Mord in Heidelberg III (Ende)

Kapitel 14

„Einen Eiskaffee, bitte!“ Ich bezahle mein Getränk und gehe zum Tisch hinüber, an dem An-nabelle bereits sitzt. „Das Wetter ist viel zu schön, für das was passiert ist“, sagt Annabelle und blicke zum Himmel. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass es Marc und Charlotte trifft!“, erwiderte ich und setzte mich an den Tisch.
Das Café liegt direkt an der viel besuchten Einkaufsstraße in der Heidelberger Altstadt, die in der warmen Sonne angenehm strahlt.
Der einzige freie Tisch neben uns wird gerade von einer Vierergruppe Jungs eingenommen, wie ich aus den Augenwinkeln bemerke.
Und schon verändert sich Annabelles Haltung so, dass man ihr tief ausgeschnittenes Dekolteé bemerken muss.
Typisch Annabelle. Sie denkt auch immer nur an sich. „Ach übrigens, hast du schon mit Vera gesprochen?“, ich beobachte weiter Annabelles Gehabe. Während diese die Typen am Neben-tisch nicht aus den Augen lässt, entgegnet sie: „Ja, Vera war ganz schön schockiert. Sie kann es noch gar nicht verstehen, warum es ausgerechnet ihren tollen Marc erwischt hat.“
„Vielleicht war er nur zufällig ausgewählt worden oder aber er wusste mehr als wir.“ Ich öff-ne die Verpackung meines Plätzchens und esse es. „Nein, dass glaube ich nicht - als wenn Marc so schlau gewesen wäre. Vera hat das auch schon gemeint, aber sie sah ja immer nur die guten Seiten an ihrem Freund.“
Ihr war es doch sowieso egal, wie Marcs Charakter wirklich war. Hauptsache, er bewunderte sie! Aber das hat er ja nicht, was ihr ja dann auch merklich nicht gepasst hat.
„Aber so viele von denen hatte er ja nun echt nicht!“, Annabelle dreht verführerisch eine Haarsträhne um ihren Finger. „Meiner Meinung nach passten die beiden ja nun echt nicht zusammen."
Das ist wohl Ansichtssache, irgendwie hatten sich da zwei gefunden. So langsam habe ich genug von Annabelles dummen Sprüchen und aufreizenden Gesten. Da sehe ich mir lieber ein bisschen die wunderschönen, alten Häuser dieser Stadt an.
„Sag mal Billy, bin ich dir zu uninteressant oder warum schaust du so gelangweilt?“, fragt Annabelle mit ihrer patzigen Art und erschreckt mich so, dass ich mich fast an den Krümeln meines Plätzchens verschlucke.
„Nein, ganz und gar nicht. Ich hatte nur noch mal darüber nachgedacht, wer wohl der Mörder sein könnte.“ Ich bin nahe davor einen endlos langen und von Tränen begleiteten Hustenanfall zu bekommen. „Wer weiß vielleicht war es ja Vera selbst, weil sie es nicht ertragen konnte, dass sich ihr eigener Freund mehr für mich als für sie begeisterte.“, prahlt Annabelle selbstge-fällig.
Also jetzt übertreibt sie echt. Ihre Wettstreite mit Franziska um die Gunst der Jungs ist schon extrem in den letzten zwei Tagen. Mal überlegen. Charlotte war vor allem beliebt, weil sie so einfach war, keine Allüren und keine Szenen und Marc war in festen Händen gewesen. Haben diese Umstände etwas miteinander zu tun?
„Billy, jetzt hör doch mal zu. Du träumst ja auch wohl in der Gegend herum, Marc, dieser Nichtsnutz war doch eh zu nichts zu gebrauchen. Sieht der Typ da hinten nun gut aus, oder nicht?!“, Annabelle hat mich mal wieder gestört, anscheinend ihre Lieblingsbeschäftigung. Wie schön, so unbeschwert in sich selbst verliebt sein zu können. Aber irgendwie grenzt das schon an gnadenloser Arroganz und Ignoranz.
„Nun komm schon, du graues Mäuschen.“, sie gewährt nun herzlichste Einblicke in ihren Ausschnitt. Die Jungs vom Nebentisch schauen die ganze Zeit schon auffällig unauffällig her-über. Das ist schon bemitleidenswert und das Getue Annabelle ebenfalls.
Interessant wird’s nur, wenn Franziska dabei ist und die beiden um die Aufmerksamkeit von Jonas buhlen. Aber der müsste mal daran denken, dass Charlotte sich dann vor allem nicht wohl fühlt wenn er in genau so einer Situation ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Denn die verärgerten aber neidvollen Blicke der beiden würde ich jedenfalls nicht lange aus-halten.
Die vier Typen vom Nachbartisch bezahlen und verlassen das Café. Annabelles Haltung än-dert sich und ihr strahlendes Lächeln wird wieder zu einem alltäglichen Grinsen.
Kaum sind keine Typen in der Nähe, kann sie ganz normal und sympathisch sein. Jedenfalls, wenn sie Niemandem imponieren will.
Beim Anblick der Kirche, die neben dem Café liegt, fällt mir sofort eine mir gut bekannte Person auf. Es ist Enrico, der süßeste und netteste Typ, den ich jemals kennen lernen durfte.
„Hey Billy, sieh mal wer da kommt! Das ist doch Ricky!“, ruft Annabelle begeistert.
Mist, Annabelle hat ihn auch schon gesehen und sie setzt sofort wieder ihr unwiderstehliches Lächeln auf, wobei sie wieder ihre Oberweite mit in Szene setzt.
„Hoppla, hallo hübsche Frau!“, bei diesen Worten sieht Enrico Annabelle sehnsuchtsvoll an, diese genießt sichtlich seinen Blick. „Hi, Billy.“, er nickt mir zu und, na ja, das war es ja auch schon. Annabelle hat seine volle Beachtung. Ich weiß einfach nicht was er an ihr findet und außerdem kann er sie doch eh nur beim Shoppen begleiten oder sie beim Stylen beobachten. Was also findet er an ihr? Und was hat sie, was ich nicht habe? Ist es ihre Arroganz oder die Art wie sie alle Typen versucht um den Finger zu wickeln? Ich jedenfalls kann die Typen in Punkto Annabelle nicht verstehen. Wie sie ihn ansieht. Ekelhaft! Mir reicht es, ich kann das nicht mehr ertragen! Ich werde mich jetzt schleunigst vom Acker machen und das flirtende Paar alleine lassen! Ich stehe auf, was keiner von beiden bemerkt.
„Ciao Annabelle, ciao Enrico, ich werde mal weiter gehen und gucken was die anderen so treiben! Wir sehen uns dann bei „Carmina Burana“!“, keine Reaktion. Etwas gekränkt und enttäuscht verlasse ich das Café und gehe in Richtung Bushaltestelle zurück.


