mimikry

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
mimikry

auf die gefahr das weisze blatt papier
auf das ich diese zeilen zitternd schreibe
mit meinen sympathien zu erröten
wenn ich im himmel deines hellen blicks
wie wolken in der sonne gold versinke –
geb ich in diesem lied – frei von begier
und ohne alle lust zu übertreiben –
dir etwas von den blumenvollen beeten
der himmelswiesen wieder und des glücks
in dem ich wenn ich dich nur seh ertrinke

so werfe male schwemm ich aufs papier
mein herz: so will ich der geliebten schreiben
da lese ich es selbst und muss erröten –
was für ein kitsch! der weiche werbetrick
in dem die nackten schmeicheleien blinken
nur schlecht verbrämt von der barocken zier –
durch blumen bricht ein unverblümtes treiben
der wolf im reimpelz lauert um zu töten
das allzuleicht mir vorgemalte glück
ich seh den spötter grinsen schon und winken:

das sind nur taube blüten von papier
und dieses zuckerbonbonbunte schreiben
soll wohl die himmelszonen ihr erröten
durch die du schwimmst mit deinem silberblick
damit sie in der peinlichkeit versinke
dem spielplatz deiner lüste deiner gier?
du musst doch nicht so eitel untertreiben!
ich seh dich schon zu ihren füszen beten – –
praktischer wär's zu solchem rauscheglück
in einem meer von branntwein zu ertrinken
 

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Mitglied
Servus, mondnein!

Ich hab mich herrlich amüsiert beim Lesen! Als jemand, der über das Thema "Kitsch" eine Diplomarbeit geschrieben hat, kann ich nur sagen: wenn der Kitsch für das Liebespaar funktioniert und die Herzen wärmt, ist kein Schaden entstanden. So nach dem Motto "der Nutzen rechtfertigt die Mittel". Schwierig wird es dann, wenn jemand meint, etwas literarisch Wertvolles vor sich zu haben (im schlechtesten Fall der Verfasser selbst). Köstlich geschildert, der Prozess vom Schreiben im Liebeseifer, gefolgt vom langsamen Erwachen und der keimenden Erkenntnis,, dass das Werk nichts als gefühlsüberladen - und somit Kitsch ist.

Umsomehr verlangt die Gefahr von
praktischer wär's zu solchem rauscheglück
in einem meer von branntwein zu ertrinken
die Richtigstellung, dass Kitsch an sich noch nichts Schlechtes sein muss. Unser Bedürfnis nach Sentimentalität darf ab und zu auch gestillt werden (chaquun à son gout).
Peinlich? Ja, für den Lyrikkenner sicherlich. Nicht aber zwingend für die Angebetete (außer diese ist auch mit den Qualitäten guter Lyrik vertraut - dann lieber ab in die runde Ablage damit). Und Liebe kann ja bekanntlich blind machen...das verzeiht definitiv so Einiges ;)

Gernst gelesen!

Lieber Gruß,
fee
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Liebe fee,

Du siehst das alles sehr klar. Ich würde noch die neutrale Gleichgewichtigkeit der drei Positionen im Dreieck der drei Strophen drei mal drehen, um die Symmetrie aufzuzeigen. Dadurch bekommt der Kitsch dann einen Eigenwert, einen ästhetischen. Er berührt ja nicht, dafür sind seine Phrasen zu hohl. Er greift mit seinen Metaphern nicht an oder gar in die Person, in ihr "Herz" hinein, da die Schönheit in seinen Bildern rein gemalt-optisch und unerotisch ist. Er kann aber über die Komik der absoluten Metaphern lächelnde Sympathien wecken, wie über ein Kinderlied.

Dann löst die Meta-Ebene dessen, der die Metaphern kritisch durchleuchtet und den "wolf im reimpelz" entlarvt, sich von der "von oben" betrachteten Bildebene, um per Psychoanalyse eben diese noch unter der Bildebene im Verborgenen des Unterbewußten lauernde Metapher aufzudecken.

Von der kann man im dritten Symmetriedreher wieder zum naiven Anfang-Subjekt zurückkehren, das nun als süßes Unschuldslämmchen, blutig-süßes Opferlamm,
- im Gebiß des Spott-Wolfes verblutet.

grusz, hansz
 
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Mitglied
Ich würde noch die neutrale Gleichgewichtigkeit der drei Positionen im Dreieck der drei Strophen drei mal drehen, um die Symmetrie aufzuzeigen.
Interessant, hansz!

Ich hatte es weniger als eine Symmetrie gelesen, dafür vielmehr als einen sich in drei Stufen entwickelnden Selbst-Abspaltungs- und -Erkenntnisverlauf - unterstützt durch eine sehr stimmige, sich ändernde (parallel entwickelnde) Sprachintensität. Am Ende beißt doch der Schreiberling sich selbst als sein härtester Spötter mit Wolfszähnen blutig - und fühlt sich als Opfer und Kritiker zugleich zwiegspalten. Am Ende steht also eine ebenso gefühlsmäßig überzogene Aktion wie das Schreiben des Gedichts der ersten Strophe. Das schließt den Kreis der Leidenschaftlichkeit, vereint aber nicht restlos.

Da steckt weitaus mehr Material für Psychoanalyse drin, als es ev. auf den ersten Blick scheinen mag.
Das mag ich!

Lieber Gruß,
fee
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ja, sehr klare Sicht, stimmige Interpretation, fee.

Ich sehe das lyrische Ich nicht als "zwiegespalten", sondern als dreiseitig, wie bereits beschrieben.

Aber das diesem folgende Gedicht mit dem Titel "daimonion" bestätigt Deine Sicht, und vervielfältigt die Aspekte der Auseinandersetzung mit dem "wolf" dieses "mimikry" z.B. ins Vierfältige der vier hesekielschen "Zôa", die in der Apokalypse geschildert werden, das ist der "löwenadlerengelstier", und fünftens: "ein blutig schaf".

grusz, hansz
 

Tula

Mitglied
der Wolf im Reimpelz :D
ja, auch der, ein Gesandter des Dämons. Aber wer ihn zu zähmen weiß, macht aus ihm einen tanzenden Schwan ...

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
nun ja, der schwule sterbende Schwan ... - löste der die "sieben 'Siegel" (wie das "Lamm")?
 



 
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