morgen grauen

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Perry

Mitglied
Hallo laudabilis,

da steckt einiges drin vom Morgengrauen bis zum Grauen am bzw. vor dem Morgen. Das Hahnenkrähen ist ja religiös belegt, durch den Verrat/die Verleugnung des Petrus.
Beides miteinander zu vermengen ist nicht gerade naheliegend, ich lese eine Art Angst vor der Zukunft heraus.
LG
Manfred
 

laudabilis

Mitglied
Hallo Manfred,

Zukunftsangst? Nöö, eigentlich nicht, obwohl ich diesen Interpretationsansatz durchaus interessant finde und eine Weile selbst drüber nachdenken musste.

Ich bin zwar bekennender Atheist, beschäftige mich aber intensiv mit den unterschiedlichsten Relgionen und religionsähnlichen Weltanschauungen. Hätte ich nach meinem Abi im zweiten Bildungsweg nicht noch fünf teils uralte Fremdsprachen lernen müssen, ich hätte durchaus gerne Vergleichende Relgionswissenschaften studiert.

Ich fand es einfach spannend, in einem Gedicht darüber nachzusinnen, dass sich einer der weltgrößten Relgionsgemeinschaften, nämlich die christliche, auf einen dreifachen Verrat begründet. Jedem aufrechten Christen, der sich das einmal ernsthaft vergegenwärtigt, muss doch das blanke Grauen ereilen.

In diesem Sinne
LG,
Eberhard
 

Perry

Mitglied
Hallo Eberhard,
für eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Verleugnungsgeschichte von Petrus ist der Text etwas dünn geraten.
Letzlich ist ja das Verzeihen von "Sünden" eine wichtige Eigenheit der katholischen Kirche, auch Saulus wurde bekanntlich zum Paulus.
LG
Manfred
 

Fleur de Sol

Mitglied
Hallo Eberhard :),

Ich lese das so:

Die Hähne verraten die erste Dämmerung, weil die Sonne durch das Erscheinen der Morgenröte die noch dunkle, frühe Stunde vertreibt, was durch die Marktschreier ankündigt wird ... ist ja ihr Job, abends haben sie frei.

Schick; mal 'nen Arbeitergedicht! :D

L.G. Fleur
 

laudabilis

Mitglied
Hallo Manfred,

eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Verleugnungsgeschichte kann ein Gedicht in seiner Ver-Dichtung gar nicht leisten. Hätte ich so etwas beabsichtigt, hätte ich einen Essay geschrieben.

Was ich aber noch ganz spannend finde - die Verleugnungs-/Verratsgeschichte findet in der heutigen Zeit ja gerade mal wieder eine Entsprechung. Der Verantwortungsträger im Vatikan müssen derzeit ja allmorgendlich die italienischen Zeitungen mit Grauen aufschlagen. Und wo bleibt da das Verzeihen? Der Kammerdiener des Papstes sitzt schon länger in vatikanischer Untersuchungshaft, und dennoch kommen weiterhin in schöner Regelmäßigkeit höchstintime Interna der Kurie in den italienischen Redaktionsstuben an ...

LG,
Eberhard
 

laudabilis

Mitglied
Übrigens, Manfred,

der Verrat/die Verleugnung ist nicht nur ein Problem der katholischen Kirche. Nach dem Fall Wittenbergs im 30jährigen Krieg war Magdeburg die Hochburg der Reformation. Die Stadt galt als uneinnehmbar. Es waren Verräter in den eigenen Reihen der Reformationsanhänger, die - übrigens wiederum im Morgengrauen - den Truppen Tillys ein Stadttor geöffnet haben und damit die Zerstörung Magdeburgs erst ermöglicht haben (vgl.: Wilhelm Raabe, Unseres Herrgotts Kanzlei). Weshalb die Stadt heute nicht mehr am, sondern vier Meter über dem Elbufer liegt. Sie wurde nämlich nach dem westfälischen Frieden auf ihren eigenen Trümmern wieder aufgebaut.

LG,
Eberhard
 

laudabilis

Mitglied
Kleiner Nachtrag:

Was ist es, was derzeit in Timbuktu stattfindet? Islamisten zerstören Heiligtümer des Islams. Ich will damit sagen, dass Verrat/Verleugnung bei weitem nicht nur mit der christlichen/katholischen Kirche zu tun hat. Das Ganze ist Religionen immanent.

Aber das sagt mein Gedicht wirklich nicht aus, wenn man es nur liest. Man muss es weiter denken.

LG,
Eberhard
 

laudabilis

Mitglied
Lb. Manfred,

noch ein weiterer Nachtrag.

Mein Gedicht kann und will gar nicht die katholische Religion angreifen. Fast alle Religionen der Welt sind auf Verleugnung, Verrat, Zerstörung aufgebaut (vgl. auch: Isis und Osiris in der ägyptischen Mythologie). Allein aus der altgriechischen Gaubenslehre könnte ich dir Beispiele dafür nur so hervorsprudeln. Die einzige religionsähnliche Weltanschauung, in der ich das alles bislang noch nicht vorgefunden habe, ist der Buddhismus.

Insofern versteht sich mein Gedicht nicht als grundsätzliche Kritik an Petrus und seiner dreimaligen Verleugung des Jesus von Nazareth, sondern universeller. Und deshalb finde ich mein Gedicht nicht zu dünn, sondern begreife es nach wie vor als Einladung zum Weiterdenken.