Kapitel 15

Es ist 19 Uhr und wir sind auf dem Weg zu einer Aufführung der „Carmina Burana“, einer Mischung aus theatralischem Tanz und musikalischer Operette, mein einziger Lichtschimmer auf dieser antikulturellen Kursfahrt. Ich sitze im Bus, was bei der Anzahl an Menschen, die diesen belagern, kein einfaches Unternehmen ist. Diese Nähe und das Gedränge der Men-schen engen mich ein und nehmen mir die Luft zum Atmen. Die Scheiben beschlagen, durch die hohe Luftfeuchtigkeit, die sich bei einer solchen Menschenmasse zwangsläufig entwickelt und doch sehe ich oder viel mehr spüre ich, wie der Bus sich nur mit großer Mühe und Not die steilen Anstiege hinaufwindet. Ein Rütteln und Rattern durchfährt meinen Körper und ein letzter Ruck beendet den abenteuerlichen Aufstieg abrupt. Ich steige aus und freue mich end-lich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und die frische Luft der Berge einatmen zu können. Hysterisch stürmen alle anderen auf eine Plattform zu, um den idyllischen Aus-blick auf das abendliche Heidelberg genießen zu können. Vom Strom der Masse mitgezogen treibt es auch mich auf diese Plattform und ich schaue nach unten. Vor mir entstreckt sich eine Landschaft, von der die anderen ihre Blicke nicht abwenden können. Ein Meer aus Lich-tern und Farben, doch ich sehe nichts als diesen ewig fortfließenden Necker, dessen Ruhe und Ausgeglichenheit durch das andauernde Motorengeräusch der Fahrzeuge, jugendlicher und bequemer Möchtegernfahrer, gestört wird. Auch die eigentliche schöne Landschaft wird durch die hektische , großstadttypische Atmosphäre getrübt und weist für mich keine Anzei-chen mehr von Idylle auf. Hier oben aber scheint die Idylle fast perfekt, weder getrübt durch pubertierende Raser, noch durch hektisch herumirrende Großstadtjunkeys.
Immer mehr Kulturinteressierte strömen Richtung Eingang der Burg, um in Anbetracht der fortschreitenden Zeit ihre Sitzplätze einzunehmen. Wir begeben uns ebenfalls in Richtung Eingang. Nachdem die Eintrittskarten abgerissen wurden, wird uns zusätzlich noch ein Sitz-kissen mit auf den Weg gegeben, um uns die harten und kalten Stühle angenehmer erscheinen zu lassen. Weiter auf dem Weg Richtung Innenhof der Burg, erfasst mich immer mehr die mittelalterliche Stimmung. Wo ich nur hinschaue, bin ich umgeben von alten Gemäuern, die bis hoch in den Himmel ragen und das Gefühl ins Mittelalter versetzt zu werden , noch un-terstreichen. Den größten Teil des Innenhofes nehmen die dort platzierten Stühle ein, die in Reihen hintereinander aufgestellt sind. Verteilt auf zwei Reihen setzen wir uns voller Vor-freude ins Publikum. Unser Blick wird geradeaus auf die große und weitreichende Bühne und das scheinbar versteckte Orchester gelenkt. Neben mir nehme ich die schnatternde Stimme von Annabelle wahr und drehe mich kurz zu ihr hin. Ich kriege nur Wortfetzen von ihrer Un-terhaltung mit Vera mit, doch diese reichen aus, um zu wissen worüber sie sich unterhalten, was nicht schwer ist, da sie eh nur über Klamotten, Jungs und Make-up reden. Wie lange sie für den heutigen Abend wieder vorm Spiegel gestanden haben, will ich gar nicht erst wissen und wende mich wieder der Bühne zu. Doch mein freier Blick auf die Bühne und das Orches-ter, was mich besonders interessierte, wird von einem blonden Kopf verdeckt. Es ist Philipp. Typisch Philipp, Hauptsache er hat freie Sicht. Wer sonst konnte die Dreistigkeit besitzen, sich absichtlich direkt vor mich zu setzten. Was will man auch schon erwarten, von einem, dessen Leben sich nur um Autos, Geld und seine Franziska dreht. Im Gegensatz zu ihm gibt es auch Menschen, die sich alles im Leben hart erkämpfen müssen und nicht alles hinterher-geschmissen bekommen wie er. Und dann verhält er sich auch noch so respektlos und arro-gant denen gegenüber, die nicht so viel Glück haben. Er glaubt, mit Geld könne er alles errei-chen und selbst den sonst fairen Sport könne er bestechen und anderen den Sieg nehmen, die sie sich hart erkämpft haben. Ich werde plötzlich durch schräge, quietschende Töne einer Vio-line aus meinen Gedanken gerissen, denen weitere Instrumente aus dem Orchester folgen, die damit ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen und den baldigen Beginn des Stücks ankündigen. Um mich herum wird es langsam. Die Reihen sind so gut wie gefüllt und auch der Abend scheint allmählich einzubrechen. Es wird still. Von fern vernehme ich ein dumpfes Grollen, dass die ruhige und dennoch dramatische Stimmung des Stückes vortrefflich zur Geltung bringt. Ich mache mir nichts daraus und lausche dem nun anbrechenden Gesang der Mönche, die von hinten, an uns vorbei Richtung Bühne laufen und dabei singen: „O Fortuna, velut lu-na, statu variabilis, semper crescis aut decrescis“ Gebannt verfolge ich die Mönche, die fast völlig verhüllt Richtung Bühne laufen. Ein Donner durchzuckt den Himmel und ein Blitz lässt mich heftig aufschrecken. Der dunkle Himmel wird mir unheimlich! Ich schaue nach oben und sehe, wie sich immer dunklere Wolken auftürmen und den gesamten Raum über uns ein-nehmen. Mir wird kalt, ich beginne zu zittern. Die hohen Stimmen der Sänger, das laute Grol-len oben am Himmel, alles verängstigt mich. Auch neben mir ist es still geworden, nur Phi-lipp lacht vor mir und macht sich über die Mönche in ihren Kutten lustig und ahmt ihren Ge-sang nach. Ich versuche mich auf das Stück zu konzentrieren: „Fortune plango vulnera, stil-lantibus ocellis, quod sua mihi munera subtrahit rebellis.