Mörderisches Mutterherz, Teil 3

Baxi

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Um 16 Uhr fuhr Uschi zur Arbeit. Das war etwas früher, als gewöhnlich. Aber sie brannte darauf, mit Klaus Doll zu reden. Der Mann war ein grantiger Zeitgenosse. Sie hatte den Eindruck, als wenn er nicht gerne bei Strunz Food arbeitete. Jedenfalls hatte sie ihn noch nie lachen gesehen. Ob sich seine Mundwinkel überhaupt nach oben bewegen ließen? Trotzdem wollte sie ihn noch erwischen, bevor er Feierabend machte. Und auch sonst die Lauscher aufstellen, was der Bürofunk so hergab.
Der Empfang war noch besetzt. Uschi fragte den jungen Mann nach Herrn Doll. Doch der zuckte nur mit den Schultern. Sicher sei der irgendwo auf dem Gelände, meinte er. Dann fragte sie, ob gestern eine junge Frau nach Holtmann gefragt hätte. Der junge Mann schaute sie mit großen Augen an, um anschließend bedächtig mit dem Kopf zu schütteln. Etwas enttäuscht schritt sie in den Keller. Den Serviceraum hatte die Polizei schon wieder frei gegeben. Auf dem Fußboden erinnerte ein kleiner Blutfleck an die Gewalttat von gestern. Auch die Werkzeugkiste des Hausmeisters wirkte ziemlich leer. Sonst war alles beim Alten. Sie belud ihren Handwagen, schob ihn in den Fahrstuhl und fuhr in den ersten Stock.
An Holtmanns Bürotür klebte ein Polizeisiegel. Was die Beamten dort wohl gesucht und gefunden hatten? kam es ihr in den Sinn. Dann zog sie weiter über den leeren Flur und startet ihre Putzrunde im Personalbüro. Frau Potthoff saß an ihrem Schreibtisch und bearbeitete noch irgendwelche Akten am PC. Sie schaut nur kurz auf, als Uschi eintrat. Diese pflichtbewusste Frau hatte wohl nichts anderes als ihre Arbeit, dachte Uschi. Zumindest war sie nicht verheiratet, das wusste sie genau. Mit Unschuldsmine wischte Uschi über die Fensterbank, immer bemüht, den vielen Kleinkrams wieder an die richtige Stelle zurück zu setzten. Frau Potthoff beäugte sie dabei mit kritischem Blick. In der Ecke begann der Drucker laut zu rattern und spuckte mehrere Blätter aus. ‚Personalakte Jens Holtmann‘ las Uschi in der obersten Zeile. Gerne hätte sie genauer hingesehen, aber Frau Potthoff war zu schnell. Sie fischte die Papiere aus dem Fach und steckte sie in einen großen Umschlag. Uschi wusste, dass in solchen Akten alle Weiterbildungen und Dienstreisen vermerkt wurden, ebenso wie Krankmeldungen und Abmahnungen. Ob Jens Holtmann jemals eine Abmahnung erhalten hatte? Sicher nicht. Sonst hätte sie das Bürogeflüster bestimmt mitbekommen. Dass es jetzt, bei einem Mord, erstaunlich still war, wunderte Uschi. Sie hatte vermutet, dass auf dem Flur noch Leute schwatzend bei einem Kaffee zusammen ständen. Vielleicht hatten die Angestellten schon in der Mittagspause ausgiebig darüber diskutiert, überlegte sie. Heute war Freitag, da verabschiedete man sich gerne pünktlich ins Wochenende.
