"Meine" Geschichte (Teil 2)

„Meine“ Geschichte (Teil 2)


„Carmina, ich liebe Dich“, begrüßte ich sie sehr herzlich, bevor wieder irgendetwas dazwischen kommen würde.
Freudestrahlend fiel sie mir um den Hals und küsste mich. „Ich liebe Dich auch, Rainer.“
„Und ich verspreche Dir, ich werde nie wieder einfach so verschwinden. Nie wieder! Aber... Wir sollten uns um Deine seltsame Freundin Livia kümmern. Sag mal, heißt die wirklich so?“, musste ich loslachen.
Carmina lachte und schaute zu der jungen Frau hinüber, die sofort zum Sofa geeilt war und sich in die Decke gehüllt hatte, die dort lag. „Warum ist sie denn nackt?“
„Das ist nicht lustig!“, rief Livia. „Außerdem heiße ich Julia, okay!“
„Komm mal mit“, bat Carmina und reichte Julia die Hand. „Ich habe bestimmt was zum Anziehen für Dich.“
„Wer ist dieser Kerl eigentlich?“, schaute sie mich scharf an. „Was hat der mit mir gemacht?“
„Ich habe Dir vielleicht das Leben gerettet“, versuchte ich sie zu beruhigen.
„Du hast ja keine Ahnung!“, warf Julia mir vor.
Offenbar hatte ich wirklich keine Ahnung. Zumindest bezüglich ihres Lebens, denn ich hatte mich schon gefragt, ob es zwischen ihr und diesem dreisten Unternehmer eine Verbindung geben mochte.

Rudolf Schulte war außer sich vor Wut. „Orataro, Du elender Bastard!“, fluchte er.
„Das ist nicht meine Schuld!“, wehrte sich der Angesprochene überraschend, denn er erschien genau in diesem Augenblick mit einem grellen Lichtstrahl im Büro des Unternehmers.
„Wie kommst Du jetzt hier her?“, war der überrascht.
„Mein Schüler hat mich hintergangen. Zum Glück wusste er nichts von meiner Notfallkabine, die mich jetzt hier zur Erde gebracht hat. Er hat alles zerstört, was ich aufgebaut hatte.“
„Und was wird aus unserem Geschäft?“
„Nichts.“
„Wie stehe ich denn jetzt vor meinen Kunden da?“
„Was hast Du ihnen denn erklärt? Dass Du ein Geschäft mit einem Außerirdischen abgeschlossen hast? Und haben sie Dir geglaubt?“, spottete Orataro.
„Wie schnell kannst Du Deine Anlagen wieder aufbauen? Geld spielt keine Rolle.“
„Das hat nichts mit Geld zu tun, sondern mit Resourcen, die es hier auf der Erde nicht gibt.“
„Wo denn?“
„Das ist nicht möglich. Ich konnte gerade noch rechtzeitig verschwinden, bevor alles zerstört wurde. Alles! Kapiert?“
„Dieses verdammte Weibsstück hat mich vor meinen Kunden lächerlich gemacht“, schwenkte Rudi abrupt um. „Aber das wird sie büßen!“
„Was ich mich frage, ist, wie Du überhaupt auf sie gekommen bist“, suchte Orataro nun nach neuen Spuren.
„Das ist eine lange Geschichte“, stöhnte der Mann.
„So viel Zeit habe ich nicht! Ich brauchte Energie. Meine Module werden schwächer.“
„Was denn für Energie?“
„Gegenpolige Magnetstromimpulse, um meine Deliciumkristalle wieder aufzuladen.“
Schulte dachte kurz nach. „Da ließe sich vielleicht was machen.“
Orataro forderte, sofort zu dieser Anlage geführt zu werden, die imstande sein möge, seinen Energiestatus zu verbessern.