“ Die Worte strömen durch meinen Körper. Die tiefe Stimme eines Mönchs berührt mich besonders und ich bin völlig vertieft in den Gesang und das Spiel des wundervollen Orchesters. Wieder ein Blitz, es donnert und ich verschränke schützend die Arme vor meinem Körper. Gänsehaut breitet sich auf meinen nack-ten Armen aus und ich suche nach meiner schützenden Jacke, die hinter mir über meinem Stuhl hängt. Die Mönche singen unbeirrt weiter. Es grollt und das Grollen übertönt beinahe ihren Gesang. Ich nehme nur noch Wortfetzen ihrer Stimmen wahr und alles verdunkelt sich um mich herum. „Ecce gratum et optatum“. Mich schüttelt es und ein Schauer läuft mir über den Rücken, gebannt blicke ich nach vorne und die Mönchen bauen sich gerade zu einem Kreis auf und singen weiter: „gloriantur et letantur in melle dulcedinis“ Dann geht es los. Das Schauspiel verdichtet sich auf eine junge Frau, die beginnt ihren Tanz auf der Bühne aufzu-führen. Ihre Anmut und ihre Eleganz begeistern mich. Franziskas Schönheit ist nichts im Ge-gensatz zu ihrer Eleganz. Philipp dreht sich in dem Augenblick zu ihr um und flüstert ihr et-was ins Ohr. Kann er nicht still sitzen bleiben? Gerade hatte ich eine Position gefunden, in der er meine Sicht nicht mehr beeinflusste und nun ging es von vorne los. Ich kann schließlich auch nichts dafür, dass ihn so etwas nicht interessiert, aber man sollte meinen, dass er Ver-ständnis für die zeigen sollte, die Interesse an dem Schauspiel haben und ich blicke ihn forsch an, was ihn aber noch lange nicht dazu bewegt sich wieder zurück zu setzen. Die Mönche singen unaufhaltsam weiter „Floret silva nobilis floribus et foliis.“ Ein heftiges Donnern er-tönt und lässt auch Philipp merklich zusammenzucken, sogleich starrt er gebannt in den Himmel.
Dann der Blitz. Es wird mit einem Mal ganz hell und man sieht deutlich die zackigen Spuren am Himmel leuchten. Der Gesang der Mönche wurde vom lauten Geräusch des Donners über-tönt. Ich zittere heftiger und bemerke Tropfen, die langsam vom Himmel auf mich herunter rieseln und zunehmend stärker werden und sich zu bindfadenartigen Regengüssen entwickeln. Gebannt und vom Regen erst einmal nicht gestört bleibe ich sitzen und warte die Reaktion der Sänger ab. Zu meiner Erleichterung hören sie nicht auf, obwohl von ihrem Gesang nur Bruchstücke zu uns herüberhallen. Der Regen wird stärker und Hagelkörner prallen mit gro-ßer Wucht auf die Erde. Mit einem Mal hören die Mönche auf zu Singen und strömen unter das schützende Dach. Die ersten Zuschauer springen von ihren Stühlen auf und rennen unter ein nicht weit entferntes Dach, das bald schon überfüllt ist. Auch ich springe auf, immer noch gebannt mit dem Blick nach vorne. Philipp sitzt noch vor mir. Hagelkörner prasseln immer heftiger auf meine Schläfen, treffen auf meinen Kopf und meine Schultern. Ich will losrennen, mit den anderen unter das schützende Dach, doch Philipp, der auf einmal aufspringt, wirft seinen Stuhl um und der trifft mich hart am Knie. Ich schreie kurz auf. Philipp sieht mich an und hebt den Stuhl auf. Ich renne los, wenn man das noch rennen nennen kann. Es gießt, die Hagelkörner treffen hart auf dem Boden auf und dieser wird weich und nass. Es ist rutschig. Philipp rennt mir nach. Ich laufe weiter, bis ich unter einen Baum gelange, den noch keiner wahrgenommen hat, weil er etwas abseits des Geschehens steht, außerhalb der Gemäuer und der Menschenmasse, direkt neben eines der großen Eingangstore. Alle sind unter das sowieso schon überfüllte Dach gerannt. Nur Phillip ist mir gefolgt. Völlig außer Atem erreicht er mich unter dem Baum und streicht sich erschöpft die nassen Haare aus dem Gesicht. Ich fasse an mein Knie und lehne mich mit dem Rücken an den schützenden Baumstamm. Es schmerzt. Er hätte sich entschuldigen können, nein spätestens jetzt hätte er es tun müssen, aber auch jetzt, weit weg von allen anderen, reicht seine Arroganz so weit aus, mich nicht zu beachten. Er ignoriert mich und ist mit seiner Frisur beschäftigt. Ich sehe mich ein wenig um. Es regnet und hagelt weiter in Strömen. Der Boden wird immer nasser. Ich drehe mich um, laufe einen Meter weiter, auf die andere Seite des großen Baumes. Doch ich muss aufpassen, es ist rut-schig und es geht steil hinunter. Ich laufe noch ein Stück weiter und merke, wie es langsam aufhört zu regnen und der Himmel von Osten her wieder aufhellt. Jetzt ist die Gelegenheit da, denke ich mir. „Philipp komm mal schnell, hilf mir!“ rufe ich als wäre ich völlig in Panik. Und Philipp, mich endlich beachtend, rennt zu mir hin, doch er rennt schnell, zu schnell? Nein. Er rutscht…
Der Regen schien sich so langsam zu legen. Ich laufe los, zu dem Dach, unter dem die ande-ren versammelt sind und darauf warten, wie es wohl weiter gehen würde. Als ich näher kom-me fragt Franziska mich aufgeregt, „Hast du Philipp gesehen?“ Ich schüttele den Kopf und stelle mich zu den anderen, weit weg von Franziska. Das Stück wird nicht weiter aufgeführt und alle sind in Unruhe und suchen Philipp, der bei dem Nachzählen unseres Lehrers gefehlt hatte. Ich lächele vor mich hin. Einerseits traurig das Stück nicht zuende gehört zu haben, aber andererseits froh über den plötzlichen Regenguss, der mir eine weitere Chance ermög-licht hat.