Uschi leerte noch den Mülleimer aus und schob dann ihren Putzwagen weiter zum Büro von Alina Strunz. Unter ihrer Leitung arbeiteten drei Personen im Einkauf: Patrik Fiedler, Dennis Güthues und Simon Scholz. Die Männer teilten sich das Büro nebenan. Ihre Aufgabe war es, die Produktion am Laufen zu halten. Sie bestellten Ersatzteile für die Maschinen, Büroartikel und Arbeitskleidung, ebenso die Zutaten für die Produkte. Strunz Food war bekannt für ihre hochwertigen Fertiggerichte, wie Nudeln mit Frikadellen in Jägersoße oder Reis mit Gemüse und Hackbällchen in Currysoße. Der Renner waren aber die Hackbällchen ‚Pikant‘ mit einem Hauch Chili und das Paprikageschnetzelte. Seit neustem gab es auch eine vegetarische Linie mit verschiedensten Spezialitäten. Wilfried hatte mal ein Paket Geschnetzeltes der Art Gyros davon mitgebracht. Das Sojafleisch hatte ihr nicht so recht gemundet. Sie vertrat sowieso den Standpunkt, entweder Vegetarier oder nicht. Niemand brauchte Ersatzwurst. Es gab doch genügend Gemüsearten, die ganz fabelhaft schmeckten. Allerdings hatte die Firma Strunz Food einen großen Absatzmarkt für ihre Kreationen aus Soja gefunden. Sie kamen kaum nach mit den Lieferungen. Für nächstes Jahr war der Anbau einer weiteren Produktionshalle geplant.
Beide Büros vom Einkauf waren verwaist. Schade. Uschi hatte keine Möglichkeit für eine kurze Plauderei mit Alina. Sie mochte die junge Frau mit den attraktiven braunen Augen und den dunkelblonden Locken. Eifrig putzte Uschi durch die Räume, wischte über die Bildschirme der PCs und leerte die Mülleimer. Sie sammelte die Kaffeetassen ein und fütterte damit die Spülmaschine der kleinen Küche. Dann machte sie sich im Konferenzzimmer an die Arbeit. Auch hier standen etliche benutzte Tassen und Gläser neben Flaschen und einer Thermoskanne auf dem großen Tisch. Hatte es eine Besprechung zum Tod von Jens Holtmann gegeben? Oder hatten es sich Beamte der Polizei hier gemütlich gemacht? Vielleicht waren auch einige Mitarbeiter hierhin zu Gesprächen mit dem Kommissar bestellt worden, schätzte Uschi.
Während sie noch grübelte, entdeckte sie durch die Glasfront zum Flur den Hausmeister, der gerade da entlang kam. Schnell sammelte sie das schmutzige Geschirr ein, um es in die Küche zu tragen. Ihr Zusammentreffen sollte rein zufällig aussehen. Mit dem Tablett in den Händen eilte sie auf den Flur. Aber Herr Doll schloss schon die Tür zum Büro der Chefin hinter sich. Mist. Sie hatte ihn verpasst. Egal, dachte sie. Sie würde abwarten. Wie in Zeitlupe sortierte sie die Tassen und Gläser in die Spülmaschine und schaltete sie ein. Danach wischte sie ausgiebig über die Anrichte und auch noch extra gründlich über die Schrankfronten. Wie lange brauchte der Mann denn nur? Frau Potthoff kam aus ihrem Büro, ihre Handtasche im Arm. Im Vorbeigehen musterte sie sie so argwöhnisch, dass Uschi nichts anderes übrig blieb, als zurück in den Konferenzraum zu gehen.
Mit langem Arm putzte sie die Kaffeeränder vom Tisch, immer den Blick zum Flur. Der Hausmeister musste doch jeden Moment vorbei kommen. Irgendetwas stoppte unversehens ihre Hand mit dem blauen Mikrofaserlappen. Als sie zum Tisch sah, wackelte eine Wasserflasche schon gefährlich. Sie stützte um und rollte polternd vom Tisch. Klirrend zerschellte sie auf dem Boden. Verdammt, auch das noch. Uschi holte den Aufnehmer vom Putzwagen, fischte die Glasscherben aus der Pfütze und entsorgte sie im nächsten Mülleimer. Dabei stieß sie auf einen zerknüllten Zettel. Das handschriftliche Datum von gestern, Donnerstag erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie zog das Papier vorsichtig auseinander. Mit Mühe konnte sie die Buchstaben W. B. entziffern.
