Mein Freund, der Traum

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namibia

Mitglied
Mein Freund, der Traum

Eines Tages traf ich ihn
meinen Traum und
er erzählte mir
von seiner Sehnsucht

Er flüsterte ich
konnte ihm kaum folgen
aber konnte ahnen
was er meinte

Ich spürte sie
seine Traurigkeit
nicht ernst genommen zu werden

seine Verlegenheit
entstanden aus einer Sorge
zu viel zu wollen
und
zu wenig zu können

seine Wehmut
bei dem Gedanken
keine Erfüllung zu finden

An welcher Kreuzung
ich ihn verlor
ich weiß es nicht

Er verschwand einfach so
unauffindbar
für immer
 

Jenno Casali

Mitglied
Hallo Namibia,
Dein ganzer Text fasziniert mich - aber vor allem den Einstieg "Eines Tages", nämlich, dass dieser Traum dir während des TAGES begegnet, denn beim ersten Lesen verstand ich ihn als ganz normaler Schlaf-Traum …
LG
Jenno C.
 
hallo namibia,

wie mein vorredner, finde auch ich großen gefallen an deinem gedicht!...allerdings, könnte für mich der text auch noch etwas "dichter" sein.

sehe bitte meinen vorschlag nicht als verbesserung, sondern nur als beispiel, oder auch als gedankenanstoß...

er flüsterte
sprach von sehnsucht

seiner sehnsucht

ich ahnte nur
und fühlte ihm nach

spürte trauer
verzweiflung
wehmut

entstanden aus der sorge
nicht ernst genommen
zu werden

zu viel zu wollen

das wissen darum
in all diesen gedanken
keine erfüllung
zu finden

an welcher kreuzung
er von meiner hand ließ
ich weiß es nicht
mehr

wir verträumten
uns

für immer



viele grüße, a.d.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo namibia,
(vorsicht nur meine meinung)
in diesem gedicht erreichst du meiner meinung nach nicht dein „können“.
auf eine gewisse weise bist du hier auf halber strecke stehen geblieben.
dies meine ich ohne großen bezug auf den inhalt, der mich persänlich kaum erreicht.

diese form der lyrik nenne ich „protogedicht“.
alle zutaten sind vorhanden, aber es lebt nicht.

woran mag das liegen?

die sprache :
ich halte sie nicht für stringend lyrisch. Einige stellen sind standadisierte
a) „nachdenkfragmente“,
einige stellen meiner meinung nach zu
b ) umgangssprachlich.
soll heißen ich erkenne hier keinen einheitlichen ton:

a)Ich spürte sie
seine Traurigkeit
nicht ernst genommen zu werden

hier kann ich nichts spüren. Es ist eine behauptung, du sagst etwas, es steht im raum
und verhallt dort.

b) „einfach so“
hm, einfach so sollte in einem gedicht nichts passieren. Hier gehörte ein besseres wort hin
oder, es sollte ganz gestrichen werden.


Zusätlich mache ich jetzt etwas sehr brutales, das dir aufzeigen soll, das form und inhalt auf der lyrischen ebene keine einheit bilden:


Mein Freund, der Traum

Eines Tages traf ich ihn meinen Traum und er erzählte mir von seiner Sehnsucht. Er flüsterte, ich
konnte ihm kaum folgen, aber konnte ahnen, was er meinte:
Ich spürte sie, seine Traurigkeit nicht ernst genommen zu werden; seine Verlegenheit, entstanden aus einer Sorge zu viel zu wollen, und zu wenig zu können; seine Wehmut bei dem Gedanken keine Erfüllung zu finden. An welcher Kreuzung ich ihn verlor? ich weiß es nicht:
Er verschwand einfach so, unauffindbar,für immer.

Ein „schöne“ kurzprosa würde so daraus.

weiter hin:
du benutzt doppelleungen, die den eindruck des lyrischen erwecken, diese aufgabe aber nur auf geringerem niveau erfüllen.


