materien (daktylisches Sonett)

G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
materien


wenn filme erzählen versinkst du in anderen welten
als suchtest du noch eine wirklichkeit neben der deinen –
romane? sie sprechen gedanken – nie mich und mein meinen
mit geistern worte zu wechseln passierte nur selten

in dir (hör zu!) gehen auf die geschichten die deinen
tief ins gespräch versenkt denn du wolltest sie schelten:
wollt als charakter lose schwätzer ihr gelten
zertanzen den verstand mit beinernen beinen?

zerschlugen sie ihrer knochen schlagzeuger einen
mit knochenzeug mit heringen stangen von zelten –
der himmel fällt! ihr geltet als irrende kelten …

was nützt euch zaubertrank wenn die nasen erkälten?
zu eis ein geatmete duft baum gitter stellten
sich auf: materie steinte freund hein freun de heinen
 
G

Gelöschtes Mitglied 23297

Gast
Rhythmisches Durcheinander, das bei mir auf "Bahnhof" hinausläuft. Auch nach dreimaligem Lesen. Nichts für ungut.
Ojo
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ja, ganz recht, Ojo.
Es beginnt im diskursiven Verstand und bewegt sich dann ab der zweiten Hälfte des zweiten Quartetts in Richtung "Bahnhof", entsprechend dem Vorwurf des Verstandes an den inneren Hörer.
Die Sinnsplitter sind allerdings noch nicht ganz in Abstraktionen aufgelöst, wie es schon mal bei reinen Klanggedichten der Fall sein kann, sondern sie sind bloß surrealistisch dekomponiert und dann an einer Art von bildhaftem Leitfaden rekomponiert: Wenn die eingeatmete Luft zu Eis erstarrt, bildet sie in den Lungen eine Art Baumgeäst, ein Eisgitter: "materie steinte freund hein". "Freund Hein" ist eine alte Personifizierung des Todes.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 23297

Gast
Hallo Hansz,
du wirst mir meinen Hang zur Naivität nachsehen: Dein Erklärgewitter überfordert mich. Mit Freund Hein bin ich bekannt, das immerhin, kann ich als Schlussbemerkung noch anfügen.
Gruß Ojo
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Hallo Ojo,
welche Begriffe waren Dir unbekannt?
Ich vermute, "dekomponiert" und "rekomponiert".
Dekomposition bedeutet: etwas wird auseinandergenommen. Als Gegensatz zu einer Komposition, wo etwas zusammengesetzt wird. Wie Intervalle in einer musikalischen Komposition, oder wie Figurengruppen, Dreiecke oder Bezugslinien in einer gemalten Komposition. In den Wissenschaften, die sich mit Poesie beschäftigen, bei den Poetologen und Selberdichtern in den germanistischen Insituten an der Uni ist "Dekomposition" in der modernen Lyrik ein Schlüsselbegriff. Sprachkunstwerke sind Kompositionen; in der Moderne werden die Figurengruppen bzw. Satzteile, die Dreiecke bzw. Silben oder die Bezugslinien bzw. Kommunikationswege in der Kunst bzw. in der Lyrik auseinandergenommen und in ästhetisch neugebauten Rück-Kompositionen rekomponiert.

Warum das bei Sonetten so selten zu geschehen scheint, daß es Befremden auslöst, befremdet mich.

grusz, hansz
 



 
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