Mrs. Little-Stone

Mrs. Little-Stone aus Topeka (Kansas, USA) war dreimal verheiratet. Ihrem ersten Ehemann Mr. Little-Stone schenkte sie drei Kinder, Kitty, Therese und Tom, letzterer bekam den Beinamen The little Little-Stone. Während Mr. Little-Stone seiner Arbeit als Versicherungsvertreter nachging, kümmerte sich Mrs. Little-Stone um die Erziehung der Kinder und die Hausarbeit, tratschte dann und wann mit den Nachbarinnen und war mit ihrem Leben ganz zufrieden. Die Kinder zu beaufsichtigen und zu erziehen, das Essen zu kochen, die Wäsche zu waschen, Hausarbeit zu erledigen und ihrem Mann eine gute Frau sein zu wollen, nahm allerdings viel Zeit in Anspruch. Eigentlich hatte Mrs. Little-Stone, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war, vorgehabt, einen Roman zu schreiben, so etwa im Stil von „Vom Winde verweht", sich dann auszeichnen zu lassen und vom Preisgeld zu leben, zumindest, bis ihr nächster Roman - das Thema wusste sie noch nicht - ausgezeichnet werden würde. Aber Mr. Little-Stone und die Kinder machten ihr einen Strich durch die Rechnung. Nie war Zeit, sich hinzusetzen und stundenlang an einem Roman zu schreiben, aber da Mr. Little-Stone gut verdiente, war es auch nicht notwendig. Mrs. Little-Stone war keineswegs auf ein Preisgeld angewiesen.

Mr. Little-Stone war beruflich viel unterwegs. Eines Abends rief er von einem Hotel aus an teilte Mrs. Little-Stone mit, dass er nicht mehr nach Hause käme, da er die Frau seines Lebens getroffen habe, die große Liebe sei wie ein Blitz über ihn gekommen und er könne nicht mehr mit ihr, Mrs. Little-Stone, leben. Man müsse sich neu arrangieren.
„Tut mir leid, aber du weißt ja, wie das ist."

Mrs. Little-Stone wusste nicht, wie das war, aber sie arrangierte sich neu. Sie schickte Kitty und Therese, die inzwischen alt genug dafür waren, auf ein Internat (das Mr. Little-Stone bezahlte, soviel Anstand hatte er immerhin) und zog mit little Little-Stone nach Denver (Colorado, USA). Dort fand Mrs. Little-Stone eine Anstellung in einem Architektur-Büro als Sekretärin (Maschinenschreiben und Stenografieren hatte sie in der Schule gelernt) und heiratete nach einem Jahr ihren zehn Jahre älteren Chef, Mr. Lake. Leider erlag Mr. Lake nach zwei Jahren Ehe einem Herzinfarkt. Mrs. Little-Stone erbte seine Firma und musste sich fortan um die Angestellten und betriebliche Angelegenheiten kümmern. Das hatte Mr.. Lake in seinem Testament so verfügt, zur Sicherstellung, dass keiner seiner Angestellten nach seinem Tod arbeitslos würde. Little Little-Stone war mittlerweile zu einem jungen Mann herangewachsen, und um ihn musste sie sich keine Sorgen machen. Umso mehr sorgte sie sich um die Firma, koordinierte Angebote, führte Gespräche mit Kunden sowie Teamgespräche und ließ ihre rechte Hand, Mr. Sullivan, Skizzen für zukünftige Bauten anfertigen. (Es war gar nicht daran zu denken, in dem ganzen Tohuwabohu einen Roman zu schreiben)
Mr. Sullivan hatte jahrelang für Mr. Lake gearbeitet, kannte sich mit allen internen Angelegenheiten aus und hielt schließlich um die Hand von Mrs. Little-Stone an. Seufzend und erleichtert hauchte Mrs. Little-Stone: „Ja."

