Moderne Lyrik

4,40 Stern(e) 5 Bewertungen
Moderne „Lyrik“

Unverständlich, weil modern,
schreiben heut`ge „Dichter“ gern.
Wie die Großen dazu stehn,
kann man weiter unten sehn.


Was würden Schiller, Goethe sagen?
Sie würden jammern, würden klagen,
wenn sie die Art Gedichte läsen.
Das wär für sie wie Tod gewesen.
Der Schiller rief mit düst`rem Sinn:
„Wo führt uns das denn jetzt bloß hin.
Wer liest denn noch von mir die Glocke?
Da fällt mir doch vom Haupt die Locke,
wenn ich die heut`ge Lyrik seh.
Ich kann nur jammern, weh, o weh.“

Und Goethe rief nur:“ Scheibenkleister!
„Wo blieb ich mit dem Hexenmeister,
mit König Erl, mit Röslein rot.
Ich glaub, die Lyrik, die ist tot.“

Und beide würden schrecklich fluchen,
sie konnten fleißig Reime suchen.
Auch Heine mischt sich jetzt noch ein.
Und sagt: „ Das darf, das kann nicht sein.
Bei uns gab alles einen Sinn.
Jetzt weiß ich, warum ich so traurig bin.“

Empört schaun sie vom Himmelszelt
herab auf diese triste Welt.
 

wirena

Mitglied
Liebe Marie-Luise Wendland -
welch Wechselbad der Gefühl - selten habe ich heute so gelacht, wie eben beim Lesen Deines Modernen Gedichtes - schön auch das Auffangen und Erden mit den Schlusszeilen

....
herab auf diese triste Welt.
 
F

Fettauge

Gast
Liebe Marie-Luise,

man muss schon ziemlich hinterm Mond leben, wenn man deinen Standpunkt begreifen will. Seit Goethe und Schiller ist so unendlich viel Wasser durchs Meer gerauscht, und diese ganze Zeit mit allen ihren Höhen und Tiefen scheinst du mit deinem Gedicht verschlafen zu haben, armes Marlieschen. Nichts gegen die Klassik, ich habe selber sehr viele klassische Gedichte geschrieben, aber wenn man darüber nicht hinauskommt, wird nie was aus einem, höchstens einer dieser Goethe-und-Schiller-Adapten, die blind für alles sind, was nach den beiden kam. Andere Leute, die schärfer rangehen als ich, würden dieses Gedicht als ausgesprochen reaktionär bezeichnen.

Gegen die Schreiberei an sich hätte ich nichts einzuwenden, es ist ordentlich geschrieben, aber für mich gehen immer noch Form, Handwerk und vor allem Inhalt zusammen. Und das Letztere ist es, bei dem es in diesem Gedicht nicht nur ein wenig hapert.

Lieben Gruß
Fettauge
 
Liebes Fettäugelein,
Du hast ja so recht. Ich lebe in dieser Angelegenheit hinter dem Mond. :D
Ich mag die unverständlichen modernen Gedichte nicht. Meistens muss ja noch eine Erklärung mitgeliefert werden.
Mag seit Goethe und Schiller unendlich viel Wasser durch das Meer gerauscht sein, so liebe ich die Klassik immer noch heiß und innig. Du magst es ruhig als reaktionär bezeichnen. Das stört mich nicht.
Es grüßt dich
Das arme Marlieschen.
 
F

Fettauge

Gast
Marie-Luise, nur diese! Muss ich doch was korrigieren in deiner Antwort: Nicht ich habe deinen Standpunkt als reaktionär bezeichnet, aber ich kenne eine Menge sehr guter Lyriker, die das genau so sehen. Ich sag nur, dass du hinterm Mond lebst. Wobei ich der Ansicht bin, dass du, als Goethe- und Schillerverehrerin vielleicht doch ein anderes Versmaß als diese Knittelverse hättest verwenden können. Von Klassik kann man da ja wohl kaum reden.

