John Wein
Mitglied
Mögen Sie Rotwein?
Oder trinken Sie grundsätzlich nicht?
Alfred Wiseman 42 ist professioneller Trivialist. Der Biologe an der Radbout Universität Nimwegen ist einer der andere gern daran erinnert, dass nach einem Sommer der Herbst kommt, einer, der noch in jeder atmosphärischen Konstellation eine Basis für Gespräche findet. Ein kesses graumeliertes Bürstchen unter der Nase, das die fleischigen, scharf konturierten Lippen betont, gibt seinem Gesichtsausdruck etwas Sympathisches, und sein gewinnendes Naturell begründet sich in einem gütigen Blick, umrahmt von einem warmherzigen Lächeln. Nun ja, er ist ein Mensch, dem man nicht leicht etwas ausschlagen kann.
„Mögen Sie Rotwein?“
Neulich des Abends nach einem Complimentary Dinner des Botanischen Instituts fragte Wiseman die noch mit allen Vorzügen ihrer Jugend ausgestattete junge Studentin Phoebe Schnipfinger bei belangloser Schräglage en passant, ob sie geneigt sei, mit ihm hinauf zu gehen und bei eins, zwei Gläschen Rotwein, dazu viel „Gemütlichkeit“ , wie er es nannte, und einer Präsentation seiner reichhaltigen Rüsselkäfer Sammlung den Abend harmonisch ausklingen zu lassen. Er, der charmante Sanguiniker, hatte dabei jedes Wort, das er gesagt hatte, sehr sorgfältig geprüft.
„Na und?“ dachte er: „So eine Gelegenheit kommt mir doch nicht so einfach vom Himmel herunter. Bei so großartigen Aussichten vom Kirchturm weitschweifend auszumalender Begleitumstände leckt sich doch ein Millionenheer junger Studentinnen die Finger wund, wenn oben die Glocken läuten“.
Sollte man meinen!
Es kam natürlich nicht über seine Lippen. Und? Was meinen Sie, was hat sie gesagt.
„Nein!“ sagte sie.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war zunächst perplex. Hatte sie etwa kein Interesse an seinen Rüsselkäfern? Wollte sie einfach nur Wasser oder was war es? Er konnte sich zunächst keinen Reim darauf machen. Ihre ungeschützt offene Aufrichtigkeit, seine Wünsche betreffend, hatte etwas Dominantes. Er fand sie und wusste nicht genau weshalb, ein wenig herablassend. Lag es daran, dass er sie nicht richtig einzuschätzen wusste? Oder konnte sie in seinem charmanten Angebot eine trügerische Falle wittern?
„Nein!“ sagte sie.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war ein wenig durcheinander. Nun, er wusste, die Gehirnmasse einer Frau hat bei gleicher Größe ein um 100 Gramm geringeres Gewicht als die des Mannes, zeigt sich aber letztlich bis auf Kleinigkeiten wie rückwärtiges Fahrzeugrangieren als durchaus äquivalent zu bezeichnendes, leistungsfähiges Rüstzeug. Sie sagte, und versetzte damit allen seinen Fantasien einen schmerzhaften Fußtritt:
„Nein!“ sagte sie.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war sprachlos. Vielleicht, dachte er, ging es auch hier wieder mal nur um den Ton, der die Musik macht, einfach nur darum, wie man in einer bestimmten Situation etwas formuliert und es rüberbringt oder sollte er jetzt einmal eine Schweigeminute einlegen? Ein interessanter Gedanke übrigens, denn mancher, der sich Gehör bei seinen Mitmenschen verschaffen will, sollte es hin und wieder berücksichtigen und einfach nur zuhören. Sie aber sagte nur:
„Nein!“ sagte sie.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war konsterniert. Seines Erachtens wird im Hegelschen System das subjektive Phänomen streng genommen erst dann real, wenn es seinen Platz in einer objektiven Struktur findet. Mochte es vielleicht neben Ton und Musik auch daran liegen, dass er die modernen Techniken und die umgangssprachlichen Fertigkeiten heutiger Kommunikationen nicht in jeder Facette beherrschte? Trotzdem, es war eine alles in allem unbefriedigende Antwort und keine Lösung für sein sehr drängendes Problem. Sie sagte nur:
„Nein!“ sagte sie.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war entgeistert. Der Gedanke, dass seine Absichten zu einer privaten Niederlage werden könnten, war ihm peinlich, nicht nur in substanzieller Hinsicht. Er rieb seine Augen verwundert und fragte sich, warum er mit seinen Anthonomus phyllocola und Barynotus obscurus bei Phoebe Schnipfinger per se nicht punkten konnte, obwohl eine rege Beschäftigung mit Curculionidae durchaus zu einer tragenden Säule gelungener Abendunterhaltung hätte werden können. War es vielleicht, er hinterfragte die Triebfeder ihres Verhaltens sehr sorgfältig, war es der joviale Charme, der zwar das weiblich Herz überzeugen, nicht aber deren um 100 Gramm leichteres Menschen Hirn?
