hallo gueko,
eigentlich wollte ich heute morgen nur kurz vorbeischneien und mal sehen, ob sich wer geregt hat. pläne werden halt gemacht, um sie wieder über den haufen zu schmeißen - an der realität gescheitert.
so, jetzt aber:
zu deiner deutung: ja, ich verstehe, was du meinst. aber es wäre schön, wenn's auch aus dem gedicht spräche, dort kann ich das so nicht lesen. abgesehen davon, brauchst du dich in der lupe auch keineswegs zu rechtfertigen, es sei denn du willst. interpretationen eigener werke sind ja immer auch nervtötend und müssen in dieser ausführlichkeit nicht immer sein. lass den leser auch in der diskussion ruhig noch eigenen spielraum.
zum titel: der ist einfach nur deskriptiv, was an sich nichts schlechtes ist, aber als poet hast du schon mehr möglichkeiten damit etwas zu bewirken. bedeutungsebenen hinzufügen, leser verwirren, leser lenken etc. und immer ist die frage, wie der titel zu dem text steht und was du ausdrücken willst. meine titel kommen meist als letztes, d.h. der arbeitstitel hält sich kaum mal, weil erst unterwegs das ziel in sicht kommt.
zu den allgemeinplätzen: ich weiß, dass es heutzutage unglaubliche mengen geschriebener worte gibt, für alle verfügbar, überall, jederzeit, und ich finde das auch gut, schließlich schleppe ich selbst meinen poetischen ascheimer auf die datenmüllhalde. aber es gibt formulierungen, redewendungen, floskeln die sind zum einen aussagelos, weil offensichtlich, zum anderen unoriginell, oft weil naheliegend. beides muss nicht schlecht sein, wenn es als stilmittel benutzt wird. es sind der bewusste umgang und das eigene sprachempfinden, die als wartungsinstanz herhalten.
...und da wir uns hier über lyrik unterhalten:
"mal dort, mal da" -ist so geflügelt, gefloskelt, wo sonst?
ebenso "drum zieh ich weiter", wohin? das bild des streunens, nicht dazugehörens istklar, aber nicht unbedingt poetisch.
"Blicke treffen sich
nur kurz
dann blick' ich weg
schau durch die Menschen durch
erkenn' sie trotzdem nicht"
ist als empfindung, gerade in anonymisierenden menschenansammlungen das normale, daher nicht sonderlich originell und häufig von anderen benutzt, abgenutzt.
"die leben nur ihr Leben" gleichfalls gefloskelt, philosophisch betrachtet, was anderes kann mensch mit seiner existenz anstellen? ist schwer genug. womit wir, deiner lesart folgend, wieder inhaltlich geworden wären und die katze sich in den schwanz beißt.
das letzte enn ist insofern überflüssig, weil es die zeile über gebühr verlängert würde es ausgelassen, könnte der leser es (leicht) selbst ergänzen, oder aber die letzten beiden zeilen anderen sinns verknüpfen.
soll jetzt aber reichen, hoffentlich hilfts und kommt so an wie's gemeint ist, nämlich konstruktiv und nicht abkanzelnd.
"wir müssen uns Sisyphos als einen lücklichen Menschen vorstellen" (A. Camus)