modernde romanze

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seefeldmaren

Mitglied
Moderne Kopie von "sachliche romanze, Erich Kästner"

sie waren sich acht winter lang
gegenwärtig gewesen - nicht täglich,
aber oft genug, um das ticken
im scharnier der tür mit den lippen zu zählen.

was mal war: ein flimmern, das ins glas sprang,
ein schwärmen durch fensterrahmen,
jetzt: sediment aus stimmen,
die beim atmen das zimmer verkleinern.

als liebe noch zeitung las und
im wasserzeichen des körpers wohnte,
konnte ein blick über dem brot
den ganzen tag verändern.

jetzt war da ein tag.
draußen der dampf wie zufall,
ein kind tastete töne aus dem nachbarhaus,
zerlegte das licht in stufen.

sie gingen die gasse,
schatten am rücken,
ein café, das schon immer da war,
saß mit ihnen am tisch.

kaffee wurde gerührt.
die löffel: kreise auf stillstand.
ihr gespräch: eine zeile,
partiell radiert.

die luft hatte nichts versprochen.
sie waren sich seltsam einig
über das nichtmehr und das vielleicht,
über das dasein als spätere stadt.
 

James Blond

Mitglied
Liebe Maren,

ich glaube nicht, dass das klappen könnte: Kästners "Sachliche Romanze" für etwas anderes zu kopieren. Sein Gedicht wurde ja selbst stilbildender Bestandteil der Moderne, bekannt als "Neue Sachlichkeit". Was kann dann noch eine "moderne Kopie" daran ausrichten?

Natürlich kann und soll man sich von anderen Gedichten anstecken lassen - inspirieren, infizieren, begeistern usw.
Aber eine Kopie zu erstellen zwängt und zwingt den eigenen Text in einen Vergleich, dem er nicht standhalten kann, gerade auch dann, wenn er mit neuen, eigenen Ideen aufwartet.

Kästner brilliert hier über ein zutiefst emotionales Thema mit einer äußerst nüchternen Sprache, mit klaren, leicht verständlichen Alltagsbildern. Frei von analytischen Betrachtungen oder Metaphern führt er die Protagonisten vor, wie sie - in Hilfslosigkeit geklammert an ihre Tagesroutinen - den Verlust an Gefühlen für einander zwar erspüren, aber nicht begreifen konnten. Und all dies lässt sich unmittelbar aus dem Text erschließen, ohne dass es auch nur mit einem Wort erwähnt wird.

Du greifst hier das Thema "Beziehungstod" auf, spielst zum Teil mit den Bildern und Worten aus Kästners Gedicht und landest schließlich bei erklärenden, ausdeutenden Aussagen:

die beim atmen das zimmer verkleinern.

den ganzen tag verändern.

zerlegte das licht in stufen.

ein café, das schon immer da war,

kreise auf stillstand.

partiell radiert.



Müßig zu sagen, dass Kästner das so nicht geschrieben hätte, auch müßig zu sagen, dass deine Kopie nicht unbedingt "moderner" ist, vielleicht aber schon "modernder", denn ich sehe darin - trotz des Reimverzichts und der moderneren Schreibweise - eher einen Rückschritt in vergangene Stilepochen: Wie es früher war und wie es jetzt ist, wird von dir analytisch und sprachlich aufwendig dargelegt. Bei Kästner steht da nur ein einzelner trockener Satz:

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut)
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.


Gefolgt von einem fast schon skandalös lakonischen Vergleich:

Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Kästner bleibt - für mich - hier moderner.

Grüße
JB
 

seefeldmaren

Mitglied
Hallo James, :)

Was kann dann noch eine "moderne Kopie" daran ausrichten?
herzlichen Dank für deine ausführliche und respektvolle Rückmeldung - sie war für mich in vielerlei Hinsicht bereichernd, nicht zuletzt, weil sie einen klugen Spiegel vorhält, an dem ich meine Arbeit schärfen kann. Besonders wertvoll finde ich deine Überlegungen zur stilistischen Eigenart von Kästners Arbeit und den Stellenwert, den du seiner klaren, analytisch-lakonisch-spritzigen Sprache im lyrischen Ausdruck des Beziehungsthemas einräumst.
Dennoch glaube ich, dass sich unsere Sichtweisen auf das, was eine „moderne Kopie“ sein kann, an einem wesentlichen Punkt unterscheiden: Du verstehst Modernität offenbar primär als historische Bewegung, wenn du Kästner als Bezug für Moderne nimmst und diesen Bezug als Maßstab setzt: Neue Sachlichkeit, Verzicht auf Pathos - eine Bewegung, die komplexe Gefühle in klare Sprache fasst. Was ich hingegen angestrebt habe, ist ein zeitgenössisches Cloning, das nicht bloß im Sinn eines stilistischen Abbilds operiert, sondern sich von der Idee löst, dass Formwiederholung gleichbedeutend mit Echtheit sei. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Kästner selbst unter vielfältigen Einflüssen stand (u.a. Kabarett, Chanson, Film, Busch, Georg Herwegh, Heine und Brecht); verwurzelt im aufklärerischen Spott Heines und dem satirischen Reim Buschs, war Kästner ein exemplarischer Vertreter der skeptischen Ironie der Aufklärung. Kästner ist von allem ein Resultat.

