Vierter Tag
Liebes Tagebuch,
es geht voran.
Nach einigen Tagen der Abstinenz durfte ich heute wieder zur Arbeit fahren und somit auch unserem Freund Ismeal eine neuerliche Gelegenheit bieten, seine Geschichte fortzusetzen.
Und es bleibt spannend.
Ismael konnte in der Kirche einer Predigt über Jona verfolgen. Hier taucht dann auch zum ersten Mal der Wal als Teil der göttlichen Gewalt auf. Nun wissen wir, wohin Melville mit seinem Wal wird hin wollen.
Sehr amüsant und in seiner kindlichen Unschuld durchaus anrührend ist die wunderbare Beschreibung, mit der Melville die Freundschaft zwischen Ismael und Quiqueg einführt.
Liebes Tagebuch, es zeigt auch sehr deutlich, wie geprägt und verfangen in der eigenen Moral man ist.
Denn wer würde das zärtliche Übereinanderlegen von Männerbeinen unterschiedlicher Besitzer heute als Zeichen von inniger Freundschaft werten, ohne zumindest Hintergedanken zu haben?
Allein mein Gedanke, das Melville vielleicht doch etwas mehr als Freundschaft beschreibt, zeigt mir doch sehr deutlich, wie wenig oder wie viel heute erlaubt ist. Denn das Akzeptieren von Homosexualität als eine Normalität bringt auch eine Sensibilisierung mit sich.
War es früher eher unwahrscheinlich bei einer männlichen Bettkameradschaft an Sex zu denken, kann ich mich gegen diesen Gedanken gar nicht wehren. Und liebes Tagebuch, ich weiß nicht, ob meine Art der Prüderie nicht sogar restriktiver ist, als die Melvilles.
Interessant auch Melvilles beginnende Abrechnung mit den Quäkern, vielleicht sogar mit jeder scheinheiligen Doppelzüngigkeit, von denen der christliche Glaube so viele geboren hat.
Gewalt gegen Menschen abzulehnen, aber den Massenmord an Walen als kapitalistische Lebensgrundlage zu wählen, das ist schon schizophren oder typisch. Hey Mensch – das bist Du!
Kein Wunder, das Melville an ein Gottesgericht denkt.
Liebes Tagebuch, ich bin überwältigt, von den grazilen Beschreibungen, mit denen Melville sowohl Schiffe, als auch Menschen beschreibt.
Ich glaube, das kleine doppelzöpfige Mädchen hat entweder zu viele dieser Ergüsse genossen, oder fand einfach überhaupt keinen Gefallen daran; es deucht mir ein wichtiger Bestandteil dieses Werkes zu sein.
Ich werde nun also mit Ismael zusammen die Lay (Anteil am Nettogewinn = Verdienst) für seine Heuer aushandeln und Dir davon berichten, liebes Tagebuch.