Meine tollwütigen Träume

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klaatu

Mitglied
Meine tollwütigen Träume
pinkeln stetig neue Feindbilder
in den nassen Zement

&

hinterlassen immer wieder
obszöne Beleidigungen
auf den Anrufbeantwortern der Götter.

***

Vor meinen Fenstern

hat die Welt ihre Vorhänge zugezogen,
doch noch immer kann ich hören,
wie sie draußen Regenbögen anschreien

- die Türen meiner Wahrnehmung sind verschlossen,
doch ich spähe verschämt durch das Schlüsselloch:

Da mäht ein Mann pflichtbewusst den Rasen,
während hinter ihm sein Haus abfackelt,

Menschen führen Hunde ohne Beine
trotzig an der Leine spazieren

&

ein leeres Goldfischglas
treibt verloren
in einem endlosen Ozean.


***

Meine tollwütigen Träume
spielen "Wo ist Walter?"
mit der Wirklichkeit

&

ich bewege meine Lippen synchron
zu den Stimmen in euren Köpfen.

***

Dabei wollte ich nie euer Schlachtfeld sein,
keine Leinwand für gescheiterte Weltbilder,

doch selbst im Schlaf
suche ich nach Wahrheit
zwischen all den Werbespots.

***

Ihr könnt nicht
ernsthaft von mir erwarten,
dass ich eure Alpträume
auch noch mitträume!?​
 
Hi @klaatu

erst einmal erfreue ich mich wieder sehr an Deiner ganz eigenen lyrischen Stimme, die zu uns so keck und mutig spricht, Themen aufgreifend, für die sich vielleicht der ein oder andere schämen mag. Auf die genialen Metaphern deiner lyrischen Sprache und die Art, wie du sie in Beziehung zu Beobachtetem setzt wurde ja schon lobend eingegangen. Dem schließe ich mich vollumfänglich an. Ich freue mich sehr, dass deine lyrische Schaffenskraft im Moment offenbar wieder posten zulässt und hoffe, dass das erst der Beginn einer neuen Gedichtserie sein wird. Anbei ein paar Gedanken zum Werk an sich:

1. Das Gedicht scheint sich mit Themen wie Wahrnehmung, Realität, gesellschaftliche Normen und die inneren Kämpfe des lyrischen Ichs auseinanderzusetzen. Es besteht aus fünf Strophen, die verschiedene Aspekte dieser Themen beleuchten. Die erste Strophe beschreibt "tollwütige Träume", die ständig neue Feindbilder schaffen und Götter beleidigen. Dies könnte symbolisch für die Unzufriedenheit und den inneren Konflikt des lyrischen Ichs stehen, das sich mit den Herausforderungen und Problemen der modernen Welt auseinandersetzt.

2. Die zweite Strophe beschreibt eine abgeschottete Welt, in der das lyrische Ich nur durch ein Schlüsselloch blicken kann. Es nimmt surreale und absurde Szenen wahr, die die Unlogik und die scheinbare Sinnlosigkeit der Welt hervorheben. Dies könnte ein Kommentar zu den gesellschaftlichen Normen und Werten sein, die oft widersprüchlich und irrational erscheinen.

3. In der dritten Strophe sind die "tollwütigen Träume" des lyrischen Ichs wieder präsent und spielen mit der Wirklichkeit, was darauf hindeutet, dass das Ich Schwierigkeiten hat, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden. Es synchronisiert seine Lippen mit den Stimmen in den Köpfen anderer, was auf die Suche nach Verbindung und Verständnis für die Gedanken und Gefühle anderer hindeutet.

4. Die vierte Strophe zeigt das lyrische Ich, das sich gegen die Rolle wehrt, die ihm von der Gesellschaft oder von anderen Menschen auferlegt wird. Es möchte weder ein "Schlachtfeld" für die Probleme anderer sein noch eine "Leinwand für gescheiterte Weltbilder". Trotzdem sucht es im Schlaf nach der Wahrheit und versucht, sich inmitten von Werbespots zurechtzufinden, was auf die Beeinflussung durch die Medien und die Schwierigkeiten bei der Suche nach Authentizität hindeutet.

5. In der letzten Strophe drückt das lyrische Ich seine Ablehnung aus, die Alpträume anderer zu teilen. Dies könnte auf die Notwendigkeit hindeuten, persönliche Grenzen zu setzen und sich auf die eigenen Träume und Wahrheiten zu konzentrieren.

Insgesamt könnte das Gedicht als eine Reflexion über die Schwierigkeiten interpretiert werden, die sich aus der Auseinandersetzung mit der modernen Welt, ihren widersprüchlichen Normen und der Suche nach Wahrheit und Authentizität ergeben. Der rote Faden, der sich durch alle Strophen zieht, ist die Auseinandersetzung des lyrischen Ichs mit seiner inneren Welt und den äußeren Einflüssen, die seine Wahrnehmung und Realität prägen. Es ist ein Ausdruck des Ringens um Selbstbestimmung und Selbstverständnis inmitten einer oft verwirrenden und widersprüchlichen Realität. Eine gewisses Entsetzen über die "Faulheit" der äußeren Welt und die Last, die das lyrische ich empfindet gibt uns dann der fast schon anklagende, vorwurfsvolle Ausklang: Allen Ernstes soll ich eure Alpträume auch für euch mitträumen fragt das Lyrische ich. Man ist geneigt zu antworten: "Ja natürlich. Hier stehe ich und kann nicht anders..:"

mes compliments

Dio
 
G

Gelöschtes Mitglied 24479

Gast
starker text. starke bllder gegen die gewohnheit, lieber klaatu.
ich würde bei
doch selbst im Schlaf
suche ich nach Wahrheit
zwischen all den Werbespots.​

vielleicht bei suche das e weglassen - für mein lesegefühl. ist aber marginal.
liebe grüße
charlotte
 

sufnus

Mitglied
Das is ja ein Ding... grad vorhin hab ich andernorts lamentiert, dass vom klatuu länger nix zu lesen war & schon kommt so ein Hammertext daher! Sehr geil! :)
Ich mag vor allem den Rasenmähermann. :) Da gabs doch vor etlichen Jahren mal so ein Meme, dass von einem Typ inspiriert war, der seelenruhig den Rasen gemäht hat, während im Bildhintergrund ein Mordstornado vorbeizieht... der Chuck Norris des Rasenmähens hieß das damals... :)
LG!
S.
 

klaatu

Mitglied
Hi zusammen!

Freut mich sehr, dass euch der Text gefallen hat. Habe ja jetzt längere Zeit gar nichts mehr gepostet (und auch für mich selbst kaum geschrieben). Gerne würde ich ein bisschen detaillierter auf die Kommentare eingehen, aber das bekomme ich momentan nicht auf die Kette. Vielleicht später.

Trotzdem danke und
LG
K
 



 
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