Obwohl diese Ehe mehr ein Gentleman-Agreement war, verlief sie recht zufriedenstellend, fand Mrs. Little-Stone. Mr. Sullivan leitete die Firma, Mrs. Little-Stone abends einige Unterschriften und für das Haus beschäftigte sie eine Putzfrau. Ihre Kinder waren erwachsen und gut versorgt (Kitty und Therese hatten geheiratet und little Little-Stone studierte Architektur, um später in die Firma einsteigen zu können.) Jetzt war endlich Zeit, ihren Roman zu schreiben. Das Preisgeld würde sie in die Firma stecken.

Mrs. Little-Stone setzte sich an ihren Schreibtisch und fing an.
 
Zuletzt bearbeitet:

lietzensee

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,
die Geschichte gefällt mir sehr gut. Sie versucht mal etwas anderes als die typischen Leselupentexte und für mich gelingt der Versuch. Ich mag die Pointe und der gedrängte, protokollarische Stil passt gut dazu. Besonders gefällt mir der letzte Satz. "Und sie fing an" ist ein klasse Ende!


Wie es sich für die Leselupe gehört, hier noch ein paar Anmerkungen:

Ich habe den Text so verstanden, dass ihr zum Schreiben nicht nur die Zeit, sondern auch die Idee fehlte. Zum Schluss konnte sie ihr Buch dann schreiben, weil sie im Leben nun was erlebt hatte. Wenn ich damit richtig liege, würde ich diesen Aspekt noch schärfer rausarbeiten und dafür zb das Preisgeld rausstreichen. Da sie am Ende eh schon wohlhabend ist, trägt das Preisgeld zu Pointe nichts bei.

Während Mr. Little-Stone seiner Arbeit als Versicherungsvertreter nachging, kümmerte sich Mrs. Little-Stone um die Erziehung der Kinder und die Hausarbeit, tratschte dann und wann mit den Nachbarinnen und war mit ihrem Leben ganz zufrieden, obwohl sie zwischen Kinder beaufsichtigen, Kinder erziehen, Essen kochen, Wäsche waschen, Hausarbeit und ihrem Mann eine gute Frau zu sein, die alles zu seiner Zufriedenheit erledigte, es nicht schaffte, ein Hobby zu pflegen.
Diesen Satz finde ich zu lang.
Die Formulierung "ein Hobby pflegen" finde ich auch unglücklich, weil sie den Roman als gleichwertig mit Häkeln oder Joggen erscheinen lässt. Für die Wucht der Geschichte sollte der Roman für sie doch mehr als nur ein beliebiges Hobby sein.

(Es war gar nicht daran zu denken, in dem ganzen Tohuwabohu einen Roman zu schreiben)
Für meinen Geschmack ist dieser Callback etwas zu viel oder sogar kontraproduktiv. Wenn du den Roman länger unerwähnt lässt, ist der Effekt größer, wenn du ihn am Schluss wieder aus dem Hut ziehst. Bei so einem kurzen Text wird ihn der Leser nicht vergessen.

Kann man die Dame eigentlich bis zum Schluss" Mrs. Little-Stone " nennen, wenn sie erst Mr. Lake und dann Mr. Sullivan heiratet? Würde sie in so einem Milieu nicht immer den Namen des derzeit aktuellen Mannes annehmen? Anderseits, gibt der Name Atmosphäre und es wäre vielleicht zu viel Erzählaufwand, da noch langwierige Erklärungen drum herum zu geben.

Noch eine Frage aus Neugier, beruht die Geschichte auf einer Vorlage? Oder hast du Namen und Orte nur für die Atmosphäre gewählt?

Viele Grüße
lietzensee
 
Hallo lietzensee,

vielen Dank für deinen Kommentar :)! Ich habe mich sehr gefreut.

Nun zu den Einzelheiten:

Sie versucht mal etwas anderes als die typischen Leselupentexte
Genau das war meine Intention dahinter, freut mich, dass du es erkannt hast.


