momentaufnahme aus der abstellkammer der zeit

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D

Die Dohle

Gast
Nachtrag

Hallo ENachtigall,
hab nochmal gelesen und nachgedacht, auch über die beachtliche würdigung von Ralf Langer und deine antwort darauf. du nennst ein haus aus fleisch ein denkmal, du suchst die balance zwischen außen und innen. ich glaube mittlerweile, mein aufruhr liegt darin begründet, dass du mit deinem text das gefängnis ausgezeichnet beschreibst, ich aber nicht weiß, ob dieses nicht einzureißen wäre. so wie´s geschrieben steht, wie ich es lese, ist es im augenblick ein ausgesprochen machtvolles manifest dafür, das gefängnis wenigstens zu dulden.
wenn du die verlorene balance wieder erreichen willst, dann muß dieses lebendige dort in das hier hereingeholt werden. mindestens aber müsste der meißel einer klage an den gefängnismauern angesetzt werden, um einer hoffnung auf freiheit in der zukunft futter zu geben.

meine idee zu diesen gedanken wäre etwa dieses, ein provisorium selbstverständlich :

###

es ist raum
da, wo hier ist
dort ein himmel
voller mond und wolken
wogen - blut und bäume
rauschen, lauschen

tief im haus aus fleisch
schläft die erinnerung
mit zukunftsträumen

auf die herzhaut tropft
die nacht den takt

der gegenwart, er wacht
[blue]wo hier ist, ein himmel

voller mond und wolken
wogen - blut und bäume
rauschen, lauschen[/blue]

###

... bitte versteh mich richtig, es geht mir nicht darum deinen bis dahin sehr guten text zu zerdeppern. es ist nur so, der text zeigt wirkung, und was für eine ...

lg
die dohle
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Dohle,

zunächst ganz herzlichen Dank für die Geduld, die Du dem Text entgegen bringst und die Wertschätzung, Deine Ungereimtheiten auf der Verständnisebene so detailliert mitzuteilen!

Zunächst ein Statement vorneweg: Ich habe, wie so viele Leute heute, ein eklatantes Zeitproblem. Da hilft kein Management, denn die paar hart erkämpften freien Minuten muss ich später zigfach nacharbeiten - auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Das macht zunehmend wuschig, raubt die Motivation und den Spaß an der Arbeit und anderen Aufgaben und Aktivitäten; es kann und darf nicht sein, dass Zeit für eine gemeinsame Mahlzeit oder das offene Ohr für die Belange der Kinder, der siebte Sinn für das, was ungesagt bleibt, zum Luxus wird. Ich will so nicht leben. Ich weiß, dass das krank macht. Und es ist unglaublich schwer, dem entgegenzuwirken.
Deshalb beschäftigt mich dieses Phänomen - das so schwer zu beobachten ist, weil ich aus dem Zeitfluss nicht rauskomme - so nachhaltig.

Oder sollte es doch einen geheimen Ausweg aus dem Labyrinth der verkauften Zeit geben ...?

Dieses Gefangensein in Zeit ist das Dramatische, das vielleicht leise mitschwingt, im Gedicht und doch bedrohlich fremd im Hintergrund bleibt - vielleicht, ich weiß es nicht.
Der Gegenwart ist es nicht. Auch nicht das Hier. Nicht das Haus aus Fleisch, noch die Erinnerung (denn alles Leben, das war, ist gelebt) und die Zukunftsträume schon gar nicht, denn sonst wäre Zukunftsangst.

Es scheint, als fräße die Zeit den Raum (keiner hat Zeit, ihn wahrzunehmen ) Lässt er sich überhaupt ihrer Übermacht entheben ... ?
- Vielleicht verstehst Du, Dohle, hier, was ich meine mit der gestörten Raum/Zeitbalance. -
... auf ähnliche Weise, wie (der) Gegenwart vermag, uns für den Moment aus der vergangenen und kommenden Zeit zu lösen (wie unendlich währen die schauerlichsten und die schönsten Augenblicke ..) - als trüge uns jemand, stärker als die Strömung des Flusses der Zeit, auf den Schultern, um ... (einmal, einmal nur will ich sehen )

So ist - und nun komme ich zum Schluss - "da, wo hier ist" dort, wo du anfängst, dir die Welt aus der Entfremdung zurückzuholen.

