Momentaufnahmen

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Klaus K.

Mitglied
Momentaufnahmen

Es ist warm, die Shisha-Bar hat die Eingangstür offen. Im Vorbeigehen genießt man alle vermeintlichen Wohlgerüche dieser Welt, die Wasserpfeifen qualmen, was das Zeug hält. Der Laden ist brechend voll, gelernte Fachkräfte reichen feuchttriefenden Tabak, andere glühende Holzkohle, um die edlen Mixturen überhaupt am Glimmen zu halten. Eine entspannte, arbeitsreiche Atmosphäre, zumindest den nach außen dringenden Gesprächsfetzen nach zu urteilen, die man aber ja sowieso nicht versteht. Hier werden wichtige Geschäfte ausgehandelt.
Moment! War da nicht der dezente Duft von Cannabis zu verspüren? Das ist doch jetzt freigegeben, wenn auch mit Einschränkungen. Und vollgedröhnt dann mit dem Auto zu fahren, das hat doch was, das macht doch nichts. Immer noch besser als alkoholisiert. Wozu manche Religion doch alles gut ist, hier wird es deutlich. Und die Luxuskarossen, SUVs und AMG- Mercedes stehen am Strassenrand bereit, sauber geparkt. Die darauf spezialisierten Autohändler haben schon Jubelarien komponiert, nachdem sie von der Erhöhung des Kindergeldes erfahren hatten. Neue Kunden, die jetzt die horrenden Leasingraten noch leichter stemmen können. Das bedeutet für viele halt noch ein Kind mehr, aber darauf kommt es dann auch nicht mehr so an. Zumindest kann dann endlich auch die Auspuffanlage dreifach verchromt werden, eine Tieferlegung des Fahrwerks ist meistens auch noch drin.
Hoffentlich wird es bald Abend, dann erwartet eine gaffende Meute oft spannende Innenstadt-Rennen. Nur schade, dass alles hier so schwierig ist, mit 160 Sachen innerorts sind die Straßen in diesem Land dafür alles andere als ideal. Kollateralschäden? Wieso? Es gibt doch Zebrastreifen für diese indigenen Typen mit den Kartoffelnasen. Die müssen halt aufpassen. Dies ist hier ein freies Land.

Man geht leicht desillusioniert weiter. Ein "Cottage", mit einem kleinen angeschlossenen Garten. Wein und Snacks, teuer und fein.
Ein freier Platz für genau zwei Personen an einem der letzten kleinen Tischchen. Selbstbedienung. Man holt sich sein acht-Euro-Glas und setzt sich, dazu gibt es Datteln im Speckmantel. Das Gartenlokal ist brechend voll, da hat man noch einmal Glück gehabt mit dem freien Platz. Mein Begleiter packt seine Pfeife aus, ich lege einen kleinen Zigarillo auf den Tisch. Ein entspannter Feierabend und eine angeregte Unterhaltung erwarten uns.
Es gibt viel zu besprechen. Aber zuerst einmal "Feuer frei!"

"Können Sie nicht lesen? Rauchen verboten!" Der sprechende Nachbartisch, mindesten vier Meter entfernt, Er dort fuchtelt wie wild mit den Armen, dabei den Zeigefinger der rechten Hand ausstreckend und auf ein mickriges Schild zeigend.
"Machen Sie das sofort aus! Sofort!"

Mein Begleiter und ich blicken uns an. Die brennende Pfeife und der entzündete Zigarillo sicher auch, wenn sie es könnten.
"Sie sollen sofort aufhören, ausmachen! Bedienung! Bedienung!"

Mein Begleiter legt seine Pfeife auf den Tisch, meinen Zigarillo ereilt der Tod unter der Tischplatte. Der Sympathicus beruhigt sich wieder. Mindestens zwanzig Köpfe haben die Aktion verfolgt. Zwanzig schweigende, aber gespannte Köpfe. Männlein und Weiblein. Hoppla! Waren da nicht strafende und vor Unverstand strotzende Blicke auf uns dabei? Die Kommentare, getuschelt und genuschelt, die konnte man zumindest nicht hören. Aber diese Blicke! Und das Kopfschütteln, wenn das töten könnte, und diese Verachtung!
"Na also! Lesen hilft, oder wollen Sie Ihre Mitmenschen auch umbringen?"
Eine weitere Killer-Frage aus dem Klub der "Wir werden 100".