Kapitel 16

Es ist nicht zu fassen, der Mörder hat das Chaos bei der Oper Camina Burana ausgenutzt um einen erneuten Mord auszuüben. Heute hat es Philipp getroffen.
Nichts ahnend wollten wir an diesem Abend ein bisschen Kultur erleben. Wir waren alle be-unruhigt. Also hofften wir, bei der Oper etwas abschalten zu können. Unser ganzes Umfeld verdunkelte sich jedoch und nur noch Blitze erhellten den Himmel. Die Wolken verdichteten sich immer weiter und zu dem eindrucksvollen aber beängstigenden Lichterschauspiel dröhn-te Donner über unseren Köpfen. Eng, in drei Reihen gequetscht, saßen wir mit gespannten Blicken auf die Bühne gerichtet da. Anspannung machte sich breit. Alle saßen da, förmlich wartend auf den ersten Tropfen. Immer wieder drang Stimmengewirr an mein Ohr, einige Reihen vor uns wurde heftig über die Wochenplanung diskutiert. Das nächste Event zu pla-nen, wo der Mörder schon wieder sein nächstes Opfer sucht. Vom möglichen Schauer unbe-eindruckt, begann nun der Auftritt.
Das eindrucksvolle Auftreten der blass geschminkten Darsteller fesselte uns von Anfang an. Es schien so, als wäre die ganze Inszenierung auf dieses Wetter abgestimmt gewesen. Die dramatische Musik wurde von Donnern begleitet, als gehörte es dazu. Die kunstvollen Bewe-gungen der Akteure, die nach dem ersten Satz einsetzten, schienen aus dem ungeheurem Wet-ter heraus entstanden zu sein. Aber selbst die eindrucksvolle Musik konnte uns nicht ablen-ken. Jede Sekunde, in der ich unaufmerksam war, konnte die ideale Möglichkeit für den Mör-der sein. Ich war angespannt und aufmerksam.

Nach 20 Minuten der Ungewissheit stürzten von jetzt auf gleich unfassbare Wassermassen herab. Viele suchten verwirrt unter den Gebäudewölbungen des alten Schlosses Zuflucht. Vie-le von uns, aber auch etliche der anderen Gäste, drängten sich unter einen der wenigen Vor-bauten. Es war ein bedrängendes Gefühl. Die Ereignisse der vergangenen Tage, die Morde an Marc und Charlotte, hatten die Stimmung schon genug getrübt. Jeder fragte sich, ob der Mör-der auch diese Situation ausnützen würde. Das Wetter erzeugte ein ideales Chaos. Die schein-bar besten Bedingungen für einen weiteren Mord.