„Alles in Ordnung?“ ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Erschrocken drehte sie sich um. Herr Doll stand in der Tür. Der große und kräftige Mann starrte zu ihr rüber. „Ja, danke.“, stammelte Uschi. „War nur ein kleines Missgeschick.“
„Wir sind wohl alle etwas durcheinander. So ein Mord passiert hier ja nicht jeden Tag.“
„Nein, sicher nicht.“ Ein leiser Seufzer begleitet ihre Aussage. „Ihre Nichte Mimi ist auch betroffen?“, fragte sie arglos.
Sofort verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. „Man soll ja nicht schlecht über Tote reden, aber Holtmann war ein ziemlicher Mistkerl. Mimi so einfach abzuservieren für eine andere. Das ist nicht gerade nett. Aber nur, weil der Lümmel mit ihr Schluss gemacht hat, hat sie ihn nicht gleich umgebracht.“
„Aber sie hat doch sicher ein Alibi?“
„Leider nein, kein Stichhaltiges. Gestern war ihr freier Tag. Sie war alleine zu Hause.“
Was für eine Überraschung, dachte Uschi. „Sie wäre doch nie unbemerkt hier ins Gebäude gekommen.“
„Sicher nicht.“
„Es sei denn …“
„Was?“ hakte der Hausmeister nach.
„Es sei denn, sie hat sich Ihre Schlüssel ausgeliehen.“ Gespannt erwartet sie seine Antwort.
Herr Doll nahm ihr diese Frage jedoch übel. „Wie bitte?“, schnauzte er sie an.
Sofort versuchte Uschi ihn zu beruhigen: „Das hätten Sie doch sicher gemerkt? Oder?“
Doch er regte sich nicht ab. „Vielleicht war es auch Ihr Mann?“, ging er zum Angriff über. „Der könnte sich doch auch Ihren Schlüssel ausleihen! Sie lassen sie doch sowieso überall liegen! Außerdem habe ich gehört, dass er mit Holtmann ein Problem gehabt haben soll.“
„Was für ein Problem?“ Verblüfft sah Uschi ihn an. Wilfried hatte nie etwas von Problemen mit Holtmann erwähnt.
„Genaues weiß ich da auch nicht. Fragen Sie doch einfach Ihren Mann!“ Grußlos stapfte der Hausmeister davon.

Krampfhaft überlegte Uschi, ob seine Theorie stimmen könnte. Wilfrieds Schlüssel reichten, um aufs Firmengelände und in die Produktionshalle zu gelangen, aber nicht in das Verwaltungsgebäude oder gar den Serviceraum. Natürlich hätte er sich jederzeit ihre Schlüssel nehmen können. Er hätte sie nur vor seinem Feierabend und ihrem Arbeitsbeginn zurück legen müssen. Doch dafür genügte schon eine kurze Arbeitspause. Ihr Wilfried? dachte sie besorgt. Ihr friedfertiger Wilfried sollte Holtmann erschlagen haben? Ermittelte Kommissar Weinrich schon gegen ihn? Wenn Doll von Problemen gehört hatte, dann sicher auch Weinrich.
Uschi hatte es plötzlich sehr eilig, ihre Arbeit zu erledigen. Eine Stunde später wischte sie schon das Treppenhaus und verstaute kurz darauf ihre Arbeitsgeräte im Serviceraum. In Gedanken sah sie wieder Holtmanns Leiche vor sich am Boden liegen. War ihr Mann wirklich zu einer solchen Grausamkeit fähig? Nein, entschied sie. Das konnte nicht sein. Es musste eine andere Lösung geben. Vielleicht hatte Doll nur eine Behauptung aufgestellt, um von sich selbst abzulenken. Er hatte sehr verärgert geklungen, als er über Holtmann sprach. Wer weiß, eventuell gab es da noch mehr Streitpunkte als Mimi. Und warum sollte Wilfried mit Holtmann hier in den Keller gehen? Beide hatten hier nichts verloren. Doll allerdings schon. Er bewahrte Werkzeug im Serviceraum auf. Entschlossen schnappte sich Uschi ihre Tasche, sperrte die Tür ab und machte sich auf den Heimweg. Ein klärendes Gespräch mit Wilfried war jetzt dringend von Nöten.