Wir reagieren nicht darauf. Wohlgemerkt, wir sitzen an einem Sommerabend in einem Gartenlokal, im Freien.
Der Garten grenzt an freies Feld, bereits abgeerntet. Nach ein paar Minuten hört man einen Traktor, laut vernehmbar. Aber sicher fährt er mit Biodiesel. Trotzdem versteht man sein eigenes Wort nicht mehr, zumindest für einen Moment. Er fährt auf das besagte Feld, der Fahrer steigt ab und harkt irgendetwas zusammen, minutenlang. Dann entzündet er den Berg, alles biologischer Abfall, für ihn nicht weiter verwertbar. Er ist mindestens fünfzig Meter entfernt, und alles ist ja nur ein Strohfeuer, und das unter seiner Aufsicht. Aber der leichte Wind steht schlecht. Die anfangs zarte blaue Wolke kommt näher, dafür kann er ja nichts. Langsam und schleichend, mit diesem herrlich strohigen, heuigen Duft wabert der Dunst jetzt über unseren Garten. Mein Begleiter und ich, wir atmen tief ein. Virginia, Burley, Latakia, eine Spur Perique...? Wunschdenken.
Die gesamte Fraktion vor Ort ignoriert den Rauch und den ekligen Geruch, tut dabei so, als ob nichts geschehen wäre. Minutenlang. Und sie reden dabei alle weiter, wedeln den Rauch sogar mit lächerlichen Handbewegungen versuchsweise weg. Alles normal. Wir leben in einem schönen Land. Einem toleranten Land. Dem Paradies.
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo Klaus,
sehr unterhaltsam und absolut realitätsnah, da lächelt man und nickt.
Ich hab mal eine Geschichte verfasst, die genau mit umgekehrten Schluss endete: dem höchst angenehmen und in meinem Fall aphrodisierenden Geruch eines Kartoffelfeuers (richtigerweise Kartoffelkrautfeuers). Leider gibt es sowas heute nicht mehr. Es wäre für mich ein Grund, Erdäpfel anzubauen.
Gruß
Bo-ehd

P.S. Wer Latakia und Perique kennt, muss Pfeifenraucher (gewesen) sein.
 

Klaus K.

Mitglied
Hallo zurück Bo-ehd,

und Dank für deine Zeilen! "Aphrodisierender Geruch eines Kartoffelfeuers"? Interessant! Der nächste Einkauf erfolgt direkt beim Bauern, und mit dem dazugehörigen Kraut - meine Frau wurde soeben entsprechend instruiert! Ich mag übrigens Menschen mit Humor!
Mit Gruß vom Pfeifenraucher, Klaus
 

Matula

Mitglied
"Wir leben in einem schönen Land." - Wir leben in einem EU-Land. Das klingt nach italienischem Gastgarten ...

Beste Grüße,
Matula
 

Klaus K.

Mitglied
Nein! Die Italiener haben Adriano Celentano gerade umgetextet! Nichts mehr mit "Lasciate mi cantare..", jetzt singen die alle "Lasciate mi fumare..."
Wir befinden uns hier im bzw. hinter dem vornehmsten Domizil des Vordertaunus. Bin mal gespannt was man macht, wenn ausländische Staatsgäste ihre Wasserpfeifen mitbringen.
Grazie, come sempre! Klaus
 

Matula

Mitglied
"Lasciate mi fumari" ist köstlich! Das muss ich mir merken! Ich habe im Frühjahr gelesen, dass man in Italien das Rauchen im Freien verbieten möchte und spontan beschlossen, keinen Fuß mehr dorthin zu setzen (es gibt sehr schöne Bildbände). Offenbar ist man wieder davon abgekommen. In Wien dagegen werden bis auf weiteres die "Schanigärten" auch im Winter weiterbetrieben. Zum einen wegen der Raucher, zum anderen, weil sich die Gäste in Corona-Zeiten draußen wohler fühlen. Das ist zwar ökologisch wegen der Beheizung ein Verbrechen, aber wen kratzt's !

Herzliche Grüße,
Matula
 



 
Oben Unten