Gerade wir jungen Leute quetschten uns in die hinterste Ecke oder schlossen einen Kreis um den alten Brunnen, der die Mitte unseres Regenschutzes bildete. Wir mussten uns eng zu-sammenstellen. Obwohl gerade dies eine gelungene Konstellation war.
Plötzlich konnten wir nur undeutlich eine weit entfernte Lautsprecherstimme wahrnehmen, verständlich war jedoch kein einziges Wort, da die Durchsage vom aufgeregten Stimmenge-wirr übertönt wurde.
Hektisch schauten wir uns um und löcherten uns gegenseitig mit fragenden Blicken, bis wir endlich von unserem etwas nass gewordenen Lehrer aufgeklärt wurden, der ebenfalls zuvor die Nachricht erhalten hatte, dass das Stück ins Wasser fällt. Daraufhin sammelte man die Eintrittskarten ein, um eine Rückerstattung des Geldes zu bekommen. Als es dann beinahe trocken war, trotteten wir geschlossen zu unserem Lehrer, der bereits auf uns wartete. Endlich konnten wir diese beklemmende Enge verlassen. Es war gerade zu befreiend, aus dem Unter-schlupf hervor zutreten.
Vollzählig versammelt, machten wir uns auf den Weg, unseren Bus zu erreichen.

Dann jedoch stand ich für einen Moment geschockt da. Unfähig zu verstehen, was sich so eben ereignet hatte. Ich sah, wie die anderen an mir vorbeigingen, dabei streiften sie mehr-mals meine Schulter. Johanna schaute mich an, sie sah auch schockiert aus. Schon unsere Bli-cke genügten um zu zeigen, wie entsetzt und erschüttert wir waren. Jeder vom Kurs wusste Bescheid, erneut ist jemand umgebracht worden: Philipp.

Ich weiß nicht genau, von wem ich es erfahren habe. Aber scheinbar hatte es keiner bemerkt. Hätte mich Michael nicht mit in den Bus gezogen, würde ich vermutlich immer noch dort stehen. Ich war unfähig zu reagieren, im meinem Inneren gab es nur noch diese eine erschüt-ternde Nachricht. Seit sie mich erreichte, kann ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es ist einfach alles zu viel für mich in letzter Zeit. Nicht nur, dass schon drei meiner Mitschüler hinterlistig ermordet worden sind. Jetzt hat es auch Philipp getroffen. Das bedeutet, dass ich zu den Verdächtigen gezählt werde. Diese Anspannung bringt mich zur Verzweiflung. Oft genug sind wir beide aneinander geraten, ich mochte seine arrogante Art nicht. Er glaubte , dass sich alles mit Geld regeln lässt. Und es ist tatsächlich so, alles, aber auch alles fällt ihm immer in den Schoss. Er hatte das dickste Auto, die coolsten Klamotten und die hübschesten Mädchen. Mein Neid auf ihn könnte gegen mich als Motiv verwendet werden.

Die Clique fängt an zu bröckeln, weil das Misstrauen gewachsen ist und wir einander nicht mehr trauen. Max redet nicht mehr mit mir und Kevin zieht sich immer weiter zurück. Er macht sich Vorwürfe den Mord nicht verhindert zu haben. Er hat sich total in diese „Jagd“ hineingesteigert. Für ihn ist es wie ein Wettstreit oder ein Messen zwischen dem Mörder und ihm.
Jeder geht nun mal anders mit diesem Schicksal um, aber sicher ist doch, dass wir alle sehr betroffen sind. Wie soll das alles weiter gehen?
Ich weiß es nicht!

Na ja, auch wenn es ein paar harte Tage werden, ich werde das Beste daraus machen, und versuchen mich nicht verdächtig zu verhalten. Hoffentlich klärt sich bald alles auf. Ich werde dann mal probieren zu schlafen.


Kapitel 17

Ich habe versagt!
Alle meine Bemühungen den Mörder zu fangen sind bisher gescheitert. Und schließlich trifft es meinem Kumpel Philipp. Dabei habe ich ihm doch gesagt, dass dieser Mörder mal sein Problem werden kann. Aber er hatte ja seine eigenen.
Dafür liege ich jetzt im Bett und jeder einzelne Ton dieses Glockenspiels hämmert sich mir in meinen Schädel. Warum müssen die damit auch so früh beginnen?
Ich bin wegen der ganzen Grübelei schon schlecht in den Schlaf gekommen, durch den Stress der letzten Tage gleich mehrmals aufgewacht und jetzt auch noch das. Ich fühl mich elendig müde und doch kann ich nicht einschlafen.
All meine Gedanken drehen sich nur um dieses eine Problem. Erst wenn ich es gelöst habe, kann ich wieder ruhig schlafen, vorher nicht.
Darum mal scharf nachdenken. Heute ist der letzte Tag unseres Aufenthalts in Heidelberg. Morgen früh geht es gleich nach dem Frühstück nach Hause. Der Mörder könnte es eventuell noch einmal in Heidelberg versuchen. Aber wann und wo könnte er zuschlagen und ganz be-sonders wen könnte es treffen?
Vielleicht will es die betreffende Person noch mal bei mir versuchen. Dann allerdings glaube ich das es eine „Sie“ ist. Zumindest wenn mein Eindruck mich nicht täuscht. Ich muss also vorsichtig sein und sie im Auge behalten, Denn sehr viele kommen eigentlich nicht mehr in Frage. Die meisten haben für eine der anderen Taten ein Alibi. Entweder waren sie mit je-manden zusammen oder zu weit weg.
Falls die Täterin nach dem selbem Schema wie an den anderen Tagen vorgeht, also ein Mord pro Tag, dann wäre die beste Gelegenheit heute Abend beim Grillen. Es dürfte überhaupt nicht auffallen, wenn jemand für ein paar Augenblicke verschwindet.
Heute Abend lege ich mich auf die Lauer und halte die letzten paar Verdächtigen und meine Hauptverdächtige besonders scharf im Auge.
Ich bin schon zuversichtlich das sich das Blatt noch wenden wird. Nur bin ich nicht sehr zu-versichtlich, dass ich noch mal in den Schlaf finden werde.


