Meine Welt

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Zwielicht, Mond und Sterne.
Himmelweite Ferne.
Nach oben klare Sicht,
doch vorwärts seh' ich nichts.

Der Wald versperrt mein Blick,
bis zur Lichtung reicht Kritik;
ich drehe mich im Kreis
und dann singe ich leis'

das Lied vom Abendland.
Ich schließe die Augen,
verschließe den Verstand

werde ewig Glauben
und doch niemals Verstehn',
was es heißt im Kreis zu geh'n.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Anstelle eines Reimes tritt am Ende der ersten Strophe eine Assonanz.

Zwielicht, Mond und Sterne.
Himmelweite Ferne.
Nach oben klare Sicht,
doch vorwärts seh' ich nichts.
Der erste Vers der zweiten Strophe ist seltsam.
"Den Wald versperrt mein Blick" würde es grammatisch reparieren, aber wäre äußerst paradox. Auch ein Komma würde es reparieren, oder ein Apostroph, so ist es standardsprachlich ungrammatisch. Umgangssprachlich wird die Form natürlich verwendet (Endsilbe von "meinen" verschluckt.
Der Wald versperrt mein Blick,
bis zur Lichtung reicht Kritik;
ich drehe mich im Kreis
und dann singe ich leis'
Es folgt ein Rhythmuswechsel.
das Lied vom Abendland.
Ich schließe die Augen,
verschließe den Verstand
"Glauben" und "Verstehn" sind hier Substantive, sind aber in den Vers wie Verben eingebaut und man kann sie als Substantive nicht gut verstehen. Was ist am Ende von "Verstehn" ausgelassen? "Verstehne"? Bei "geh'n" ist es klar: "gehen".
werde ewig Glauben
und doch niemals Verstehn',
was es heißt im Kreis zu geh'n.
 
Zwielicht, Mond und Sterne.
Himmelweite Ferne.
Nach oben klare Sicht,
doch vorwärts seh' ich nichts.

Der Wald versperrt mein Blick,
bis zur Lichtung reicht Kritik;
ich drehe mich im Kreis
und dann singe ich leis'

das Lied vom Abendland.
Ich schließe die Augen,
verschließe den Verstand

werde ewig glauben
und doch niemals versteh'n,
was es heißt im Kreis zu geh'n.
 

Walther

Mitglied
hi patricia,

auch hier der mangel an rhythmusgefühl klar erkennbar. ebenso fehlt die kenntnis dessen, wie ein sonett format aufgebaut ist. das dichten ist bei weitem weniger einfach, als man denkt.

allerdings läßt sich das mit den fehlern und den holpereien ändern. die voraussetzung ist allerdings, daß man sich mit den formen, dem metrum und den strukturen beschäftigt. ein wesentlicher punkt ist dabei das lesen guter lyrik. hier stehen unzählige sammlungen deutscher lyrik bereit, entdeckt, konsumiert und als vorlage für die eigenen werke erkannt zu werden.

daneben ist es nötig, eine basis dadurch zu schaffen, indem man sich die "technik", das handwerk also, erschließt, einschlägige werke stehen bereit, ebenso quellen wie wikipedia. unter "verslehre" aber auch unter "sonett" läßt sich dort viel wissenswerte finden.

lg w.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Eine wesentliche Frage: Haben Verstöße gegen Rhythmik und Reim hier eine Funktion oder sind sie eher zufällig?

Beide Arten der "Verstöße" wurden gemacht und zwar bei Übertragungen französischer Sonette in die deutsche Sprache. (Beispiele gibt Kemp an ("Ich zweifle doch am Ernst verschränkter Zeilen. Das französische Sonett und seine Aneignung in Deutschland" von Friedhelm Kemp)

Also: man darf (nach Kemp):

Reime vereinfachen, (Struktur abba cddc ... statt abba abba)
man darf auch andere Strukturen verwenden.
Man kann Assonanzen (Halbreime) verwenden und man kann ganz auf den Reim verzichten.

Aber das Wesentliche: Hat es die Wirkung? Bedingen sich Inhalt und Form oder ist die Form, wirkt die Form aufgesetzt, eher zufällig?

Im vorliegenden Fall tut sie das.

Da ist zum einen der Paarreim in den Quartetten, die einzige Form, die praktisch nicht oder kaum verwendet wird.
Zwielicht, Mond und Sterne.
Himmelweite Ferne.
Hier könnte man eine Rechtfertigung finden. Den Anklang an das Kinderlied.
Aber gerade dann ist der Nicht-Reim in den nächsten beiden Versen widersprüchlich und unbefriedigend.