Hätte ich, wie von dir kritisiert, fundierter und differenzierter über den Petrus-Verrat schreiben wollen - es hätte ein Buch daraus werden müssen und kein Gedicht.

LG,
Eberhard
 

Perry

Mitglied
Hallo laudabiles,

entschuldige, dass ich nicht früher antworte, aber ich war 2 Tage
unterwegs.
Der Autor kann in seine Zeilen alles mögliche hineindenken, wichtig ist, was der Leser herausspüren kann.
Die erste Strophe ist ein reines Stimmungsbild und deshalb lediglich von allgemeinem Aussagegehalt.
In der zweiten Strophe sind es die Hähne die den Verrat begehen.
In der Literatur sind meines Wissens nur die Hähne, bzw. der symbolische Hahn in der Bibel so bekannt, dass er als Metapher wirken kann. Alle songtigen begangenen Verrate sind möglich aber nicht konkret zuordenbar.
Mit zu "dünn" meinte ich, dass außer der bekannten Erzählung, keine weiteren konkreten Denkanstöße erkennbar sind.
Jedenfalls beschäftigt dein Text den Leser und das ist ja auch schon was.
Ich habe meine Anmerkung weniger als Kritik, sondern als Anregung vielleicht noch etwas mehr in den Text einzubeziehen gemeint.
LG
Manfred
 

laudabilis

Mitglied
Hallo Manfred,

es kam bislang selten vor, dass mir hier ein Leser/Mitautor empfohlen hat, einen Text zu erweitern/ergänzen. In der Regel lauteten Empfehlungen eher dahin gehend, einen zur Diskussion gestellten Text zu kürzen, zu verdichten. Aber ich verspreche dir: Ich werde über deine so anders lautende Empfehlung/Anregung nachdenken - und wenn mir was einfällt, das auch aufschreiben.

LG,
Eberhard
 

anbas

Mitglied
Hallo Eberhard,

unabhängig von irgendwelchen religiösen Hintergedanken gefällt mir das Gedicht auch so. Aus meiner Sicht kann es bleiben wie es ist.

Liebe Grüße

Andreas
 

laudabilis

Mitglied
Danke, Andreas, für deinen Kommentar und deine Bewertung. Das Gedicht bleibt so wie ich es geschrieben habe.

So sorry, Manfred, ich habe versucht, deine Anregungen aufzugreifen. Aber es wäre nur Schwulst dabei herausgekommen. Deshalb habe ich es dann doch gelassen, auch schlicht und einfach deshalb, weil ich ganz unabhängig von tiefreligiösen Interpretationen dieses Gedicht im Grunde gut finde, so wie es ist.

Liebe Grüße euch beiden,
Eberhard
 

laudabilis

Mitglied
morgen grauen

fast gnädig deckt
dunkel die geburt
der intrige

der lug trügt
den menschen durch
zeit und durch sein

noch bleibt erste
dämmerung still
und verschwiegen

geduldig warten
die hähne
auf den verrat
 

laudabilis

Mitglied
@anbas
@Perry

Lb. Andreas,
Lb. Manfred,

jetzt habe ich es doch noch geändert/erweitert. Mir ist heute Nacht diese Version eingefallen, die ich für deutlich weniger schwülstig halte als all das, was ich nach dem Ratschlag von Perry zunächst zu Papier gebracht hatte.

Ich hoffe, das ich mit dieser Erweiterung das Gedicht von einer niemals gewollten Fixierung auf das Neue Testament ein wenig entkleidet habe.

Andererseits erscheint mir der dreifache Verrat/die dreifache Verleugnung des Petrus vor dem ersten Hahnenschrei als die stärkstmögliche Metapher auf das, was den Menschen seit seiner Bewusstwerdung ausmacht: Lug und Trug, Verrat, Intrige, Verleugnung.

Obwohl gerade diese Dinge in nahezu allen Religionen und religionsähnlichen Weltanschauungen als Todsünden gelten.

Von vornherein ging es mir beim Verfassen dieses Gedichts um diese verschlagenen Eigenheiten/-schaften des Menschen. Die dreifache Petrus-Verleugnung diente mir wirklich nur als Metapher. Um nicht wieder ins Biblische zu verfallen; sonst hätte ich jetzt "Gleichnis" geschrieben.

Wie gesagt: Ich interessiere mich und ich beschäftige mich viel mit den unterschiedlichsten Religionen. Aber ich bin und bleibe bekennender Atheist.

LG euch allen beiden,
Eberhard alias laudabilis

PS: Ich habe übrigens eine veritable Sammlung von noch richtigen Vinyl-Schallplatten, so an die 550 Stück dürften es schon sein. Vor ein paar Monaten bin ich in einem kleinen unscheinbaren Second-Hand-Laden auf eine echte Kostenbarkeit gestoßen, für die ich aber auch 70 Euro hinlegen sollte und das auch gern getan habe. "Jesus Christ Superstar" in der Original-Broadway-Version, Erstauflage. Ich finde, der Petrus-Verrat hat nirgendwo sonst eine so starke Interpretation erfahren, schon gar nicht in meinem Gedicht.

l.
 



 
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