Ich habe den Text so verstanden, dass ihr zum Schreiben nicht nur die Zeit, sondern auch die Idee fehlte. Zum Schluss konnte sie ihr Buch dann schreiben, weil sie im Leben nun was erlebt hatte. Wenn ich damit richtig liege, würde ich diesen Aspekt noch schärfer rausarbeiten und dafür zb das Preisgeld rausstreichen. Da sie am Ende eh schon wohlhabend ist, trägt das Preisgeld zu Pointe nichts bei.
Ja, da hast du recht. Mal schauen, ob ich das noch ändere.


Diesen Satz finde ich zu lang.
Die Formulierung "ein Hobby pflegen" finde ich auch unglücklich, weil sie den Roman als gleichwertig mit Häkeln oder Joggen erscheinen lässt. Für die Wucht der Geschichte sollte der Roman für sie doch mehr als nur ein beliebiges Hobby sein.
Stimmt. Ich fand ihn eigentlich auch zu lang, aber ich war heute Morgen so im Flow, dass ich nur noch weiterschreiben und vor meinem Arbeitsbeginn fertig werden wollte. Werde ich aber noch verbessern.

Für meinen Geschmack ist dieser Callback etwas zu viel oder sogar kontraproduktiv. Wenn du den Roman länger unerwähnt lässt, ist der Effekt größer, wenn du ihn am Schluss wieder aus dem Hut ziehst. Bei so einem kurzen Text wird ihn der Leser nicht vergessen.
Werde ich mir auch überlegen.

Kann man die Dame eigentlich bis zum Schluss" Mrs. Little-Stone " nennen, wenn sie erst Mr. Lake und dann Mr. Sullivan heiratet? Würde sie in so einem Milieu nicht immer den Namen des derzeit aktuellen Mannes annehmen? Anderseits, gibt der Name Atmosphäre und es wäre vielleicht zu viel Erzählaufwand, da noch langwierige Erklärungen drum herum zu geben.
Ich weiß nicht, wie es in Amerika ist, ehrlich gesagt ... Aber da ich den Namen so schön fand, wollte ich ihn nicht ändern.

Noch eine Frage aus Neugier, beruht die Geschichte auf einer Vorlage? Oder hast du Namen und Orte nur für die Atmosphäre gewählt?
Letzteres :) wegen der Atmosphäre. Naja, Ehe Nr. 1 der Mrs. Little-Stone beruht teilweise auf meinen eigenen Erfahrungen ;)

LG SilberneDelfine
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo Silberne Delfine,
schöne Geschichte, gut erzählt. Sie hätte eine noch knackigere Pointe vertragen. Was mich besonders interessiert: Namen transportieren ja etwas wie z.B. Charaktereigenschaften und Aussehen. Warum hast du dich für Little-Stone entschieden und warum die Story in die USA verlegt?
Gruß
Bo-ehd
 
Warum hast du dich für Little-Stone entschieden und warum die Story in die USA verlegt?
Hallo Bo-ehd,

wie ich schon im letzten Kommentar schrieb, wegen der Atmosphäre. Manchmal wirkt eine Geschichte schon anders, wenn sie in einem anderen Land spielt. Außerdem kann man mit englischen (und auch französischen) Namen besser spielen, finde ich.

Ich hatte es mir auch zunächst überlegt, die Geschichte in Deutschland spielen zu lassen, aber irgendwie hätte ich mit einer „Frau Klein-Müller" (oder „Frau Klein-Stein") aus Berlin nicht die gleiche Geschichte schreiben können. Sie wäre unweigerlich ernsthafter geworden und das Schreiben wäre mir nicht so flüssig von der Hand gegangen. So, mit Mrs. Little-Stone, floss sie mir geradezu aus der Feder. Auch habe ich es mir bei Little Little-Stone zunutze gemacht, dass in Amerika oftmals „Little" beim jüngsten Sohn vor den Namen gesetzt wird. Wäre bei einem deutschen Namen auch nicht gegangen.

Danke für deinen Kommentar!

LG SilberneDelfine
 



 
Oben Unten