Als Uschi ihren Polo im Carport parkte, hoffte sie, dass ihr Mann auch zu Hause war. Zumindest hatte sie keine Nachricht von seiner Verhaftung auf ihrem Handy erhalten. Nervös eilte sie ins Haus.
„Wilfried?“, rief sie. Doch niemand antwortet.
„Wilfried!“, versuchte sie es lauter, während sie durch den Flur lief. In der Küche war er nicht, auch nicht im Wohnzimmer. Hatte ihn der Kommissar doch zur Wache bestellt? Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung draußen vor dem Terrassenfenster wahr. Uschi fiel ein Stein vom Herzen, als sie Wilfrieds Schopf erblickte. Gegen seine Gewohnheit saß er im Gartenstuhl, fast regungslos. Dabei lud das trübe Wetter gar nicht dazu ein. Irritiert trat sie zu ihm auf die Terrasse.
„Wilfried?“, sprach sie ihn noch mal an.
Langsam wandte er ihr sein Gesicht zu. „Ich war in unserem Gartenhäuschen“, erklärte er dumpf wie in Trance.
„Ja. Und?“
„Da, wo wir unsere Sommermöbel aufbewahren. Und den Sonnenschirm. Und den Grill.“
„Ja, ich weiß, was wir dort alles unterstellen.“ Eine unbestimmte Ungeduld hatte Uschi erfasst.
„Ich wollte nach unserem Grill sehen. Dabei habe ich das da gefunden.“ Wilfried deutete auf den Boden zu seinen Füßen.
Dort lag ein handelsüblicher Hammer mit einem Holzstiel. Es dauerte einen Moment, bis Uschi begriff. An dem dunklen Metall klebte etwas Rotbraunes und auch am Stiel waren Spritzer davon sichtbar. Das musste Blut sein, dachte sie entsetzt. Holtmanns Blut? Ein Hammer wäre jedenfalls nicht ungewöhnlich für eine Werkzeugkiste, wie die des Hausmeisters. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte da immer genauso einer gelegen. Nur nicht am Donnerstagabend. Aber wie kam das Objekt in ihr Gartenhäuschen? Hatte doch Wilfried zugeschlagen? Sie musste Gewissheit haben, so oder so. „Hast du …“, setzte sie an.
Doch ihr Mann unterbrach sie barsch: „Hörst du nicht zu? Ich habe das Ding gefunden!“
„Hast du schon die Polizei informiert?“, änderte sie ihren ersten Gedanken.
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Ich wollte erst wissen, ob du vielleicht …?“
„Ich?“, brauste sie auf. Hielt sie wirklich jeder für schuldig?
„Ich weiß nicht, was du am Donnerstagnachmittag gemacht hast oder wo du warst“, meinte er ernst. „Und seit Wochen redest du vom Morden. Was soll ich da denken?“
Uschi rollte mit den Augen. Das konnte doch nicht wahr sein. Hatte ihr Mann so wenig Vertrauen zu ihr? „Ich habe es dir gestern schon gesagt. Und heute wiederhole ich es für dich: ich habe nichts damit zu tun!“ Es fehlte nicht mehr viel und sie hätte zur Bekräftigung mit dem Fuß aufgestampft.