Lieben Gruß
Fettauge
 

revilo

Mitglied
Hallo, ich finde das Teil witzig und gut geschrieben....

hoffentlich meinst Du damit nicht meine Gedichte....;)....

LG revilo
 
Hallo Fettauge,

ich glaube, du lebst hinter dem Mond. Wenn ich auch Schiller und Goethe verehre, maße ich mir nicht an, so schreiben zu können.
Nebenbei bemerkt: Ich liebe auch Wilhem Busch, Christian Morgenstern und Joachim Ringelnatz.

An die Masse – 2.Strophe -

Wenn ihr einmal Gelegenheit habt,
Laut zu brüllen gegen Mauern,
Dann schweige ich. Ich bin mehr begabt
Als ihr. Und kann dann nur trauern.

Joachim Ringelnatz, 1929
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Moderne Lyrik - gibt es das überhaupt? Oder sogenannte "zeitgenössische" Musik? Kurz gesagt: ich habe Zweifel. Sicher findet sich bei vielen Lyrikern heute - bei oberflächlicher Betrachtung der Werke - weniger Form, d.h. die reimlose Form dürfte häufiger anzutreffen sein als in früheren Jahrhunderten. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass man tatsächlich Formgesetze in den Hintergrund stellen kann oder gar vernachlässigen darf. Es handelt sich oft nur num neue, ungewohnte Formen, die einem ins Auge - resp. bei der Musik ins Ohr - "springen" und das "ungeübte Organ" "verletzen". Heine, Nietzsche, auch der sehr konversative und altvordere "Kunstgreis" Goethe (Zitat H. Heine), haben durchaus Versuche gemacht, neue Formen zu finden. Sie würden sich zu heutiger Lyrik keinesfalls ignorant verhalten oder diese in Grund und Boden rezensieren; so einfach gestrickt waren die Großen nun wirklich nicht. (Wer übrigens Heine wirklich gelesen hat, muss zu dem Schluss kommen, dass es Strukturen und Formen gibt, die zeitlos sind, die sich also auch in heutiger Lyrik finden und noch in Jahrzehnten finden werden.)

Insgesamt muss ich Fettauge recht geben: Gejammmer über neue Formen und die gute alte Zeit bringt nix, sondern zeugt eher vom fehlenden Willen, Veränderungen und Kontinuitäten gleichermaßen zu verstehen...

P.
 
Hallo Penelopeia,
ich habe nichts gegen ungereimte Gedichte. Meine Aversion richtet sich gegen Gedichte, zu denen die Erklärung mitgeliefert werden muss, um sie zu verstehen.

M-L
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Liebe Marie,

Gedichte, die einer Erklärung bedürfen, müssen deswegen nicht schlecht sein. Es dürfte eine Menge gut gereimter Gedichte geben, "zeitgenössische" wie "historische", die auf Grund eines lokalen Bezugs nicht ohne Weiteres erschließbar sind, die sich aber, mit entsprechendem Hintergrundwissen, genießen lassen. Mir fallen spontan Sonette von Erich Arendt ein: wer hier die Geschichte des spanischen Bürgerkriegs nicht mitdenkt, guckt wie die Kuh ins - naja. Auch die Sonette von Franz Werfel sind nur z. T. sofort lesbar, bei Shakespeare rätsele ich zumindest immer wieder.

P.
 
Hallo Penelopeia,
von Erich Arendt habe ich noch nicht viel gelesen, und was ich gelesen habe, gefiel mir nicht.
Im Forum „Fingerübrungen“ hat Herbert mal angeregt „Im Stile von“ zu dichten.
Ich war so vermessen, mich an Shakespeare zu versuchen.
Ich danke dir für deinen Kommentar.

Viele Grüße
Marie-Luise
 
D

dupoetry

Gast
Die Rache der Sprache ist das Gedicht!(Ernst Jandl)

Ich möchte hieran anschliessen.Also gibt es seit Jandl nichts mehr, was nur den reinen guten Dichtergeist hofiert?

Mit bedenklicher Miene verbleibend
dupoetry
 



 
Oben Unten