Ein Gedicht sollte ohne erklärendes Beiwerk funktionieren; aber seien wir gnädig! Auch ein Gedicht ist nur ein Gedicht ... und du kannst von einer Nachtigall nicht erwarten, dass sie einen Laster fährt (polnischer Aphorismus)

Verzeih mir, falls noch immer alles dunkelt, Dohle,

LG

Elke

PS Dieser Kommentar ist in Geschenkzeit verpackt! (vorsichtig auswickeln)
 
D

Die Dohle

Gast
OK, ich sehe du willst da raus, der text ist die klage. Hallo ENachtigall, hab nicht unbedingt erwartet, dass du dich auf diesen inhaltlichen disput einlassen willst. umso mehr freue ich mich, darüber so ausführlich zu lesen. danke.

weißt du, ich glaube, die sonne geht morgends nicht auf, wenn sie niemand darum bittet. gedichte sind zaubersprüche und beschwörungen. ich glaube dieses [blue]er wacht[/blue] am ende des gedichtes, das Ralf Langer bedrohlich nannte, das schafft unklarheit. es ist bereits zerbrochen. falls die nacht erweckt werden soll ist das gut, weil es kraftlos ist. andererseits glaube ich, ist das das von dir gesetzte prinzip hoffnung. falls ich da richtig liege, gebe ich zu bedenken:
dieses [blue]er wacht[/blue] füttert eher die nacht und es ist sehr zaghaft. es ergibt einen düsteren zwiespältigen eindruck.

ich mach da dran so hartnäckug herum, weil ich gelegentlich mit zeitgenossen zu tun habe, die, -wenn die dich anlächeln der frischgebrühte kaffe in die tasse gefriert, die deinen text sofort vereinnahmen und für ihre sache feiern.

wie das zu beheben wäre, dafür fällt mir im moment nur soviel ein, dass mit dem [blue]er wacht[/blue] am schluss etwas geschehen sollte. das muß nix lautes sein, aber unmissverständliche klarheit sollte es schaffen.

oder du vertraust deinem text, auch möglich, dass der nicht in einen falschen hals gerät, bzw. sich dort querstellen möge.

... soweit mal und vergiss nie, die sonne geht nur dann auf, wenn sie irgend jemand ruft ;-)

lg
die dohle
 

ENachtigall

Mitglied
momentaufnahme aus der abstellkammer der zeit

es ist raum
da, wo hier ist
dort ein himmel
voller mond und wolken
wogen - blut und bäume
rauschen, lauschen

tief im haus aus fleisch
schläft die erinnerung
mit zukunftsträumen

auf die herzhaut tropft
die nacht den takt

der gegenwart legt licht
in augen blicke


© 2013 oktober / elke nachtigall
 

ENachtigall

Mitglied
Finale

Hallo Dohle,

am Ende habe ich - Deine und Ralfs Anmerkungen bedenkend - noch einen anderen Weg gefunden, die Unschärfe aus dem Ende zu lösen, dass das Gedicht sanfter ausrollen kann, wie ich finde, ohne es in seiner gemeinten Stimmung zu verändern oder seinem Un/Sinn zu entfremden.
Schön, außerdem, dass ich Dich so als Mitgestalter ins Boot holen konnte :)

Herzlich gegrüßt und bedankt für jede Würdigung und Hilfe,

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
momentaufnahme aus der abstellkammer der zeit

es ist raum
da, wo hier ist
dort ein himmel
voller mond und wolken
wogen - blut und bäume
rauschen, lauschen

tief im haus aus fleisch
schläft die erinnerung
mit zukunftsträumen

auf die herzhaut tropft
die nacht den takt

der gegenwart er wacht
legt licht
in augen blicke


© 2013 oktober / elke nachtigall
 

ENachtigall

Mitglied
momentaufnahme aus der abstellkammer der zeit

es ist raum
da, wo hier ist
dort ein himmel
voller mond und wolken
wogen - blut und bäume
rauschen, lauschen

tief im haus aus fleisch
schläft die erinnerung
mit zukunftsträumen

auf die herzhaut tropft
die nacht den takt

der gegenwart
er wacht
legt licht
in augen blicke


© 2013 oktober / elke nachtigall
 

ENachtigall

Mitglied
momentaufnahme aus der abstellkammer der zeit

es ist raum
da, wo hier ist
dort ein himmel
voller mond und wolken
wogen - blut und bäume
rauschen, lauschen

tief im haus aus fleisch
schläft die erinnerung
mit zukunftsträumen

auf die herzhaut tropft
die nacht den takt

der gegenwart

er wacht
legt licht
in augen blicke


© 2013 oktober / elke nachtigall
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo ENachtigall,

ja, das ist gut jetzt.
mir ist noch was aufgefallen, du nennst die gegenwart der gegenwart. du bist frei, du darfst das. aber: hat das einen bestimmten grund?
als common-sprech-user lese ich jetzt

