Mittagsruhe

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cecil

Mitglied
Mittagsruhe

Auf jedem Hügel ein Dorf
sanfter Wind verteilt die Hitze
in den schattigen Cafés
sitzen Männer in weißen Hemden
nippen am gekühlten Roten
und beim Spiel mit den Rosenkränzen
tauschen sie lächelnd kleine Sünden aus
von denen der Priester nichts weiß
wenn er über den waidwunden Pelikan sinniert
und dabei Messwein schlürft
der heute salzig schmeckt
als sei er schon in Blut verwandelt
 
G

Gelöschtes Mitglied 23787

Gast
Klasse! Ich fühle mich sofort an so manchen, sonnigeren Urlaubsort versetzt UND das Gedicht macht auch genau richtig dosiert stutzig (insbesondere die letzten 4 Zeilen). Wunderbar.
 

Mimi

Mitglied
Der "waidwundene Pelikan" als Sinnbild für die Aufopferung Jesu Christi, über den der Priester sinniert, während er scheinbar über die "kleinen Sünden" der südländischen Herren, natürlich ganz stereotypisch in weißen Hemden und mit ihren Rosenkränzen spielend (nicht etwa betend?) , hinwegschaut oder diese nicht einmal zur Kenntnis nimmt, ist mir, wenn schon Kirchen-Kritik mitschwingen soll, zu schablonenhaft skizziert.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Der "waidwundene Pelikan" als Sinnbild für die Aufopferung Jesu Christi
über die entsprechende Verszeile habe ich mich auch am Kopf gekratzt. In der alten Symbolik, basierend auf dem "Physiologos" http://12koerbe.de/pan/einhorn.htm, ist der Pelikan nicht wirklich waidwund, sondern beißt sich selbst in die Brust, um seine Küken vom eigenen Blut zu ernähren. Aber vielleicht geht es Dir, Cecil, auch gerade darum, diesen Physiologos-Topos ein wenig umzubiegen, neuzudeuten, das Rätsel etwas stärker zu verrätseln?

grusz, hansz
 

cecil

Mitglied
Nein, Mimi, Kirchenkritik hatte ich eigentlich nicht im Sinn. Auch ob kleine (oder große) Sünden lässlich sind, mag ich nicht beurteilen. Es ist nur ein Stimmungsbild, das Leser gewiss unterschiedlich interpretieren können.

Hansz, ich habe das Bild des Pelikans aufgegriffen, weil da, wie so oft, die vermeintliche Wahrheit im Auge des Betrachters liegt. Das Symbol des Vogels, der sich die Brust öffnet, um seine Brut zu nähren, mag zwar tröstlich sein, beruht aber letztlich auf einem Missverständnis. Tatsächlich füttert er die Kleinen mit Nahrung, die er im Kropf transportiert. Und wenn er sie wieder hervorwürgt, ist das eine ziemlich blutige Schweinerei, die auch sein weißes Gefieder befleckt. Macht ihn das nun als christliches Symbol ungeeignet? Ist ein Symbol keines mehr, wenn es "entzaubert" wird? Die möglichen Antworten gehen weit über meinen kleinen Text hinaus, der im Grunde die Skizze einer Siesta bleibt.
 



 
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