Monte Baldo, Via Ferrata (Sonett)

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wüstenrose

Mitglied
ein Saumpfad führt hinauf in deinen Garten
die Alpenaster grüßt in zartem Blau
der Einstieg naht ich kann es kaum erwarten
ein Murmeltier lugt keck aus seinem Bau

die steile Via öffnet mir die Sinne
im Bann der Karabiner geht es leicht
und luftig durch die ausgespülte Rinne
ein Schweben ohne Schwere ist erreicht

das weiterträgt auch oberhalb der Mitte
verblüfft die Schlüsselstelle am Balkon
erklimmt man über tausend Eisentritte

das Gipfelkreuz die Zeit läuft schon davon
zurück nach Haus zu Herbert und Brigitte
willkommen in der deutschen Depression
 
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wüstenrose

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Anmerkung: Eine Vorgängerversion stellte ich vor Jahren in der Leselupe ein, löschte diese aber vor einigen Monaten, da damals keine Überarbeitungsfunktion gegeben war und ich Veränderungen vornehmen wollte. Die alte, inzwischen verworfene Version:

Aufzeichnungen einer Klettersteiggeherin

ein saumpfad führt hinauf in deinen garten
die alpenaster grüßt in zartem blau
ich schirre ein und bin bereit zu starten
das murmeltier lugt keck aus seinem bau

der sanfte wind verschwenderischer tage
verortet mich im süden jeder tritt
gibt leben in die schale meiner waage
und achtet nicht des rufs: die uhr läuft mit

mein auge sucht das deine unverdrossen
war alles fruchtlos was es vorher sah?
noch steige ich auf deinen sommer-sprossen

noch bin ich deinem pulsschlag mächtig nah
bald wird die steile via zugeschlossen
dann bist du, Monte Baldo, nicht mehr da
 

L'étranger

Mitglied
Hallo Wüstenrose

die Quartette gefallen mir. In den Terzetten habe ich zweimal Mühe:

Gleich immer ersten Vers des ersten Terzetts ist der unverdrossene Blick auf den kommenden Klettersteig irgendwie nicht schlüssig: ist "unverdrossen" nur für den Reim da?

Die letzte Zeile des ganzen Gedichts verstehe ich weder in der alten noch in der neuen Version. Helf mir doch mal auf die Sprünge!

Gruß Lé.
 

wüstenrose

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Hallo L'étranger,
danke für deine Antwort und Einschätzung.
Unverdrossen scheint mir nicht gewaltsam des Reimes wegen da hinplatziert. Beharrlich, unbeirrt, nimmermüde - so geht der Blick im Moment des Verschnaufens nach oben. Wo siehst du konkret die Unschlüssigkeit?
Zur letzten Zeile Näheres zu schreiben, das fällt mir schwer; die Zeile (so ist meine Hoffnung) soll für sich sprechen. Da du ausdrücklich nachfragst: In diesem Sonett gibt es hell und dunkel. Der Ausgang bzw. die Perspektive ist, wie es ja auch geschrieben steht, nicht hell.

lg wüstenrose
 

L'étranger

Mitglied
Hallo Wüstenrose,

Wenn ich mir die Terzette in der ersten Version ansehe, dann war ein zweite (erotische) Bilddeutung noch möglich; da hatte der Via noch Augen und Sommersprossen. Mittlerweile tanzen aber kurz vor Schluss noch die Karabiner. Das passt dann nicht, so wie vorher das Murmeltier.
So kommt eigentlich nur eine andere Bedeutung des Bergsteigens oder des Berges in Frage. Da ist vieles denkbar, aber eine Hinweis darauf sehe ich nicht. So bleibt es dein Gedicht.

Vielleicht sehen andere mehr darin als ich ;-).

Gruß Lé.
 

wüstenrose

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Umbau abgeschlossen.
Ob Gernhardt Recht hat?
(Das Sonettschreiben) "kann mir in echt den ganzen Tag versauen". Und die halbe Nacht noch dazu.
 

wüstenrose

Mitglied
Dank an Oscarchen und Tula für die Wertungen! Bin erfreut, dass es mir offensichtlich gelungen ist, die Sache "mit Anstand zu Ende zu bringen".

Während des Überarbeitungsprozesses habe ich mich auch hier im Forum etwas umgeschaut in Sachen Sonett.
Deine Hinweise an anderer Stelle, Tula, fand ich hilfreich, ich führe hier noch einmal an, was du - jenseits des Bezuges zu einem bestimmten Sonett - geschrieben hast:

"Form: [...] man sollte lieber ein erkennbares Metrum durchziehen. Ausnahmen sind möglich, müssen aber als solche besondere Wirkung erzielen.
[...]
Feinheiten: weibliche und männliche Kadenzen wechseln wäre besser. [...] Davon abgesehen, sollte sich das klanglich voneinander abheben.
[...]
Rezepte gibt es nicht, aber weniger schön sind Sonette, die ausschließlich weibliche Kadenzen aufweisen. Noch langweiliger sind Verben im Infinitiv."

Auf deine Anmerkungen hin habe ich die zwischenzeitlich angedachten "Terzettreime"
drossen - sprossen - schlossen
Balkon - davon - Depression
nochmal auf den Prüfstand gestellt und eine Veränderung vorgenommen.

Was mir nicht gelungen ist: eine gewisse Leidenschaft für die Form des Sonetts zu entwickeln. Etwas wirklich Besonderes fehlt meinem Sonett, es ist zwar "hübsch", aber viel mehr auch nicht.
Dennoch schärft die Beschäftigung mit einem selbstverfassten Sonett natürlich die Sinne im Hinblick auf das Lesen von Sonetten anderer.
Ich denke, man braucht diese "Leidenschaft für die Form" (wenigstens in Form von Hassliebe), um dann tatsächlich frei und kreativ mit ihr spielen zu können. Für mich sehe ich da kaum Anknüpfungspunkte.
Jetzt will ich die Hände in den Schoß und mein Sonett zur Seite legen.

lg wüstenrose
 
G

Gelöschtes Mitglied 22614

Gast
Hallo Wüstenrose,

Ja, das ist schon ein bisschen sonderbar. Mir scheint, da fehlt nicht nur die Leidenschaft für das Sonett sondern auch für die Berge. Ich kenne den Monte Baldo - ein sehr schöner Berg - und das schönste ist die Aussicht von da oben. Bei dir ist das aber wie ein Coitus interruptus, nach einem mühsamen wenn auch bemühten Aufstieg. Musste aber schmunzeln, das hat auch was.

LG
atira
 
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wüstenrose

Mitglied
Hallo atira,
na die Leidenschaft für den Monte Baldo ist schon da - bei mir! Aber so richtig im Sonett ist sie nicht gelandet, da gebe ich dir recht. Ich habe viel probiert, aber die Chancen, die die spezielle Sonett-Form vielleicht bietet, ich konnte sie nicht so recht greifen oder nutzen; der Flow, den ich beschreiben wollte, der wollte sich beim Schreiben kaum einstellen.
Danke für deine Einschätzung.
lg wüstenrose
 



 
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