„Nein!“ sagte sie
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war fassungslos! …und zugegebenermaßen auch ich, der Autor! Auch mir fehlen buchstäblich die Worte, bin ich mit meinem Latein und meinem Freund, dem Playboy Al Wiseman mit seinen Käfern, dazu der abstinenten und wenig zugeneigten jungen Studentin, in deren Hals augenscheinlich eine Gräte der Prüderie steckte, am Ende. Die mit allen Vorzügen ihrer Jugend ausgestattete Phoebe Schnipfinger ist wahrlich eine schwer zu knackende Nuss. Sie weiß vermutlich nichts über die Kunst, sich bei eins, zwei Gläschen Rotwein und viel „Gemütlichkeit“ mit einem tollen Mann über aufgespießte Rüsselkäfer zu unterhalten.
„Nein!“ hatte sie gesagt.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
In Ordnung!
Verzeihen wir ihr großzügig. Doch, und hier bin ich in meinem Urteil überzeugt, für das Fach Lebensfreude gebe ich Phoebe Schnipfinger höchstens eine vier minus.
„Apropos, mögen Sie Rotwein?“
Oder trinken Sie grundsätzlich nicht?
Alfred Wiseman 42 ist professioneller Trivialist. Der Biologe an der Radbout Universität Nimwegen ist einer der andere gern daran erinnert, dass nach einem Sommer der Herbst kommt, einer, der noch in jeder atmosphärischen Konstellation eine Basis für Gespräche findet. Ein kesses graumeliertes Bürstchen unter der Nase, das die fleischigen, scharf konturierten Lippen betont, gibt seinem Gesichtsausdruck etwas Sympathisches, und sein gewinnendes Naturell begründet sich in einem gütigen Blick, umrahmt von einem warmherzigen Lächeln. Nun ja, er ist ein Mensch, dem man nicht leicht etwas ausschlagen kann.
„Mögen Sie Rotwein?“
Neulich des Abends nach einem Complimentary Dinner des Botanischen Instituts fragte Wiseman die noch mit allen Vorzügen ihrer Jugend ausgestattete junge Studentin Phoebe Schnipfinger bei belangloser Schräglage en passant, ob sie geneigt sei, mit ihm hinauf zu gehen und bei eins, zwei Gläschen Rotwein, dazu viel „Gemütlichkeit“ , wie er es nannte, und einer Präsentation seiner reichhaltigen Rüsselkäfer Sammlung den Abend harmonisch ausklingen zu lassen. Er, der charmante Sanguiniker, hatte dabei jedes Wort, das er gesagt hatte, sehr sorgfältig geprüft.
„Na und?“ dachte er: „So eine Gelegenheit kommt mir doch nicht so einfach vom Himmel herunter. Bei so großartigen Aussichten vom Kirchturm weitschweifend auszumalender Begleitumstände leckt sich doch ein Millionenheer junger Studentinnen die Finger wund, wenn oben die Glocken läuten“.
Sollte man meinen!
Es kam natürlich nicht über seine Lippen. Und? Was meinen Sie, was hat sie gesagt.