Klugerweise hast Du das Gedicht nicht Sonett genannt, damit entgeht man weiten Teilen der Diskussion.

Ich betrachte es noch als solches, aber es steht in einer merkwürdigen Zwischenwelt.

Was am Ende bleibt, sind 14 Zeilen.

Und nur sie machen hier die einzige Verbindung zum Sonett aus, die ich sehe, zusammen mit der grafischen Form der Aufteilung.
 
Vielleicht hätte ich das Gedicht nicht unter der Rubrik "feste Formen" veröffentlichen sollen.
Ja, ich habe mich an der Struktur des Sonetts orientiert. Ich wollte versuchen meine Gedanken einmal in einem streng geregelten Gedicht zu ordnen. Doch während des Schreibens ist mir aufgefallen, dass ich mich nicht an die, meines Erachtens recht "konservative" Art des Sonetts, binden möchte.
Daher wollte ich bestimmte Regeln eines Sonetts missachten als eine Art "Trotzreaktion" - wenn man es so nennen möchte - aber auch als Zeichen der Verwirrtheit, welche mit meiner Hauptintention verbunden ist. Die Form sollte ihren eigenen kleinen Beitrag leisten, um zu zeigen, dass wir bestrebt sind stets zu hinterfragen und zu begreifen oder nicht zu begreifen. Unser immer wiederkehrendes Aufbegehren, unsere Verunsicherungen und Sorgen wollen beantwortet werden. Schon von Kindes Beinen an sind wir so gestrickt. (Daher auch die Anspielung auf ein Kinderlied zu Beginn). Oder wir wenden uns an die Religion, finden Antworten im Übersinnlichen, wenn wir nicht weiter wissen (worauf ebenfalls die erste Strophe anspielt).
So verhält es sich unser Leben lang. Wir stoßen ständig auf Dinge, die wir paradox finden, weil wir sie zunächst nicht verstehen. Das, was wir nicht kennen, hinterfragen wir und das, was wir kennen, kritisieren wir.
der Wald versperrt mein Blick
bis zur Lichtung reicht Kritik
Aber was sollen wir nun tun? Sollen wir Unbekanntes hinterfragen oder uns dem Glauben zuwenden? Wofür entscheiden wir uns persönlich?
Das lyrische Ich meines Gedichtes zwingt sich nicht zu einer Antwort. Es lässt sich von seinen Sehnsüchten hinreißen und geht seinen ersten Impulsen nach.

und dann singe ich leis'
das Lied vom Abendland
und schließe die Augen
Es lebt schlicht sein Leben und findet dadurch eine mögliche Antwort auf eine Frage, die weder "Richtig" noch "Falsch" zu unterscheiden vermag - der Grund für den Sinn des Lebens.

werde ewig glauben
und doch niemals verstehn'
was es heißt im Kreis zu geh'n
Das lyrische Ich akzeptiert, dass es nicht alles wissen kann. Es ist glücklich mit seinem Leben. So, wie es ist.



Ich bin dankbar für eure Kritik und konnte einiges für noch kommende lyrische Texte gewinnen. Dennoch möchte ich erwähnen, dass die Form nur einen kleinen Teil jedes Gedichtes ausmacht. Doch leider scheint die Form in diesem Fall die Aussagekraft meines Themas geschwächt zu haben. Nichts desto Trotz sollten nicht vergessen werden, dass das bedeutendste bei jeder Art von Text die Absicht ist, die dahinter steckt. Auf den Inhalt kommt es schließlich an.
Das Schöne an Gedichten ist ja, dass jeder sie anders Interpretieren kann. Jeder versteht es so, wie er es persönlich am besten findet.
 

Walther

Mitglied
lb. patricia,

wenn ein dichter beginnt, sein gedicht zu erläutern, hat er bereits verloren. der leser muß umfassen und begreifen können, was der dichter ihm sagen möchte.

zweitens: wer eine form überwinden will, der muß sie erst beherrschen. beides sieht man dem gedicht an: das von dir selbst eingeräumte nichtbeherrschen und den gescheiterten versuch, das nichtverstandene zu überwinden.

es ist immer wieder von nutzen, sich in bescheidenheit zu üben. wie überhaupt üben und lesen sehr nützlich sind, wenn es ums dichten geht.

lg w.
 



 
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