mir ist kalt

5,00 Stern(e) 4 Bewertungen

wiesner

Mitglied
mir ist kalt

wie oft war ich zu Besuch
und bei gutem Heizen
fror ich des Blutes wegen
das nicht strömte in mir
in uns altalten Freunden
diesmal trat ich die Tür ein
erschlug die Gastgeberin
Luft pfff Luft aus der Nase
Kehle Stirn und Brust und

hämmerte gegen die Wand
die angebeteten Bilder pfff
im Gebrüll des Mobilars
es fröhlich hervorzulocken
das gesellige Badeblut
dann auf meine Nase
Kehle Stirn und Brust und

als wär mir nach Wortblut
nicht Luft nur Luft plantschen
so pfff so kalt war mir voll
Luft segelte ich blutleer
gepolstert vor die Füße
einiger Herrschaften
die vergnügt promenierten
können wir Ihnen helfen
mir ist kalt wissen Sie
halten Sie mich nicht auf
wir müssen doch weiter
müssen wir nicht weiter



Beim Aufräumen gefunden, doch ohne Datum.
Mir ist noch eine Surrealismusphase erinnerlich ...
 

fee_reloaded

Mitglied
Auch wenn ich ihn nicht komplett entschlüsseln kann, deinen starken Text, lieber Béla,

so möchte ich doch bemerken, dass er auf einer Ebene wirkt, die noch vor dem Denken stattfindet.
Ich fühle mich an äußerst viele und stets "blutleere" Sonntagnachmittage im Kreise der engsten Familie erinnert. Manchmal bin ich da beinahe ertrunken an all dem vielen Nichts, das da eifrig gesagt wurde. Lächeln, Torte essen, frieren...ja, das Frieren hast du sehr gut beobachtet. Das kenne ich genau so.

Ich mag die viele leere Luft, die da vor Schreinen des "eigenen Bluts" entweicht. Wortlosigkeit, Atemlosigkeit, Hauptsache, es geht voran. Dann muss man nicht innehalten und feststellen, was alles nie hinterfragt und stets nur hochgehalten wurde.

So surreal wie manche dieser Familiensonntagnachmittage kann dein Gedicht nie werden.
das gesellige Badeblut
- was für ein Bild und welche Wortschöpfung!!!!
Schon allein dafür möchte ich dir Sterne ohne Ende geben!

Ein Text, der mich findet. Ganz tief drin...intravenös sozusagen. Mehr als gernst gelesen! Bravo!

Liebe Grüße,
Claudia
 
ich liebe ja surrealismusphasen. und wenn ich auch den gastgeber erschlagen hätte, verstehe ich die herrschaften, die nicht verstehen.
liebe grüße
charlotte
 

Ubertas

Mitglied
Lieber Béla,

ich lege (wie des öfteren) einfach mein Denken in deine Worte, die mehr ausdrücken, als ich zu erfassen in der Lage bin.

können wir Ihnen helfen
mir ist kalt wissen Sie
Das gefällt mir ganz besonders, hier ist der Kontrast.

halten Sie mich nicht auf
wir müssen doch weiter
müssen wir nicht weiter
Hier wird der Kontrast aufgehoben. Durch beide Seiten. Obwohl es soviel zu verstehen, zu retten gäbe.
Dann steht da: müssen wir nicht weiter mit Punkt oder Fragezeichen oder Ausrufezeichen zu lesen. Oder ohne den dreien.

Lieber Béla, was ich sagen wollte, ich finde dein Gedicht hervorragend!

Lieben Gruß ubertas
 

wiesner

Mitglied
@fee_reloaded @schwarzer lavendel @Ubertas

Euch ganz herzlichen Dank für die 'Rettung' des Gedichts, es war ja längst eingekellert.


Ja, diese ewigen Verflachungen und blutleeren Sonntage - Du greifst da richtig rein, liebe Claudia. Das Ertrinken im Nichts - punktgenau. Und so elend in seiner Wiederholung.

Es ist gut möglich, schwarzer lavendel/charlotte, dass die Herrschaften soeben aus dem Luftplantschen einer Nachmittagskultur kommen und der Welt zeigen, wie glücklich sie sind und so tun, als böten sie wirklich Hilfe an ...

Die Schlussszene, liebe Ubertas, wollte mir lange nicht gelingen, ich wusste nur, sie offen zu halten (ich sehe das aus den alten Kritzeleien). Bis ich erkannte, dass das Gedicht ein fortschreitendes Tempo entäußerte; lass das Ganze doch mit einer Frage enden ... so wars wohl.


Schön, dass es noch mal gelesen wurde - von Euch!

Gruß
Béla
 

sufnus

Mitglied
Hey Béla,
ich dachte bisher immer der Luftikus wäre eine sehr begrüßenswerte Daseinsform, aber dank Deiner Zeilen wird mir klar, dass die Luftgeister mit vielerlei Ätherischem gefüllt sind und eben nicht nur mit ordinärer heißer Luft! Gut, dass dank multipler Ent-Hüllungen in Deinen Zeilen einiges von diesem Dunst davongepfft ist.
Und abseits dieser Anmerkung: Ich bin wirklich begeistert von diesem Gedicht! Wunderbar!!!
Danke dafür und liebe Grüße!
S.
 

wiesner

Mitglied
Allerbesten Dank, Sufnus, ich freue mich sehr über Deine Begeisterung! Ich habe noch die Idee einer Textanordnung auf einer möglichen Buchseite gefunden, sieht ganz anders aus als hier. Gab Brinkmanns Westwärts 1&2 den nötigen Anstoß? Ich weiß es nicht (mehr) ...

Gruß
Béla
 



 
Oben Unten