Mit dem Taxi zur Kneipe und die Begegnung mit der Tresenfrau

4,80 Stern(e) 4 Bewertungen

chrissieanne

Mitglied
Heute ist mal wieder einer dieser Abende. Der Blues hat mich fest im Griff. Alleine sitze ich auf meiner Couch und starre in den Fernseher. Es läuft eine Talkshow. Ein Mensch mit einem bekannten Gesicht erzählt aus seinem Leben. Vor der Schauspielerei Medizin studiert, viele Reisen, glückliche Ehe, fünf Kinder, drei Bücher geschrieben und er spielt leidenschaftlich gerne und gut Geige. In seiner Freizeit malt er Bilder, die sich sogar ganz gut verkaufen. Außerdem liebt er Tiere und die Landwirtschaft. Diesem Hobby geht er auf seinem Bauernhof irgendwo in Irland nach. etc. etc.
Meine Güte. Ich habe überhaupt keinen Beruf, keine Kinder und bin schon überfordert, wenn ich mehr als zwei Termine am Tage hab. Versagerin!!!
Ich bin einsam und alleine, keiner liebt mich und mein Leben ist eine Katastrophe!

Ich beschließe in die Kneipe zu gehen. Das ändert zwar nichts an meinem verkorksten Leben, aber anstatt mir die Superleben anderer Leute anzuhören oder an die Wand zu starren, gebe ich dem Abend zumindest die Chance, ein gelebtes Stück Erinnerung zu werden.
Ich gehe gar nicht gerne alleine in die Kneipe, aber mangels potentieller Begleitung bleibt mir nichts anderes übrig. Ein Blick in den Spiegel sagt mir: Laß es! Du siehst scheiße aus. Der Kleiderschrank unterstützt das Argument. Ich lasse mich nicht unterkriegen, schminke mich ein bißchen, ziehe mich nicht um.
So wie ich bin, bin ich schön genug um ein Bier trinken zu gehen. Basta!
Ich gönne mir ein wenig Luxus, und gehe zum nächsten Taxistand. Ich öffne die Wagentür des vordersten Taxis der Schlange und setze mich auf den Beifahrersitz.
„Na, wo woll`n wa denn hin, junge Frau?"
Es gibt zwei Arten von Taxifahreren: den jungen Studenten jedweder Nationalität, und dat Berliner Orijinal.
Ich hab wohl Zweiteres erwischt. Gutmütig, bierbäuchig und mit roter Knollennase sitzt er neben mir und schaut mich fragend an.
„Schöneberg, Crellestraße."
Laut dem Kneipenführer einer Berliner Stadtzeitung, gibt es dort ein Lokal mit angenehmer Atmosphäre und gemischtem Publikum. Eine echte Kiezkneipe, fern von irgendwelchem Szenedünkel. Genau das, was ich brauche.
„Allet klar. Na, dann woll`n wa ma." Er legt den Gang ein, und das Taxi fährt leise los..
„War det heut `n Wetterchen?"
Oh je.
Berufstaxifahrer meinen immer, ihre Kundschaft sei unheimlich scharf auf Konversation. Die Studenten schweigen meist, und hoffen ihrerseits keinen allzu redseligen Fahrgast zu erwischen. So die Überlieferung. Ich fahre normalerweise nicht mit dem Taxi. Der Student wäre mir trotzdem lieber gewesen.
„Mmh", brumme ich zustimmend und gleichzeitig kundtuend, daß sich meine Gesprächsbereitschaft in engen Grenzen hält.
„Manchmal isset schon janz schön frustrierend ständich Nachtschicht zu fahren, kriegste dann ja nix mit vonner Sonne, wo dat doch bei uns so selten überhaupt so is. Abba wat solls, man kann ja heutzutaje froh sein, überhaupt Arbeit zu haben. Ick sach ma imma: Manne, kiek da die Leute inne dritte Welt an. Sonne ohne Ende, und wat hammse davon? Nüscht. Keene Arbeit, keen Jeld , ständich Hunger und Kriech. Sei froh datte in Deuschland lebst. Obwohl et hier ooch keen Zuckerschlecken is. Unsereiner malocht den janzen Tach, und det Jesindel macht sich en Lenz auf unsere Steuern. Na, wenn ick wat zu sajen hätte! Abba die einfachen Leute interessieren ja niemand. So, da wär`n ma junge Frau. Macht zwölf fuffzich."
Uff.
Ich bezahle, und gebe ihm ein fürstliches Trinkgeld, dankbar, daß er zumindest keine Antworten erwartet hat. Er bedankt sich überschwenglich, nicht ohne eine umfassende Erläuterung der miesen Trinkgeldkultur heutzutage abzugeben.