Gegenwärtige Lyrik - wie ich sie begreife - verabschiedet sich von Strukturtreue, nicht aus Beliebigkeit, sondern aus Notwendigkeit. Sie verabschiedet sich partiell auch von Sprache: Wo die Neue Sachlichkeit sich um die Klarheit des Ausdrucks bemühte, tastet sich die Gegenwart durch ein fragmentiertes Erleben, ja löst sich vom Erleben selbst. Lyrik braucht nicht mehr den glatten Satz, der den Zustand fixiert, sondern den Vers, der sich selbst befragt, sich auflöst und nachwirkt. Dass mein Text dabei zuweilen „erklärend“ erscheine, wie du es formulierst, mag daran liegen, dass er sich nicht mit dem Verweis begnügt, sondern nachwirkt, nachhallt u. sich in Schichten legt.

Du sprichst von einem Rückschritt in vergangene Stilepochen; ich würde dem entgegensetzen, dass mein Clon keine Epoche wiederholt, sondern deren Voraussetzungen seziert. Ein Clon ist kein Duplikat, sondern ein Wesen, das unter neuen Bedingungen lebt, dies impliziert die Infragestellung überlieferter Wahrheiten ebenso wie das Loslassen traditioneller Zwänge. Vielleicht war das Wort "Kopie" von mir ungünstig ausgesucht.
Insofern verstehe ich meinen Text nicht als Gegensatz zu Kästners Sachlichkeit, sondern als deren Öffnung. Während er den Tod der Liebe in einen nüchternen Satz zu fassen vermochte, muss ich ihn durch Bilder hindurch beschreiben, die sich nicht abschließen lassen. Man liebte zu Kästners Zeiten anders: kein Instagram, kein Lovoo, kein Facebook und keine digitale Überdehnung des Privaten.
Die Abhängigkeiten von früher und die Abhängigkeiten von heute, gekoppelt an unserem Realitäts- und Kulturbegriff, sind im Kern, in der Definition zwar noch die gleichen, aber divers in ihrer Ausuferung, in ihrer Überreizung und in ihrem allmählichen Versanden.

Ich danke dir sehr für deine Gedanken - sie helfen mir, die eigene Position klarer zu sehen. Dass wir Kästner auf so verschiedene Weise als modern empfinden, macht den Austausch umso wertvoller. Es zündet dort, wo es sich reibt. Die größte Präsenz Kästners findest du in meinem Titel und ich finde es wundervoll, dass Sprache ein Raum bleibt, in dem Spiel und Ernst, Form und Auflösung gleichermaßen beheimatet sind. Außerdem gehöre ich als Autorin nicht zu jenen, die Personen der Vergangenheit weder heroisieren noch dämonisieren. Ich folge meiner Neugier als Dienerin der literarischen Sprache.

Ich wünsche Dir einen schönen Abend und ein schönes Wochenende. Eine Antwort kann ich erst kommende Woche Dienstag wieder verfassen!


Maren
 

James Blond

Mitglied
Liebe Maren,

ich begrüße es außerordentlich, wie souverän du mit meiner Kritik, die oft sehr unverblümt erscheint, umgehst. Und ich sehe auch, wie intensiv du nach neuen - zeitgemäßeren - Wegen suchst. Der Begriff "modern" ist ja mittlerweile selbst antiquiert, wie auch die Postmoderne.
Insofern verstehe ich meinen Text nicht als Gegensatz zu Kästners Sachlichkeit, sondern als deren Öffnung. Während er den Tod der Liebe in einen nüchternen Satz zu fassen vermochte, muss ich ihn durch Bilder hindurch beschreiben, die sich nicht abschließen lassen. Man liebte zu Kästners Zeiten anders: kein Instagram, kein Lovoo, kein Facebook und keine digitale Überdehnung des Privaten.
Das ist mir beim Lesen auch klar geworden. Es bleibt die Frage, warum du überhaupt einen Bezug zu Kästners Text suchst, wenn das Thema doch immer wieder neu ist und im Zeitgeist der Gegenwart einer anderen Behandlung bedarf.

Grüße
JB
 

seefeldmaren

Mitglied
Es bleibt die Frage, warum du überhaupt einen Bezug zu Kästners Text suchst, wenn das Thema doch immer wieder neu ist und im Zeitgeist der Gegenwart einer anderen Behandlung bedarf.
Hallo James,

weil es mir um den Prozess der Aufarbeitung und Veränderung ging. Dazu benötigte es eine Vorlage. Das Gedicht von Kästner geriet nur zufällig in meine Hände.
Ursprünglich plante ich die Arbeit an einem Gedicht von Yvan Goll. :)
Heute früh stieß ich auf Frieda Paris, die das Werk von Mayröcker mit "Nachwasser" fortgeführt hat.

Ich wünsche dir ein schönes Wochenende!

Maren
 



 
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