Kapitel 18

Oh, nein, das darf doch nicht wahr sein! Es ist doch erst sechs. Warum muss die Herberge auch genau neben einer Kirche sein? Die wird doch eh gerade umgebaut. Warum können die dann die Glocken nicht ausstellen? Ich muss doch erst um sieben raus. Was soll ich denn so früh im Bad. Ich will auch nicht als Erstes in der Küche sein und Kochdienst habe ich auch noch. Das sind ja gute Aussichten. Nun kann ich sowieso nicht mehr einschlafen.

Irgendwie scheint mich das Pech zu verfolgen, gestern Abend fing es schon an, als es bei „Carmina Burana“ plötzlich in Strömen regnete. Die ganze Oper fiel sprichwörtlich ins Was-ser. Hoffentlich habe ich mich nicht erkältet, denn ich war wirklich pitsch nass. Oh, du ver-dammte Turmglocke, jetzt gib doch endlich Ruhe, das hält ja kein Mensch aus. Eigentlich hatte ich eh keine Lust auf die Oper denn wer geht schon gerne in eine alte Schlossruine und setzt sich dort neben lauter steife, hochnäsige Heidelberger, die denken ihre Stadt hat Kultur? Sehen konnte ich auch nicht viel, weil dieser bekloppte Sebastian sich genau vor meine Nase gesetzt hat. Der ist sowieso für alles eine Nummer zu groß. Kein Wunder, dass keiner etwas mit ihm zu tun haben will. Neben dem wirkt man gleich dreißig Zentimeter kleiner als man so schon ist.

Was soll das, haben sich nun auch noch die Elemente der Natur gegen mich verschworen? Die Sonne scheint mir durch die Gardine direkt ins Gesicht. Zumindest scheint das Wetter also heute gut zu werden. Irgendwann muss es sich ja schließlich mal ausgeregnet haben.

Aber will ich heute überhaupt Sonne? Steht nicht auf dem Plan, dass nur Arbeit ansteht? Da sitzt man sowieso nur vorm Computer im Haus. Also bringt die ganze Sonne gar nichts. Und heute Abend soll auch noch gegrillt werden. Ich hasse diese Treffen, wo man so tut als wäre man eine große Klassengemeinschaft. Fleisch ist mir eh zu fettig und wenn ich Küchendienst habe, müssen wir bestimmt alles sauber machen. Außerdem lassen sich manche sicher wieder zulaufen, sitzen dann dort bis spät oder besser bis früh in den Morgen und brüllen rum, sodass man nicht schlafen kann. Am nächsten Morgen sind die außerdem zu nichts zu gebrauchen. Bei solchen Leuten findet sich auch immer Sebastian, der dann seinen Familienstress ertrinkt. Und die Lehrer ziehen sich immer früh aus der Verantwortung und sagen, sie seien ja so müde und erschöpft. Die verschwinden dann schnell ins Bett, damit sie nicht als Spaßverderber gel-ten wenn sie nebenbei erwähnen, an die empfindlichen Nachbarn zu denken.

Das kann doch nicht sein, dass die anderen noch schlafen, haben die die Glocken denn gar nicht gehört? An die ist wohl nicht heran zukommen, auch nicht mit einem viertelstündigen Glockenkonzert. Zumindest ist das jetzt endlich zuende, nun stört nur noch die grelle Sonne. Ich dreh mich mal um, vielleicht ist es dann besser. Na ja, viel hilft das auch nicht, aber besser als vorher ist es schon.

Was sind das denn für Geräusche auf dem Flur, wer steht denn jetzt schon auf? Es ist doch höchstens halb sieben und muss der dabei so laut sein, dass ihn alle hören. Jeder Schritt ist wie ein Hammerschlag. Das kann doch bestimmt nur dieser Sebastian sein. Der ist ja so rie-sig, dass bei jedem Schritt gleich das ganze Haus bebt. Dieser rücksichtslose Rüpel. Mit dem ist auch nichts anzufangen. Der hat doch nur Deutsch-LK gewählt, weil er dacht, dass es ein „Laberfach“ sei, wo er nichts zu lernen braucht. Auf einem Gymnasium hat der so wieso nichts verloren. Die Bücher, die wir bisher besprochen haben, hat der doch bestimmt nicht gelesen. Im Internet gibt es doch immer genug Infomaterial. Die Arbeit überlässt er auch im-mer den anderen. Wenn sich überhaupt jemand findet, der mit dem zusammenarbeitet. So unkooperativ wie der ist. Wenn wir in der Stadt sind, interessiert der sich auch für nichts. Man, kann der nicht leiser duschen? Da weckt der ja den ganzen Kurs auf. Wer braucht den eigentlich noch? Das lässt sich aber ändern.

Dieser Morgen ist ja der reinste Alptraum. Was kommt als nächstes. Wenn das so weiter geht, bin ich die ganze Zeit schlecht gelaunt, unausgeschlafen und gereizt. Wohl möglich ist gleich das ganze Jungenzimmer im Bad und man kann noch nicht mal in Ruhe duschen. Jetzt kommt der Idiot zurück.

Und wie nicht anderes zu erwarten. Es ist sieben Uhr und das Glockenkonzert fängt von Vor-ne an. Na ja, nun ist es auch egal. Ich muss jetzt eh aufstehen. Die anderen geben endlich Lau-te von sich. Also bin ich nicht die Einzige, die nicht so tief schläft. Auf raus aus den Federn. Sonst ist das Bad gleich wirklich besetzt.