Es ist eine kleine stille Straße. Nach ein paar Schritten erreiche ich das Lokal und öffne die Tür. Aus dichtem Rauchnebel begrüßen mich Stimmengewirr, Gelächter und Jazzmusik. Eine gemütliche, rustikale Kneipe. Dunkle Holztische und Stühle, an den dunkelblauen Wänden goldgerahmte Kitschbilder. Sie ist bis auf den letzten Platz besetzt. Doch da am Tresen ist noch Platz.
„Ist der Hocker frei?" frage ich den Mann daneben, der mich neugierig mustert. „Aber selbstverständlich!". Er lächelt. Ich setzte mich. Die Frau hinter dem Tresen schaut mich mit freundlich hochgezogenen Brauen an, während sie geübt eine beachtliche Anzahl von Bieren zapft. Ich bestelle ein Bitburger. Sie nickt und greift nach einem neuen Glas. Kurze Zeit später steht es gefüllt vor mir. Ich schaue mich um.
An einigen Tischen wird lautstark Karten gespielt, an anderen sitzt man pärchen- oder gruppenweise zusammen und unterhält sich. An einem Tisch spielen zwei Männer in den Fünfzigern konzentriert Schach, daneben sitzt eine kleine Gruppe Jugendlicher. Am Tresen hocken, bis auf eine Frau, ausschließlich Männer. Einige unterhalten sich, andere starren verloren in ihr Glas oder fixieren die Wirtin, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre Aufmerksamkeit zu fordern. Der Mann neben mir liest Zeitung.
Ich fühle mich wohl. Hier kann ich als Frau ohne Begleitung ungestört meinen Gedanken nachhängen.
Ich beobachte die Frau hinter dem Tresen.
Sie ist in den Vierzigern, klein, attraktiv, doch mit den typisch verlebten Gesichtszügen jahrelanger Kneipenarbeit.
Sie macht ihren Job verdammt gut. Sie scheint alleine zu sein. Ich schaue ihr bewundernd zu, wie sie flink Biere zapft, Wein und Schnaps ausschenkt, gleichzeitig mit den Männern am Tresen mit Blicken, Sprüchen und Lächeln kommuniziert, Bestellungen aufnimmt, indem sie zu den Tischen geht oder auf Zurufe reagiert. Zwischendurch rennt sie in die Küche und kommt einige Zeit später mit dampfenden Würstchen, Bouletten oder Suppe hinaus. Rennt in den Keller, ein Faß ist wohl leer. Kommt hoch, kassiert ab. Zapft weiter und hört dem Mann neben mir scheinbar interessiert zu, der ihr etwas aus der Zeitung vorliest. Nickt gleichzeitig in verschiedene Richtung wieder Bestellungen aufnehmend.
Sie ist völlig konzentriert, muß auf tausend Dinge gleichzeitig reagieren. Jemand ruft nach einem Lappen, ein volles Bierglas ist umgekippt. Sie holt ihn aus der Küche und geht zum Tisch. Entschuldigungen abwehrend wischt sie die Lache auf. „Zahlen bitte!" kommt es aus einer anderen Ecke. Sie bringt Lappen und Eimer in die Küche, kommt raus, schnell noch jeweils einen Schuss in die am Tresen wartenden Biere, damit sie nicht abstehen. Zwei Weine einschenken, die sie auf dem Weg zum zahlenden Tisch mitnimmt und nebenan serviert. Während sie kassiert, geht die Türe auf und ein Schwall neuer Gäste kommt herein. Suchen einen Platz. Sie dreht sich um, winkt den Leuten zu, daß dieser Tisch frei wird. Eine Traube bildet sich dort aus denen die gerade gehen, und denen die darauf warten, deren Plätze sofort wieder zu besetzen. Sie verabschiedet die einen, begrüßt die Neuen. Die CD ist zu Ende. Sie holt das Tablett und die Getränkekarte, räumt den Tisch leer, kommt zurück, stellt das Tablett ab. Wimmelt, kurz gereizt, einen Mann ab, der ihr etwas erzählen will. „Jetzt nicht, Ulli!" Sucht eine neue CD heraus. Die Musik spielt wieder. Die Biere zu Ende zapfen, neue anzapfen, die auf dem Weg vom neuen Tisch zum Tresen ihr zugerufen worden sind. Biere zu den Tischen bringen. Sie geht zu dem neuen Tisch um die Bestellung aufzunehmen. Sie muß einen Scherz gemacht haben, denn schallendes Gelächter tönt von dort herüber. Zwischendurch notiert sie die bestellten Getränke auf diverse kleine Blöcke. Wie sie das alles behält.
Ich bin fasziniert, muß ihr die ganze Zeit zuschauen. Diese kleine Frau hat das Geschehen hier völlig im Griff.

