meine Mutter

memo

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Wenn ich meine Mutter schreibe, so geschieht dies, um die Individualität und Einzigartigkeit einer besonderen Frau festzuhalten. Jede Mutter ist jedoch im Allgemeinen immer diese „eine, besondere, einzelne Frau“.
Mein Drang dies zu schreiben, möge mehr sein als eine Erinnerung – obwohl Erinnerung diese bezaubernde Eigenschaft hat, die Zeit aufzuheben. Nicht Vergangenheit, sondern das Sein in einem Augenblick - eines Duftes, des Geschmacks einer Speise aus der Kindheit, der Melodie einer Stimme, die sinnliche Wahrnehmung einer Welt – plötzlich ausgelöst und in die Gegenwart ragend, in die Zukunft führend. Es kann auch ein Brief sein.
Meine Mutter bedeutet auch in einem ganz tiefen, mir so sehr bedeutsamen Sinne, ihr ein im altmodisch-modernen Ausdruck - ein bescheidenes Denkmal zu setzen, dem jede Monumentalität fehlt. Es sind nur ein paar Worte. Umso wichtiger ist es, dass sie existieren.

Diese Frau war, kaum wahrgenommen unter zehn Geschwistern, ein kränkliches Kind. Einmal hätte man fast den Priester kommen lassen, der Arzt wäre zu teuer gewesen, für das Kind - nicht für ein krankes Kalb. Als sie mit Lungenentzündung einsam in der Kammer lag, fühlte sie diese Unwichtigkeit.
Ein Kind mit Phantasie. Sie versteckte sich, um zeichnen zu können, weil der Lehrer in der Schule ihre Begabung lobte und ihre Sehnsucht so groß war. Allen um sie, gab sie andere Namen. Sie hatte Angst vor den schweren Ackergäulen. Sie weinte als kleines Mädchen, wenn im schmalen Bett neben ihr die ältere Schwester mit den Burschen aus der Nachbarschaft schlief. Mamas jüngere Schwester war so ein hübsches Wesen, mit einer bezaubernden Stimme. Als sie fünf Jahre alt war, bekam sie tagelang hohes Fieber, begann zu schielen und zu lallen und sprach seitdem in der Sprache der Unschuld. „Sie ist ja sowieso zu dumm für alles,“ hörte sie den Vater später oft sagen. Die Großmutter mahnte seit jenem Tag: „Sei nie stolz auf ein Kind.“ Der älteste Sohn, der in der Stadt Theologie studierte, schrieb 1944 mit 19 Jahren einen Brief heim: “Ich kann nicht ertragen, was hier geschieht.“ Die letzten Worte, die es von ihm gab. Die Großmutter, die selbst den vom Krieg schwer kranken Bauern ersetzen musste, konnte in Trauer wochenlang nicht aufstehen. Ihre Arbeit war wichtig, der Großvater fluchte liegend in der Stube. Erzählfragmente meiner Mutter, die sich in mich eingegraben haben.
Diese Zeilen sollen nichts bedeuten. Sie sollen nur ein kleines Stück Leben festhalten und bewahren. Es könnten andere Worte sein, andere Erzählungen.
 



 
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