Kapitel 19

Es ist soweit. Den ganzen Tag habe ich meine „Verdächtigen“ so gut es eben ging im Auge behalten, damit nicht vielleicht meine Schlussfolgerung vom frühen Morgen falsch war und ein weiterer Mord doch nicht am Abend stattfindet. Alle haben sich zwar etwas seltsam und schon fast verdächtig verhalten, aber das ist fast normal geworden. Die Stimmung ist nur leicht gedrückt. Alle versuchen Gelassenheit und Ruhe auszustrahlen, damit diese Fahrt noch zu einem annähernd harmonischen Schluss geführt werden kann.
„Hilf mir mal mit Tragen, Kevin.“, spricht mich Enrico von hinten an. „Diese Bank muss noch in den Garten.“
„Kein Problem, warte eine Sekunde.“, antworte ich. Gemeinsam tragen wir die einfache Bank, wie sie wohl bei fast jeder Feier benutzt wird, die Treppe hinauf, durch die Küche, in den Garten. Dort stehen bereits fünf weitere um drei passende Tische herum. Die Tische sel-ber sind einfach irgendwo in den Garten gestellt worden.
Die meisten Plätze sind schon besetzt, nur Franziska, Johanna und Ann-Sofie sitzen auf den Steinbänken und rauchen. Beziehungsweise stören sich am Rauchen.
Ich setzte mich zu meinen Kumpels an den Tisch. Dabei achte ich natürlich darauf, einen möglichst guten Überblick über die ganze Szenerie zu bekommen.
Es ist nur wenig los. Die einzelnen Gruppen haben sich an den Tischen zusammengesetzt und bleiben größtenteils unter sich.
An unserem Tisch geht auch nicht gerade die Post ab. Die Gespräche drehen sich eigentlich nur um Nebensächlichkeiten, die mich persönlich weniger interessieren. In meiner Langewei-le beginne ich mir die Gesichter der einzelnen Kursmitglieder genauer anzuschauen. Da wäre zum einen Sebastian. Der schaut mit gequältem Interesse ab und zu in das Gesicht seines Ge-genüber Jürgen. Um so länger schaut er dafür in der Gegend herum. Jürgen textet ihn wohl gerade mit etwas zu, was ihn nicht wirklich interessiert. Dafür scheint Jürgen seinen Spaß daran zu haben Sebastian was zu erzählen. Ich kann zwar sein Gesicht nicht erkennen weil er mit dem Rücken zu mir sitzt, aber er fuchtelt nur mit den Händen vor sich rum, als ob er was wichtiges erkläre.
Was bei Franziska und Ann-Sofie abläuft, ist auch nicht schwer zu erraten. Franziska gibt ihr wohl wieder Mode- und Frisurtipps. Das reime ich mir zumindest daraus zusammen, dass Franziska immer wieder auf die Sachen von Ann-Sofie deutet und an ihrer Frisur rumzupft. Das scheint ihr nur nicht so gut zu gefallen. Es sieht so aus als ob die beiden eine hitzige klei-ne Diskussion führen würden.
Das ganze ist aber ebenfalls nicht lange geeignet meine Langeweile zu vertreiben. Also wen-de ich mich dem nächsten Gesicht zu. Johanna schaut genauso gelangweilt durch die Gegend wie ich. Dann treffen sich unsere Blicke. Sofort weiß sie, was mein gelangweilter Ge-sichtsausdruck und meine Körperhaltung zu bedeuten haben und beginnt süffisant zu lächeln. Unwillkürlich fange ich auch an spöttisch zu lächeln.
Plötzlich reißt mich Max aus meiner Apathie. „Was grinst du denn hier Löcher in die Luft?“ „Heißt das nicht „Löcher in die Luft starren“, anstatt zu „grinsen“?“, antworte ich.
„Stimmt, aber ich habe beides kombiniert. Hört sich doch viel besser und besonders viel lusti-ger an.“
Die nächsten Unterhaltungen drehen sich darum, was im Abitur in Deutsch vorkommen kann oder was man nach dem Abitur macht, Bundeswehr oder Zivildienst.
Unvermittelt wird das Gespräch von einem Schmerzensschrei unterbrochen. Alle schauen erschrocken in Richtung der beiden Grills. Jonas steht dort und schüttelt seine Hand, begleitet von ein paar Flüchen. „Hab´ mich nur etwas verbrannt. Keine Panik. Alles in Ordnung.“, ruft er, dreht sich um und verschwindet schnell in die Küche um die Wunde zu kühlen.
„Ich seh´ mal eben nach was passiert ist.“, sagt einer von den Begleitlehrern, die mit an unse-rem Tisch sitzen.
Auch einige von den anderen sind aufgestanden und gehen Jonas hinterher.
„Wird schon nicht so schlimm sein.“, meint Dominik. „Denke ich auch.“, erwidere ich. Trotz-dem hat der mir einen ganz hübschen Schrecken verpasst. Ich dachte der Mörder hätte wieder zugeschlagen und ich wäre wieder keinen Schritt weitergekommen. Aber bisher ist sonst noch nicht viel passiert. Ab und zu gehen ein paar kurz ins Haus, nur meine Verdächtigen sind nicht darunter oder sie sind alleine unterwegs.
Falls mal doch ein Verdächtiger und ein mögliches Opfer gleichzeitig im Haus sind, gebe ich vor zur Toilette zu müssen oder sonst irgendwas drinnen erledigen zu müssen. Dann halte ich die Situation möglichst unauffällig im Auge.
So zieht sich der Abend langsam hin. Inzwischen ist es bereits halb zehn und eine Spur von Erschöpfung und Enttäuschung macht sich in mir breit.
Da sammelt sich eine kleine Gruppe von sechs Personen vorm Gartentor. Einer tritt heraus und geht auf unseren Tisch zu. Es ist Enrico. „Wir würden dann jetzt gerne noch in die Stadt gehen.“, sagt er zu den Lehrern. „Kein Problem.“, antwortet einer von beiden, „Viel Spaß.“
Verdammt, mit dieser Wendung habe ich überhaupt nicht gerechnet. Einfach so trennt sich die gesamte Gruppe und ich bin nicht mehr imstande die Übersicht zu behalten. Jetzt muss eine Entscheidung getroffen werden. Wo soll ich bleiben? Wo ist die Chance größer, dass der Mörder zuschlägt? Nach hitzigen und sekundenschnellen Denken treffe ich die Entscheidung hier zu bleiben. Immerhin sind die meisten vom Kurs noch hier. Es wird sich hoffentlich noch herausstellen, ob das nun die richtige Entscheidung war. Nur noch ein wenig Geduld bewei-sen.
Langsam beginnt es dunkel zu werden. Um kurz vor elf fällt mir auf, dass sowohl Sebastian, als auch Johanna verschwunden sind. „Weiß jemand von euch wo Johanna und Sebastian hin sind?“, frage ich halb leise und über den Tisch gebeugt in die Runde. „Keine Ahnung. Und was soll mich das schon groß interessieren wo die sind.“, meint Michael. „Hat denn wenigsten jemand einen Schimmer davon, wann die gegangen sind?“, hake ich nach. „Was geht dich das denn an?“, erwidert Max. Resignierend sage ich: „Hast ja recht. Das interessiert mich wirklich nicht.“ Dabei lehne ich mich zurück und starre auffällig in Richtung des Eingangs zur Küche. „Ich geh´ mal kurz auf Toilette“, behaupte ich, während ich aufstehe.
Beim Weggehen höre ich noch wie Dominik meint: „Der geht heute unnatürlich häufig auf die Toilette oder nicht.“ Das muss mir jetzt aber egal sein, denn die halten mich sowieso schon für verrückt wegen dieser ganzen Mörderjagd.
In der Küche gehe ich links in den Flur. Auf der kleinen Toilette ist niemand. Wo könnten sie also sein? Kurz entschlossen gehe ich langsam die Treppe runter in den Keller. Vielleicht wollte sich ja Sebastian was aus dem Kühlschrank im Partykeller holen.
Wie erwartet steht er unten vor der Strichliste für die Getränke mit einem Kugelschreiber in seiner Hand und sucht offensichtlich seinen Namen.
„Hey Sebastian, bist du tot?“, frage ich ihn. Er dreht sich um und antwortet: „Ja! Da seit ihr aber schnell drauf gekommen.“
Mehr brauche ich nicht zu wissen. Jetzt ist es glasklar wer die Mörderin ist. Ich drehe mich um und lasse Sebastian stehen. Von der Treppe vor der Küche sehe ich Johanna mit dem Rü-cken zu mir bei Charlotte sitzen. Langsam gehe ich die Stufen hinunter und den kurzen Weg zu dem Tisch an dem Johanna sitzt. Ich setze mich neben ihr und schaue sie an. Ihr Blick ver-rät mir schon das sie weiß was ich von ihr will.