„Sicher. Und wie kommt dieser…“ Verstört sah er zum Werkzeug zu seinen Füßen. „… dieser Hammer auf unser Grundstück?“
„Keine Ahnung. Vielleicht hast du ihn mitgebracht?“, giftete sie ihn an. Wilfrieds Anschuldigung stießen ihr sauer auf.
„Nein. Warum sollte ich das tun?“
Das Erstaunen in seinem Blick konnte sie nicht besänftigen. „Ich habe gehört, dass du Probleme mit Holtmann gehabt haben sollst“, sagte sie schnippisch.
„Was für Probleme?“ Sein Erstaunen wuchs zu einer Verwunderung. „Ach, das meinst du“, erinnerte er sich plötzlich.
„Was?“
„Er hat mich beschuldigt, ich hätte illegal Firmengeheimnisse kopiert.“
„Was denn für Firmengeheimnisse?“
„Rezepte und Verfahrensweisen, alles von unserer vegetarischen Linie.“
„Du meinst Industriespionage?“ Die Sache wurde ja immer aufregender, dachte Uschi.
Wilfried nickte müde.
„So etwas würdest du doch nicht tun!“, sagte sie mit tiefer Überzeugung.
„Immerhin hast du mir gerade noch einen Mord zugetraut.“ Er klang beleidigt, was sie schlicht überhörte.
„Wie kommt er darauf?“
„Ich weiß es nicht. Mit mir hat er nicht darüber gesprochen. Aber er muss es Frau Strunz berichtet haben.“
Uschi überlegte. Dann meinte sie: „Was ist so eine Information eigentlich wert?“
„Lässt sich schwer sagen. Es kommt ganz darauf an, wem man sie anbietet. Mehrere tausend Euro vielleicht.“
„Wie? Rezepte von dem scheußlichen Zeug? Das kann man gar nicht glauben.“ Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse und schüttelte den Kopf.
„Der Markt wächst und die Produkte sind heißbegehrt. Auch wenn du sie nicht magst“, verteidigte Wilfried seine Arbeit.
Das warf ein ganz neues Licht auf den Mord, spekulierte Uschi. Vielleicht war das Motiv nicht Eifersucht oder Leidenschaft, sondern es ging um Vertuschung. Dann gab es bestimmt noch jede Menge Verdächtige. Das stachelte ihren Ehrgeiz an.
„Und was machen wir jetzt mit diesem Ding?“, riss sie Wilfried aus ihren Gedanken.
„Zur Polizei bringen. Vielleicht sind da Spuren vom Mörder drauf.“
„Und meine Fingerabdrücke“, meinte er betreten.
„Besser, du bringst den Hammer zu ihnen, als wenn sie ihn bei uns finden. Das ist noch verdächtiger. Wenn Kommissar Weinrich dich für einen Verräter hält, bist du sowieso schon in seinem Visier.“
„Und wenn wir ihn zurück zur Firma bringen? Ich meine, ohne meine Abdrücke“, schlug er vorsichtig vor.
Uschi grübelte. Wenn man keine Verbindung zu diesem Mordwerkzeug zu ihnen herstellen konnte, ließ sich auch kein Verdacht erhärten. Vielleicht war die Idee gar nicht so blöd. „Ich mag diesen Kommissar nicht besonders. – Wo genau hast du ihn angefasst?“, fragte sie.