Mein Freund, der Traum

Eines Tages traf ich ihn
meinen Traum und
er erzählte mir
von „seiner“Sehnsucht

Er flüsterte ich
konnte ihm kaum folgen
aber konnte ahnen
was er meinte

Ich spürte sie
seine“ Traurigkeit
nicht ernst genommen zu werden

seine“ Verlegenheit
entstanden aus einer Sorge
zu viel zu wollen
und
zu wenig zu können

seine“ Wehmut
bei dem Gedanken
keine Erfüllung zu finden

An welcher Kreuzung
ich ihn verlor
ich weiß es nicht

Er verschwand einfach so
unauffindbar
für immer

alle possesivpronomina doppeln sich, sie sind unnötig, da dem leser klar ist wer spricht.

dann eine persönliche einstellung gegeüber einigen worten:

ich halte substantivierte worte, die schon eigene substantive sind, die also durch – heit, oder – keit gebilden werden für, wie soll ich sagen, vielleicht „kalt“.

also statt traurigkeit Trauer

und aus „verlegenheit“ dem substantivierte adjektiv ein satz formen in dem das adjektiv selbst statt findet.

wie du siehst im gegensatz zu jenno bin ich nicht überzeugt.
jetzt mußt du, als autor entscheiden....

lg
ralf
 

Jenno Casali

Mitglied
Hallo,
@ Andere Dimension
Dein "verdichteterer" Vorschlag sagt mir auch zu, vor allem das "wir verträumten uns" am Schluss - aber … wo ist der Anfang "EINES TAGES" ( oder nur angedeutet ) von namibia geblieben, der - wie ich schon bemerkte - das Gefühl gibt einem Schlaftraum während des Tages begegnet zu sein ?
@ Ralf Langer
Ja, ein ProsaGedicht ist es schon, kann aber auch faszinierend sein, wenn es stimmig stimmt. Und hier stimmt es eben. Auch wenn es nicht "überlyrisch" ist.
LG
Jenno C.
 
hallo Jenno Casali,

eine berichtigte frage. es ist immer schwer vorschläge zu machen, wenn man nicht genau weiß welches bild im vordergrund steht.

um dem tagtraum gerecht zu werden, würde ich, gemäß meines vorschlags, so beginnen:

tags flüsterte er
sprach von sehnsucht

seiner sehnsucht

ich ahnte nur
und fühlte ihm nach

spürte trauer
verzweiflung
wehmut​
.....
..​


Gruß, A.D.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo jenno,

du schreibst:

Ja, ein ProsaGedicht ist es schon, kann aber auch faszinierend sein, wenn es stimmig stimmt. Und hier stimmt es eben. Auch wenn es nicht "überlyrisch" ist.

wie ich schon schrieb und auch anhand einiger beispiele ausgeführt habe - muß ich dir also widersprechen...
 

namibia

Mitglied
Lieber Jenno,

vielen Dank für dein Erkennen, dass es sich um einen Traum handelt, dem das lyrische Ich tagsüber begegnet ist..

Ja, das Gedicht ist schon ein paar Monate alt und als ich es noch einmal las, fragte ich mich, ob wohl ein weiteres Verdichten möglich sein könne..

So danke ich dir, lieber A.D., für deinen Vorschlag und ganz besonders für das verflüstern... Es gibt ein Gedicht von Trakl mit der Zeile " in den Nachmittag geflüstert.. ", daran erinnert mich diese Wortschöpfung. Der Verlust eines Traumes als Verflüstern - das berührt mich.

Lieber Ralf,

und dir danke ich für deine Betrachtung der Sprache. Das hilft beim Schreiben, bestimmte Stilmittel bewusster anzuwenden, auch wenn ich im Moment gerade spüre, dass es mir schwerer fällt, die Worte ganz bewusst einzusehen. Meine Worte fließen am besten, wenn sie aus dem Unbewusstsein kommen, was nicht dagegen spricht, sie danach zu analysieren. Doch, wenn ich die Ratio von vornherein einschalte, fühle ich mich blockiert und meine Texte wirken dann steril auf mich.