„Nein!“ sagte sie.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war zunächst perplex. Hatte sie etwa kein Interesse an seinen Rüsselkäfern? Wollte sie einfach nur Wasser oder was war es? Er konnte sich zunächst keinen Reim darauf machen. Ihre ungeschützt offene Aufrichtigkeit, seine Wünsche betreffend, hatte etwas Dominantes. Er fand sie und wusste nicht genau weshalb, ein wenig herablassend. Lag es daran, dass er sie nicht richtig einzuschätzen wusste? Oder konnte sie in seinem charmanten Angebot eine trügerische Falle wittern?
„Nein!“ sagte sie.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war ein wenig durcheinander. Nun, er wusste, die Gehirnmasse einer Frau hat bei gleicher Größe ein um 100 Gramm geringeres Gewicht als die des Mannes, zeigt sich aber letztlich bis auf Kleinigkeiten wie rückwärtiges Fahrzeugrangieren als durchaus äquivalent zu bezeichnendes, leistungsfähiges Rüstzeug. Sie sagte, und versetzte damit allen seinen Fantasien einen schmerzhaften Fußtritt:
„Nein!“ sagte sie.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war sprachlos. Vielleicht, dachte er, ging es auch hier wieder mal nur um den Ton, der die Musik macht, einfach nur darum, wie man in einer bestimmten Situation etwas formuliert und es rüberbringt oder sollte er jetzt einmal eine Schweigeminute einlegen? Ein interessanter Gedanke übrigens, denn mancher, der sich Gehör bei seinen Mitmenschen verschaffen will, sollte es hin und wieder berücksichtigen und einfach nur zuhören. Sie aber sagte nur:
„Nein!“ sagte sie.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war konsterniert. Seines Erachtens wird im Hegelschen System das subjektive Phänomen streng genommen erst dann real, wenn es seinen Platz in einer objektiven Struktur findet. Mochte es vielleicht neben Ton und Musik auch daran liegen, dass er die modernen Techniken und die umgangssprachlichen Fertigkeiten heutiger Kommunikationen nicht in jeder Facette beherrschte? Trotzdem, es war eine alles in allem unbefriedigende Antwort und keine Lösung für sein sehr drängendes Problem. Sie sagte nur:
„Nein!“ sagte sie.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war entgeistert. Der Gedanke, dass seine Absichten zu einer privaten Niederlage werden könnten, war ihm peinlich, nicht nur in substanzieller Hinsicht. Er rieb seine Augen verwundert und fragte sich, warum er mit seinen Anthonomus phyllocola und Barynotus obscurus bei Phoebe Schnipfinger per se nicht punkten konnte, obwohl eine rege Beschäftigung mit Curculionidae durchaus zu einer tragenden Säule gelungener Abendunterhaltung hätte werden können. War es vielleicht, er hinterfragte die Triebfeder ihres Verhaltens sehr sorgfältig, war es der joviale Charme, der zwar das weiblich Herz überzeugen, nicht aber deren um 100 Gramm leichteres Menschen Hirn?
„Nein!“ sagte sie
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
Wiseman war fassungslos! …und zugegebenermaßen auch ich, der Autor! Auch mir fehlen buchstäblich die Worte, bin ich mit meinem Latein und meinem Freund, dem Playboy Al Wiseman mit seinen Käfern, dazu der abstinenten und wenig zugeneigten jungen Studentin, in deren Hals augenscheinlich eine Gräte der Prüderie steckte, am Ende. Die mit allen Vorzügen ihrer Jugend ausgestattete Phoebe Schnipfinger ist wahrlich eine schwer zu knackende Nuss. Sie weiß vermutlich nichts über die Kunst, sich bei eins, zwei Gläschen Rotwein und viel „Gemütlichkeit“ mit einem tollen Mann über aufgespießte Rüsselkäfer zu unterhalten.
„Nein!“ hatte sie gesagt.
„Nein, ich trinke grundsätzlich nicht!“
In Ordnung!
Verzeihen wir ihr großzügig. Doch, und hier bin ich in meinem Urteil überzeugt, für das Fach Lebensfreude gebe ich Phoebe Schnipfinger höchstens eine vier minus.
„Apropos, mögen Sie Rotwein?“