Wilfried zeigte auf eine Stelle am Holzstiel. Sie holte einen Putzlappen aus dem Haus und wischte den Stiel gründlich damit ab. Dann ergriff sie den Hammer mit einer Plastiktüte und stülpte anschließend die Tüte darüber. Genauso hatte sie es bei den Polizisten im Fernsehen gesehen. „Wir sollten ihn sofort wegbringen. Oder willst du warten, bis es dunkel ist?“
Unschlüssig saß Wilfried im Gartenstuhl. Er konnte sich einfach nicht entscheiden, was das Beste wäre. „Vielleicht hätten wir ihn doch zur Polizei bringen sollen.“
„Wir können ihn ja so hinlegen, dass die Beamten ihn ganz sicher finden.“
In Gedanken war Uschi schon wieder weiter. Ob der Hausmeister sein Gehalt mit dem Verkauf von geheimen Informationen aufbesserte? Zumindest wusste er von den Anschuldigungen gegen ihren Mann. Und er wusste auch, wo sie wohnten. Uschi hatte seine Frau Rita vor ein paar Wochen zum Kaffee eingeladen und er hatte sie abgeholt. Ihr Gartenhäuschen war selten abgeschlossen. Um diese Jahreszeit, im Spätsommer trugen sie ständig ihren Grill rein und raus, holten die Auflagen oder brauchten den Sonnenschirm. Erst zum Ende der Saison wurde alles ordentlich verstaut und gegen unliebsame Besucher gesichert. Um zu dem Häuschen zu gelangte, brauchte man nicht durch ihre Wohnung oder durch die Nachbargärten schleichen. Man konnte einfach das Törchen auf der Rückseite benutzen, das von einer dichten Hecke eingerahmt wurde. Sicher war der Täter unbemerkt im Schutz der Nacht herein gehuscht, um dann bei ihnen die Mordwaffe zu deponieren.

Eine viertel Stunde später verließ Wilfried Beerhues mit der Plastiktüte in der Hand das Haus. Er war noch nicht am Carport angelangt, als plötzlich ein Streifenwagen vor ihrem Haus stoppte.
Einer der zwei Beamten in Uniform sprach ihn an: „Herr Beerhues? Der Kommissar möchte Sie sprechen. Wenn Sie bitte mit uns kommen würden?“
Uschi sah vom Spülen hoch. Selbst vom Küchenfenster aus konnte sie sehen, wie ihr Mann blass wurde. Mussten die ausgerechnet jetzt kommen, dachte sie entsetzt. Sie warf das Geschirrtuch, das sie in der Hand hielt, achtlos zur Seite und hastete zu ihm. Die Polizei holte doch nur Verdächtige ab. Zeugen hätte man sicher eher zu Hause befragt. Bevor einer der Beamten widersprechen konnte, schwang sie sich auf die Rückbank und erklärte bestimmt: „Ich komme auch mit.“

Als sie gemeinsam zehn Minuten später dem Kommissar Weinrich auf der Wache in dem kleinen Büro gegenüber saßen, hatte einer der Polizisten Wilfried die Plastiktüte mit dem Hammer abgenommen. „Der Hammer war in Ihrem Gartenhaus?“, fragte Weinrich.
„Mein Mann hat ihn dort gefunden, nur gefunden“, beeilte sich Uschi. „Wir wollten ihn sowieso zur Polizei bringen.“
„Aha.“
War das sein einziger Kommentar? dachte Uschi. Also glaubte er ihnen kein Wort.
„Wir werden ihn untersuchen. Dann zeigt sich, ob es sich hierbei um die Tatwaffe handelt.“
„Ich habe ihn angefasst“, erklärte Wilfried.
Der Kommissar musterte ihn genauer. „Herr Beerhues, Sie arbeiten auch bei der Firma Strunz Food. In der Produktion, richtig?“ Eine Antwort wartete er nicht ab, sondern fuhr gleich fort: „ Es haben sich da Verdachtsmomente gegen Sie ergeben. Deshalb wollte ich Sie heute noch sprechen.“
Dann wandte er sich an Uschi. „Frau Beerhues, ich möchte Sie bitten, draußen zu warten.“
Was hatte das jetzt zu bedeuten? fragte sie sich. Verdächtigte der Kerl immer noch sie? Zusammen mit ihrem Mann? Wie selbstgerecht er hinter seinem Schreibtisch saß. Es musste prima in seine Theorie passen, dass der Hammer auf ihrem Grundstück gelegen hatte. Sicher unterstellte er ihnen, ihn dort versteckt zu haben. Eingeschnappt verließ sie das Büro.