Kapitel 20

Der Bus fährt nun schon seit einer knappen halben Stunde über die Autobahn Richtung Nor-den. Direkt nach dem Frühstück, dem Packen und dem Aufräumen sind wir losgefahren. Das Aufräumen ging schnell von statten, da jeder irgendeine Aufgabe zugeteilt bekommen hatte.
Der Bus war bereits am Abend zuvor gekommen. So konnten wir unsere Sachen früh einladen und abfahren.
Jetzt stehe ich im Gang neben dem Sitz von Johanna. Neben ihr sitzt Charlotte. „Das hat dir sicherlich einen teuflischen Spaß gemacht alle umzubringen? Hab´ ich Recht?“, frage ich sie. „Klar! Was denkst du denn? So eine Gelegenheit bekommt man nicht alle Tage.“, meint sie, „Nur schade, dass das Spiel bereits vorbei ist.“ Charlotte wendet ihren Blick von der vorbei-ziehenden Landschaft ab und schaut Johanna an. „Und warum war ich dein erstes Opfer?“ „Da war einfach die beste Gelegenheit zum Zuschlagen. Nimm´s nicht so schwer.“, antwortet Johanna mit einem leicht schelmischen Grinsen auf den Lippen.
„Was war mit den anderen Morden?“, hake ich nach. „Immer dasselbe. Hatten einfach Pech mir zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort über den Weg gelaufen zu sein. Wieso bist du eigentlich darauf gekommen, dass ich die Täterin gewesen bin? Da müssten doch noch genug andere mögliche Übertäter neben mir übrig geblieben sein.“
„So sehr viele waren es eigentlich nicht mehr. Aber das nur nebenbei. Auf deine Fährte bin ich gekommen, als du mich fast in Heidelberg erwischt hättest. Ich war gerade aus dieser Gas-se bei der Bibliothek raus und wieder bei meiner Clique, da drehe ich mich um und meine dich gesehen zu haben, wie du gerade um eine Ecke herum verschwindest.“
„Ich habe nicht versucht dich umzubringen. In Heidelberg war ich mit anderen Sachen be-schäftigt. Meistens zumindest.“, antwortet Johanna grinsend.
„Wie? Du warst echt nicht hinter mir her? Dann habe ich mir das alles nur eingebildet und das ich dich danach im Verdacht hatte war einfach nur Zufall. Verdammt!“
 



 
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