Morgenspaziergang

GerRey

Mitglied
6:10 - 8:45, 23.03.2022

Der Morgen graute; es hatte minus ein Grad. Ich ging hinaus, um einige Bilder mit der neuen Kamera (Canon EOS 2000 E) zu machen. Vielleicht an den neuen Baustellen vorbei ? Aber dann lief ich doch am Fußballplatz entlang, bis zum Schloss und in den Ort hinein. Am Hauptplatz vorbei, die Verlängerung der Alten Straße, die über dem Friedhofsweg nur noch ein Feldweg ist, hinaus bis zur Brücke über die Autobahn, um ins Marchfeld hinein zu schauen, wo gerade die Sonne empor kam. Diese freie Landschaft der Äcker löst in mir ein zeitverlierendes Gefühl aus, weil die alte Zeit nicht so schnell von der neuen verdrängt wird. Der Wind und das Wetter sind die Hauptakteure in dieser Gegend. Und der Mensch, der mit Hilfe seiner Maschinen die Felder bestellt. Sonst ist da nichts. Die Stille war früher auch hier, aber seit sich die Autobahn durch den Ackerboden gegraben hat, ist hier das Rauschen des Motorenlärms eiliger Autos, das den Frieden stört - trotz Lärmschutzwände! Man muss also schon eine Weile hinauslaufen, unter Hochspannungsleitungen hindurch und an den riesigen Windrädern der Stromerzeugung vorbei, bis man die Ruhe der Landschaft erfahren und genießen kann.
Ich stand auf der höchsten Stelle der Brücke und sah ins sonnenbeschienene, morgendliche Land, wo keine merkliche Bewegung erkennbar war, so als läge hier die Ewigkeit. Fern am Horizont lag im blauen Dunst ein Wäldchen, das mit seinen unregelmäßigen Konturen das Auge lockte. Schon war ich versucht, ungestüm wie der noch junge Frühling drauf los zu marschieren, aber ich wollte dem Verlauf der Autobahn folgen, um an der Schöpfleuthner-Kapelle vorbei zu gehen. An ihr hatte man das Verbrechen begangen, sie vom Weg ab, wo im Sommer das Unkraut kniehoch wucherte, sodass man nicht einfach hingelangen konnte, und von einem im Halbkreis umgebendes, lieblos angelegtes Gehölz abgeschirmt, knapp in einem Bogen der Lärmschutzwand, die natürlich den Verlauf der Autobahn beschrieb, zu belassen.
Diese Feldkapelle wurde 1883 von Johann und Elisabeth Schöpfleuthner gestiftet. Dieses Paar ist wahrscheinlich Vater und Mutter jenes Schöpfleuthners, der der letzte Bürgermeister des Ortes, Großvater meines Freundes war und mich zu einer Zeit, wo ich nicht noch zur Schule ging, von zu Hause abholte, um mit seinem Enkel zu spielen. So ist es wahrscheinlich, dass diese beiden ebenfalls in einem Grab auf den einen halben Kilometer entfernten Friedhof liegen.
Früher führten die Mai-Prozession hierher, und mein Freund und ich waren als Lautsprecherträger dabei. Später kam ich gerne hierher, um mich im Schatten der zwei Lindenbäume, die damals schon hier standen (vielleicht nach Fertigstellung der Kapelle gepflanzt worden waren?) auf den zwei Eingangsstufen niederzusetzen, in einem mitgebrachten Buch zu lesen, die Gedanken schweifen zu lassen und träumend dem Wind zu lauschen, der durch die reifenden Kornähren im Feld daneben ging. Damals war es ein Ort, an dem man Kraft tanken konnte - heute ein lästiges Monument, das man in eine künstliche Ecke durch Straßen- und Wegverläufe und ins Abseits verbannt hat.
Die Fassade ist bereits stark verwittert; die beiden Flügel der Gittertür sind mit einer Eisenkette und einem Vorhängeschloss gesichert. Drinnen befindet sich ein kleiner Altar, Heiligenbilder und Spinnweben.
Vielleicht würde ich das wieder einmal machen? Ein wenig länger hier zu verweilen, zu lesen, zu träumen, zu schreiben … oder mit einem Engel ein Picknick zu halten. Aber der Weg, der zwar in 20 Schritte Entfernung vorbeiführt, bringt auch immer Leute mit Hunden, Spaziergänger, Radfahrer oder Jogger. Dann wäre das wohl schon so, als würde man an der Mariahilfer Straße picknicken wollen!
Ich überquerte den Friedhofsweg abermals und hielt mich entlang der Lärmschutzwand in der fortwährenden Geräuschkulisse der Autobahn. Hier warnte man Hundebesitzer ihre Lieblinge an der Leine zu lassen. “Danke sagen Reh, Hase und Rebhuhn.” Bald würde ich auf den Feldweg stoßen, wo ich früher mit meinen Großeltern bis zur eingestürzten Breitenleer Brücke spazieren ging. Das kann man auch heute noch, über eine Brücke. Da ich ein altes Ehepaar, das sich mit Nordic Walking Stöcken fit zu halten versuchte, auf unseren Ort hin dort einbiegen sah, wählte ich die Richtung, aus der sie gekommen waren, und ging an Pferdekoppeln entlang bis zum Campingplatzweg. Hier liegt ein Lokal, in dem wir als Jugendliche oft verkehrten. Dieses wird das Ufercafe in der Erzählung “Mot der Rocker”, an der ich seit Weihnachten voriges Jahr arbeite.
Von hier war es nicht mehr weit nach Hause. Und ich hatte 75 Fotos auf dem Datenspeicher.
 



 
Oben Unten