„Herr Beerhues, ich will ehrlich sein“, begann Kommissar Weinrich das Gespräch unter vier Augen. „Ich weiß, dass man Sie verdächtigt, geheime Informationen weitergegeben zu haben. Unser Techniker hat einen Trojaner entdeckt, der zu Ihrem PC in der Produktion führt. Was können Sie uns dazu sagen?“
„Ich? Nichts. Ich weiß von keinem Trojaner. Ich wusste bis vor einer Stunde nicht mal davon, dass es diese Industriespionage gibt.“
„Herr Beerhues, es handelt sich dabei nicht um eine E-Mail, deren Anhang Sie versehentlich geöffnet haben. Es wurde ein Programm direkt auf Ihren PC geladen.“
„Wie schon gesagt, ich kann Ihnen dazu nichts sagen.“
„Dann waren es auch nicht Sie, der Informationen verkauft oder weitergeleitet hat?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Und Jens Holtmann hat Sie auch nicht dessen beschuldigt?“
„Nein. Über so etwas haben wir nie gesprochen.“
„Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen?“
Wilfried überlegte kurz. „Das muss Anfang der Woche gewesen sein. Ich weiß nicht mehr genau.“ Diesen vielen Fragen machten ihn langsam nervös.
„Sind Sie mit ihm am Donnerstag im Keller gewesen?“
„Nein.“
„Wo waren Sie am Donnerstag zwischen 14.30 Uhr und 15.30 Uhr, Herr Beerhues?“
Das war die Frage nach seinem Alibi. Soweit war es schon gekommen, dachte Wilfried und sein Magen verkrampfte sich. „Ich muss in meinem Büro gewesen sein.“
„Das ist in der Produktionshalle?“
Wilfried nickte.
„Gibt es Zeugen dafür?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich bin ja nicht alleine in der Halle.“
„Herr Beerhues, wusste Ihre Frau von den Anschuldigungen von Holtmann gegen Sie?“ Weinrich blickte ihm direkt in die Augen.
Unruhig fuhr sich Wilfried mit der Rechten über seine Haare. „Nein. Ich habe doch auch erst heute davon gehört.“
„Von wem?“
„Jemand aus der Verwaltung hat mich angerufen. Zu Hause.“
„Wer?“ Angespannt starrte ihn der Kommissar an.
Wilfried schluckte. Dann sagte er: „Fiedler. Patrik Fiedler.“ Der junge Mann war ihm sehr sympathisch. Immer, wenn es irgendwo Probleme gab, informierte er ihn unverzüglich. Das hatte ihn schon so manche Schwierigkeit in der Produktion ausräumen lassen.
„Wir werden das überprüfen. Sie können dann gehen. Ein Kollege wird noch Ihre Fingerabdrücke nehmen.“
Erleichtert erhob sich Wilfried. Aber an der Tür drehte er sich noch mal um. „Hören Sie, ich habe mit dem Mord nichts zu tun. Und meine Frau auch nicht.“
„Wir werden sehen“, meinte Weinrich, ohne aufzusehen. Er hatte sich schon wieder seinen Akten zugewandt.

Kommissar Jürgen Weinrich hätte am liebsten schon längst Feierabend gemacht, anstatt ein paar neue Überstunden anzuhäufen. Aber dann hatte am späten Nachmittag sein Kollege Andy Recker ihm von einem Hackerangriff auf das System der Firma Strunz Food berichtet. Seine Familie musste leider noch etwas auf ihn verzichten, dachte Weinrich mürrisch. Er musste der neuen Spur nachgehen und hatte sofort mit Brigitte Strunz gesprochen. Immerhin war das auch ein mögliches Motiv für die Ermordung ihres IT-Mannes. Die gute Frau schien allerdings nicht überrascht zu sein. Sie gab sogar zu, mit Jens Holtmann darüber gesprochen zu haben. Schon am Mittwochabend. Sie vereinbarten vorerst Stillschweigen und er wollte der Angelegenheit auf den Grund gehen. Nur, woher wusste Patrik Fiedler von dem Trojaner auf Beerhues Rechner? Sonst hätte er ihn wohl kaum informieren können. Langsam wurde hier alles ein wenig komplizierter. Er schickte zwei seiner Leute zu dem Angestellten und hoffte inständig, dass sie etwas Licht in die Sache bringen konnten.