Und doch wirkt sie isoliert. Sie wirbelt durch einen Raum der vor Leben vibriert, ein Leben, das sie durch ihre Arbeit ermöglicht, und mit ihrem Charme, Schnelligkeit und guter Musik füttert und erhält.
Aber sie gehört nicht dazu
Irgendwie gehört sie nicht hier hin.
Wenn sie mal ganz kurze Momente an ihrer Zigarette zieht und durch den Laden schaut, sieht sie traurig und verloren aus. Sie hat sich für ihr Leben wohl etwas anderes vorgestellt.
Ich stelle mir vor, wie sie als junge Frau in der Kneipe angefangen hat zu arbeiten.
Sie ist neu in Berlin, beginnt vielleicht ein Studium. Es fällt ihr schwer Fuß zu fassen. Irgendwann ist sie in einer Kneipe, vielleicht in der Nähe wo sie wohnt, die ihr sehr gefällt, in der sie einen schönen Abend verlebt und Leute kennenlernt. Sie geht öfter hin, später jeden Abend. Sie denkt, daß die Kneipe der soziale Raum ist, in dem sie wirklich lebendig - sie selber - sein kann. Sie genießt es gekannt und gemocht zu werden, und der Alkohol macht sie redegewandt und charmant. Sie ist ausgelassen und traurig, witzig und ernst. Sie flirtet und führt Diskussionen. Wenn sie kommt, wird sie freudig begrüßt. Sie ist ein gern gesehener und unterhaltsamer Stammgast, trotz ihrer häufig ausbrechenden Traurigkeit.
Sie weint oft, wenn sie zu viel getrunken hat. Denn ihr Leben außerhalb der Kneipe ist leer und einsam.
Der Alkohol macht leicht, und sprengt die Ketten der Kontrolle. Jedoch setzt er nicht nur Ausgelassenheit, nie geahnten Charme und Redegewandtheit frei, sondern auch den Schmerz.
Sie wird getröstet. Dieses Weinen wird als Teil von ihr akzeptiert, denn ihr Unterhaltungswert überwiegt.
Sie ist eine offene, sensible und kluge Frau, die viel aus ihrer Gefühlswelt erzählt, weil sie nichts anderes besitzt. Sie hat kein Privatleben und keinen Arbeitsalltag.
Die Beziehungen in einer Stammkneipe sind naturgemäß unverbindlich. Das kommt ihrer Lebensangst sehr entgegen. Wenn sich jemand wirklich für sie interessiert und sie außerhalb der Kneipe kennenlernen will, gerät sie in Panik. Sie ist davon überzeugt, daß sie Erwartungen nicht erfüllen kann. Die Menschen hier halten sie für eine sehr interessante Frau. Niemals möchte sie erleben wie jemand der sie bewundert, sich enttäuscht abwendet, wenn er erkennt, daß sie im „wirklichen" Leben nicht zurechtkommt.
Ihr wirkliches Leben ist die Kneipe. Zur Uni geht sie nicht mehr, ihre allnächtlichen Exzesse lassen dies nicht zu. Sie bleibt immer bis zum Schluß - versucht die Nacht so lange wie möglich hinaus zu ziehen
Sie will nicht nach Hause.
In einer dieser Nächte fragt sie der Wirt, ob sie nicht hinter dem Tresen arbeiten will. Sie ist begeistert. Genau das hatte sie sich gewünscht. Wirklich und ganz dazu zu gehören.
Sie fängt an dort zu arbeiten. Begibt sich ganz hinein in diesen Mikrokosmos menschlicher Freude und Abgründe. Es macht ihr großen Spaß. Sie genießt es, daß jeder sie hier kennt. Sie steckt ihre ganze Energie hinein. Versucht den Abend für die Gäste und für sich möglichst schön zu gestalten. Sie legt die Musik so auf, daß sie immer zur Atmosphäre paßt. Sie scherzt mit den Stammgästen, hört ihnen zu, betört die neuen Gäste mit ihrem Charme.
Und immer Alkohol. Ohne ihn funktioniert es nicht.
Oft sitzt sie nach der Schicht, manchmal bis in den Mittag hinein mit Gästen am Tresen und redet, hört zu und trinkt. Am Tage, wenn sie nachmittags vor der Arbeit verkatert noch schnell ihre Einkäufe erledigt, wird sie von vielen Menschen gegrüßt. Das ist ein schönes Gefühl.
Irgendwann beginnt sich etwas zu ändern. Ihre ehemaligen Kneipenfreundschaften kommen immer seltener. Sie haben eine neue Beziehung, oder einen Job. Haben einen Platz im „wahren" Leben gefunden. Von den vertrauten Gesichtern sieht sie regelmäßig nur noch die ganz Kauzigen, immer eher in sich Gekehrten, offensichtlich Einsamen.
Immer öfter kommen jetzt auch die Fragen, was sie denn außerdem noch so mache, und ob sie denn ihr Studium bald abschließe.
Sie hat es abgebrochen, weil sie meinte den Anforderungen nicht gewachsen zu sein, und weil die Kneipe sie zu sehr beanspruchte.
Sie hat hier nicht gearbeitet um ihr Studium zu finanzieren, sondern weil dies ein Ort ist, der ihr glauben machte, sie sei wunderbar.
Das funktioniert nicht mehr. Sie ist jetzt nicht mehr wunderbar, sondern die Menschen gucken mitleidig oder enttäuscht, wenn sie sagt, sie habe ihr Studium abgebrochen. Sie hat jetzt das Gefühl verachtet zu werden. So wie sie sich selbst immer verachtet hat. Die Realität des alltäglichen Lebens ist auch an diesem Ort angekommen.

