Mein erster Farbfernseher

Hagen

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Mein erster Farbfernseher

Gegen Ende meiner Lehrzeit zum Radio- und Fernsehtechniker erschienen die ersten Farbfernseher in den Schaufenstern der Einzelhändler. Die Geräte waren irre Schwer und ‘sauteuer‘. Sie mussten bei Aufstellung beim Kunden stets vor Ort eingestellt werden, z.B. Konvergenz und Farbreinheit. Etwas schwer taten sich die zumeist älteren Kunden mit dem sogenannten ‘Geschmacksregler‘, den die meisten Geräte derzeit noch hatten. Mit diesem Regler ließ sich das Bild etwas rot- oder blaubetont einstellen. Als besonderer Service fuhr nach etwa einer Woche ein ausgebildeter Techniker nochmal zum Kunden, erklärte das Gerät nochmal und stellte einige Kleinigkeiten nach.
Nach einem Lehrgang war das vielfach mein Job. Der Farbintensitätsregler war bei meiner Ankunft meistens mächtig aufgerissen, sodass die Bildschirme so bunt waren, wie die Bonschen in einer Tüte; - schließlich wollte man die Farben, für die man teuer bezahlt hatte, auch sehen.
Meine erste Aufstellung eines Farbfernsehgerätes in eigener Regie war an einem Sonnabend kurz vor Feierabend. Der Kunde lebte in einer Parzelle in der Nähe der Mülldeponie, und mein Chef ordnete an, das Gerät wieder mitzunehmen, sollte der Kunde nicht sofort bezahlen.
Die Parzelle des Kunden sah tatsächlich so aus, als hätte sie sich noch nicht entschieden, sich in die Müllhalde zu integrieren oder weiterhin als Schandfleck der Kleingartenkolonie zu existieren.
Bei diesem Anblick vertieften sich die Sorgenfalten auf der Stirn meines Kollegen, der zum Tragen mitgekommen war, und der in Gedanken bereits bei seinem Feierabendbier saß.
Wir schleppten das Gerät trotzdem rein. Der Kunde wirkte auf mich wie der unterbeschäftigte Privatdetektiv in den schönen Schwarz-Weiß-Krimis, in denen er zu Anfang ebenso verkatert wie unrasiert aufwacht und dann von einer schönen Frau angerufen wird. Aber da war kein Telefon und auch kein Schreibtisch mit einer Flasche Whisky in ihm auf dem ein Telefon hätte stehen können; - nur ein abgewetztes Trenchcoat hing an einem rostigen Nagel in der Wand neben einem nicht minder abgewetzten Ledersofa, auf das sich der Kunde stöhnend niederließ und auf des Vertiko gegenüber zeigte. Das Vertiko wiederum erweckte den Eindruck, als hätte jemand mit wenig Talent an seiner Marketerie schnitzen geübt und die Vollendung seines Werkes den Holzwürmern überlassen.
Trotzdem stellten wir den Fernseher drauf. Während ich die erforderlichen Einstellungen vornahm, erzählte Kollege Erich, der ehemalige Binnenschiffer, dem Kunden, wie er mal in einem Schubverband gefahren war und sich einer der Leichter selbständig gemacht hatte und querab zu treiben drohte. Diese Geschichte hatte ich schon öfter gehört, aber diesmal dauerte sie etwas länger und zwar solange, wie ich brauchte, den Farbfernseher wunderbar einzustellen.
Der Kunde zeigte sich sehr angetan von meiner Arbeit und Erichs Erzählung, erhob sich stöhnend, griff in des Trenchcoats Innentasche und zog ein Bündel Geldscheine heraus. Sodann überreichte er mir das Geld für das Farbfernsehgerät in bar und legte uns jedem noch eine ‘Geige‘ – die derzeit gängige Bezeichnung für einen Zwanzigmarkschein – drauf.
„Für ein Feierabendbier. – Drehen sie mir bitte den Ton etwas lauter und machen sie die Tür fest zu, wenn sie gehen.“
Sehr erleichtert kamen wir dieser Bitte nach und Erich wollte nun sein Feierabendbier zu sich nehmen. Zu diesem Zweck entführte er mich auf dem Heimweg in eine etwas extravagante Hafenkneipe, die er zu früheren Zeiten oft und gerne aufgesucht hatte. Inmitten verwegen dreinblickender Binnenschiffer fühlte Erich sich dort wohl, ich jedoch ein wenig deplaciert, zumal ich fast viertausend Mark in der Tasche hatte. Nach einem Pott Kaffee fuhr ich nach Hause und war ebenso froh wie erleichtert, als ich meinem Chef am Montag das Geld für den Farbfernseher komplett auf den Tisch legen konnte.
 



 
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