Aber vielleicht befinde ich mich ja nur in einer merkwürdigen Phase gerade.

also - alle drei Kommentatoren haben mir bei dieser inneren Auseinandersetzung geholfen...

alles Liebe

Anna
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo namibia,

"Meine Worte fließen am besten, wenn sie aus dem Unbewusstsein kommen,..."

das halte ich für eine unwahrheit. es ist schon so - aus meiner erfahrung - das einige worte, oder ein satz einem sozusagen begenet, das da etwas unbewußt geschieht, dessen der lyriker dann habhaft werden muß.

ich füge aber wichtiger weise hinzu:

gedichteals ganzes entsehen nicht, sie werden gemacht.
(frei nach mallarme)
der lyriker muß sich seiner worte, seiner sprache, seinem ton und der form gegenüber als kompetent erweisen. er muß um die dinge wissen.

was dieses stück lyrik angeht, von dem ich auch denke, das es gute ansätze hat, - und vor allem nach dem lesen einiger stücke von dir - wo du auf deutlich anderem niveau arbeitest, muß ich sagen, das dieses stück zu früh den weg in die wirklichkeit der welt gefunden hat.

ich möchte schließen, frei nach benn:

jedes wort zählt. denn das gedicht hat nur das wort. ihm gilt alle aufmerksamkeit.

ich freue mich mehr von dir zu lesen...

ralf
 

namibia

Mitglied
Lieber Ralf,

das Zitat
" jedes wort zählt. denn das gedicht hat nur das wort. ihm gilt alle aufmerksamkeit."
gefällt mir ausgesprochen gut! Natürlich entsteht ein Gedicht nicht ausschließlich aus dem Unbewussten und doch merke ich gerade im Moment, da meine Worte zu stocken scheinen, wie wichtig dieser Fluss ist.

Ich freue mich auf weitere Rückmeldungen ..

alles Liebe

Anna
 
O

orlando

Gast
Hallo Anna,
ich folge den kritischen Anmerkungen Ralfs.
In der vorliegenden Version finde ich das Gedicht nicht gut, sondern eher flach, bis an die Grenze des Kitsches ...
Liebe Grüße
orlando
 
N

Noemi

Gast
Hallo Naimbia,
das Thema hast du sehr schön in Worte gekleidet! Nachdenklich und melancholisch zugleich.
Ich denke mir, Träume sollte man pflegen und hegen, damit sie bleiben und unsere Gegenwart erhellen.
Ein schönes Gedicht.

Grüße
Noemi
 

namibia

Mitglied
Liebe Orlando,

vielen Dank für deinen Kommentar, der mich erneut zum Nachdenken bringt - was ist Kitsch? Ist es genau das Quäntchen zuviel an vermeintlicher Rührung? wann beginnt es , wann hört es auf? Eine interessante Frage, auf die ich gerne Antworten hören würde..

Liebe Noemi,

so unterschiedlich sind die Wahrnehmungen.... Ja ein Leben ohne Träume ist, glaube ich, undenkbar..

habt einen guten Abend

Anna
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo namibia,


das Ding lies mich nicht los,
so habe ich einmal etwas gemacht,
was nicht mehr dein gedicht ist,

aber das wiederspiegelt, was ich
erspürt habe


Der Traum

Ich traf ihn eines Tages,
und er erzählte mir
von seiner Sucht:
dem Sehnen und der Nacht,

ein Flüstern nur,
ich konnte ihm kaum folgen
ahnte aber – was er sprach,

war voll der Trauer:
es nimmt mich niemand ernst
so bleib ich unerfüllt
und werde war
.

So sprach er,
und verschwand
für immer.

vielleicht ist etwas für dich dabei

lg
ralf
 

namibia

Mitglied
Lieber Ralf,

das ist aber interessant, zu lesen, welches Gedicht der Leser liest - quasi das Gedicht hinter dem Gedicht .. eine sehr spannende Form der Rückmeldung.

Ich danke dir für deine Beschäftigung mit meinem Ausgangstext, leider kann ich weder deine Zeilen noch die Zeilenvorschläge von A.D. einbauen, weil es eure Worte sind und ihr diese eigentlich als eigene Gedichte einstellen könntet...

Es zeigt mir , dass das Gedicht dich in irgendeiner Weise beschäftigt hat, es war gleichsam ein Geh-dicht und das freut mich ! Die Sucht nach dem Sehnen und der Nacht gefielen mir besonders ..

alles Liebe

Anna
 



 
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