„Kann mir mal jemand erklären, was ich in den letzten vierundzwanzig Stunden erlebt habe?“, war Julia noch immer wütend.
„Julia, das mag Dir alles sehr seltsam vorkommen, aber ich erkläre Dir jetzt, was passiert ist, ja?“, ging ich sehr behutsam vor.
„Nun mach schon. Ich will nach Hause.“
Ich muss ihr die Geschichte von Anfang an erzählen, dachte ich. Also begann ich am dreizehnten August 1965. Dann erklärte ich möglichst kurz das Ansinnen meines ehemaligen Meisters und kam schließlich zu dem Tag, an dem Meister Orataro seinen Untergang selbst in die Wege geleitet hatte.
„Er hat mich geklont?“
„Und dann sollten diese Klone in dieser Konferenz bei diesem zwielichtigen Herrn Schulte mit menschlichen DNA-Infusionen versehen werden.“
Julia lachte obszön. „Die Kerle sollten mich, nein, meine Klone, sie sollten sie vögeln und damit automatisch schwängern, ja?“
„So hatte er sich das wohl gedacht. Mittels der eingebauten Module hätte das vermutlich auch funktioniert.“
„Module? Einen künstliche Gebärmutter quasi, die nur ein bisschen Futter braucht, um zum Brutkasten zu werden, was?“
„So war es wahrscheinlich geplant. Nicht von mir! Das hätte ich nicht für möglich gehalten, dass das möglich wäre. Aber Meister Orataro hatte da vielleicht doch einen Weg gefunden. Ich weiß es nicht.“
„Und was ist mit Dir?“
„Ich werde jetzt hier auf der Erde bleiben. Meine Module, die er mir implantiert hatte, haben inzwischen bestimmt keinen Saft mehr. Also könnte ich auch nicht mehr zurück. Aber das will ich auch gar nicht. Ich möchte jetzt, da ich mein Glück gefunden habe, wieder auf der Erde sein und mein eigenes Leben leben.“
Carmina schaute mich an, und ich erkannte, wie ihre Augen feucht wurden. Wie in Zeitlupe stand sie auf und kam auf mich zu. Und dann nahm sie mich stürmisch in die Arme. „Oh, Rainer. Ich liebe Dich“, schluchzte sie.
„Hey! Du bist, wenn ich richtig rechne, jetzt achtzig! Alter! Carmina, Du willst mit so einem alten Knacker was anfangen?“, lachte Julia ironisch.
„Ein alter Knacker so knackig, wie mit Mitte Zwanzig. Ja! Ist doch cool.“
„Julia, kanntest Du diesen Rudolf Schulte schon vorher?“, wollte ich wissen.
Julia schwieg, weil sie nicht wusste, was sie jetzt sagen sollte. „Mmh...“, drückte sie dann tonlos heraus.
„Das dachte ich mir. Woher hätte diese seltsame Situation sonst zustande kommen sollen. Und wie habt Ihr Euch kennengelernt?“
„Das willst Du nicht wissen, Süßer“, wehrte sie mit einem frivolen Augenaufschlag ab.
Aber so hatte ich trotzdem verstanden, was sie mir nicht sagen wollte. Er stand also in Verbindung mit ihrer bisherigen „Karriere“. Daraus musste ich schließen, dass er, wenn er sie nun suchen sollte, gewiss finden würde. Und das konnte nicht gut sein. Da war ich sicher.

Rudolf Schulte setzte alle Hebel in Bewegung. Er war ein einflussreicher Geschäftsmann. Seinen Privatdedektiv beauftragte er, Livia da Vulva zu finden. Der monierte zwar, dass der bürgerliche Name gewiss hilfreicher bei einer Suche sein dürfte, doch den kannte Schulte nicht. Er wusste nur, wo sie gewohnt hatte, als sie sich das erste Mal begegnet waren. Wie der Schnüffler schon nach einer Stunde vermelden konnte, wohnte sie dort noch immer, sei aber nicht zuhause. Er hatte einen anderen Bewohner des Hauses gefragt, der sehr genau bescheid wusste. Sehr genau!