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auf die herzhaut tropft
die nacht den takt

[blue]die[/blue] gegenwart legt licht
in augen blicke

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ist das so gemeint?

lg
die dohle
 

ENachtigall

Mitglied
Ja, weil es sich so an die vorangegangenen Worte fügt (den Takt der Gegenwart) und gleichzeitig Gestalt annimmt. Ich möchte den Begriff Gegenwart so interpretationsoffen wie möglich haben.
 
D

Die Dohle

Gast
nachtrag, ENachtigall ´nabend,

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auf die herzhaut tropft
die nacht den takt

[blue]die[/blue] gegenwart er wacht

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wenn deiner kritik dieses [blue]die[/blue] also durchginge, wäre dies die sehr viel bessere variante. tatsächlich ist es dieses winzige [blue]der[/blue], das mir da queer kommt, da dieses im satzgefüge direkt auf die bedrohung bezug nimmt:

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auf die herzhaut tropft die nacht den takt [blue]der[/blue] gegenwart...

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es ist gar nicht das [blue]er wacht[/blue]. error & fail, siehste, mann lernt nicht aus. nie ... ;-)

lg
die dohle
 

ENachtigall

Mitglied
Ich verstehe nicht, wo Dein Problem liegt, auch wenn Du das jetzt doppelgepostet hast.

Ich lass das jetzt so wie es ist und gut.

Grüße von Elke
 
D

Die Dohle

Gast
sorry, das electrisch macht mucken. ich meinte, wenn du der gegenwart verwedest, bezieht sich die gegenwart auf die bedrohung. gegenwart ist aber die einzige gelegenheit eine entscheidung zu treffen, den takt der vergangenheit zu überwinden. wenn du dort kapitulierst, ändert sich nie was. rebellion geschieht jetzt, im augenblick der gegenwart. so ist´s gemeint.

lg
die dohle
 
D

Die Dohle

Gast
Hi ENachtigall,
du schreibst

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auf die herzhaut tropft
die nacht den takt

der gegenwart

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dass die nacht ihren takt auf die herzhaut, das leben tropft, ist unvermeidlich. jeder trägt seinen packen, den seines elternhauses, den der bisher erduldeten wunden (es ist von nacht die rede, daher wunden) usw..
aus meiner sicht jedoch bietet der augenblick der gegenwart die einzige mir bekannte möglichkeit, diesem takt aus der vergangenheit die stirn zu bieten. wer freiheit erstrebt, muß diesen augenblick nutzen, indem autonome entscheidungen getroffen werden. solange die nacht, die vergangenheit s.o., den takt bestimmt, erwacht nichts außer der nacht. es bleibt beim alten. in neuen tüchern vielleicht, aber es ändert sich, es erwacht nicht wirklich etwas neues, weil die vergangenheit unmissverständlich und gebieterisch die trommel schlägt. letztlich, es ist der tod der freiheit und das leben der tyrannen.

auf deinen text heruntergebrochen bedeutet dies in meinen augen, dass nach dem ... takt folgerichtig eine pause, ein absatz kommt und dann die entscheidung zugunsten der freiheit, falls gewünscht, fallen muß. soll heißen die gegenwart steht zwar in einer beziehung zu der nacht, sie beginnt sich jedoch zu weigern, deren takt unwidersprochen hinzunehmen. also kann da nicht "der gegenwart" stehen, der bruch ist notwendig:
"die gegenwart" oder auch nur gegenwart, so etwas in der art.
es wäre auch möglich, tatsächlich zu schreiben

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auf die herzhaut tropft
die nacht den takt

der gegenwart

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allerdings müsste dann in folge ein klares, konsequentes plädoyer für die freiheit aufgefahren werden aus meiner sicht. den artikel weglassen beispsw. ist da doch sehr viel einfacher und mindestens ebenso wirkungsvoll.

so, jetzt hab ich dir aber nochmal einen brocken hingeworfen. was soll ich sagen, dein ansatz ist sehr gut, deshalb ...

lg
die dohle
 



 
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