Sie erkennt, daß sie eigentlich etwas ganz anderes will.
Sie will hinaus aus diesem ewigen Nachtleben, will nicht mehr aufgesogen werden von den oft dramatischen und destruktiven Situationen die der Alkohol gebärt. Mit zwanzig, auch noch mit dreißig mußte sie keine Rechenschaft ablegen. Aber nun ist es soweit. Die Menschen respektieren niemanden, der nichts weiter zustande bringt, als in der Kneipe zu arbeiten und zu leben. Es sei denn, er hat eine schräge, und interessante Lebensgeschichte zu bieten.
Sie versucht ihren Rhythmus zu ändern. Sie will auch wieder am Tage leben. Sich weiterbilden, neu anfangen. Sie weiß, daß sie viele Begabungen hat. Doch jetzt ist sie zu alt. Ihre Angst vor Ablehnung und Versagen, und die immens hohen Ansprüche an sich selbst lassen sie scheitern.
Sie arbeitet jetzt noch hier, weil sie Geld braucht und keine andere Perspektive sieht. Sie versucht es zu akzeptieren, und wieder Spaß daran zu haben.
Sie hat eine unsichtbare Mauer um sich gebaut. Sie arbeitet sogar besser als früher, weil sie nicht mehr wirklich auf die Gäste eingeht. Sie ist schnell, effektiv und professionell - aber das Herz ist nicht mehr dabei. Man merkt es kaum. Sie lächelt, scherzt und ist scheinbar ganz bei der Sache. Doch sie vermeidet Gespräche, aus Angst vor Fragen, sitzt nicht mehr bis mittags und redet und trinkt. Die vielen durchgemachten Nächte und der Alkohol zehren an ihrer Substanz. Sie läßt sich nicht mehr aussaugen von Menschen, die sie eigentlich verachten, und sie versucht sich selber nicht mehr so sehr in den Sumpf des Alkohols zu begeben. Vielleicht schafft sie ja doch noch den Absprung...........