Orataro hatte wieder neue Energie in seinen Modulen, aber diese war längst nicht so haltbar. Schon nach wenigen Stunden machten ihn die ausgezehrten Diliciumkristalle zu schaffen. Sie konnten die eingespeiste Energie nicht lange halten.
„Du musst diesen Kerl finden, Rudi! Er hat mein Leben zerstört, die ganze Existenz meiner Spezies in den Untergang geschickt. Die Azyza wird es nie wieder geben, wenn ich zu Staub zerfalle.“
„Und wie lange wird das noch dauern?“
„Welche Motivation steckt hinter dieser Frage, Rudi? Hilfsbereitschaft, um mich zu retten? Oder doch Gleichgültigkeit, weil ich Dir nicht mehr von Nutzen sein kann?“
„Wer ist dieser Kerl, der für dieses Desaster verantwortlich ist?“
„Er hätte schon seit sechsundfünfzig Jahren tot sein sollen. Da er jetzt nicht mehr zurück in mein Labor kommen kann, wird er nun hier bleiben müssen. Wie lange er überleben wird, weiß ich nicht“, wollte sich Orataro nicht festlegen.
Der knallharte Unternehmer lachte. „Er wird genauso zugrunde gehen, wie Du, mein Freund. Richtig?“
„Das ist anzunehmen“, hoffte der Meister, ahnte aber nun, dass er von Rudi keine Hilfe mehr erwarten konnte.
„Dann ist es egal. Aber ich will dieses verdammte Weib!“
„Ich brauche bald neue Energie, Rudi“, ließ Orataro mit schwankender Stimme verlauten.
Rudolf Schulte ignorierte es.

„Was sollen wir jetzt tun?“
„Wenn er Dich suchen sollte, kannst Du nicht nach Hause, Julia“, machte ich ihr klar.
„Und wenn sie Dich suchen, Rainer?“, war Carmina besorgt.
„Meister Orataro, so vermute ich, ist tot. Ich war ziemlich gründlich, als ich die zerschmolzenen Klone zurück geschickt hatte.“
„Du hast seine Existenz ausgelöscht?“, erschrak meine Liebste.
„Er hatte böswillige Absichten. Wer große Geschäfte mit Rüstungskonzernen macht, hat selten etwas Gutes im Sinn. Das durfte ich nicht zulassen“, rechtfertigte ich mich.
„Kann ich hier bleiben?“
„Klar, Julia. Meine Wohnung ist groß genug.“
„Naja, ich meine, Du hast jetzt eine Beziehung. Da störe ich doch sicher“, grinste Julia.
„Solange diese Wohnung nicht plötzlich zur Bühne für Deinen nächsten Film wird...“, stichelte Carmina.
Julia begann zu weinen. Und sowohl Carmina, als auch ich kamen sofort zu ihr, um sie in den Arm zu nehmen und zu trösten.
„Tut mir leid“, bat Carmina um Vergebung für diese Bemerkung.
„Schon gut. Ich hab es nicht anders verdient. Jeder, der mich einmal in einem dieser Filme gesehen hat, denkt, er könne sich ungefragt auch an mir gütlich tun. Männer sind echt Schweine, wisst Ihr das?“
„Ich würde nie auf solche Ideen kommen“, versicherte ich. „Ich glaube, wir sollten zur Polizei gehen, um diesen Banausen anzuzeigen“, schlug ich vor.
„Diesen Rüstungsaffen?“, spottete Carmina.
„Genau. Bevor er Dich findet und Dir etwas antut, weil er wütend auf Dich ist“, erklärte ich.
„Das ist echt lieb, dass Du so um mich besorgt bist. Da hast Du echt einen richtig lieben Mann gefunden, Carmina“, klang ein wenig Selbstmitleid in Julias Stimme.
„Du müsstest Dein Leben mal ein bisschen umkrempeln“, empfahl die Freundin.
„Das werde ich. Aber zuerst zeige ich den Kerl wegen versuchter Vergewaltigung an. Rainer, Du hast es gesehen. Als diese falschen Dinger weg waren, wollten sich die Kerle alle sofort an mir vergreifen.“
„Dann lasst uns sofort gehen“, drängte Carmina.

