-Konstruktion ein Mary-Sue ist. Was zur Folge hat, dass man zwar von Mary-Sues aus den ausgeführten Gründen abraten kann, diese Gründe aber nicht reichen, um von jeder Autor-spielt-gewissermaßen-selbst-mit-Konstruktion abzuraten. Dann wäre - wie du richtig sagst - die meiste FF obsolet, denn in der Tat bestehen sehr, sehr Storys darin, dass der Autor sind in das Set reinschreibt.

Zu Punkt B:
Es geht nicht um Franchise-Regeln, Fan-Fiction ist ja nicht auf Themenwelten beschränkt, wo es sowas überhaupt gibt. Aber du hast insofern recht, dass ich das "offizielle Set" meine.
Nehmen wir "Dexter". Keine Ahnung, ob es da Fan-Fiction gibt. Das "offizielle Set" von Dexter sagt, dass Dexter einen Bruder hat, mit dem er bis zu dem bestimmten Ereignis aufwuchs. Wenn ich mich als Schwester, die auch bis dahin mit ihnen aufwuchs, reinschreibe, breche ich die Regel des Sets. Wenn ich mich als Polizistin reinschreibe, nicht. Angenommen, "Dexter" wäre nicht die Vorgabe, die ich nutze, sondern eine völlig von mir erfundene Geschichte, dann wäre ich als Schwester kein Regelbruch, sondern das wäre die Regel, die ich selbst für meine Story aufgestellt habe.
Das gleiche gilt auch für Charaktereigenschaften, klar.
Es gibt auch FF, die solche Regelbrüche vornimmt - aber diese Geschichten verlieren auch an Charme, wenn sie keine Mary-Sues sind. Aber stimmt: Mary-Sues brechen die Regel (nahezu?) immer, weil ihr Wesen ja eben gerade darin besteht, dass die Ich-Figur eine Bedeutung z. B. für den Helden bekommt, für die im "offiziellen Set" kein Raum ist.
 



 
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