„Kann ich Dir irgendwie helfen?" Ich zucke zusammen.
Sie steht vor mir und schaut mich an. Fährt sich mit ihrer linken Hand durch die roten Haare. Eine ständige Geste. Irritiert und gereizt ist sie. Ich muß sie ja die ganze Zeit angestarrt haben.
„Oh, nein. Entschuldigung. Ich bin nur sehr beeindruckt. Du macht das hier unheimlich gut."
„Oh, danke. Reine Übungssache, wie bei allen anderen Dingen auch. Außerdem macht es mir Spaß. Möchtest du noch etwas trinken?"
Der Laden hat sich deutlich geleert. Alte französische Chansons leiten sanft den Feierabend ein. Der Mann neben mir ist noch da, und schaut mich amüsiert an.
„Wenn ja, geht das auf meine Kosten. Du scheinst ja recht fasziniert von unserer kleinen Nadja zu sein. Wundert mich nicht. Sie ist ein Goldstück."
Ich schäme mich.
Nadja mußte herhalten als Projektionsfläche für mein eigenes Scheitern. Und meiner Vorurteile.
Eine kluge, attraktive Frau kann doch durchaus den Beruf der Tresenkraft bewußt gewählt haben, weil es ihr Spaß macht und Sinn bringt.
„Nein danke, ich möchte nichts mehr trinken. Es tut mir leid, daß ich dich so angestarrt habe."
„Kein Problem. Ist doch wunderbar jemanden so in seinen Bann ziehen zu können." Sie zwinkert mir zu.
Ich zahle. Sie wünscht mir noch einen schönen Abend und ich gehe hinaus.
An der Tür stoße ich mit zwei offensichtlich besoffenen Typen zusammen.
„Oh, schöne Frau, willsse etwa schon gehen?" lallt einer. Er versucht mir den Weg zu verstellen. Ich stoße ihn zur Seite und drehe mich im Hinausgehen noch eimal um.
Nadja hat sich gerade aufgerichtet. Ihr Gesicht ist angespannt. Sie weiß was kommt. Die Beiden kriegen kein Bier mehr, aber Nadja wohl jede Menge Streß.
Das kann doch keinen Spaß machen.
Ich bin furchtbar müde. Ich beschließe mein finanzielles Pensum für die ganze Woche aufzubrauchen, und gehe zum Taxistand. Diesmal ist es ein Student. Schweigend fahren wir bis vor meine Haustüre. Ich steige aus, öffne die Haustür, steige die Treppen hinauf und schließe meine Wohnungstür auf.
Stille empfängt mich.
Ich setzte mich an den Küchentisch. Es war schön in dieser Kneipe, und Nadja gefällt mir. Vielleicht gehe ich morgen wieder hin. Ich schaue auf die Uhr.
Es ist vier. Mist. Ich habe morgen meinen Termin beim Sozialamt.
 
R

Rote Socke

Gast
Hallo chrissieanne!

Für diesen Text bekommst Du von mir ein dreifaches WOW und die Bestnote.
Ich bin tief beeindruckt von dieser Lesereise. Mit tausend Bildern und einer schönen Sprache, hast mich der Text in den Bann genommen. Ein wahrhaft "geiler" Text, der in ein Buch oder zumindest in eine Zeitschrift gedruckt gehört.

KLASSE!!!

Schönen Gruss
Socke
 

chrissieanne

Mitglied
Liebe rote Socke!

Dieser Tag fängt ja wunderbar an!
Vielen, vielen Dank für Dein schönes Lob. Einen sonnigen Sonntag wünsch ich Dir!
Viele Grüße
chrissieanne
 

Rainer

Mitglied
hallo chrissieanne,

ich kann mich socke nur anschließen: auch ich bin begeistert. sowohl als umsetzung der schreibaufgabe (taxifahrerklischee und thresenkraftantiklischee) als auch und gerade als "blick hinter die kulissen" - davon könnte ich einen ganzen roman vertragen.
ist der text ein bißchen autobiografisch? ich habe auch öfter mal in kneipen gejobt, und irgendwie kommen mir deine gedanken bekannt vor. gleichzeitig ist aber auch viel neues drin, dinge an die ich damals nie gedacht habe - in schonungsloser offenheit ohne deine prot in einem besseren licht dastehen lassen zu wollen, oder sie
sich die realität schönreden zu lassen.

außerhalb der schreibaufgabe würde ich den taxifahrer weglassen oder stark überarbeiten, und deiner prot stärkere züge, ein besseres identifikationspotential für den leser, schenken. die aufzählung der tätigkeiten erfolgt etwas stakkatoartig, laß sie es tun, und beschreibe nicht was du "siehst".

hinsichtlich rechtschreibung und grammatik ist mir nichts aufgefallen - und das ist gut :).


grüße

rainer
 

chrissieanne

Mitglied
Hallo Rainer!

Vielen Dank fürs lesen, und für Dein schönes feed-back.
Ich freue mich sehr, daß Dir meine Geschichte gefällt!

Ja, es stimmt, der Text ist autobiographisch gefärbt. Ich verdiene im realen Leben mein Geld in einer Kneipe.