Zumindest waren mittlerweile die Ergebnisse der Obduktion da. Der Gerichtsmediziner hatte die Todeszeit von Holtmann auf eine Stunde eingrenzen können. Der Schlag mit einem Hammer, wie er vermutete, war tödlich gewesen. Er zertrümmert sein Schläfenbein, infolge dessen er an Hirnschäden innerhalb von Minuten starb. Holtmann hatte kurz vor seinem Tod noch Geschlechtsverkehr gehabt, stand zum Abschluss in dem Bericht. Also hatte er doch die Besenkammer für ein Schäferstündchen aufgesucht. Weinrich nahm einen Schluck von seinem Kaffee. Wie viel er von dem Zeug heute schon in sich hinein gekippt hatte, konnte er unmöglich sagen. Irgendwann nach der siebten Tasse hatte er aufgehört zu zählen.
Heute Mittag hatte er Alina Strunz in ihrer Pause zu Holtmann befragt. Steif und fest hatte sie behauptet, sie seien nur Arbeitskollegen gewesen. Doch nach diesem Obduktionsbericht würde er sie um eine DNA-Probe bitten. Genauso, wie Mimi Doll und das hübschen Mädchen aus dem Lohnbüro. In dem Serviceraum wimmelte es von Fingerabdrücken, von Alina Strunz, von Ursula Beerhues und Klaus Doll. Ob auch welche von Wilfried Beerhues dabei waren, würde sich noch zeigen. Wenigstens hatte ein Kollege in Berlin schon mit Sophie Beerhues sprechen können. Die junge Frau war tatsächlich mit Jens Holtmann liiert gewesen. Und ihre Mutter wusste davon, ganz sicher. Zur Tatzeit hielt sie sich allerdings in Berlin auf. Dafür gab es reichlich Zeugen. Das entlastete in seinen Augen jedoch nicht Ursula und Wilfried Beerhues. Schon gar nicht, wenn man jetzt die Anschuldigungen gegen den Mann und den Fund des Hammers hinzu zählte. Oder alles Zufälle? Es gab keine Zufälle, hatte sein Mentor immer gesagt. Natürlich war ihm klar, wie schnell ein Computer manipuliert werden konnte. Und seine Menschenkenntnis sagte ihm, dass Herr Beerhues eigentlich nicht der Typ war, der seinen Arbeitgeber hinterging.
Ein Seufzer entfuhr ihm, als er an Frau Beerhues dachte. Wie aufgeplustert sie sich heute vor ihren Mann gestellt hatte. Wenn einer von beiden den Mord begangen hatte, dann sicher eher sie als er. Diese frustrierte Putze verteidigte ihre Familie gegen alles Übel der Welt. Nur, wie weit ging sie dafür? Holtmann hatte ihre Tochter abserviert und ihren Mann eventuell bedrängt. Die Frau hatte noch einen Sohn Leon. War der auch mit Holtmann aneinandergeraten? Der junge Mann lebte und studierte in Münster. Eigentlich hätte er da auch zu Hause wohnen können. Dann überlegte Weinrich, dass Leon vielleicht die Chance genutzt hatte, um seiner Mutter zu entkommen. Er konnte das gut verstehen. Er hätte es das Gleiche getan. Müde rieb er sich die Stirn. Morgen, bevor er hier her fuhr, würde er ihn aufsuchen. Wer weiß, was für Geheimnisse Frau Beerhues noch vor ihm verbarg?
 



 
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