Mr. Bullettime

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Isengardt

Mitglied
Er saß wie immer in seiner Freizeit vor dem Fernseher, hatte die Konsole angeschmissen und folgte gebannt dem, was da auf der Mattscheibe passierte. Ein Tastendruck hier, eine Vierteldrehung des Steuerkreuzes da. Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde wurden die Steuermanöver auf das Spiel übertragen und seine Spielfigur vollführte genau das, was er intuitiv in sein Steuerpad hämmerte. Mal war es ein Rennspiel mit quietschbunten Figuren, ein andermal jagte er Monster in einer verlassenen U-Bahnstation. Doch keines seiner Spiele sollte ihn so prägen wie Mr. Bullettime. Eines der Spiele, für die die Freiwillige Selbstkontrolle, kurz FSK, das rote Siegel vergab, was unter vor allem jungen Videospielern sowas wie ein Ritterschlag für exzessive Gewalt, bedenkliche Sprache und zuweilen auch sexuelle Inhalte bedeutete.
Er hatte das Spiel erst heute erworben. Musste dies aber mit einem seiner älteren Kumpels beim Videospielehändler seines Vertrauens besorgen, da er selbst noch nicht volljährig war. Voller Vorfreude folgte er dem Intro von Mr. Bullettime, welches einen abgehalfterten Cop zeigte, der getrieben von Selbstjustiz, alkoholgeschwängerte One-Liner von sich gab und dabei die vermeintlich bösen Jungs im Sekundentakt niedermähte.
Die Gewalt, die auf dem Bildschirm dargestellt wurde, war zu seiner zweiten Heimat geworden. Er war wie gebannt. Vollgepumpt mit Adrenalin und Energy Drinks schoss er sich die komplette Nacht um die Ohren und war in den frühen Morgenstunden dann endlich beim Abspann angelangt. Er hatte das Spiel in einer Sitzung durch, spärlich unterbrochen durch ein oder zwei Gängen auf die Toilette. Er war überglücklich als die Geschichte um seinen virtuellen Amoklauf ein für ihn zufriedenstellendes Ende hervorbrachte.
Todmüde aber noch voller Eifer startete er das Spiel erneut. Dieses mal auf einem erhöhten Schwierigkeitsgrad. Er nahm noch einen Schluck aus der Energy Drink Dose und hielt kurz seine Hand auf Augenhöhe, die Finger gestreckt und angespannt. Sie zitterten leicht, was wohl der Übermüdung und dem Adrenalin geschuldet war, das ihm die Nacht geraubt hatte. Doch er kannte kein Halten. Die Eltern waren über das Wochenende verreist und er hatte genügend Zeit sich vollends auszutoben. Er driftete immer tiefer in die Welt von Mr. Bullettime ein und vergaß gänzlich die Zeit. Weitere Stunden vergingen in denen er weder schlief noch etwas aß. Das flimmern des Bildschirms zog ihn in seinen Bann und er hämmerte unentwegt auf seinen Controller ein. Immer und immer wieder. Das Blut spritzte in alle Himmelsrichtungen wenn er seine Waffen sprechen ließ und die Gegner wurden zu Pixelklump geschossen. Es erfreute ihn jedesmal, wenn eine weitere Hürde geschafft war. Noch ein weiteres Level…und noch eins. Es nahm scheinbar kein Ende.
Die Uhr drehte sich in dessen weiter. Es war inzwischen später Nachmittag und sein Körper begann so langsam ihm Warnsignale zu senden. Zwar hatte er für ausreichend Flüssigkeit für sich gesorgt, aber die gut dreißig Stunden die er jetzt wach war hinterließen ihre Spuren. Beginnende Rückenschmerzen durch die ständige, leicht nach vorne gebückte Haltung, immer wieder Schweißausbrüche, die nicht der Spannung des Spieles zuzuführen waren (was er aber nicht registrierte) und durch das angestrengte Starren auf den Bildschirm waren seine Augen recht trocken, was ihn dazu brachte ständig zu blinzeln.
Und gerade diese Umstände ergaben aus der Lust schnell ein hohes Frustpotential, da er reaktionstechnisch nicht mehr auf der Höhe seiner Augen-Hand Koordination war. Er steigerte sich immer mehr in seine Fehler hinein, woraus Folgefehler resultierten und er die Spielmechanik nicht mehr unter Kontrolle hatte. Er reihte Eingabefehler an Eingabefehler und als es draußen langsam wieder dämmerte war seine aufgestaute Wut inzwischen so angewachsen das er hin und wieder durchs Zimmer brüllte, um sich ein Ventil zu schaffen. Doch auch das half nichts. Letzten Endes verdrückte er sich ein weiteres Mal auf seinem Steuerpad und wie aus einem Reflex riss er den Controller nach hinten, holte damit weit aus und warf ihn mit voller Wucht gegen den Bildschirm.
Der Controller prallte ab und aus dem Fernseher flogen Splitter in alle Richtungen des Zimmers.In Sekundenbruchteilen realisierte er, was er gerade getan hatte und er erschrak über sich selbst. Der Fernseher lag völlig zerdeppert auf dem Rücken und es liefen nurnoch Farbfragmente über den Bildschirm in dessen Mitte ein grosses Loch klaffte.

Er stand mühsam auf, zog den Netzstecker, lief zu seinem Bett und verkroch sich unter seine Bettdecke. „Wie soll ich das nur meinen Eltern erklären?“ brabbelte er noch vor sich hin und war Sekunden später schon eingeschlafen.
 
Erst nachdem nichts mehr funktioniert, kann der Junge endlich ins Bett und in Ruhe schlafen. An die Konsequenzen denkt er zwar noch, aber sie scheren ihn nicht so sehr, dass sie ihn noch wachhalten würden.

Gut erzählt, auch für Nicht-Gamer, hat mich mitgerissen.

LG SilberneDelfine
 

Isengardt

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,

Vielen lieben Dank für die Bewertung und den Kommentar.
Wenn es auch für Nicht-Gamer angekommen ist, bin ich zufrieden. ;)
Ich habe mich auch echt zurück halten müssen was meine Details angeht,
da ich nicht wollte, dass dies eine reine Nerd Geschichte wird,
sondern auch von Leuten die nichts mit dieser Materie anfangen können
verstanden werden sollte.
 

anbas

Mitglied
Moin,

eine gut erzählte Geschichte, wie ich finde.

Für den Spannungsbogen den Du aufbaust und der wirklich mitreißend ist, finde ich das Ende allerdings recht flau. Es muss ja gar nicht in eine "reale Blutspritzerei" ausarten :D, doch irgendwie müsste da aus meiner Sicht mehr Pepp rein.

Liebe Grüße

Andreas
 



 
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