Sollte ich mal eine Geschichte schreiben, die sich intensiver mit der Lebenswelt einer Kneipenarbeiterin beschäftigt, könnte ich den Taxifahrer weglassen. Es sei denn, es wäre ein längerer Text, da hätte er durchaus seinen Platz. Taxifahrer spielen häufig eine Rolle im Leben der Tresenmenschen. Sei es als Stammkunde in einer Kneipe die sehr lange auf hat, oder als Mensch der einen nach der Schicht nach Hause fährt.
Hier habe ich aber ganz bewußt, der Schreibaufgabe gemäß, das Klischee gewählt. Vielleicht hast Du ja Lust mir zu schreiben, was Dich gestört hat.
Was ich nicht ganz verstehe ist Deine Anregung: „laß sie es tun, und beschreibe nicht, was Du siehst."
Die Ich-Erzählerin sitzt ja am Tresen und sieht der Tresenfrau zu. Du hast recht, die Tätigkeiten erfolgen stakkatomäßig. Das habe ich bewußt eingesetzt, weil mir keine andere Lösung einfiel die Hektik, Schnelligkeit und die für Außenstehende, wenn sie denn mal bewußt darauf achten, oft unglaublich wirkende Reaktionsfähigkeit zu vermitteln.
Selbst wenn ich aus der Sicht der Wirtin geschrieben hätte: Wenn es voll ist, ist es Stakkato. Alles muß rapp zapp zapp gehen. Aber so wirklich zufrieden war ich gerade mit dieser Stelle im Text auch nicht. Vielleicht ist sie auch einfach zu lang. Auch der Trubel, die Lautstärke und der Wirrwarr indem sie agiert kommt nicht wirklich rüber. Ich werde bei Gelegenheit noch einmal daran herumdoktorn.
Viele liebe Grüße
chrissieanne
 

Rainer

Mitglied
hallo chrissieanne,

entschuldige daß ich so spät antworte...

der taxifahrer:

er stört in deinem text, da deine geschichte durch ihn anfänglich zweigeteilt erscheint. erst geht es kurzgeschichtenmäßig recht umfangreich um den taxitypen, und danach um die barfrau - aber ich verstehe seine funktion innerhalb der schreibaufgabe. was die zukunftsmusik betrifft, bin ich deiner meinung.

Was ich nicht ganz verstehe ist Deine Anregung: „laß sie es tun, und beschreibe nicht, was Du siehst."
du siehst deine prot die barfrau beobachten, und schreibst das auf. zum "hektikrüberbringen" geeignet, aber für den leser, entschuldigung, etwas langweilig. etwas mehr leben, ein bißchen von dem, was deine prot so zwischendurch macht, ein bißchen was von anderen gästen... würde den plot auflockern. ich glaube ja, daß es sich ergeben könnte, daß jemand in eine bar geht und dort ausschließlich betrachtungen über die barfrau anstellt, aber dazu passt dann die vorgeschichte nicht ganz bzw. ist zu kurz.
insgesamt: als "schreibaufgabenlösung" absolut o.k., aber ein längerer und intensiverer text gäbe meines erachtens nach dem thema mehr raum zum atmen - also ran an den stift:).

grüße

rainer
 

chrissieanne

Mitglied
Hallo Rainer!

Kein Grund zur Entschuldigung. Ich freue mich das Du überhaupt antwortest.

Jetzt ist mir auch alles klar. Deine Anregungen waren beide auf eine evtl. längere Geschichte außerhalb der Schreibaufgabe gezielt. Da wäre es in der Tat etwas öde, wenn die Prot. nur der Tresenkraft zusieht.
Lange Geschichten schreibe ich bis jetzt noch nicht. Aber für einen ersten Versuch wäre das Thema gar nicht schlecht.
Nochmal vielen Dank für Dein Interesse!
Viele Grüße
chrissieanne
 

Inu

Mitglied
Hallo chrissieanne

Ein Text, der mich fasziniert. Wie Du den Arbeitsablauf der Serviererin bildhaft und hochinteressant schilderst, uns auch psychologisch ein so klares Bild dieser Frau lieferst, so was hab ich selten gelesen, das ist große Kunst.

Obwohl Du bis in Einzelheiten beschreibst ( auch die Taxiszene ist sehr treffend ) wurde es mir keine Sekunde langweilig... ich hätte noch lange weiterlesen können. Ein Stil, der mich total mitgerissen hat...

Liebe Grüße
Inu
 

chrissieanne

Mitglied
oh, wow, danke schön, liebe inu.
so ein kompliment macht glücklich. gerade bei einem älteren text, wo man gar nicht mehr überhaupt mit reaktionen rechnet.
freut mich sehr, dass er dich fesseln konnte.
lieben gruss von
chrissieanne
 



 
Oben Unten