Mondschein

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Tsibi

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Mondschein



Müde und erschöpft falle ich in das Bett. Der Tag war wie jeder andere, nur ein einfaches Existieren. Ohne Sinn, ohne Ziel. Ohne Gefühl, ohne Leben. Trist, einfach nur trist und langweilig. Und genau das ist es, was so anstrengend ist. Es zerrt an meinen Kräften, es frisst mich auf. Ganz langsam und schleichend, aber doch beständig. Es nagt an mir und meinem Wesen. Es gibt kein Entrinnen.

Am Morgen habe ich mir wie immer einen heißen Tee gemacht, frühstücken tue ich schon lange nicht mehr. Ich bekomme so früh am Tag einfach keinen Bissen herunter. Danach habe ich mich an den Schreibtisch gesetzt und ein paar Aufgaben für eines meiner Seminare erledigt. In zwei Wochen habe ich ein Referat zu halten und ich dachte mir, dass es nicht schaden kann, wenn ich etwas eher anfange, damit ich mir keinen Stress auflade, wenn ich alles in letzter Sekunde machen muss. Nach ein paar Stunden habe ich dann für eine andere Veranstaltung das entsprechende Online-Meeting betreten. Aufgrund der aktuellen Situation gibt es immer noch keine Veranstaltungen in Präsenz. Manche würden sagen, dass meine Langweile daran liegt, dass ich kaum noch raus und unter Leute komme. Tatsächlich habe ich mich aber bereits vorher gelangweilt und alles als trist und öde empfunden. Hier kann der Ursprung also nicht liegen. Jedoch muss ich zugeben, dass es das alles nicht besser macht.

Nachdem wir uns alle voneinander verabschiedet haben, habe ich mir ein schnelles Mittagessen gemacht. Für etwas aufwendigeres hat mir die Motivation gefehlt. Allein schon das Aufstehen vom Stuhl und das Schleppen in die Küche hat eine kleine Qual dargestellt. Ohne meine Selbstdisziplin, ohne die Notwendigkeit, wäre ich einfach nur sitzengeblieben, um dahinzuvegetieren. Lust, das Geschirr abzuwaschen, habe ich auch keine verspürt. Also habe ich den Teller einfach nur zu den anderen gestellt. Irgendwann werde ich den Abwasch schon machen. Oder wie so oft auch einfach nur später das abwaschen, was ich für die jeweilige Mahlzeit benötige. Zum Verdauen habe ich mir dann einfach ein paar Videos angeschaut, die mich etwas ablenken und mich auf andere Gedanken bringen sollten. Doch trotz allem habe ich keines von ihnen als wirklich unterhaltsam empfunden. Keines von ihnen hat mich wirklich erreicht. Es ist alles nur eine Selbsttäuschung und ich weiß es. Sobald mein Magen sich etwas beruhigt hatte, habe ich mich genötigt, nach draußen zu gehen und etwas Sport zu treiben. Sport selbst tut mir gut, trotzdem ist es immer wieder eine Überwindung, damit anzufangen. Den Rest des Abends habe ich dann mit weiteren Videos verbracht. Selbst als es bereits dunkel war, hatte ich nicht die Motivation ins Bett zu gehen. Stattdessen habe ich immer mehr Zeit vergehen lassen, bis ich der Müdigkeit nicht mehr widerstehen konnte.

Und jetzt liege ich hier im Bett, erschöpft und allem müde. Was für eine traurige Existenz. Ich schließe die Augen und will einfach für ein paar Stunden alles vergessen können. Will mich in den Traumwelten frei von dieser Existenz fühlen. Aber der Schlaf will sich nicht einstellen. Im Gegenteil. Ich spüre, wie ich immer wacher und wacher werde. Wach? Ich fühle mich wach? Selbst tagsüber, wenn ich ausgeschlafen habe, fühle ich mich nicht wach. Zu schwer wiegt das triste Leben auf mir. Doch jetzt? Jetzt fühle ich mich wach. Was ist nur los? Ich öffne die Augen und stelle fest, dass mein Zimmer hell erleuchtet ist. Von draußen scheint ein schönes Licht herein. Ich gehe an das Fenster und blicke auf den Mond, dessen Schein mein Wesen aufwühlt. Ich spüre, wie mich sein sanftes Licht umhüllt, wie es mich erfüllt und mein Innerstes erreicht. Es fühlt sich überwältigend an. Aber auch so wunderschön. Wie lange ist es her, dass ich mich so gefühlt habe? Ich kann es nicht sagen. Habe ich überhaupt jemals ein solches Feuer in meinem Inneren gespürt?

Ohne einen weiteren Gedanken stürze ich zur Tür hinaus und vergesse fast, meinen Schlüssel mitzunehmen. Hier im Freien, ist die Wirkung des Mondscheins nur noch stärker. Ich breite meine Arme aus, als könnte ich im Meer des Lichtes schwimmen. Ich will so viel wie nur irgendwie möglich aufnehmen. Es lässt mich lebendig fühlen. Jauchzend und hüpfend renne ich durch die Straße. Mir ist egal, was die anderen denken, mir ist egal, ob sie mich für verrückt erklären. Ich fühle etwas. Ich empfinde Leben. Ein mir komplett unbekannter Eifer packt mich, unzählige Ideen erfüllen mich. Es ist wie eine Offenbarung. Es gibt so viel, das ich tun kann. So viel, das ich tun will. So viele Möglichkeiten. Ich kann nicht mehr stoppen, ich fühle mich unaufhaltbar. Ich wünsche mir, dass sich das nie ändern wird, dass ich für immer so fühlen kann. Denn endlich fühlt es sich so an, als würde ein Herz in meiner Brust schlagen.
 
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