„Sie wollen Rudolf Schulte anzeigen?“, war der Polizist fassungslos.
„Ja, klar. Ist das ein Problem?“, provozierte Julia den Mann, indem sie sich nach vorn beugte und auf die Kante seines Schreibtisches stützte.
Der junge Mann wurde sofort rot im Gesicht. Da wusste Julia: Der kennt mich, aber das würde er niemals zugeben wollen.
„Ich bin Zeuge“, warf ich ein, um die Situation zu entspannen. „Diese Anklage ist mehr als berechtigt. Genau genommen müssten noch zehn weitere Männer angeklagt werden. Von denen haben wir aber keinerlei Daten.“
„Das ist ja ungeheuerlich“, hatte sich der Beamte wieder im Griff. „Ich werde das sofort aufnehmen.“
„Vielen Dank, junger Mann.“
„Entschuldigen Sie, Frau da...“, brach er ab, weil er plötzlich Panik bekam.
„Julia Romaro ist mein Name.“
„Oh, natürlich, Frau Romaro. Klingt ja fast, wie ein Künstlername, nicht wahr?“
Julia lächelte ihn gewinnend an. „Ist es aber nicht. Aber...“, grinste Julia frech.
Er schaute von seinen Notizen auf, ahnte wohl, dass sie seinen Beinaheversprecher erkannt hatte, und ließ ein Flehen erkennen, ihn nicht zu verraten.
Wieder musste Julia lächeln. Und sie lächelte diesmal wirklich liebevoll. Sie schaute ihn lange tief in die Augen.
Ich hatte das Gefühl, Julia war ganz spontan total in diesen Mann verliebt.
Dann war das Protokoll fertig, alle erhoben sich von den Stühlen. Und Julia fixierte erneut seinen Blick.
„Sie sind ein außerordentlich netter Polizist“, sagte Julia schaute auf das Namensschild und fuhr fort: „Thomas Krämer... Ich danke Ihnen, Herr Krämer. Ich wohne übrigens im Moment bei meinen Freunden. Falls dieser böse Mann nach mir suchen sollte, darf er mich ja nicht finden, nicht wahr?“
„Oh, das wäre gar nicht gut, liebe Frau Romaro. Gar nicht gut“, stammelte er schüchtern.
„Auf Wiedersehen“, schien es für Julia mehr als nur eine Grußfloskel zu sein, so sehr betonte sie diese Worte.

„Rudi, ich brauche neue Energie!“, keuchte Orataro.
„Ach, ich kann Dich nicht mehr brauchen. Geh hinaus auf die Straße, verkriech Dich irgendwo und mach die Augen zu. Ist mir egal. Los! Raus mit Dir!“, wurde der Mann sogar handgreiflich.
Orataro hatte keine Wahl. Er wusste, dass er nicht mehr lange bei Bewusstsein sein würde. Also verließ er, wie befohlen, das Gebäude, ging zum Fluss hinunter und setzte sich an den kleinen Steg.
Dort fanden wir ihn einige Stunde später, als wir auf dem Heimweg waren. Ich stieg aus dem Auto und sprach ihn an, doch er reagierte nicht. Er konnte nicht mehr reagieren. Seine Akkus waren vollständig entleert. Ich griff ihm unter die Arme und trug ihn zum Wagen.
„Was wird das?“, wollte Carmina wissen.
„Ich muss ihn untersuchen. Er ist tot. Aber ich möchte noch ein paar Dinge wissen.“
Ich setzte mich mit ihm auf den Rücksitz und wir fuhren heim.

In der toten Hülle meines Meisters fand ich all die Module, die ständig mit neuer Energie aufgeladen werden mussten, um ihn am Leben zu erhalten. Jetzt war es zu spät. Die Restenergie zur Regeneration war vollständig aufgebraucht. Keine Chance.
An seinem Hinterkopf fand ich eine Klappe, hinter der sich ein Aufzeichnungsgerät befand. All seine Wahrnehmungen und Aktionen konnte ich dort abfragen. Und so konnte diese Geschichte entstehen.

Carmina und ich heirateten. Und Julia angelte sich den netten Polizisten, heiratete ihn nach sechs Wochen, wurde schwanger und bekam ein Kind. Als mein Körper die Diliciumkristalle in mir schließlich nicht mehr als Fremdkörper erkannte, waren auch meine menschlichen Körperfunktionen wieder vollständig hergestellt. Und so konnten auch wir uns ein Jahr später über Nachwuchs freuen.
Rudolf Schulte wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, die unverzüglich zu einer Gefängnisstrafe umgewandelt werden würde, wenn er sich Julia ungebührlich nähern würde.
 



 
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